Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsschutzprozeß; beiderseitiger Auflösungsantrag; Beschwer
Leitsatz (redaktionell)
Haben in einem Kündigungsschutzprozeß beide Parteien einen Auflösungsantrag gestellt und löst das Arbeitsgericht daraufhin das Arbeitsverhältnis auf, so ist der Arbeitnehmer, der die Höhe der festgesetzten Abfindung nicht angreift, durch dieses Urteil nicht beschwert und seine Berufung deshalb unzulässig, auch wenn das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis auf den Antrag des Arbeitgebers hin auflöst. Der Arbeitnehmer kann in einem derartigen Fall nicht allein mit dem Ziel Berufung einlegen, seinen erstinstanzlich gestellten Auflösungsantrag zurückzunehmen und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.11.1992; Aktenzeichen 4 b Sa 26/92) |
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 13.08.1992; Aktenzeichen 1 Ca 640/91) |
Tatbestand
Der Kläger schloß mit der Beklagten, einem Unternehmen aus dem Bereich der Metallindustrie, am 30. November 1990 einen "Anstellungs- und Entsendungsvertrag". Danach sollte er spätestens zum 1. April 1991 in die Dienste der Beklagten treten und mit gleichem Datum als "Membre du Directoire" zu dem von ihr abhängigen französischen Tochterunternehmen, der K S.A. in Paris, entsandt werden. Tatsächlich nahm der Kläger seine Arbeit bereits am 1. Januar 1991 auf. Die Geschäftsleitung der K S.A. bestand aus zwei Personen, dem Kläger und Herrn M . Beide führten den Titel "Directeur General", in das französische Handelsregister eingetragen und damit gesetzliches Vertretungsorgan der K S.A. war jedoch nur Herr M . Dem Kläger unterstand dabei im wesentlichen der Bereich Finanzen, EDV etc., also der Innenbereich, während Herr M für den Außenbereich, insbesondere Verkauf und Marketing zuständig war. Wie die Zuständigkeiten im Personalbereich verteilt waren, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 13. Dezember 1991 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1992 und stellte den Kläger ab 1. Januar 1992 von der Arbeit frei. Dem Kläger wurde mitgeteilt, ein Nachfolger sei bereits gefunden und nehme am 1. Februar 1992 seine Arbeit auf.
Mit seiner am 28. Dezember 1991 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Sozialwidrigkeit der Kündigung und darüber hinaus geltend gemacht, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zumutbar, weil er bei der Beklagten in einer hervorgehobenen Position beschäftigt sei und die Beklagte bereits angekündigt habe, mit Wirkung ab 1. Februar 1992 einen Nachfolger einzustellen.
Der Kläger hat zunächst beantragt,
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfin-
dung zum 30. Juni 1992 aufzulösen,
hilfsweise festzustellen,
daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeits-
verhältnis durch die Kündigung zum 30. Juni 1992
nicht aufgelöst werde, sondern darüber hinaus
fortbestehe.
Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger dann seinen Antrag geändert und zuletzt beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien be-
stehende Arbeitsverhältnis nicht zum 30. Juni
1992 aufgelöst wird, sondern über diesen Zeit-
punkt hinaus fortbesteht,
hilfsweise festzustellen, daß das zwischen den
Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum
30. Juni 1992 gemäß § 9 KSchG aufgelöst wird und
die Beklagte eine angemessene Abfindung an ihn zu
zahlen hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfin-
dung zum 30. Juni 1992 aufzulösen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ihr Auflösungsantrag bedürfe nach § 14 Abs. 2 KSchG keiner Begründung. Bei Geschäftsführern oder Betriebsleitern i.S. des § 14 Abs. 2 KSchG komme es nicht auf die selbständige Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis an. Außerdem sei der Kläger i.S.v. § 14 Abs. 2 KSchG zur selbständigen Einstellung und Entlassung befugt gewesen. Die Beklagte hat dazu behauptet, der Kläger habe neben bzw. zusammen mit dem anderen Geschäftsführer alle wesentlichen Verhandlungen und Gespräche für die Gesellschaft geführt einschließlich der Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern. So habe er z.B. den Arbeitsvertrag des EDV-Leiters mitunterzeichnet. Daß die amtliche Eintragung des Klägers gefehlt habe, schließe nicht aus, daß der Kläger Einstellungen und Entlassungen sowohl praktisch als auch rechtswirksam habe vornehmen können. Der Kläger habe nicht nur den Titel eines "Directeur General" getragen, sondern sei auch mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattet gewesen und habe die dazugehörigen Arbeitsleistungen erbracht. Wenn der Mitgeschäftsführer M versucht habe, sich das Ressort des Personalbereichs anzueignen, so habe dies noch nicht bedeutet, daß ihr Aufsichtsrat, der solche Zuständigkeitsregelungen hätte beschließen müssen, dem zugestimmt hätte.
Der Kläger hat demgegenüber behauptet, allein Herr M sei zur Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern befugt gewesen. Dementsprechend seien bei einem Personalbestand von 66 Mitarbeitern die während des Jahres 1991 vorgenommenen Entlassungen von ca. 20 Mitarbeitern und die Einstellung einer etwa gleichen Anzahl von Arbeitnehmern ausschließlich durch Herrn M erfolgt. Schon nach seinem Arbeitsvertrag habe er keine selbständigen Entscheidungsbefugnisse gehabt, sondern sei an die Weisungen der Beklagten aus Deutschland gebunden gewesen. Anläßlich eines Gesprächs am 25. September 1991 habe der Vertreter der Konzernmutter zwar den Wunsch geäußert, seinem Zuständigkeitsbereich auch den Personalbereich einzugliedern, Herr M habe jedoch darauf bestanden, diese Funktion weiterhin zu behalten, so daß feststehe, daß sowohl vor als auch nach dem 25. September 1991 allein Herr M zur Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern befugt gewesen sei. Soweit er einzelne Belege, z.B. den Arbeitsvertrag des EDV-Leiters mitunterzeichnet habe, habe er lediglich seine sachliche Zustimmung dokumentiert, da sein Verantwortungsbereich (Finanzen/EDV) tangiert worden sei.
Das Arbeitsgericht hat sich vorab durch Beschluß vom 23. März 1992 für sachlich zuständig erklärt. Sodann hat es durch Urteil vom 13. August 1992 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist und hat auf den Hilfsantrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1992 gegen Zahlung einer Abfindung von 20.000,00 DM aufgelöst und die Kosten des Rechtsstreits den Parteien zu je auferlegt. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrag
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis nicht
durch die Kündigung der Beklagten mit Ablauf des
30. Juni 1992 geendet hat.
Dem Auflösungsantrag der Beklagten hat der Kläger in der Berufungsverhandlung ausdrücklich widersprochen und beantragt,
den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuwei-
sen.
Das Landesarbeitsgericht hat daraufhin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist und den Antrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ist als unzulässig zu verwerfen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Berufung des Klägers sei zulässig, obwohl das Arbeitsgericht nicht nur dem Feststellungsbegehren des Klägers stattgegeben habe, sondern mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses materiell auch dem vom Kläger in erster Instanz zuletzt als Hilfsantrag gestellten Auflösungsantrag entsprochen habe. Das Arbeitsgericht habe ausweislich der Entscheidungsgründe dem von der Beklagten gestellten Auflösungsantrag stattgegeben. Damit sei der Kläger durch die angefochtene Entscheidung beschwert, weil die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers von anderen Voraussetzungen abhänge, als die Auflösung auf Antrag des Arbeitnehmers. Wenn das Arbeitsgericht nicht dem Auflösungsantrag des Klägers entsprochen habe, sei der Kläger durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts zumindest in formeller Hinsicht beschwert. Da der Kläger auch seinen Auflösungsantrag wirksam zurückgenommen habe oder sogar die Rechtshängigkeit dieses nicht beschiedenen Hilfsantrags nach § 321 ZPO erloschen sei, sei über den Auflösungsantrag der Beklagten zu entscheiden.
Dieser sei unbegründet. Die Beklagte habe nicht dargetan, daß der Kläger leitender Angestellter i.S. des § 14 Abs. 2 KSchG sei. Es könne dahinstehen, ob der Kläger dem Begriff der Geschäftsführer, Betriebsleiter oder ähnlichen leitenden Angestellten i.S. dieser Vorschrift zuzuordnen sei, jedenfalls fehle es an der für alle drei Personengruppen erforderlichen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis. Die Beklagte habe nicht dargelegt, daß dem Kläger im Außen- wie im Innenverhältnis die selbständige und eigenverantwortliche Entscheidung über die Einstellung oder Entlassung einer bedeutenden Anzahl von Arbeitnehmern übertragen gewesen sei. Aus dem Protokoll über die Besprechung vom 25. September 1991, dessen Richtigkeit die Beklagte nicht bestritten habe, ergebe sich, daß der Mitgeschäftsführer des Klägers, Herr M , den Personalbereich in seine Zuständigkeit übernommen habe und nicht bereit gewesen sei, diesen abzugeben. Dies werde dadurch bestätigt, daß nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers im Jahre 1991 die vorgenommenen ca. 20 Entlassungen und die entsprechende Anzahl von Einstellungen mit der einen Ausnahme lediglich von Herrn M vorgenommen worden seien. Auch die im Prozeß vorgelegten Unterlagen ließen keinen Rückschluß auf eine eigenverantwortliche und selbständige Entscheidungsbefugnis des Klägers hinsichtlich der Vornahme von Einstellungen und Entlassungen zu. Da der Kläger danach nicht als leitender Angestellter i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG anzusehen sei, könne dem ohne Begründung gestellten Auflösungsantrag der Beklagten nicht entsprochen werden.
II. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie die Beklagte zutreffend rügt, ist das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft von der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen.
1. Die Berufung war nicht bereits deshalb als zulässig anzusehen, weil das Arbeitsgericht in der Rechtsmittelbelehrung auch den Kläger darauf hingewiesen hat, er könne gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einlegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung kein Rechtsmittel eröffnen, das gesetzlich nicht vorgesehen ist (BAGE 38, 52, 55 = AP Nr. 3 zu § 64 ArbGG 1979; BAGE 53, 396 = AP Nr. 3 zu § 566 ZPO, jeweils m.w.N.). Es kommt deshalb nur darauf an, ob die Berufung tatsächlich zulässig war.
2. Die Revision beanstandet zu Recht, daß der Kläger durch das erstinstanzliche Urteil überhaupt nicht beschwert war und die Berufung deshalb als unzulässig hätte verworfen werden müssen.
a) Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt die Beschwer des Rechtsmittelklägers voraus, die nicht allein im Kostenpunkt bestehen darf. Eine Berufung ist unzulässig, wenn mit ihr keine Abhilfe gegen eine Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil gesucht wird (BAG Urteil vom 29. Oktober 1960 - 5 AZR 581/59 - AP Nr. 3 zu § 511 ZPO). Ob eine Beschwer vorliegt, bestimmt sich nach dem rechtskraftfähigen Inhalt der angegriffenen Entscheidung. Beim Kläger wird in der Regel eine formelle Beschwer vorausgesetzt; ein Kläger, der in der ersten Instanz voll obsiegt hat, ist durch das erstinstanzliche Urteil regelmäßig nicht beschwert. Der Kläger kann - von Ausnahmefällen abgesehen - Rechtsmittel nur einlegen zur Weiterverfolgung eines durch die Vorinstanz aberkannten Anspruchs oder Anspruchsteils. Eine Beschwer ergibt sich damit aus einem Vergleich zwischen dem rechtskraftfähigen Inhalt der Entscheidung und den in dieser Instanz gestellten Anträgen der betreffenden Partei.
b) Der Kläger ist durch das Urteil des Arbeitsgerichts nicht beschwert. Dies gilt unabhängig davon, ob man auf den eigenen Auflösungsantrag des Klägers abstellt, über den das Arbeitsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe nicht entschieden hat, oder auf den Auflösungsantrag der Beklagten, auf den hin das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat. Da beide Parteien die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragt haben, hat das Arbeitsgericht keinen Antrag abgewiesen, den der Kläger gestellt hatte, hat aber andererseits der Beklagten nichts zugesprochen, gegen das sich der Kläger in erster Instanz gewehrt hat.
c) Der Kläger hatte hier in der Klageschrift zunächst in erster Linie den Auflösungsantrag gestellt und nur hilfsweise die Feststellung begehrt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden sei. Damit hatte er, wie das Berufungsgericht zutreffend feststellt, eine ordnungsgemäße Kündigungsschutzklage erhoben, da der Auflösungsantrag denknotwendig die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung voraussetzt (BAG Urteil vom 13. Dezember 1956 - 2 AZR 353/54 - AP Nr. 5 zu § 7 KSchG). Wenn der Kläger dann später in dem erstinstanzlichen Verfahren seinen Antrag geändert und nunmehr den Auflösungsantrag als Hilfsantrag neben dem Feststellungsantrag gestellt hat, so geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß der Kläger auch nach der Änderung seiner Anträge nach wie vor selbst einen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG gestellt hat.
aa) Zu denken wäre daran, daß der Kläger nur hätte erklären wollen, er beabsichtige, einem Auflösungsantrag der Beklagten nicht zu widersprechen. Dieser Auslegungsmöglichkeit sind aber das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht gefolgt: Ihr widerspricht die Formulierung eines gesondert begründeten Antrags, außerdem war ein Auflösungsantrag der Beklagten überhaupt noch nicht gestellt, als der Kläger seine Anträge änderte.
bb) Auch die Auslegungsmöglichkeit, der Kläger habe seinen Auflösungsantrag nunmehr als echten Hilfsantrag stellen wollen, kommt nicht ernsthaft in Betracht. Ein solcher für den Fall der Erfolglosigkeit des Kündigungsschutzantrages gestellter Hilfsantrag wäre unsinnig. Stellt der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag nur hilfsweise für den Fall, daß er mit seinem in der Hauptsache gestellten Feststellungsantrag nicht durchdringt, so ist dieser Antrag beim Unterliegen mit seinem Hauptantrag ohne weiteres unbegründet und beim Obsiegen mit seinem Hauptantrag gegenstandslos (so schon BAGE 7, 304 = AP Nr. 55 zu § 1 KSchG). Dem Kläger kann nicht unterstellt werden, daß dies das Ziel seiner Antragsänderung war.
cc) Damit bleibt, wovon auch das angefochtene Urteil ausgeht, nur die Möglichkeit, den Antrag des Klägers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses als unechten Hilfsantrag auszulegen, wie er üblicherweise im Kündigungsschutzverfahren gestellt wird. Über diesen Antrag soll entschieden werden, wenn der Arbeitnehmer mit seinem Hauptantrag auf Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, durchdringt. Durch seine Antragsänderung hat der Kläger damit offenbar in erster Linie die Ungereimtheit bereinigt, daß die ursprünglich gestellten Anträge den Anschein einer bedingt für den Fall der Unbegründetheit des Auflösungsantrags erhobenen Kündigungsschutzklage erweckten und erst durch Auslegung in einen wirksamen Kündigungsschutzantrag umgedeutet werden konnten. Ob die Antragsänderung auf den Erörterungen im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht beruhte, ist aus der Akte nicht ersichtlich. Soweit der anwaltlich vertretene Kläger durch einen Hinweis auf die Schwierigkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, möglicherweise andeuten wollte, auch ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht unlieb, hat dies jedenfalls in seinem erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag keinen Niederschlag gefunden.
d) Geht man danach mit dem Berufungsgericht davon aus, daß der Kläger erstinstanzlich zuletzt einen Hauptantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und einen uneigentlichen Hilfsantrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellt hat, so ist das Arbeitsgericht von diesem Antrag nicht abgewichen, indem es einerseits festgestellt hat, daß die Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat und andererseits das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auflöst. Auf wessen Antrag die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgt, darauf kann es bei der Prüfung der Beschwer nicht ankommen, jedenfalls solange die Höhe der festgesetzten Abfindung nicht streitig ist.
e) Haben beide Parteien einen Auflösungsantrag gestellt, so bestehen grundsätzlich drei Entscheidungsmöglichkeiten, wenn das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis auflösen will.
aa) Die Autoren, die auch bei beiderseitigem Auflösungsantrag in eine volle Nachprüfung der Auflösungsgründe eintreten wollen, sehen beide Auflösungsanträge als voneinander unabhängig an und prüfen vorrangig den Antrag des Arbeitnehmers als unechten Hilfsantrag und erst wenn sich dieser Antrag als unbegründet erweist, den echten Hilfsantrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses (KR-Becker, 3. Aufl., § 9 KSchG Rz 65; Neumann, AR-Blattei, Kündigungsschutz VI D I; Kittner/Trittin, Kündigungsschutzrecht, § 9 KSchG Rz 30).
bb) Geht man demgegenüber bei einem von beiden Parteien gestellten Auflösungsantrag ohne weiteres davon aus, daß ein Auflösungsgrund besteht (Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 1211 f.; Bauer/Hahn, DB 1990, 2471; MünchKomm-Schwerdtner, 2. Aufl., Vor §620 BGB Rz 589; ähnlich BAGE 9, 131 = AP Nr. 7 zu § 7 KSchG, im Fall der Erklärung des Arbeitnehmers, er widerspreche dem Auflösungsantrag des Arbeitgebers nicht), so liegt es näher, beide Auflösungsanträge für begründet zu halten und auf beide Anträge hin das Arbeitsverhältnis aufzulösen.
cc) Eine dritte Möglichkeit hat das Arbeitsgericht gewählt: Es hat zuerst den Auflösungsantrag des Arbeitgebers geprüft und auf diesen hin das Arbeitsverhältnis aufgelöst, ohne auf den Auflösungsantrag des Arbeitnehmers einzugehen.
f) Unabhängig davon, welchen dieser Wege das erstinstanzliche Gericht beschreitet, kann eine Beschwer des Klägers bei einem beiderseitigen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG nicht allein darin liegen, daß formal auf Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden ist. Der Kläger hat in der ersten Instanz das erreicht, was er beantragt hatte, nämlich die Feststellung, daß die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
aa) Wenn das Berufungsgericht meint, das Arbeitsgericht habe über den Auflösungsantrag des Klägers nicht entschieden und es sei deshalb § 321 ZPO anwendbar, so vermag dies eine Beschwer des Klägers nicht zu begründen. Es ist schon fraglich, ob § 321 ZPO auf den vorliegenden Fall paßt: Ist ein von der Partei gestellter Antrag durch das Gericht versehentlich übergangen worden, so hat auf Antrag eine Urteilsergänzung zu erfolgen. Hier richteten sich aber die Anträge beider Parteien auf das gleiche Prozeßziel, nämlich auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers wurde der Auflösungsantrag des Klägers im Zweifel gegenstandslos und das Arbeitsgericht hätte auch bei einem rechtzeitig gestellten Antrag nach § 321 ZPO das Arbeitsverhältnis nicht auf Antrag des Klägers erneut auflösen können. Dies kann aber letztlich dahinstehen, denn in den Fällen des § 321 ZPO liegt gerade keine Beschwer vor, die die Zulässigkeit eines Rechtsmittels begründen könnte. Ein Rechtsmittel kann nur eingelegt werden, wenn das anzufechtende Urteil inhaltlich falsch ist. Entscheidet das Gericht über geltend gemachte Ansprüche ganz oder teilweise nicht, dann stellt das Urteil eine Teilentscheidung dar, die als solche inhaltlich nicht fehlerhaft ist, so daß wegen des übergangenen Anspruchs ein Rechtsmittel keinen Erfolg haben kann (MünchKommZPO-Musielak, § 321 Rz 11; BAG Urteil vom 13. März 1961 - 1 AZR 403/59 - AP Nr. 24 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 321 Rz 2). Eine Beschwer läge hier nicht in der getroffenen, sondern in der unterlassenen Entscheidung.
bb) Auch wenn das Berufungsgericht meint, das Arbeitsgericht habe über die Auflösungsanträge in der falschen Reihenfolge entschieden, so vermag dies keine Beschwer zu begründen. Der Rechtsmittelkläger kann nur solche Unrichtigkeiten, Fehler oder Mängel der angefochtenen Entscheidung rügen, die ihn beschweren. Die Mängel, die das Entscheidungsergebnis, d.h. den rechtskraftfähigen Inhalt der Entscheidung entweder überhaupt nicht oder nicht zu Ungunsten des Rechtsmittelführers beeinflußt haben, sind demgegenüber unbeachtlich (Bettermann, ZZP 82, 24, 68). Es kann dahinstehen, ob die überwiegend vertretene Auffassung richtig ist, auch bei einem beiderseitigen Auflösungsantrag sei stets zunächst der Antrag des Arbeitnehmers zu prüfen. Jedenfalls kann ein solcher Fehler den Inhalt der Entscheidung nicht zu Ungunsten des Klägers beeinflußt haben. Hätte das Arbeitsgericht den Auflösungsantrag des Klägers zuerst geprüft oder beide Auflösungsanträge gleichzeitig geprüft und dann das Arbeitsverhältnis entweder auf den Antrag des Klägers oder auf den übereinstimmenden Antrag beider Parteien aufgelöst, so hätte dies auch nicht zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung führen können, der rechtskraftfähige Inhalt der Entscheidung wäre vielmehr gleich geblieben. Der Kläger hat sein Prozeßziel in erster Instanz voll erreicht, auf wessen Antrag hin die Auflösung erfolgt ist, muß, da er die Höhe der festgesetzten Abfindung nicht angreift, aus seiner Sicht unerheblich sein.
cc) Man kann auch die Beschwer nicht darin sehen, daß das Arbeitsgericht einem Antrag der Beklagten stattgegeben hat. Dies stellt im konkreten Fall keine Beschwer des Klägers dar. Diesem Antrag hatte der Kläger erstinstanzlich nicht widersprochen, er hatte ihn vielmehr durch einen eigenen gleichlautenden Antrag unterstützt. Damit war der rechtskraftfähige Inhalt der Entscheidung nicht mit einer Verurteilung des Klägers gleichzusetzen, die Entscheidung des Arbeitsgerichts gewährte dem Kläger vielmehr nur das, was der Kläger selbst als prozessuales Ziel verfolgte. Da auch die Entscheidung über den Auflösungsantrag der Beklagten dem Kläger nur günstig war, kann sie ihn nicht beschweren.
dd) Auch die Höhe der vom Arbeitsgericht festgesetzten Abfindung vermag keine Beschwer des Klägers zu begründen. Es kann dahinstehen, ob beim Stellen eines Auflösungsantrags ohne Angabe einer Mindestsumme eine Beschwer stets anzunehmen ist, wenn die Abfindung nach Ansicht des Arbeitnehmers unterhalb der Höchstgrenze zu niedrig (bzw. nach Ansicht des Arbeitgebers zu hoch) festgesetzt ist (so z.B. Neumann, AR-Blattei D Kündigungsschutz VI G I 2, m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat der Kläger sich gegen die Höhe der Abfindung mit der Berufung überhaupt nicht gewandt, sondern nur den Auflösungsantrag in der Berufungsinstanz nicht mehr gestellt.
3. Die Berufung könnte deshalb nur dann zulässig sein, wenn der Kläger trotz des erstinstanzlich gestellten Auflösungsantrags noch Berufung einlegen könnte mit dem Ziel, den Auflösungsantrag zurückzunehmen, um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen. Eine solche Möglichkeit wird z.B. von Grunsky (Anm. zu BAG AP Nr. 5 zu § 9 KSchG 1969) erörtert. Vor allem von Autoren, die auf eine materielle Beschwer auch beim Kläger abstellen, wird angenommen, daß bei einer Gestaltungsklage auch der siegreiche Kläger durch das Gestaltungsurteil in seiner Rechtsposition beeinträchtigt sein kann und ihm deshalb die Möglichkeit gewährt werden sollte, durch Einlegung eines Rechtsmittels von der Gestaltungsklage Abstand zu nehmen (Bettermann, Die Beschwer als Rechtsmittelvoraussetzung im deutschen Zivilprozeß, ZZP 82, 24, 42 f.; Brox, Die Beschwer als Rechtsmittelvoraussetzung, ZZP 81, 379, 403; vgl. auch Kahlke, Zur Funktion von Beschwer und Rechtsschutzbedürfnis im Rechtsmittelverfahren, ZZP 94, 423 ff.). Zumeist knüpfen diese Überlegungen an eine Rechtsprechung zum Ehescheidungsrecht an, wo es auch ohne formelle Beschwer stets als zulässig angesehen wird, daß der durch ein Ehescheidungsurteil nicht beschwerte Kläger Berufung einlegen kann, um die Klage zurückzunehmen oder auf sein Scheidungsrecht zu verzichten (BGH Beschluß vom 24. September 1969 - IV ZB 37/69 - NJW 1970, 46; ebenso Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., Übers. § 606 Rz 5).
Diese Ansicht ist für den Auflösungsantrag nach § 9 KSchG abzulehnen. Auch Grunsky (Anm. zu BAG AP Nr. 5 zu § 9 KSchG 1969) räumt im Ergebnis ein, daß die Parallele zu einer Besonderheit des Ehescheidungsrechts eher weit hergeholt ist und versucht, durch die hier nicht zu erörternde Möglichkeit einer Rücknahme des Auflösungsantrags innerhalb der Berufungsfrist gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht zu helfen. Teilweise wird auch von den Autoren, die beim Kläger eine materielle Beschwer zugrundelegen, das zu weitreichende Ergebnis über das Rechtsschutzbedürfnis korrigiert. Die vorgebrachten Argumente erfordern es nicht, für einen Fall wie den Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG von dem Erfordernis der formellen Beschwer beim Kläger abzurücken. Wenn der Kläger Wert darauf legt, sich die Vorteile des Arbeitsverhältnisses zu erhalten, so hätte er die Stellung des Auflösungsantrags unterlassen oder diesen Antrag rechtzeitig zurücknehmen sollen. Der Instanzenzug ist nicht dazu da, den Parteien das Abstehen von inzwischen als nachteilig erkannten Entschlüssen zu ermöglichen (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., Einl. Vor §511 Rz 51). Auch für den umgekehrten Fall, daß der Arbeitnehmer in erster Instanz keinen Auflösungsantrag gestellt und das Arbeitsgericht deshalb lediglich festgestellt hat, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung nicht aufgelöst, lehnt die h.M. zu Recht eine Beschwer des Arbeitnehmers durch dieses Urteil ab und verwehrt es ihm, Berufung einzulegen, nur um in der zweiten Instanz einen Auflösungsantrag zu stellen (Neumann, AR-Blattei D Kündigungsschutz VI B I 2; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 9 Rz 22; Bauer/Hahn, DB 1990, 2471, 2473; a.A. nur für einen Sonderfall: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., S. 1106).
4. Hat das Arbeitsgericht nach §§ 9, 10 KSchG das Arbeitsverhältnis aufgelöst, so kann nach alledem der Arbeitnehmer, wenn er die Höhe der festgesetzten Abfindung nicht rügt, nur dann Berufung gegen dieses Urteil einlegen, wenn das Arbeitsverhältnis gegen seinen Willen auf Antrag des Arbeitgebers aufgelöst worden ist (ebenso ausdrücklich Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 9 Rz 59). Die Berufung des Klägers ist damit mangels Beschwer unzulässig.
Hillebrecht Bitter Bröhl
Dr. Bächle Baerbaum
Fundstellen
DB 1993, 2539-2540 (LT1) |
NJW 1994, 1428 |
NJW 1994, 1428-1430 (LT1) |
EBE/BAG 1993, 174-176 (LT1) |
BetrVG, (2) (LT1) |
NZA 1994, 264 |
NZA 1994, 264-267 (LT1) |
AP § 9 KSchG 1969 (LT1), Nr 23 |
AR-Blattei, ES 1020.6 Nr 2 (LT1) |
EzA § 64 ArbGG 1979, Nr 30 (LT1) |