Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des ruhegeldfähigen Einkommens
Orientierungssatz
Bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen ist zu berücksichtigen, dass diese betriebliche Sachverhalte regeln. Es kann deshalb bei ihrer Auslegung nur begrenzt auf den allgemeinen Sprachgebrauch abgestellt werden. Entscheidend ist das Verständnis im Betrieb.
Normenkette
BetrAVG § 1 Auslegung
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. Mai 2004 – 8 Sa 1963/03 – insoweit aufgehoben, als es festgestellt hat, die Beklagte sei verpflichtet, das tarifliche Urlaubsgeld und die tarifliche Jahressondervergütung in die Ermittlung des ruhegehaltsfähigen Einkommens des Klägers einzubeziehen. Insoweit wird die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 18. September 2003 – 4 Ca 3291/02 – zurückgewiesen.
- Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.
- Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger 17/18 und die Beklagte 1/18 zu tragen. Von den Kosten der erstinstanzlichen und des Berufungsverfahrens haben der Kläger 53/54 und die Beklagte 1/54 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das tarifliche Weihnachtsgeld, das tarifliche Urlaubsgeld und die vermögenswirksamen Leistungen als ruhegeldfähiges Einkommen der Berechnung der betrieblichen Altersversorgung des Klägers zugrunde zu legen sind.
Der am 2. Oktober 1951 geborene Kläger war im Betrieb R… der Beklagten vom 1. Oktober 1972 bis zum 31. März 2002 beschäftigt. Seine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung richtet sich nach einer Betriebsvereinbarung vom 10. Dezember 1984 (BV 1984). Deren § 4 lautet auszugsweise:
“Ruhegeldfähiges Einkommen
(1) Als ruhegeldfähiges Einkommen gilt der monatliche Durchschnitt des Bruttoarbeitseinkommens, das der Arbeitnehmer von der Firma in den letzten drei anrechnungsfähigen Dienstjahren (§ 3) bezogen hat.
…
(3) Überstundenvergütungen, Gratifikationen, Teuerungszulagen, Jubiläumsgaben und sonstige einmalige Zuwendungen werden bei der Ermittlung des ruhegeldfähigen Einkommens nicht berücksichtigt.
…”
Über die jährlichen Einmalleistungen bestand im Betrieb der Beklagten zunächst eine Betriebsvereinbarung vom 16. Mai 1978 “über die Auszahlung des Urlaubsgeldes und der Jahressondervergütung gemäß Manteltarifvertrag vom 26.5.1977”. Danach galt das in diesem Manteltarifvertrag vereinbarte Urlaubsgeld als “Teil der … bisher gezahlten und jederzeit widerrufbaren ‘Treueprämie’”. Es war zudem vorgesehen, dass das Urlaubsgeld “einmalig” auszuzahlen ist. Die in demselben Manteltarifvertrag vereinbarte Sondervergütung war dort als “Teil der … bisher gezahlten und jederzeit widerrufbaren ‘Weihnachtsgratifikation’” bezeichnet.
Diese Betriebsvereinbarung wurde später durch eine Betriebsvereinbarung vom 1. November 1990 “über die Auszahlung des Urlaubsgeldes und der Jahressondervergütung gemäß Manteltarifvertrag vom 13.2.1990 gültig ab 1. Januar 1990” ersetzt. Hinsichtlich des Urlaubsgeldes enthielt sie keine Neuregelung. Hinsichtlich der Jahressondervergütung traf sie eine eigenständige Regelung und bestimmte, dass “Beträge, die über die tariflich vereinbarten Ansprüche gewährt” werden als “freiwillige, jederzeit widerrufbare Arbeitgeberleistungen” anzusehen sind.
Sowohl die in diesen Betriebsvereinbarungen in Bezug genommenen Manteltarifverträge für die Getränkeindustrie in Hessen als auch der später von der Beklagten angewandte Manteltarifvertrag vom 28. Februar 1997 bestimmten (jeweils in § 19 Nr. 9) Folgendes:
“Die Jahressondervergütung gilt als Einmalleistung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen.”
Im Rahmen einer Rentenauskunft über das dem Kläger ab Vollendung des 60. Lebensjahres zustehende Ruhegeld ist die Beklagte davon ausgegangen, dass sie weder das Weihnachtsgeld noch das Urlaubsgeld oder die vermögenswirksamen Leistungen bei der Berechnung der Altersversorgung zu berücksichtigen habe.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er ist der Auffassung, diese Leistungen seien in die Berechnung des rentenfähigen Einkommens einzubeziehen.
Der Kläger hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse – beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Ermittlung des ruhegehaltsfähigen Einkommens auch die tarifliche Jahressondervergütung, das tarifliche Urlaubsgeld und die vermögenswirksamen Leistungen einzubeziehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage, die noch weitergehende Ansprüche des Klägers betraf, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung im Hinblick auf die noch rechtshängigen Ansprüche stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Klageabweisung insgesamt. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat hinsichtlich der Einbeziehung der vermögenswirksamen Leistungen keinen Erfolg. Im Übrigen ist sie begründet.
I. Soweit es um die Einbeziehung der vermögenswirksamen Leistungen in die Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens geht, ist die Revision schon unzulässig.
Zur Zulässigkeit der Revision gehört deren Begründung (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Der Revisionskläger hat für jedes mit der Revision verfolgte Begehren die Umstände darzulegen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll. Hat das Landesarbeitsgericht über mehrere selbständige Streitgegenstände mit jeweils eigenständiger Begründung entschieden, muss die Revision für jeden dieser Streitgegenstände begründet werden. Hinsichtlich eines Streitgegenstandes, für den keine Revisionsbegründung vorliegt, ist die Revision unzulässig. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision gehört, dass sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des anzufechtenden Urteils auseinandersetzt (vgl. BAG 13. März 2003 – 6 AZR 585/01 – BAGE 105, 205, zu I 1 der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht hat die Einbeziehung der vermögenswirksamen Leistungen damit begründet, diese fielen unter keinen der in § 4 Abs. 3 BV 1984 genannten Begriffe und würden monatlich und nicht einmalig gezahlt. Für die Richtigkeit dieser Begründung spricht viel, zumal vermögenswirksame Leistungen auch grundsätzlich eine besondere Form der Vergütung und als Entgelt für geleistete Arbeit anzusehen sind (BAG 30. April 1975 – 5 AZR 187/74 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Vermögenswirksame Leistungen Nr. 1, zu 3b der Gründe; 17. Dezember 1998 – 6 AZR 370/97 – AP BAT-O § 15c Nr. 1, zu II 2a der Gründe). Die dahin gehende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hat die Revisionsklägerin in ihrer Revisionsbegründung zwar erwähnt, jedoch keine Gegenargumente vorgebracht, sondern sich lediglich mit der tariflichen Jahressondervergütung und dem tariflichen Urlaubsgeld befasst. Damit fehlt es an einer Auseinandersetzung der Revisionsbegründung mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts hinsichtlich der Einbeziehung der vermögenswirksamen Leistungen in die Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens.
II. Im Übrigen ist die Revision zulässig. Sie ist auch begründet.
1. Die Klage ist allerdings insoweit – auch als Feststellungsklage – zulässig.
Zwischen den Parteien besteht ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis, das nicht erst mit Eintritt des Versorgungsfalles, sondern bereits mit dem Entstehen der Versorgungsanwartschaft begründet wird; tatsächliche Unsicherheiten in diesem Rechtsverhältnis können bereits vor Eintritt des Versorgungsfalles geklärt werden, damit der Arbeitnehmer nicht erst danach einen zeitraubenden Prozess über seine Versorgungsrechte führen muss (BAG 19. November 2002 – 3 AZR 167/02 – BAGE 104, 1, 7). Für die Feststellung hat der Kläger ein berechtigtes Interesse, nachdem die Beklagte erklärt hat, die tarifliche Jahressondervergütung und das tarifliche Urlaubsgeld nicht in die Rentenberechnung einbeziehen zu wollen. Der Feststellungsantrag ist zudem geeignet, die zwischen den Parteien bestehenden Streitpunkte in prozesswirtschaftlicher Art zu klären (vgl. BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 435/00 – EzA ZPO § 256 Nr. 59, zu I der Gründe). Der an sich gegebene Vorrang der Leistungsklage greift deshalb nicht.
2. Die Klage ist jedoch insoweit unbegründet. Weder die tarifliche Jahressonderzahlung noch das tarifliche Urlaubsgeld sind in die Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens einzubeziehen. Ob es sich um Gratifikationen iSv. § 4 Abs. 3 BV 1984 handelt, kann dahinstehen; jedenfalls handelt es sich jeweils um eine “sonstige einmalige” Leistung im Sinne dieser Regelung.
Das ergibt sich aus der Auslegung der BV 1984. Diese Auslegung ist betriebsbezogen vorzunehmen, denn Betriebsvereinbarungen sollen die Verhältnisse im Betrieb regeln und nicht Rechtssätze für eine unübersehbare Anzahl unterschiedlicher Fallgestaltungen schaffen. Abzustellen ist daher allein darauf, ob nach dem Verständnis im Betrieb eine “einmalige Zuwendung” vorliegt oder nicht. Demgegenüber kann entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht entscheidend darauf abgestellt werden, ob auf die erfassten Arbeitgeberleistungen ein Rechtsanspruch besteht oder nicht. Die Betriebsparteien haben auch Überstundenvergütungen von der Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens ausgenommen. Auf diese besteht aber ein Rechtsanspruch.
Hinsichtlich der tariflichen Jahressonderleistung ergibt sich das daraus, dass in den im Betrieb der Beklagten angewandten Tarifverträgen ausdrücklich festgelegt war, die Jahressondervergütung sei eine Einmalleistung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die tarifliche Regelung sich insbesondere auf die gesetzlichen Bestimmungen des Steuer- und Sozialversicherungsrechts bezieht, haben die Tarifvertragsparteien mit Bezeichnung der Jahressondervergütung die Qualifizierung dieser Leistung bewirkt. Hinweise darauf, dass im Betrieb der Beklagten, wo die tariflichen Regelungen durch die Betriebsvereinbarungen aus den Jahren 1978 und 1990 ausdrücklich in Bezug genommen und die späteren tariflichen Änderungen angewandt wurden, ein anderes Verständnis herrschte, als es die Tarifvertragsparteien dem Tarifvertrag zugrunde gelegt haben, sind nicht ersichtlich. Das liegt auch nicht nahe.
Auch das tarifliche Urlaubsgeld ist in diesem Sinne als einmalige Zuwendung zu verstehen. Es wird nach den anwendbaren Betriebsvereinbarungen “einmalig” gezahlt. Auch diese Bezeichnung prägt das betriebliche Verständnis unabhängig davon, ob damit lediglich eine Verteilung der Leistung auf alle Urlaubstage verhindert werden sollte.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Zwanziger, Lohre, Rau
Fundstellen
DB 2006, 1120 |
NZA 2006, 1128 |
EzA-SD 2006, 12 |
NJOZ 2006, 3462 |