Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderzahlung. Kürzung durch tarifliche Einmalzahlung. Gratifikation/Sondervergütung. Betriebsverfassungsrecht
Orientierungssatz
- Der Abeitgeber, der über den tariflich abgesicherten Teil einer Sonderzahlung hinaus freiwillig mehr bezahlt, kann den freiwilligen Teil der Leistung auch um tarifliche Einmalzahlungen kürzen. Dies betrifft keine Frage der Anrechenbarkeit tariflicher Leistungen auf übertarifliche Lohnbestandteile, sondern die jedes Jahr neu zu treffende Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gratifikation gezahlt werden soll. Zahlt der Arbeitgeber die “volle” Sonderzahlung aus und trifft zuvor eine entsprechende Tilgungsbestimmung, erfüllt dies den tariflichen Anspruch.
- Stimmt der Betriebsrat nach entsprechenden Verhandlungen einer solchen Regelung zu, ist dies als eine Regelungsabrede anzusehen, die evtl. bestehende Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wahrt. Der Abschluß einer förmlichen Betriebsvereinbarung ist dann nicht erforderlich.
- Eine solche Regelungsabrede verstößt schon deshalb nicht gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, weil nicht die tariflich vereinbarte Einmalzahlung, sondern der freiwillige Teil einer Sonderzuwendung betroffen ist.
Normenkette
Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 11. Dezember 1996 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen § 2 Ziff. 2.2, § 4; Gehaltsabkommen vom 25. Februar 1999 über die Tarifgehälter in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen § 5; Lohnabkommen vom 25. Februar 1999 über die Tariflöhne in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen § 7; BGB § 362 Abs. 1, § 271 Abs. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 77 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber ob die Beklagte eine übertarifliche betriebliche Sonderzahlung um den Betrag einer tariflichen Einmalzahlung verringern durfte.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallindustrie mit ca. 630 Mitarbeitern am Standort L…. Sie wendet auf alle Arbeitsverhältnisse die Tarifverträge der Nordrhein-Westfälischen Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in der jeweils gültigen Fassung an. Der 59-jährige schwerbehinderte Kläger ist seit 1969 als Laborant bei der Beklagten mit einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 6.083,00 DM beschäftigt. Er ist Mitglied des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrates.
Nach § 2 Ziff. 2.2 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 11. Dezember 1996 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen haben die Arbeitnehmer nach einer Betriebszugehörigkeit von 36 Monaten einen Anspruch auf 55 % eines Monatsentgelts bzw. einer Monatsvergütung. Nach § 4 dieses Tarifvertrages gelten Leistungen des Arbeitgebers, wie die Jahresabschlußvergütungen, Ergebnisbeteiligungen (Gratifikationen, Jahresprämie), Weihnachtsgeld uä. als betriebliche Sonderzahlungen im Sinne von § 2 und erfüllen den tariflichen Anspruch.
Die Beklagte zahlte seit 1992 an ihre Mitarbeiter unter Anrechnung der tariflich abgesicherten Sonderzahlung eine jährliche Sonderzahlung in Höhe von 7 % des im vorhergehenden Jahr erzielten Arbeitsverdienstes – dies entspricht 84 % des Monatsverdienstes –, wobei das zusätzliche Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen und einmalige Zuwendungen außer Ansatz blieben. Auf die Sonderzahlung besteht nach Maßgabe einer Bekanntmachung des Vorstandes vom 1. April 1992 kein Rechtsanspruch; ein solcher kann auch durch wiederholte Zahlungen in der Zukunft nicht begründet werden.
Die Tarifgehälter und Tariflöhne wurden durch die Gehalts- und Lohnabkommen vom 25. Februar 1999 über die Tarifgehälter bzw. - löhne in der Eisen -, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen mit Wirkung zum 1. Januar 1999 um 3,2 % erhöht. Für die Monate Januar und Februar 1999 wurde anstelle der Erhöhung ein Pauschalbetrag von 350,00 DM vereinbart. Darüberhinaus vereinbarten die Tarifvertragsparteien in § 7 des Lohnabkommens und § 5 des Gehaltsabkommens die Zahlung eines einmaligen Betrages für 1999, der zu 50 % mit der Abrechnung für den Monat April 1999 und zu weiteren 50 % mit der Abrechnung für den Monat September 1999 fällig sein sollte. Für den Kläger ergab sich ein Betrag von 730,03 DM brutto.
Am 1. April 1999 gab die Beklagte in Bezug auf die Sonderzahlung allen Arbeitnehmern folgendes bekannt:
Allgemeinverbindliches für alle Bezugsberechtigten:
Wir weisen wiederum darauf hin, daß auf die Zahlungen ein Rechtsanspruch nicht besteht und auch durch wiederholte Zahlungen in der Zukunft nicht begründet werden kann.
Diese Zahlungen, sowie alle weiteren freiwilligen Zahlungen sind als anrechenbare betriebliche Leistungen im Sinne des § 2 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 11.12.1996 gemäß § 4 des Tarifvertrages zu betrachten.
Die in den §§ 6 und 7 des Lohnabkommens vom 25.02.1999 über die Tariflöhne in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens, sowie in den §§ 4 und 5 des Gehaltsabkommens vom 25.02.1999 über die Tarifgehälter und in § 3 des Abkommens über die Ausbildungsvergütung in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens genannten Pauschal- und Einmalbeträge werden auf diese Sonderzahlung angerechnet.
Stichtag ist der 30. April 1999. Am Stichtag nicht mehr bei uns beschäftigte bzw. in gekündigtem/aufgehobenem Arbeitsverhältnis stehende Belegschaftsmitglieder haben keinen Anspruch auf diese Zahlungen.
Die Verrechnung erfolgt für die gewerblichen Arbeitnehmer mit der Abrechnung für den Monat April 1999 und für die Tarifangestellten mit der Abrechnung für den Monat Mai 1999.
Die Anrechnung erfolgte nach den am 31. März 1999 abgeschlossenen Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung unter Hinzuziehung eines Vertreters der IG Metall vor dem Hintergrund der damaligen wirtschaftlichen Lage mit ausdrücklicher Zustimmung des Betriebsrates. Die zunächst angerechnete Pauschalzahlung in Höhe von 350,00 DM wurde von der Beklagten später nachgewährt.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe die Einmalzahlung nicht einbehalten dürfen. Sie sei nach dem Willen der Tarifvertragsparteien als anrechnungsfeste Sonderzahlung vereinbart worden und nicht – wie der Pauschalbetrag – als anrechnungsfähiger Vergütungsbestandteil. Im Gegensatz zu dem Pauschalbetrag, der bei der Durchschnittsberechnung nach § 6 Abs. 7 des Lohnabkommens zwar nicht als solcher, aber in der Form der prozentualen Erhöhung von 3,2 % zu Grunde zu legen sei, gehe die Einmalzahlung nach § 7 Abs. 7 des Lohnabkommens nicht in Durchschnittsberechnungen ein. Die Anrechnungsbefugnis ergebe sich auch nicht aus der von der Beklagten behaupteten Absprache mit dem Betriebsrat. Dem stünde die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen. Eine den Formerfordernissen des § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechende schriftliche Betriebsvereinbarung liege auch nicht vor.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 730,03 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 21. September 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält eine Anrechnung tariflich und betriebsverfassungsrechtlich für zulässig.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf den um die Einmalzahlung gekürzten Teil der freiwilligen Sonderzuwendung.
Unterschriften
Dr. Freitagm, Fischermeier, Marquardt, Frese, Petri
Fundstellen
Haufe-Index 872240 |
FA 2003, 90 |
AP, 0 |
AuA 2003, 53 |
EzA-SD 2002, 16 |
EzA |
ArbRB 2003, 36 |
BAGReport 2003, 85 |