Verpflichtung zur Zahlung „freiwilligen“ Weihnachtsgeldes trotz fortdauernder Arbeitsunfähigkeit
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte unlängst über eine Klage auf Zahlung von Weihnachtsgeld trotz fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des klagenden Arbeitnehmers zu entscheiden. Hintergrund war die Weigerung der beklagten Arbeitgeberin, dem Kläger während seiner durchgängig seit dem 18.12.2017 bestehenden Arbeitsunfähigkeit für die Jahre 2018, 2019 und 2020 Weihnachtsgeld zu zahlen.
Jährliche Zahlungen von Weihnachtsgeld
Der Kläger war seit dem 22.1.2003 bei der Beklagten beschäftigt. Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses zahlte die Beklagte an den Kläger ein jährliches Weihnachtsgeld, welches mit dem Entgelt für den Monat November abgerechnet wurde. Zuletzt gewährte sie dem Kläger für November 2017 neben der Grundvergütung in Höhe von 2.383,08 EUR brutto ein Weihnachtsgeld in Höhe von 1.500,- EUR brutto.
Weihnachtsgeld als „freiwillig“ bezeichnet
In der Abrechnung war die Zahlung als „freiw. Weihnachtsgeld“ bezeichnet. In einer E-Mail vom 25.3.2020 wies der Geschäftsführer zudem darauf hin, dass im Unternehmen „jährlich freiwillig“ gezahlte Weihnachtsgeld sei von den Faktoren „Arbeitsleistung, Zuverlässigkeit und Fehlzeiten“ abhängig.
Kläger: Weihnachtsgeld war nicht erkennbar an Bedingungen geknüpft
Der Kläger machte geltend, die Höhe des Weihnachtsgeldes habe jedenfalls seit dem Jahr 2010 1.500,- EUR brutto betragen. Das Weihnachtsgeld sei zudem nicht erkennbar an Bedingungen geknüpft gewesen, sondern vielmehr „ohne Wenn und Aber“ gezahlt worden. Auf Grund der vorbehaltlosen Zahlung sei ein Anspruch auf ein jährliches Weihnachtsgeld jedenfalls dem Grunde nach entstanden. Seine Arbeitsunfähigkeit stehe dem nicht entgegen.
Arbeitgeberin: Arbeitsunfähigkeit schließt Anspruch aus
Die Arbeitgeberin machte geltend, es fehle bereits an der schlüssigen Darlegung eines Anspruchs auf die begehrte Leistung in bestimmter Höhe. So habe sie im Jahr 2010 an den Kläger nur ein reduziertes Weihnachtsgeld in Höhe von 400,- EUR brutto gezahlt, weil dieser im besagten Jahr erhebliche Fehlzeiten aufgewiesen habe. Auf Grund der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestehe zudem ab dem Jahr 2018 kein Anspruch mehr.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 2.850,- EUR brutto nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hatte das LAG die Klage sodann vollständig abgewiesen. Mit der Revision begehrte der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
BAG: Anspruch auf Weihnachtsgeld folgt aus betrieblicher Übung
Das BAG gab der Revision im Wesentlichen statt. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Weihnachtsgeld für die Kalenderjahre 2018 bis 2020 folge aus betrieblicher Übung. Die Beklagte habe an den Kläger, wie auch an andere Arbeitnehmer, seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im November eines jeden Jahres ein Weihnachtsgeld ohne weitere Erklärung gezahlt. Lediglich der Umfang der Zahlungen und das Vorliegen etwaiger Anspruchskriterien stehe zwischen den Parteien im Streit.
Bezeichnung als „freiwillig“ steht Anspruch nicht entgegen
Auch der in die Entgeltabrechnungen aufgenommene Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistungserbringung durch den Zusatz „freiw.“, so das BAG, stehe dem nicht entgegen. Durch die Bezeichnung einer Zahlung als freiwillige Leistung werde nur zum Ausdruck gebracht, dass der Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet sei.
Gleichbleibende Zahlungen nicht erforderlich
Soweit die jeweiligen Zahlungen nicht in gleichbleibender Höhe erfolgt sein sollten, würde auch dies zu keiner abweichenden Beurteilung führen. Daraus folge lediglich, dass die Arbeitgeberin keinen Leistungsanspruch in fester Höhe habe gewähren, sondern jedes Jahr neu nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) über die Höhe der Leistungen entscheiden wollen.
Erbringung von Arbeitsleistung keine Voraussetzung
Der Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes erfordere auch nicht die Erbringung der Arbeitsleistung im betreffenden Kalenderjahr. So erscheine sowohl eine Auslegung möglich, wonach es sich bei dem gezahlten Weihnachtsgeld um eine rein arbeitsleistungsbezogene Sondervergütung handele, als auch die Auslegung, dass die Arbeitgeberin mit der Zuwendung ausschließlich oder auch weitere Zwecke verfolge.
Bezeichnung als „Weihnachtsgeld“ lässt mehrere Deutungen zu
So lasse die Bezeichnung einer Zahlung als „Weihnachtsgeld“ mehrere Deutungen zu. Der Arbeitgeber könne damit etwa auch den Zweck verfolgen, sich anlassbezogen an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer zu beteiligen. Die Leistung solcher Sonderzahlungen hänge dann nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung ab, sondern regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses.
Höhe deutet nicht zwingend auf arbeitsleistungsbezogenes Weihnachtsgeld
Auch die Höhe des Weihnachtsgeldes unterhalb eines Monatsgehaltes bewege sich noch in der Größenordnung typischer Gratifikationen ohne Vergütungscharakter. Gegen eine ausschließliche Anbindung der Sonderzahlung an die Arbeitsleistung spreche zudem der Umstand, dass die Höhe des Weihnachtsgeldes ungeachtet zwischenzeitlicher Entgelterhöhungen unverändert geblieben sei.
Zweifel bei der Auslegung gehen zu Lasten des Arbeitgebers
Nach § 305c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders. Bei der durch betriebliche Übung begründeten Vertragsbedingung über die Zahlung eines Weihnachtsgeldes, die der Arbeitgeber für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen verwende, handele es sich, so das BAG, um eine entsprechende allgemeine Geschäftsbedingung. Damit greife vorliegend die dem Kläger als Vertragspartner günstigere Auslegung der nicht rein arbeitsleistungsbezogenen Sonderzahlung.
Ohne ausdrückliche Kürzungsvereinbarung keine Minderung möglich
Schließlich, so das BAG, fehle es auch an einer Kürzungsvereinbarung nach § 4a EFZG. Bei nicht rein arbeitsleistungsbezogenen Sondervergütungen sei nach dieser Vorschrift zwar eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringe, auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in bestimmten Grenzen zulässig. Diese Vorschrift erlaube dem Arbeitgeber jedoch keine einseitige Kürzung von Sondervergütungen. Vielmehr eröffne sie nur die Möglichkeit, derartige Kürzungen durch individualrechtliche oder kollektivrechtliche Regelungen zu vereinbaren. An einer derartigen ausdrücklichen Kürzungsvereinbarung fehle es in dem betreffenden Fall jedoch. Eine Minderung wegen ausgefallener Arbeitszeit sei daher nicht möglich.
Fazit:
Die vorliegende Entscheidung macht einmal mehr deutlich, wie wichtig es aus Arbeitgebersicht ist, sich bei der Gewährung von Sonderzuwendungen bereits im Vorwege Gedanken zu den gewünschten Anspruchskriterien zu machen und diese sorgfältig und nachweisbar zu regeln.
(BAG v. 25.01.2023, 10 AZR 116/22)
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