Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Ehegattenanteil im Ortszuschlag. Konkurrenzregelung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT erhält der Angestellte den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und Stufe 2 (Ehegattenanteil) des für ihn maßgebenden Ortszuschlags nur zur Hälfte, wenn sein Ehegatte als Angestellter im öffentlichen Dienst steht und diesem ebenfalls der Ortszuschlag der Stufe 2 zustünde. Aus der Kürzungsregelung folgt nicht, dass bei unterschiedlichen Tarifklassen den Ehegatten mindestens ein gemeinsamer Ehegattenanteil in Höhe von 100 % des höheren Ortszuschlags erhalten bleiben muss.
Orientierungssatz
- Nach § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT erhält der Angestellte den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und Stufe 2 (Ehegattenanteil) des für ihn maßgebenden Ortszuschlags nur zur Hälfte, wenn sein Ehegatte als Angestellter, Beamter, Richter oder Soldat im öffentlichen Dienst steht und diesem ebenfalls der Familienzuschlag der Stufe 1 (Alt. 1), der Ortszuschlag der Stufe 2 (Alt. 2) oder eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen Stufe 1 und Stufe 2 des Ortszuschlags der höchsten Tarifklasse (Alt. 3) zustünde.
- Die Auslegung dieser Tarifbestimmung ergibt, dass sich die tarifliche Einschränkung “in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der höchsten Tarifklasse” ausschließlich auf die dritte Alternative der Kürzungsregelung – “entsprechende Leistung” – bezieht.
- Dies kann dazu führen, dass bei unterschiedlicher Höhe des Ortszuschlags die Summe aus zwei hälftigen Anteilen nicht mehr den Betrag erreicht, der einem Angestellten im öffentlichen Dienst zustünde, dessen Ehegatte keinen der nach § 29 Abschnitt B Abs. 5 BAT zur Kürzung führenden Ansprüche hat.
Normenkette
BAT § 29 Abschn. B Abs. 5 S. 1; BBesG § 40 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 21.10.2004; Aktenzeichen 17 Sa 1327/04) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 16.06.2004; Aktenzeichen 8 Ca 688/04) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. Oktober 2004 – 17 Sa 1327/04 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden tariflichen Ortszuschlags.
Der Kläger war seit dem 17. Januar 1994 zunächst als Arbeiter und ist seit dem 1. Mai 1999 als tariflich vollzeitbeschäftigter Angestellter bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Organisationszugehörigkeit und arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Der Kläger ist bei der Beklagten in der VergGr. Vb BAT eingruppiert. Die Ehefrau des Klägers steht ebenfalls als Angestellte in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten und ist in der VergGr. Vc BAT eingruppiert. Sie war vom 3. Oktober 1998 bis zum 2. Oktober 2001 in Elternzeit. Ihr Arbeitsverhältnis wird nach Ende der Elternzeit seit dem 3. Oktober 2001 im Umfang von 50 % einer Vollzeitstelle fortgeführt.
Der Kläger erhielt bis zum Ende der Elternzeit seiner Ehefrau und darüber hinaus bis einschließlich September 2002 den sog. Ehegattenanteil im Ortszuschlag, der aus der Differenz zwischen dem Ortszuschlag der Stufe 1 und demjenigen der Stufe 2 des § 29 BAT besteht, ungekürzt, damals in Höhe eines Gesamtbetrags von 97,48 Euro monatlich. Die Beklagte kürzte ab Oktober 2002 den Ehegattenanteil gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT um die Hälfte und zog dem Kläger für elf Monate den hälftigen Ehegattenanteil von seiner Vergütung ab. In dieser Tarifbestimmung heißt es:
“(5) Steht der Ehegatte eines Angestellten als Angestellter, Beamter, Richter oder Soldat im öffentlichen Dienst oder ist er auf Grund einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst nach beamtenrechtlichen Grundsätzen versorgungsberechtigt und stände ihm ebenfalls der Familienzuschlag der Stufe 1 oder einer der folgenden Stufen, der Ortszuschlag der Stufe 2 oder einer der folgenden Stufen oder eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der höchsten Tarifklasse zu, erhält der Angestellte den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des für ihn maßgebenden Ortszuschlages zur Hälfte; …”
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe einen tariflichen Anspruch auf den ungekürzten Ortszuschlag der Stufe 2 gemäß § 29 Abschnitt B BAT. Zumindest sei der Rückforderungsanspruch der Beklagten verfallen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn im Hinblick auf den Zeitraum vom 1. November 2001 bis zum 31. Mai 2004 insgesamt 1.581,15 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezüglich des Betrages von 1.316,02 Euro brutto seit dem 17. Februar 2004 sowie hinsichtlich des Betrages von 265,13 Euro brutto seit dem 9. Juni 2004 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm auch ab dem 1. Juni 2004 einen ungekürzten Ehegattenortszuschlag nach der Tarifklasse 1c zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die tariflichen Voraussetzungen für die Kürzung des Ortszuschlags seien gegeben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der gegen die Kürzung des Ortszuschlags gerichteten Klage für die Vergangenheit wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 70 BAT teilweise in Höhe von insgesamt 243,70 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben und im Übrigen die Klage in Übereinstimmung mit dem Urteil erster Instanz abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter, soweit seine Berufung keinen Erfolg hatte. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage, soweit sie noch Gegenstand der Revision ist, als unbegründet abgewiesen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen tariflichen Anspruch auf den geltend gemachten ungekürzten Ortszuschlag. Ihm steht nach § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 BAT nur die Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des für ihn maßgebenden Ortszuschlags zu.
1. Nach § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT erhält der Angestellte den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 (Ehegattenanteil) des für ihn maßgebenden Ortszuschlags nur zur Hälfte, wenn sein Ehegatte als Angestellter im öffentlichen Dienst steht und diesem ebenfalls der Ortszuschlag der Stufe 2 oder eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen Stufe 1 und Stufe 2 des Ortszuschlags der höchsten Tarifklasse zustünde. Der Ehefrau des Klägers stünde gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT ebenfalls der Ortszuschlag der Stufe 2 zu. Dass dieser, auf die Hälfte gekürzt, nicht mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen Stufe 1 und Stufe 2 des Ortszuschlags der höchsten Tarifklasse entspricht, ist unerheblich. Dies ergibt die Auslegung des § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT.
2. Die Auslegung eines Tarifvertrags durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 22. Oktober 2002 – 3 AZR 664/01 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185, zu II 1a der Gründe). Sein normativer Teil ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an den Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden können (st. Rspr. des BAG, vgl. 28. Mai 1998 – 6 AZR 349/96 – AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5, zu II 2a der Gründe). Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an eine Reihenfolge mittels weiterer Kriterien wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8, zu I 2a der Gründe).
3. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts entspricht diesen Grundsätzen.
a) Der von den Tarifvertragsparteien in § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT verwendete Begriff “Ortszuschlag der Stufe 2” ist ein feststehender Tarifbegriff. Die Anspruchsvoraussetzungen ergeben sich aus § 29 Abschnitt B Abs. 2 BAT und seine konkrete Höhe lässt sich aus der Anlage zum jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag ablesen. Die mehrfache Verwendung eines Begriffs in demselben Tarifvertrag geschieht in aller Regel einheitlich. “Ortszuschlag nach Stufe 2” als Kürzungsvoraussetzung in § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT kann nur als Ortszuschlag iSv. § 29 Abschnitt B Abs. 2 BAT iVm. der Anlage zum Vergütungstarifvertrag verstanden werden.
Schon der Wortlaut des § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT spricht dafür, dass sich die tarifliche Einschränkung “in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der höchsten Tarifklasse” ausschließlich auf die dritte Alternative der Kürzungsregelung – “entsprechende Leistung” – bezieht (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Januar 2006 § 29 – Ortszuschlag Erl. 8 S. 33). Die Tarifvertragsparteien haben die ersten beiden Alternativen “der Familienzuschlag der Stufe 1 oder einer der folgenden Stufen”, “der Ortszuschlag der Stufe 2 oder einer der folgenden Stufen” von der dritten Alternative “eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der höchsten Tarifklasse” durch die Einfügung des Wortes “oder” getrennt. Hätten die Tarifvertragsparteien die genannte Einschränkung auf alle drei Alternativen beziehen wollen, wäre eine andere Formulierung zu erwarten gewesen, zB des Inhalts, dass nach der Aufzählung der drei Alternativen bei der Einschränkung “in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der höchsten Tarifklasse” das Wort “jeweils” eingefügt worden wäre. Dies ist nicht erfolgt. Deshalb ist anzunehmen, dass sich die einschränkende Bedingung “in Höhe von mindestens der Hälfte des Unterschiedsbetrages …” nur auf die dritte Alternative “entsprechende Leistung” beziehen soll. Damit greift die Halbierungsregelung auch dann, wenn einer der Ehegatten nicht der höchsten Tarifklasse angehört.
b) Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Kürzungsregelung.
aa) Dem Ortszuschlag der Stufe 2 kommt eine soziale, familienbezogene Ausgleichsfunktion zu. Er soll die unterschiedlichen Belastungen auf Grund des Familienstandes berücksichtigen. Eine solche Funktion weist der Ortszuschlag der Stufe 1 nicht auf. Die Kürzungsvorschrift des § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT knüpft an die soziale Ausgleichsfunktion des Ehegattenanteils an. Sie ist darauf gerichtet, bei Ehegatten, die beide im öffentlichen Dienst beschäftigt sind und einen Familien- oder Ortszuschlag oder eine dem Familien- oder Ortszuschlag entsprechende Leistung erhalten, den einheitlichen Sachverhalt der Eheschließung nicht mehrfach zu berücksichtigen (BAG 6. August 1998 – 6 AZR 166/97 – AP BAT § 29 Nr. 14; 24. Juni 2004 – 6 AZR 389/03 – AP BAT § 34 Nr. 10).
Dieser Regelungszweck erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der Tarifvorschrift, auf die der Senat in der Entscheidung vom 6. August 1998 (– 6 AZR 166/97 – aaO, zu II 4 der Gründe) bereits hingewiesen hat. Mit In-Kraft-Treten des 49. Änderungstarifvertrags zum BAT am 1. Mai 1982 wurde die bis dahin sinngemäß anzuwendende beamtenrechtliche Vorschrift des § 40 BBesG durch die eigenständige Tarifregelung in § 29 BAT ersetzt. § 40 BBesG sah ursprünglich für Beamte die vollen Ehegattenanteile des Ortszuschlags zu Gunsten beider im öffentlichen Dienst tätigen Ehepartner vor. Durch das Haushaltsstrukturgesetz vom 18. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3091) wurde für den Fall der Ortszuschlagsberechtigung beider Eheleute die Kürzungsregelung eingeführt, die mit Wirkung zum 1. Juli 1978 (BGBl. I S. 869) um die Alternative der “entsprechenden Leistung” ergänzt wurde. Hintergrund des Haushaltsstrukturgesetzes war die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst zur Konsolidierung der Haushalte. Mit der Änderung der Ortszuschlagsregelung für beiderseits im öffentlichen Dienst tätige Ehegatten sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass hiermit bislang derselbe Tatbestand doppelt aus öffentlichen Kassen abgegolten wurde. Schon damals konnte sich aus der Zugehörigkeit der Eheleute zu unterschiedlichen Tarifklassen die Folge ergeben, dass beide Hälften des Ehegattenanteils zusammen einen geringfügig geringeren Betrag ergaben als im Fall des Anspruchs eines Ehegatten auf den vollen Ehegattenanteil. Der Gesetzgeber nahm dies in Kauf. Dass daran durch die Ergänzung der Vorschrift um die Alternative der “entsprechenden Leistung” etwas geändert werden sollte, ist nicht ersichtlich.
bb) Die Tatbestandsalternative “eine entsprechende Leistung” soll die Fälle abdecken, in denen Tarifregelungen außerhalb des unmittelbaren öffentlichen Dienstes familienstandsbezogene Leistungen vorsehen, ohne dass es sich dabei um einen Familienzuschlag nach § 40 BBesG oder den Ortszuschlag nach § 29 BAT handelt, zB die Gewährung eines sog. Hausstandgeldes. Anspruchsvoraussetzungen und Höhe dieser Leistungen sind durch den BAT bzw. das BBesG nicht fest bestimmt. Die Tarifvertragsparteien haben deshalb in Anlehnung an § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG in § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 Alt. 3 BAT als Korrektiv die Berücksichtigung entsprechender Leistungen nur in den Fällen vorgesehen, in denen die Leistung mindestens die Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlags der höchsten Tarifklasse erreicht. In den Fällen des Familien- und Ortszuschlags haben der Gesetzgeber und die Tarifvertragsparteien ein solches Korrektiv nicht für notwendig erachtet, denn die in § 40 Abs. 4 Satz 1 BBesG und § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 und 2 BAT verwandten Begriffe “Familienzuschlag der Stufe 1” und “Ortszuschlag der Stufe 2” sind feststehende Gesetzes- bzw. Tarifbegriffe, deren Anspruchsvoraussetzungen sich aus § 40 Abs. 1 BBesG bzw. § 29 Abschnitt B Abs. 2 BAT ergeben (vgl. BAG 6. August 1998 – 6 AZR 166/97 – aaO; 24. Juni 2004 – 6 AZR 389/03 – aaO). Der Gesetzgeber bzw. die Tarifvertragsparteien sind davon ausgegangen und durften davon ausgehen, dass ein solcher Familienzuschlag bzw. Ortszuschlag die soziale, familienbezogene Ausgleichsfunktion unabhängig von der gesetzlichen bzw. tarifvertraglichen Höhe im konkreten Einzelfall erfüllt.
cc) Soweit die Ausführungen des Senats in den Entscheidungen vom 6. August 1998 (– 6 AZR 166/97 – aaO) und vom 13. Dezember 2001 (– 6 AZR 712/00 – ZTR 2002, 477), die auf Kritik der Literatur und der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder (TdL) gestoßen sind (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Januar 2006 § 29 – Ortszuschlag Erl. 8 S. 33 f.; Stellungnahmen der TdL bei Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand Januar 2006 § 29 BAT Rn. 65), dahin verstanden werden konnten, dass ein Ortszuschlag der Stufe 2 nur dann gekürzt werden könnte, wenn dem Ehegatten ein Ortszuschlag der Stufe 2 in mindestens gleicher Höhe zustünde, sieht sich der Senat deshalb zu folgender Klarstellung veranlasst: § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT lässt für die Anwendung der Kürzungsregelung genügen, dass dem Ehegatten ein Ortszuschlag der Stufe 2 in der sich aus der Anlage zum jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag ergebenden Höhe zustünde. Dies kann dazu führen, dass bei unterschiedlicher Höhe des Ortszuschlags bei Beschäftigung des einen Ehegatten in den alten Bundesländern und der des anderen Ehegatten im Beitrittsgebiet oder bei Besoldung in verschiedenen Tarifklassen die Summe aus zwei hälftigen Anteilen nicht mehr den Betrag erreicht, der dem Ehegattenanteil einer Person entspricht, deren Ehegatte keinen Ortszuschlag erhält. Eine solche geringfügige Anspruchsminderung ist angesichts des eindeutigen Ergebnisses der Auslegung hinzunehmen (im Ergebnis auch BAG 30. November 1982 – 3 AZR 1230/79 – AP TV Ang Bundespost § 25 Nr. 1; vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Januar 2006 § 29 – Ortszuschlag Erl. 8 S. 33 ff.; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand Januar 2006 § 29 BAT Rn. 65 aE). Die Rechtsprechung des Senats (6. August 1998 – 6 AZR 166/97 – AP BAT § 29 Nr. 14; 13. Dezember 2001 – 6 AZR 712/00 – ZTR 2002, 477) zu den Fällen, in denen kein Ortszuschlag der Stufe 2, sondern eine entsprechende Leistung gezahlt wurde, lässt sich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.
4. Die unterschiedliche Behandlung des Klägers mit Angestellten, deren Ehegatten eine dem Familienzuschlag der Stufe 1 oder dem Ortszuschlag der Stufe 2 lediglich entsprechende Leistung erhalten, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Tarifvertragsparteien haben bei der tariflichen Normsetzung den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Zwar sind sie als Vereinigungen des privaten Rechts keine Grundrechtsadressaten iSd. Art. 1 Abs. 3 GG und nicht unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden, ihre Grundrechtsbindung folgt aber aus der Schutzfunktion der Grundrechte, die Gesetzgebung und Rechtsprechung dazu verpflichtet, die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien in einer Weise zu begrenzen, dass sachwidrige oder diskriminierende Differenzierungen nicht wirksam werden können (BAG 27. Mai 2004 – 6 AZR 129/03 – BAGE 111, 8; 24. Juni 2004 – 6 AZR 389/03 – AP BAT § 34 Nr. 10).
b) Den Tarifvertragsparteien steht ein weitgehender Gestaltungsspielraum zu. Sie brauchen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen, vielmehr genügt es, wenn sich für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt (BVerfG 15. Oktober 1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39, 53; BAG 24. Juni 2004 – 6 AZR 389/03 – AP BAT § 34 Nr. 10). Der Gleichheitssatz wird durch eine Tarifnorm verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfG 2. Dezember 1992 – 1 BvR 296/88 – BVerfGE 88, 5, 12; BAG 24. Juni 2004 – 6 AZR 389/03 – aaO).
c) Der Ortszuschlag der Stufe 2 stellt wie der Familienzuschlag der Stufe 1 keine Gegenleistung für erbrachte Leistungen, sondern einen sozialen Ausgleich dar, der sich aus den mit einer Ehe typischerweise verbundenen finanziellen Belastungen ungeachtet einer konkreten Bedarfssituation ergibt (vgl. BVerfG 21. Mai 1999 – 1 BvR 726/98 – NZA 1999, 878; BAG 24. Juni 2004 – 6 AZR 389/03 – AP BAT § 34 Nr. 10). Wenn der Kläger und seine Ehefrau als Angestellte eines öffentlichen Arbeitgebers in einer sozial gesicherten Position beschäftigt werden und ihnen ungeachtet einer Gegenleistung der hälftige Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des maßgebenden Ortszuschlags (§ 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT) zusteht, ist die sich aus der Anwendung der verschiedenen Vergütungs- und Besoldungssysteme ergebende geringfügige Schlechterstellung gegenüber einem Bediensteten, dessen Ehegatte nicht erwerbstätig ist, nicht im öffentlichen Dienst steht oder nur eine entsprechende Vergütung erhält, unbedenklich. Die Tarifvertragsparteien haben sich bei der Regelung des § 29 Abschnitt B Abs. 5 Satz 1 BAT an der entsprechenden beamtenrechtlichen Vorschrift des § 40 Abs. 4 BBesG orientiert. Auch bei Anwendung des § 40 Abs. 4 BBesG kann es, wie dargelegt, dazu kommen, dass Ehegatten gemeinsam ein geringerer Betrag gewährt wird, als er einem Ehegatten mit dem vollen Ehegattenanteil zustünde. Geringfügige Abweichungen sind nach dem Willen des Gesetzgebers auch unter Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes als systembedingt hinzunehmen (Sander in Schwegmann/Summer BBesG Stand Januar 2006 § 40 Rn. 12, 12c). Für eine tarifvertragliche Regelung, die sich an einer entsprechenden gesetzlichen Norm orientiert oder diese inhaltsgleich übernimmt, kann nichts anderes gelten.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Friedrich, Hinsch, D. Knauß
Fundstellen
Haufe-Index 1559359 |
BAGE 2007, 123 |
BB 2006, 2088 |
DB 2006, 2244 |