Leitsatz (amtlich)
Werden einem Handlungsreisenden Tage- und Übernachtungsgelder in einer Höhe gewährt, wie sie die Lohnsteuer-Richtlinien als steuerfreie Pauschbeträge anerkennen, so halten sich solche Aufwandsentschädigungen auch im Rahmen des Üblichen im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO.
Normenkette
ZPO § 850a Nr. 3; BGB §§ 133, 157, 400; HGB § 65
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.07.1970; Aktenzeichen 3 Sa 11/70) |
Tenor
Tatbestand
Der Kläger, der schon in den Jahren 1966/1967 für die Beklagte als Handelsvertreter tätig gewesen war, hat erneut in der Zeit von November bis 31. Dezember 1968 als Vertreter gegen eine Provision von 35 % auf die hereingebrachten Aufträge für sie gearbeitet. Am 18. Dezember 1968 schlossen die Parteien einen Anstellungsvertrag, in dem u.a. folgendes bestimmt war:
“1. Herr N… wird mit Wirkung vom 1. Januar 1969 im Angestelltenverhältnis als Reisender eingestellt. Das mtl. Entgelt beträgt brutto DM 1.500,–. Reisekosten werden entsprechend der Steuerverordnung für jeden gefahrenen Kilometer 0,25 DM, für Übernachtung 21,– DM und für Abwesenheit von mehr als 12 Stunden 23,– DM vergütet. Die Reisekostenabrechnungen werden jeweils am Wochenende und das mtl. Entgelt am Monatsende ausgezahlt.
2., 3., …
4. Herr N… verpflichtet sich, monatlich ca. DM 10.000,– (i.W.: zehntausend) Anzeigenaufträge im Netto-Umsatz beizubringen. Hierbei entscheidet der Durchschnitt, der jeweils am Jahresende festzustellen ist, bzw. gilt als Verrechnungstag der Tag des Ausscheidens. Eine Verletzung dieser Vereinbarung, wenn sie bis zum Jahresende nicht erzielt wird, berechtigt die vorzeitige Aufkündigung dieser Vereinbarung.
5. Herr N… nimmt eine Bürgschaft des Verlags in Höhe von DM 7.000,– in Anspruch zwecks Erlangung eines Darlehens bei der Dresdner Bank in E… Bis zur Freistellung aus dieser Bürgschaft heraus tritt Herr N… seine sämtlichen Forderungen, gleich welcher Art, an den Verlag hiermit unwiderruflich ab, der berechtigt sein soll, sich aus Gehaltsforderungen oder aus Forderungen für Reisekosten-Abrechnungen zufrieden zu stellen.”
In einer schriftlichen Erklärung vom 18. Dezember 1968 bekannte der Kläger, der Beklagten 10.000,– DM zu schulden; dieses Anerkenntnis sollte hinfällig werden, wenn sämtliche Stornos aus Aufträgen von Anzeigenvermittlungen zurückgezahlt und der Verlag aus der selbstschuldnerischen Bürgschaft gegenüber der Dresdner Bank befreit worden sei. Schließlich trat der Kläger am selben Tage noch einen Betrag von 8.000,– DM an den Ehemann der Beklagten ab, der berechtigt sein sollte, die Abtretung offenzulegen und sich bis zur Höhe des pfändbaren Betrages für die Forderungsabtretung zu befriedigen.
Bei der Abrechnung der dem Kläger ab 1. Januar 1969 geschuldeten Bezüge verfuhren die Parteien wie folgt: Den Nettobetrag des Entgelts von 1.500,– DM monatlich führte die Beklagte an verschiedene Gläubiger des Klägers ab. Über die Spesen legte der Kläger wöchentliche Reiseabrechnungen vor. Darin hat er von vornherein auch Nebenkosten, wie Telefon-, Porto- und Parkgebühren, in Rechnung gestellt. Außerdem hat er von der Reisekostenabrechnung Nr. 3 an, die die Zeit vom 19. Januar bis 24. Januar 1969 betraf, als Tagegeld pauschal 28,– DM und als Übernachtungskosten 26,– DM angesetzt. Die Beklagte hat die sich aus den Abrechnungen ergebenden Beträge zum Teil voll ausbezahlt, zum Teil hat sie Teilbeträge in unterschiedlicher Höhe einbehalten oder gar nichts auf die Abrechnungen gezahlt und dafür Vorschüsse gewährt. Wegen der Unstimmigkeiten, die zwischen den Parteien über die Spesenabrechnungen entstanden sind, hat der Kläger seine Tätigkeit am 27. Juni 1969 eingestellt.
Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger 2.001,59 DM nebst Zinsen als Unterschiedsbetrag zwischen den Spesen, die nach seinen Abrechnungen zu zahlen waren, und dem, was die Beklagte tatsächlich an ihn geleistet hat. Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten und dem Anspruch des Klägers folgendes entgegengesetzt: Der Kläger könne weder höhere als die im Vertrag vom 18. Dezember 1968 vereinbarten Pauschalbeträge noch den Ersatz weiterer Nebenkosten verlangen, weil Entsprechendes nicht vereinbart worden sei. Der Kläger habe teilweise Beträge für Sonn- und Feiertage geltend gemacht, an denen er nicht tätig gewesen sei. Zwischen den Parteien sei außerdem abgesprochen gewesen, daß das monatliche Entgelt von 1.500,– DM brutto und die Spesen des Klägers zusammengenommen 35 % des von ihm erzielten Umsatzes nicht überschreiten dürften. Selbst wenn dem Kläger aber noch etwaige Ansprüche zuständen, könne er diese wegen der Forderungsabtretungen an die Beklagte und ihren Ehemann nicht geltend machen. Der Abtretung stehe nicht entgegen, daß die Spesenansprüche nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar seien, weil das nur für solche Bezüge gelte, die den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen; die dem Kläger gewährten Spesen überschritten jedoch diesen Rahmen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
1. a) Nach Nr. 1 des Vertrages vom 18. Dezember 1968 konnte der Kläger neben einem Gehalt von 1.500,– DM die Vergütung von Reisekosten in dem im einzelnen angeführten Umfang beanspruchen. Diese Regelung war gültig. Inhalt des Vertrages wie auch dessen Durchführung zeigen, daß die Parteien ein Arbeitsverhältnis ernstlich und nicht nur zum Schein (§ 117 BGB) gewollt haben. Daß sie neben einem Gehalt von 1.500,– DM Spesen vorgesehen hatten, die höher als das Gehalt waren, macht den Vertrag nicht ungültig. Zweck dieser Regelung war folgender: Das volle Nettogehalt des Klägers sollte die Beklagte dazu verwenden, um Gläubiger des Klägers zu befriedigen; von den Spesen sollte der Kläger seinen Lebensbedarf bestreiten. Ein solcher Vertragszweck ist weder gesetzlich verboten (§ 134 BGB) noch unsittlich (§ 138 Abs. 1 BGB).
b) Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht festgestellt, daß der Kläger über die Vereinbarung vom 18. Dezember 1968 hinaus von der Beklagten Nebenkosten wie Telefongebühren und die ab 1. Januar 1969 erhöhten steuerlichen Pauschbeträge für Tage- und Übernachtungsgelder verlangen kann. Die Beklagte hat die Reiseabrechnungen nicht beanstandet, in denen diese zusätzlichen Auslagen und die erhöhten Pauschbeträge eingesetzt waren, wie sie nach Nr. 2a und c, Nr. 3 der gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 23. Dezember 1968 (BStBl. 1969, I, 25) ab 1. Januar 1969 steuerfrei gewährt werden konnten. Sie hat sie anfangs voll vergütet und spätere Einbehaltungen nicht damit begründet, daß der Kläger zu hohe Beträge angesetzt habe. Deshalb konnte des Landesarbeitsgericht von einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung der Parteien ausgehen. Für die Tage- und Übernachtungsgelder haben die Parteien im übrigen schon in dem Vertrag vom 18. Dezember 1968 vereinbart, daß sie entsprechend der “Steuerverordnung” vergütet werden, so daß die in dem Vertrag vom 18. Dezember 1968 angeführten Beträge nur die z. Z. des Vertragsschlusses geltenden steuerlichen Pauschsätze wiedergeben.
2. Unbegründet sind die Einwendungen der Beklagten gegen die Höhe der Klageforderung.
a) Soweit sie behauptet hat, der Kläger habe zu viele Tage, insbesondere Sonn- und Feiertage berechnet, besteht eine Differenz nach der eigenen Aufstellung der Beklagten (Bl. 10 VA) nur für die Reiseabrechnungen Nr. 1, 2 und 3 für die Zeit vom 2. Januar bis 24. Januar 1969. Diese Abrechnungen hat die Beklagte aber so, wie sie von dem Kläger aufgestellt waren, bezahlt. Daß weitere Posten unrichtig seien, hat sie nicht dargelegt.
b) Die Beklagte hat geltend gemacht, zwischen den Parteien sei abgesprochen gewesen, daß das Gehalt und der Unkostenersatz für den Kläger 35 v.H. des erzielten Umsatzes nicht übersteigen dürften. Selbst wenn eine solche Vereinbarung getroffen worden sein sollte, wäre die Klageforderung nur dann ganz oder zum Teil unbegründet, wenn der Klagebetrag zusammen mit den dem Kläger bereits gewährten Leistungen 35 v.H. der vermittelten Aufträge übersteigen würde. Daß dies der Fall sei, hat die Beklagte jedoch nicht genügend substantiiert dargelegt. Sie hat die Umsatzzahlen nur für die Monate Januar und Juni 1969 angeführt. Sie hätte jedoch den Gesamtumsatz, den der Kläger vermittelt hat, darlegen müssen, weil nur dann festgestellt werden könnte, ob der Kläger mit der Klageforderung die angeblich vereinbarte Höchstgrenze von 35 % für seine Bezüge überschritt.
3. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Abtretung der Ansprüche auf Aufwendungsersatz an die Beklagte und deren Ehemann nach § 400 BGB in Verbindung mit § 850a Nr. 3 ZPO für unwirksam angesehen und deshalb den Kläger für befugt gehalten, die Forderung geltend zu machen.
a) Die Beklagte hat geltend gemacht, der Schutzzweck des § 400 BGB erfordere hier nicht, die Abtretung als unzulässig zu behandeln. Dem Kläger sei für die abgetretenen Forderungen ein Gegenwert zugeflossen, weil die Beklagte und ihr Ehemann als Bürgen es ermöglicht hätten, daß der Kläger ein Bankdarlehen für die Anschaffung eines Personenkraftwagens erhalten habe.
Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung das Abtretungsverbot des § 400 BGB nicht gilt, liegen nicht vor (vgl. BAG 11, 12 [13] = AP Nr. 22 zu § 63 HGB [zu I]; BAG AP Nr. 1 zu § 30 KO [zu I 1]; BGHZ 4, 153 [156 ff.]; BGHZ [GSZ] 13, 360 [367 ff.]). Der Kläger hat von der Beklagten und von deren Ehemann keinen den abgetretenen Forderungen entsprechenden Gegenwert erhalten. Beide haben mit ihrer Bürgschaft nur dazu beigetragen, daß die Bank ein Darlehen gewährte, das der Kläger für den Kauf eines Personenkraftwagens verwandte, den er aber wiederum der Bank zur Sicherheit übereignen mußte. Ihm ist daher von den Zessionaren kein Gegenwert zugeflossen.
b) Die Beklagte meint, die Tage- und Übernachtungsgelder des Klägers hätten den Rahmen des Üblichen überstiegen und seien deshalb nicht in vollem Umfange nach § 850a Nr. 3 ZPO umfämbar gewesen; deshalb habe der Kläger seine Ansprüche wenigstens teilweise an die Beklagte und ihren Ehemann abtreten können.
Mit dieser Annahme geht die Beklagte fehl. Die zwischen den Parteien vereinbarten Pauschbeträge entsprachen den Sätzen, die nach Abschn. 21 Abs. 7 in Verbindung mit Abs. 3 und Abschn. 21 Abs. 8 der Lohnsteuer-Richtlinien 1968 vom 11. April 1968 (BStBl. I, 587) und den Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 23. Dezember 1968 (BStBl. 1969, I, 25) steuerfrei gewährt werden durften. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht den Satz aufgestellt, daß Aufwandsentschädigungen, die im Rahmen der von den Finanzbehörden als steuerfrei anerkannten Sätzen liegen, auch im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Die von den Finanzbehörden aufgestellten Sätze beruhen auf Erfahrungswerten und besagen, daß im allgemeinen den Arbeitnehmern tatsächliche Unkosten in der jeweiligen Höhe erwachsen und deren Ersatz deshalb kein steuerpflichtiges Arbeitseinkommen darstellt. Da § 850a Nr. 3 ZPO ebenfalls von der Vorstellung ausgeht, daß derartige Unkosten kein Arbeitseinkommen darstellen, können die Gerichte bei der Anwendung von § 850a Nr. 3 ZPO von steuerlichen Erfahrungswerten gleichfalls ausgehen. Hier zwischen einer steuerrechtlichen und zwangsvollstreckungsrechtlichen Betrachtungsweise zu unterscheiden, wäre durch die Sache nicht gerechtfertigt, würde die Rechtssicherheit gefährden und wäre zudem ausgesprochen unpraktisch (vgl. dazu Gröninger, Lohnpfändung, § 850a ZPO Anm. 5; Bischoff-Rochlitz, Die Lohnpfändung, 3. Aufl., Randziffer 11 zu § 850a, S. 142).
Von dem vorgenannten Grundsatz abzuweichen besteht nur dann Anlaß, wenn offensichtlich ist, daß durch die vereinbarten Pauschsätze Arbeitseinkommen verschleiert werden soll. Das ist etwa zu erwägen, wenn neben dem Aufwendungsersatz ein unverhältnismäßig niedriges Arbeitseinkommen gezahlt wird (vgl. dazu Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. c, bb Lohnsteuer-Richtlinien 1968).
Im vorliegenden Fall war das Gehalt des Klägers von 1.500,– DM monatlich neben dem Auslagenersatz nicht unverhältnismäßig niedrig. Selbst wenn aber insofern Zweifel bestehen könnten, wäre es der Beklagten verwehrt, sich darauf zu berufen, Teile der Aufwandsentschädigung seien verschleiertes Arbeitseinkommen und damit pfändbar und abtretbar. Die Höhe des Gehalts einerseits und der Aufwandsentschädigung andererseits beruhten auf Vereinbarungen, die sie selbst mit dem Kläger getroffen hat. Anders als dritte Personen, die benachteiligt sein könnten, weil die Aufwandsentschädigungen den Rahmen des Üblichen überstiegen, kann die Beklagte nicht geltend machen, es habe ein verschleiertes Arbeitseinkommen vorgelegen. Darin läge ein venire contra factum proprium. Das gleiche gilt für die Forderungsabtretung an den Ehemann der Beklagten, weil er an dem Vertragswerk der Parteien beteiligt war.
4. Nach alledem ist die Revision der Beklagten unbegründet und muß deshalb zurückgewiesen werden.
Unterschriften
Dr. Stumpf, Dr. Hilger, Dr. Thomas, Dr. Wagner, Hartmann
Fundstellen