Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindungsanspruch; Vergütung; Ausschlußfrist. Abfindungsanspruch Vergütung Ausschlußfrist öffentlicher Dienst Abfindung Ausschlußfrist

 

Orientierungssatz

  • Soweit sich nach § 4 Abs. 7 iVm. Abs. 6 TV soziale Absicherung der einem Arbeitnehmer nach § 4 Abs. 1 TV soziale Absicherung zustehende Abfindungsanspruch dadurch verringert, daß innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht, kommt es auf die Entstehung des Rentenstammrechts und nicht auf die Entstehung der den jeweiligen Leistungszeiträumen zuzuordnen Einzelansprüche an.
  • Hat der Arbeitnehmer nach § 4 Abs. 6 Satz 2 TV soziale Absicherung überzahlte Beträge zurückzuzahlen, so erstreckt sich diese Verpflichtung auch auf die vom Arbeitgeber abgeführten Steuern.
  • Der Rückforderungsanspruch nach § 4 Abs. 6 Satz 2 TV soziale Absicherung unterliegt der Ausschlußfrist nach § 70 Satz 1 BAT-O. Ein Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers wird grundsätzlich mit der Entstehung des Anspruchs fällig, weil von diesem Zeitpunkt an die zuviel gezahlte Summe zurückgefordert werden kann. Dabei kommt es auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch regelmäßig nicht an. Ausnahmsweise können jedoch Entstehen und Fälligkeit des Anspruchs zeitlich auseinanderfallen. Die Fälligkeit eines Anspruchs setzt voraus, daß der Gläubiger in der Lage ist, die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs zu erkennen und ihn wenigstens annähernd zu beziffern. Solange der Arbeitgeber nicht erkennen kann, daß die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rückzahlungsanspruchs eingetreten sind, tritt die Fälligkeit nicht ein. Andererseits muß der Gläubiger jedoch ohne schuldhaftes Zögern die Voraussetzungen dafür schaffen, daß er seinen Anspruch beziffern kann. Nicht schuldhaft handelt ein Arbeitgeber, der den Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Abfindung nicht geltend machen kann, weil der Arbeitnehmer es pflichtwidrig unterlassen hat, die den Rückzahlungsanspruch begründenden tatsächlichen Umstände dem Arbeitgeber mitzuteilen (hier: zweiundfünfzigwöchige Arbeitslosigkeit als Voraussetzung eines Anspruchs auf gesetzliche Altersrente).
 

Normenkette

Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) § 4 Abs. 2; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) Abs. 6 S. 2; Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) Abs. 7; BAT-O § 70; SGB VI § 38; EStG § 38 Abs. 1, § 41a Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Urteil vom 15.12.2000; Aktenzeichen 5 Sa 478/00)

ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 07.06.2000; Aktenzeichen 3 Ca 993/00)

 

Tenor

  • Auf die Revision des klagenden Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 15. Dezember 2000 – 5 Sa 478/00 – aufgehoben.
  • Auf die Berufung des klagenden Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. Juni 2000 – 3 Ca 993/00 – abgeändert.

    Der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land 10.312,40 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Februar 2000 zu zahlen.

  • Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Das klagende Land verlangt vom Beklagten die Teilrückzahlung einer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleisteten Abfindung.

Der am 25. August 1938 geborene Beklagte war bei dem klagenden Land als Lehrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete durch Auflösungsvertrag zum 31. Juli 1997.

Die Zentrale Bezügestelle (ZBB) teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 7. Mai 1997 die Berechnung der Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) idF vom 25. April 1994 mit. Sie errechnete einen Betrag in Höhe von 37.649, 50 DM ( = 7 Monatsvergütungen bei 32 Beschäftigungsjahren). Gleichzeitig wies sie den Beklagten darauf hin, daß er verpflichtet sei mitzuteilen, wenn er im Zeitraum vom 1. August 1997 bis 30. November 1999 eine neue Beschäftigung im öffentlichen Dienst aufnehme; gleiches gelte, wenn innerhalb dieses Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entstehe.

Am 20. Mai 1997 erklärte der Beklagte schriftlich, daß er keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Altersversicherung habe. Eintretende Änderungen in der Zeit vom 1. August 1997 bis 30. November 1999 werde er der ZBB mitteilen. In einer “erweiterten Erklärung zum Rentenanspruch” vom gleichen Tag trug er bei der Rentenart “Altersrente wegen Arbeitslosigkeit” “Mai 2000” ein. Die Abfindung wurde im August 1997 ausgezahlt.

Mit Schreiben vom 29. November 1999 bat die ZBB den Beklagten um Mitteilung, ob er für den Zeitraum vom 1. September 1998 bis zum 30. November 1999 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 38 SGB VI idF vom 29. April 1997 bezogen oder ob ein Anspruch auf diese Rente bestanden habe. Mit Schreiben vom 30. Dezember 1999 teilte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Beklagten mit, daß der frühestmögliche Rentenbeginn mit Abschlag der 1. September 1998 gewesen sei. Eine ungekürzte Rente könne er ab dem 1. Mai 2000 in Anspruch nehmen. Der Beklagte übersandte diese Mitteilung dem klagenden Land mit Schreiben vom 4. Januar 2000, welches dort am 5. Januar 2000 einging. Die ZBB forderte daraufhin den Beklagten mit Schreiben vom 17. Januar 2000 auf, bis zum 28. Januar 2000 20.169,31 DM (= 10.312,40 Euro) der Abfindung zurückzuzahlen.

Das klagende Land hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Rückzahlungsanspruch in dieser Höhe zu, weil der Beklagte bereits seit dem 1. September 1998 einen Rentenanspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 38 SGB VI gehabt habe. Der Rückzahlungsanspruch sei nicht nach § 70 BAT-O verfallen. Dem Land seien die zur Rückforderung berechtigenden Umstände erst durch das Schreiben der BfA vom 30. Dezember 1999 bekannt geworden. Es habe keinen Anlaß gehabt, sich diese Kenntnisse selbst zu verschaffen. Vielmehr sei der Beklagte verpflichtet gewesen, von sich aus das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die gesetzliche Rente mitzuteilen.

Das klagende Land hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an das klagende Land 20.169,31 DM (= 10.312,40 Euro) netto nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Februar 2000 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, eine Rückzahlungsverpflichtung bestehe nur bei einem Anspruch auf ungekürzte Altersrente. Der Rückzahlungsanspruch sei zudem verfallen, jedenfalls bestehe er nicht in der geltend gemachten Höhe. Wären von vornherein nur 17.480,19 DM (= 8.937,48 Euro) ausgezahlt worden, so wäre dieser Betrag lohnsteuerfrei geblieben. Wenn er – der Beklagte – nunmehr 20.169,31 DM (= 10.312,40 Euro) an das Land zahlen müsse, verbleibe ihm ein geringerer Betrag.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt das klagende Land sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es könne dahingestellt bleiben, ob dem klagenden Land ursprünglich ein Rückzahlungsanspruch zugestanden habe. Das klagende Land habe die Ausschlußfrist nach § 70 BAT-O nicht gewahrt. Der mögliche Anspruch sei am 1. September 1998 entstanden und fällig geworden. Von einem späteren Fälligkeitszeitpunkt könne nicht ausgegangen werden, weil das Land durch schuldhaftes Zögern versäumt habe, sich die Kenntnis der Voraussetzungen zu verschaffen, die es für die Geltendmachung benötigt habe. Eine Verpflichtung des Beklagten, von sich aus Mitteilung über die Dauer der Arbeitslosigkeit zu machen, habe nicht bestanden.

    Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind rechtsfehlerhaft.

  • Die Klage ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat das klagende Land gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 10.312,40 Euro (= 20.169,31 DM) nach § 4 Abs. 6 Satz 2 TV soziale Absicherung. Dieser Anspruch ist nicht nach § 70 Satz 1 BAT-O verfallen.

    • Ein nach § 4 Abs. 2 TV soziale Absicherung bestehender Anspruch auf Abfindung verringert sich nach § 4 Abs. 6 TV soziale Absicherung, wenn der wegen mangelnden Bedarfs ausgeschiedene Arbeitnehmer wieder in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber iSd. § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT eintritt und die Zahl der zwischen Beendigung des alten und Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer ist als die der Abfindung zugrunde liegende Zahl von Bruchteilen der Monatsvergütung (§ 4 Abs. 2 TV soziale Absicherung). Nach § 4 Abs. 7 TV soziale Absicherung gilt § 4 Abs. 6 TV soziale Absicherung entsprechend, “wenn innerhalb des gleichen Zeitraums” ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht. Mit dem “gleichen Zeitraum” im Sinne der Bestimmung ist, wie im Falle des § 4 Abs. 6 TV soziale Absicherung, ein mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnender Zeitraum gemeint, der die tarifliche Rechtsfolge der Verringerung der Abfindung dann auslöst, wenn die Zahl der ihn umfassenden Kalendermonate die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung unterschreitet. An die Stelle der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses (§ 4 Abs. 6 TV soziale Absicherung) tritt in § 4 Abs. 7 TV soziale Absicherung die Entstehung des Anspruchs auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. Senat 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94  – BAGE 80, 158, zu I 1a der Gründe; 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: DDR Nr. 31 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 6, zu 1 der Gründe; 20. März 1997 – 6 AZR 732/95 – nv., zu I 1 der Gründe; 20. November 1997 – 6 AZR 215/96 – AP ZPO § 551 Nr. 47 = EzA ZPO § 551 Nr. 5, zu II 1 der Gründe). Überzahlte Beträge sind gemäß § 4 Abs. 7 iVm. § 4 Abs. 6 Satz 2 TV soziale Absicherung zurückzuzahlen.
    • Die Voraussetzungen der Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten liegen vor. Ihm stand ab dem 1. September 1998 ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu.

      • Nach § 38 SGB VI in der am 1. September 1998 maßgeblichen Fassung vom 29. April 1997 (BGBl. I S 968) hatten Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie

        • das 60. Lebensjahr vollendet hatten,
        • bei Beginn der Rente arbeitslos und innerhalb der letzten eineinhalb Jahre vor Beginn der Rente insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren,
        • in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hatten,
        • die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt hatten.

        Alle Anspruchsvoraussetzungen waren in der Person des Beklagten am 1. September 1998 gegeben. Dies gilt auch für das zweite Erfordernis. Der Beklagte hatte sich unmittelbar nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem klagenden Land arbeitslos gemeldet und war am 1. September 1998 weiterhin arbeitslos.

      • Der Rentenanspruch ist am 1. September 1998 entstanden, obwohl der Beklagte die Rente nicht beantragt hat.

        Die Altersrente nach § 38 SGB VI wird nur auf Antrag geleistet (vgl. § 19 SGB IV, § 115 SGB VI). Unabhängig vom Antrag entsteht jedoch das Stammrecht auf die Rente schon in dem Zeitpunkt, in dem alle materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Berechtigung vorliegen. Allein auf diesen Zeitpunkt kommt es für die Rechtsfolge des § 4 Abs. 7 TV soziale Absicherung an (Senat 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94 – aaO, zu I 1b bb der Gründe; 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: DDR Nr. 31, zu 2b der Gründe; 20. März 1997 – 6 AZR 732/95 – nv., zu I 2b der Gründe; 26. November 1998 – 6 AZR 272/97 – ZTR 1999, 475, zu 1b bb der Gründe).

      • Der Rückzahlungsanspruch wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Beklagte eine ungekürzte Rente erst ab Mai 2000 beanspruchen konnte (§ 41 Abs. 1 SGB VI iVm. Anlage 19 idF vom 25. September 1996, BGBl. I S 1461, in Kraft vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1999). Nach § 77 Abs. 2a SGB VI wäre die Rente des Beklagten für jeden Kalendermonat der vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,3 % zu kürzen gewesen. Die Auslegung des Tarifvertrages ergibt, daß dieser Umstand der Rückzahlungsverpflichtung nicht entgegensteht.

        Der Wortlaut des Tarifvertrages ist eindeutig. Nach § 4 Abs. 7 TV soziale Absicherung kommt es darauf an, daß ein “Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht”. Auch die mit Abschlägen versehene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit stellt eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung dar (§ 38 SGB VI).

        Sinn und Zweck der tariflichen Vorschriften führen zum gleichen Ergebnis. Die Abfindung nach § 4 TV soziale Absicherung ist nicht Entgelt für die vom Angestellten geleistete Arbeit, sondern wird, wie sich aus der Überschrift des Tarifvertrages ergibt, zum Zweck der sozialen Absicherung des Arbeitnehmers bei seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst gezahlt. Tritt der Angestellte nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis wieder in den öffentlichen Dienst ein oder entsteht für ihn ein Anspruch auf Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, dient die Abfindung nur der sozialen Absicherung für die Übergangszeit und steht dem Arbeitnehmer auch nur in einem zur Erfüllung dieses Zwecks ausreichenden verminderten Umfang zu. Die Tarifvertragsparteien halten eine Abfindung nicht für erforderlich, soweit dem Angestellten eine anderweite soziale Absicherung durch eine erneute Beschäftigung im öffentlichen Dienst oder eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuwächst (Senat 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94 – aaO, zu I 1b bb der Gründe).

        Dem daraus erkennbaren Zweck der Abfindung, nur insoweit sozial abfedernd zu wirken, als der Arbeitnehmer keinen neuen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst findet oder keinen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwirbt, widerspräche es, wenn sich der mit einem Abschlag verbundene Rentenanspruch nicht anspruchsausschließend auswirkte. Denn nach dem Tarifvertrag soll der Arbeitnehmer nur in der Übergangszeit sozial abgesichert werden. Diese ist mit der Entstehung des Anspruchs aus der gesetzlichen Rentenversicherung beendet. Dagegen soll die Abfindung nicht zum Ausgleich einer Rentenminderung dienen, die dem Arbeitnehmer aus der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente erwachsen kann. Die Tarifvertragsparteien sind davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber dem Versorgungsinteresse des Arbeitnehmers auch bei einer gekürzten Rente ausreichend Rechnung getragen hat.

        Entgegen der Auffassung des Beklagten rechtfertigt die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages keine andere Betrachtung. Es trifft zwar zu, daß die Tarifvertragsparteien bei Abschluß des Tarifvertrages soziale Absicherung am 6. Juli 1992 von den späteren Änderungen der gesetzlichen Rentenversicherung keine Kenntnis haben konnten. Ihnen war jedoch bekannt, daß andere gesetzliche Renten, die vom Anwendungsbereich der Tarifnorm erfaßt werden, niedriger ausfallen als die ungekürzte gesetzliche Altersrente. Dementsprechend hat der Senat in der Entscheidung vom 1. Juni 1995 (– 6 AZR 926/94 – aaO) angenommen, daß auch die Berufsunfähigkeitsrente anspruchsausschließend wirken kann. Zudem haben die Tarifvertragsparteien den Tarifvertrag soziale Absicherung nach den Gesetzesänderungen nicht im Sinne des Beklagten geändert.

    • Das klagende Land hat den Rückzahlungsbetrag zutreffend ermittelt.

      • Der Beklagte hätte die vorgezogene Altersrente ab dem 1. September 1998 beanspruchen können. Zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Juli 1997 und diesem Zeitpunkt lagen 13 Monate. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 TV soziale Absicherung verringerte sich der ursprüngliche Abfindungsanspruch von 7 Monatsgehältern um den Faktor 15/28. Dem Beklagten stand für den Referenzzeitraum von 28 Monaten (August 1997 bis November 1999) nur für 13 Monate eine Abfindung zu. Gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 TV soziale Absicherung hat er demnach 10.312,40 Euro (= 20.169,31 DM) an das Land zurückzuzahlen.
      • Der Arbeitnehmer hat unter den genannten Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 TV soziale Absicherung “überzahlte Beträge zurückzuzahlen”. Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf die vom Arbeitgeber abgeführten Steuern.

        Abfindungen, die der Arbeitgeber wegen einer von ihm veranlaßten Auflösung des Arbeitsverhältnisses zahlt, unterliegen, soweit sie den Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG überschreiten, als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG der Einkommensteuer. Der Arbeitgeber hat sie nach § 38 Abs. 1, § 41 a Abs. 1 Nr. 2 EStG einzubehalten und abzuführen.

        Die einbehaltene Lohnsteuer ist ein dem Arbeitnehmer verschaffter Vermögenswert. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Arbeitgeber behält sie für Rechnung des Arbeitnehmers vom Arbeitslohn ein (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Abführung an das Finanzamt nach § 41a EStG erfolgt zugunsten des Arbeitnehmers als Vorauszahlung auf dessen zu erwartende Einkommensteuerschuld. Materiell handelt es sich demnach um eine Leistung an den Arbeitnehmer, die nur aus formellen Gründen des Steuerrechts vom Arbeitgeber unmittelbar an das Finanzamt erbracht wird. Es geht um eine Vereinfachung des Verfahrens und vor allem darum, die vom Arbeitnehmer geschuldete Steuerzahlung sicherzustellen. Diese vornehmlich technischen Gesichtspunkte verändern den materiellen Charakter der Zahlung an den Arbeitnehmer nicht. Dementsprechend erhält dieser die abgeführte Lohnsteuer uU im Wege des Lohnsteuerjahresausgleichs durch den Arbeitgeber (§ 42b EStG) oder im Wege der Veranlagung (§ 46 EStG) teilweise oder ganz erstattet (BAG 7. März 2001 – GS 1/00 – AP BGB § 288 Nr. 4 = EzA BGB § 288 Nr. 3, zu III 1c der Gründe; 15. März 2000 – 10 AZR 101/99 – BAGE 94, 73, zu II B 1a der Gründe; 5. April 2000 – 10 AZR 257/99 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 224 = EzA TVG § 4 öffentlicher Dienst Nr. 13, zu II 2c der Gründe; vgl. auch Senat 29. März 2001 – 6 AZR 653/99 – EzA BGB § 812 Nr. 7, zur Behandlung der Sozialversicherungsbeiträge mwN).

    • Der Rückforderungsanspruch ist nicht gemäß § 70 Satz 1 BAT verfallen. Nach dieser Vorschrift verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist. Diese Ausschlußfrist hat das klagende Land durch das Schreiben an den Beklagten vom 17. Januar 2000 gewahrt, da der Rückzahlungsanspruch erst mit Zugang der Mitteilung der BfA vom 30. Dezember 1999 am 5. Januar 2000 beim klagenden Land fällig wurde.

      • Der Rückforderungsanspruch unterfällt der Ausschlußfrist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zählen zu “Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis” auch Abfindungsansprüche (vgl. Senat 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94 – aaO, zu I 2 der Gründe; 28. Mai 1998 – 6 AZR 585/96 – BAGE 89, 57, zu B II 2a der Gründe; 18. März 1999 – 6 AZR 524/97 – nv., zu B II 2 der Gründe). Auch der Anspruch auf Rückzahlung einer zu Unrecht geleisteten Abfindung fällt darunter.
      • Der Anspruch ist am 1. September 1998 entstanden. Er ist jedoch erst am 5. Januar 2000 fällig geworden.

        • Ein Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers wird grundsätzlich mit dem Entstehen des Anspruchs fällig, weil von diesem Zeitpunkt an die zuviel gezahlte Summe zurückgezahlt werden kann. Dabei kommt es auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch regelmäßig nicht an. Ausnahmsweise können jedoch Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs zeitlich auseinanderfallen. Die Fälligkeit eines Anspruchs setzt voraus, daß der Gläubiger in der Lage ist, die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs zu erkennen und ihn wenigstens annähernd zu beziffern. Solange der Arbeitgeber nicht erkennen kann, daß die tatsächlichen Voraussetzungen seines Rückzahlungsanspruchs eingetreten sind, tritt die Fälligkeit nicht ein. Andererseits muß der Gläubiger jedoch ohne schuldhaftes Zögern die Voraussetzungen dafür schaffen, daß er seinen Anspruch beziffern kann (st. Rspr., vgl. Senat 16. November 1989 – 6 AZR 114/88 – BAGE 63, 246, zu II 3 der Gründe; 1. Juni 1995 – 6 AZR 912/94 – BAGE 80, 144, zu II 2 der Gründe; 30. September 1999 – 6 AZR 130/98 – AP BAT § 71 Nr. 1, zu 6 der Gründe; BAG 16. April 1986 – 5 AZR 360/85 – nv., zu II 2 und 3 der Gründe; 18. April 2000 – 1 AZR 386/99 – nv., zu II 3 der Gründe).

          Ein schuldhaftes Zögern ist nicht gegeben, wenn sich der Arbeitgeber darauf verlassen konnte, daß ihn der Arbeitnehmer über die maßgeblichen Umstände von sich aus informieren wird. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet war, dem Arbeitgeber Umstände mitzuteilen, die die Erhebung des Rückzahlungsanspruchs innerhalb der Ausschlußfrist ermöglicht hätten (vgl. Senat 1. Juni 1995 – 6 AZR 912/94 – aaO, zu II 3 der Gründe; BAG 23. Mai 2001 – 5 AZR 374/99 – AP BGB § 812 Nr. 25 = EzA BGB § 818 Nr. 12).

        • Nach diesen Grundsätzen ist der Anspruch im Streitfall erst am 5. Januar 2000 fällig geworden. Erst durch die Information der BfA war das Land in die Lage versetzt worden, die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs zu erkennen.

          Bis zu diesem Zeitpunkt war dem Land nicht bekannt, daß der Beklagte bereits im September 1998 die Voraussetzungen zum Bezug der Altersrente nach § 38 SGB VI erfüllt hatte. Das Land war nicht darüber informiert worden, daß sich der Beklagte unmittelbar im Anschluß an das Arbeitsverhältnis arbeitslos gemeldet hatte und seither durchgehend arbeitslos war.

          Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist auch nicht von einem schuldhaften Zögern des Landes auszugehen. Den Angaben des Beklagten in den Erklärungen vom 20. Mai 1997 konnte das Land nicht entnehmen, daß der Beklagte im September 1998 die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen würde. Zwar hätte auch die in der erweiterten Erklärung zum Rentenanspruch angekündigte Inanspruchnahme der ungekürzten Altersrente ab Mai 2000 die vorherige Arbeitslosigkeit von 52 Wochen vorausgesetzt (§ 38 Nr. 2a SGB VI). Die Zeiten der Arbeitslosigkeit hätten jedoch nicht unmittelbar an das beendete Arbeitsverhältnis anschließen müssen, sondern innerhalb der letzten eineinhalb Jahre vor Beginn der Rente liegen können. Mit der vom Beklagten erklärten Absicht, ab Mai 2000 die Altersrente zu beanspruchen, wäre somit zB vereinbar gewesen, daß der Beklagte sich erst im Mai 1999 arbeitslos meldete.

          Das Land hatte keinen Anlaß, beim Beklagten im September 1998 nachzufragen, ob er im Anschluß an das Arbeitsverhältnis durchgehend arbeitslos gewesen sei. Zwar mag es angesichts der persönlichen Situation des Beklagten nahegelegen haben, daß sich der Beklagte unmittelbar im Anschluß an das Arbeitsverhältnis arbeitslos melden würde. Da das Land als ehemaliger Arbeitgeber aber keine Kenntnis von der zukünftigen Lebensplanung des Beklagten haben konnte, war dies nicht gewiß. Um dieser Ungewißheit begegnen zu können, hat das Land den Beklagten ausdrücklich verpflichtet, eintretende Änderungen in der Zeit vom 1. August 1997 bis zum 30. November 1999 der ZBB unverzüglich mitzuteilen. Angesichts dieser vom Beklagten in der Erklärung vom 20. Mai 1997 übernommenen Verpflichtung, die sich auch aus seiner Treuepflicht gegenüber dem Land ergab (vgl. BAG 16. April 1986 – 5 AZR 360/85 – nv., zu I 1 der Gründe, betreffend die für die Vergütungsberechnung erhebliche Veränderung der persönlichen Verhältnisse eines Arbeitnehmers), war es nicht Sache des Landes, weitere Erkundigungen beim Beklagten einzuholen. Vielmehr war der Beklagte verpflichtet, die Arbeitslosigkeit von 52 Wochen, die innerhalb der Zeit bis zum 1. September 1998 entstanden war und damit den Rentenanspruch begründet hatte, dem klagenden Land anzuzeigen.

          Deshalb ist dem Landesarbeitsgericht auch nicht darin zu folgen, das Land habe die tarifliche Ausschlußfrist dadurch versäumt, daß es die Akte des Beklagten nicht bei Vollendung des 60. Lebensjahres des Beklagten habe vorlegen lassen. Dazu bestand im Hinblick auf die Verpflichtung des Beklagten, die ihm bekannt gegebenen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung dem klagenden Land mitzuteilen, kein Anlaß.

  • Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Satz 1 BGB aF.
  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Dr. Brühler, Dr. Pühler, P. Stahlheber

 

Fundstellen

Haufe-Index 788769

NZA 2002, 1175

EzA-SD 2002, 16

EzA

PersV 2003, 278

NJOZ 2003, 1501

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