Leitsatz (amtlich)
Aus der Rechtsprechung des BSG lässt sich die Frage, ob eine Pflicht besteht, im Falle einer Umstellung der Rechtsgrundlage nochmals genau dieselbe Anhörung durchzuführen, wenn diese bereits zu allen in Betracht kommenden Aspekten erfolgt ist, ohne Weiteres beantworten, so dass keine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung veranlasst ist
Tenor
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Juli 2023 wird zurückgewiesen.
II. Der Beschwerdeführer trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdegegners.
Gründe
I.
Streitig im Klageverfahren war die teilweise Aufhebung und Erstattung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1.4.2021 bis 1.9.2021 wegen einer Einkommensteuererstattung von 835,46 €.
Der 1989 geb. Kläger und Beschwerdegegner (Bg) war in einem Kaufhaus erwerbstätig. Aufgrund coronabedingter vorübergehender Schließung beantragte der Bg beim Beklagten und Beschwerdeführer (Bf) am 11.1.2021 SGB II-Leistungen in Höhe des Regelbedarfs, die monatweise bewilligt wurden (Bescheid vom 21.1.2021 für Januar; Bescheid vom 1.3.2021 für Februar; Bescheid vom 18.3.2021 für März; Bescheid vom 20.4.2021 für April 2021; Bescheid vom 20.5.2021 für Mai 2021; Bescheid vom 23.8.2021 auf Antrag vom 9.7.2021 für die Zeit vom 1.7.2021 bis 30.6.2022).
Im Zusammenhang mit der Weiterbewilligung ab Juli 2021 wurden am 9.7.2021 Kontoauszüge eingereicht. Danach ging am 31.3.2021 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 835,46 € auf dem Konto des Bg ein.
Mit Schreiben vom 20.9.2021 hörte der Bf den Bg zur beabsichtigten Überzahlung und Erstattung von 109,24 € (835,46 € ./. 6= 139,24 € -30 € Versicherungspauschale) ab 1.4. bis 31.5. und vom 1.7. bis 30.9.2021 an. Durch die einmalige Einnahme entfiele der Leistungsanspruch im April, so dass die Zahlung auf einen Verteilzeitraum von sechs Monaten gleichmäßig zu verteilen sei. Die Entscheidung sei wegen Verletzung der Mitteilungspflicht aufzuheben (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Der Bg sei dieser Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Die Entscheidung sei außerdem wegen Erzielung von Einkommen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben. Einkommen sei anzurechnen, das zur Minderung des Anspruchs des Bg geführt haben dürfte. Einkommen sei in dem Monat anzurechnen, in dem es zufließe (§ 11 Abs. 2 SGB II). Hierbei komme es auf persönliches Verschulden nicht an. Ferner wurde zur beabsichtigten Aufrechnung angehört.
Mit Bescheid vom 21.10.2021 wurden die Bewilligungen in Höhe von 546,20 € aufgehoben und Erstattung verlangt. Der Bf stützte die Entscheidung auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X und verfügte eine Aufrechnung über monatlich 133,80 € ab 1.12.2021.
Dagegen legte der Bevollmächtigte des Bg mit der Begründung, dass § 45 SGB X die zutreffende Rechtsgrundlage sei, Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.1.2022 wurde auf den Widerspruch der Bescheid vom 21.10.2021 dahingehend korrigiert, als die Rechtsgrundlage der Entscheidung als Rücknahme aus § 45 SGB X folgt. Zudem wird ergänzend in Ziffer I der Verfügung klargestellt, dass die Aufrechnungsankündigung unter der (inhärenten) Bedingung erklärt ist, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung zum konkreten Aufrechnungszeitpunkt erfüllt sind. In Ziffer II wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Soweit der Widerspruchsführer vortrage, die Entscheidung sei auf § 45 SGB X zu stützen, sei die Rechtsgrundlage umzustellen. Unterschiede in den materiellen Auswirkungen ergäben sich nicht. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme in die Vergangenheit lägen vor, da der Bg jedenfalls im Hinblick auf die Bescheide vom 20.4.2021 und 20.5.2021 grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht habe, indem er den Einkommenszufluss nicht angezeigt habe. Auf die Anzeigepflicht von einmaligem Einkommen werde im Merkblatt hingewiesen, als auch in der zuletzt am 21.1.2021 ausgefüllten Anlage EK und im Weiterbewilligungsantrag vom 9.7.2021. Daneben sei auch der Umstand erfüllt, dass der Bg die Unrichtigkeit aller der von der Rückabwicklung betroffenen Bescheide kannte oder grob fahrlässig nicht kannte. Denn einem normal verständigen Durchschnittsbürger dränge sich die Pflicht zur unverzüglichen Angabe auf, wenn hierauf in Merkblätter und Antragsunterlagen hingewiesen werde.
Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Bg fristgerecht Klage zum Sozialgericht Landshut und begründete diese unter Bezugnahme auf BSG vom 26.7.2016, B 4 AS 47/15 R. Der Umstellung der Rechtsgrundlage im Widerspruchsbescheid sei keine erneute Anhörung vorausgegangen, die erforderlich gewesen wäre.
Der Bf war der Auffassung, dass das Gesetz keine zwei Anhörungen vorschreibe. Faktisch sei der Bg zusätzlich im Ordnungswidrigkeitenverfahren angehört worden. Dort habe der Bg wahrheitswidrig behauptet, kein Merkblat...