Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsnachforderung. Betriebsprüfung. Schätzung. Stichprobe. Vorbehalt. Gutgläubigkeit. Leiharbeitnehmer. Tariffähigkeit der CGZP. Entstehungsprinzip. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Interessenabwägung. Beitragsprüfungsbescheid. Durchbrechung der Bestandskraft. Rücknahme. Stichprobenprüfung. geänderte Rechtsprechung. Streitwert
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestandskraft eines Betriebsprüfungsbescheides ermöglicht eine nachfolgende weitere Beitragsnachforderung nur bei Anwendung des § 45 SGB X.
2. Stichprobenprüfungen können die Bescheidsrücknahme nach § 45 SGB X erleichtern, nicht ersetzen.
3. Ankündigung Änderung der Rechtsprechung: Maßgeblicher Streitwert ist nicht der erstinstanzlich festgesetzte, sondern der tatsächliche.
Normenkette
SGB IV § 22 Abs. 1 S. 1, § 28f Abs. 2, §§ 28h, 28p; BVV § 7 Abs. 4 S. 1, § 11; SGB X § 32 Abs. 2, §§ 33, 45; AÜG § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 1, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin werden der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Februar 2012 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 31. Januar 2012 insoweit angeordnet, als Beitragsnachforderungen für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2008 geltend gemacht sind sowie der Antrag vom 6. Februar 2012 abgewiesen insoweit als die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen Beitragsnachforderungen für die Zeit 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2009 begehrt wird.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz in beiden Rechtszügen zu einem Viertel, die Antragsgegnerin zu drei Vierteln.
IV. Der Streitwert wird auf EUR 10.294,66 festgesetzt.
Gründe
I.
Verfahrensgegenstand ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen Beitragsnachforderungen aufgrund Betriebsprüfung infolge der "CGZP-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts.
1.
Die Antragstellerin ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts F. unter Nr. HRB 1516 eingetragene GmbH mit den Geschäftsgegenständen "Erbringung von Dienstleistungen, insbesondere die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, die Personalvermittlung und die Hausverwaltung". Sie betreibt die Arbeitnehmerüberlassung und ist im Besitz der entsprechenden Erlaubnis nach § 1 AÜG. In den Arbeitsverträgen der von der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer wurde die Anwendung der Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und der Interessengemeinschaften Nordbayerischer Zeitarbeitunternehmen (INZ) vereinbart und die entsprechende Vergütung gezahlt.
Die Antragsgegnerin führte als zuständiger Rentenversicherungsträger vom 01.12.2009 bis 03.12.2009 eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2008 durch. Im Protokoll der Schlussbesprechung vom 03.12.2009 ist vermerkt, "Auf die Problematik bezüglich CGZP wird hingewiesen". Der Beitragsnachforderungsbescheid vom 04.01.2010 enthielt eine Nachforderung über 908,28 EUR sowie nach der Einleitung den Satz: "Die stichprobeweise durchgeführte Prüfung hat folgende Feststellungen ergeben:". Auf Seite 3 des Bescheides ist ausgeführt:
"Tarifgemeinschaft der Christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen CGZP
Mit Beschluss vom 01.04.2009 hat das Arbeitsgericht Berlin [...] festgestellt, dass die CGZP nicht tariffähig im Sinne des § 2 TVG ist.
Sofern diese Entscheidung rechtskräftig wird, kann dies versicherungs- und beitragsrechtliche Folgen nach sich ziehen. [...] Die Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger bestehen dabei im Grundsatz unabhängig davon, ob der betroffene Beschäftigte seinen Vergütungsanspruch bzw. die entsprechende Differenz zum bisherig gezahlten Entgelt tatsächlich geltend macht. Daher führt das Bestehen höherer gesetzlicher Lohnansprüche auch dann, wenn sie nicht erfüllt bzw. ausgezahlt werden, zu Beitragsforderungen der Sozialversicherung.
Abschlusshinweise
Die Prüffeststellungen wurden im Rahmen einer Schlussbesprechung vorgetragen.
Die Schlussbesprechung gilt als Anhörung nach § 24 Abs.1 SGB X."
2.
Aufgrund neuer Betriebsprüfung vom 28.12. bis 29.12.2011 sowie nach Anhörung forderte die Antragsgegnerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 31.01.2012 für den Prüfzeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 41.178,62 EUR nach. Infolge der durch das Bundesarbeitsgericht am 14.12.2010 (1 ABR 19/10) festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP ergebe sich für die überlassenen Arbeitnehmer aus dem gesetzlichen Anspruch auf gleichen Lohn (equal-pay-Entgelt) eine höhere Vergütung, daraus resultierten die nachgeforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge (Lohndifferenz aufgrund Tarifunfähigkeit CGZP). Eine entsprechende Meldung werde dem zuständigen Träger der Unfallversicherung zugeleitet. Die Höhe der Arbeitsentgelte sc...