Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeld. Anspruchsberechtigung. Angehöriger des Europäischen Wirtschaftsraumes in Elternzeit. Norwegen als Wohnsitzstaat. Deutschland als Beschäftigungsort. Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses als wissenschaftlicher Mitarbeiter möglicherweise primär zwecks Erlangung von Elterngeld. Beschäftigungsbegriff. europarechtliche Perspektive. rechtsmissbräuchliches Verhalten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter dem Reglement der Verordnung (EG) Nr 883/2004 (juris: EGV 883/2004) gilt die sog Aufhebung der Wohnortklauseln auch bei Familienleistungen.

2. Trotz Art 11 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 gilt weiterhin, dass Elternzeit, Karenz oä die Beschäftigung iS von Art 11 Abs 3 Buchst a der Verordnung (EG) Nr 883/2004 grundsätzlich nicht unterbrechen.

3. Zur Frage, ob bei befristeten Arbeitsverträgen von wissenschaftlichen Mitarbeitern an Universitäten eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses rechtsmissbräuchlich sein kann, weil die Verlängerung möglicherweise primär zwecks Erlangung von Elterngeld eingegangen worden ist.

 

Orientierungssatz

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung iS des Art 1 Buchst a EGV 883/2004 vorliegt, ist eine europarechtliche Perspektive einzunehmen. Denn nur auf diese Weise kann der zuständige Mitgliedstaat im Rahmen von Art 11 Abs 3 Buchst a EGV 883/2004 zuverlässig und eindeutig gefunden werden. Daher ist die Handhabung, maßgebend auf den Beschäftigungsbegriff des deutschen Rechts abzustellen, methodisch falsch.

 

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. Mai 2018 abgeändert und der Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 23. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2016 verurteilt, der Klägerin auch für den Zeitraum April bis einschließlich Dezember 2016 dem Grunde nach Elterngeld für ihren Sohn H. ohne Anrechnung des norwegischen Kindergeldes zu gewähren.

II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu 80 v.H.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft das Begehren der Klägerin, für Betreuung und Erziehung ihres Sohns Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für den Zeitraum 01.04.2016 bis 31.12.2016 zu erhalten.

Die Klägerin ist norwegische Staatsangehörige. Sie ist die Mutter des Jungen H. C., geboren am 10.02.2016 in B-Stadt. Seit 21.08.2009 ist die Klägerin mit H.'s Vater, J. C., verheiratet. Das Paar hat noch ein weiteres, älteres Kind, nämlich die am 14.08.2011 geborene Tochter O. C..

Die Klägerin ist Biologin. Nach eigenen Angaben lebte sie von Juli 2013 an in Deutschland (mit Hauptwohnsitz), vorher in Norwegen; das Übersiedeln nach Deutschland hatte berufliche Gründe. Allem Anschein nach hatte die Klägerin ihre Tochter O. mit nach Deutschland genommen; ein Einkommensteuerbescheid 2013 weist sowohl einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende als auch Kinderbetreuungskosten als unbeschränkt abziehbare Sonderausgaben aus.

Ab 01.07.2013 war die Klägerin bei der L. (L.) B-Stadt als wissenschaftliche Beschäftigte in Vollzeit tätig (G. B-Stadt); ihr Arbeitgeber war der Freistaat Bayern. Zunächst schloss man am 17.06.2013 einen Arbeitsvertrag über ein bis 31.12.2015 befristetes Arbeitsverhältnis. Mit einem Arbeitsvertrag vom 23.07.2015 gingen die Klägerin und die L. ein Folgearbeitsverhältnis vom 01.01. bis 31.12.2016 ein. Ein weiteres Folgearbeitsverhältnis vom 01.01. bis 28.02.2017 wurde mit Arbeitsvertrag vom 14.01.2016 vereinbart. Die Mutterschutzfrist vor der Geburt begann bei der Klägerin am 04.01.2016, die nach der Geburt endete mit dem 11.04.2016. Die L. gewährte ihr Elternzeit vom 12.04.2016 bis 14.02.2017. Vom 04.01. bis 11.04.2016 bezog die Klägerin während der Mutterschutzfristen vor und nach der Geburt Mutterschaftsgeld von ihrer Krankenkasse (13 EUR täglich); während des gleichen Zeitraums erhielt sie von der L. den Arbeitgeberzuschuss nach § 14 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG).

Ihren Angaben zufolge zog die Klägerin mit H. und O. am 01.04.2016 nach A-Stadt, Norwegen. Eine norwegische Meldebescheinigung weist aus, dass der Umzug zum 29.03.2016 erfolgte. In A-Stadt, Norwegen, lebt die Klägerin auch heute noch.

Am 29.02.2016 beantragte die Klägerin die Gewährung von Elterngeld für Betreuung und Erziehung von H. während dessen ersten bis 12. Lebensmonats (10.02.2016 bis 09.02.2017). Sie legte diverse Bezügemitteilungen des Landesamts für Finanzen vor. Dieses erstellte unter dem Datum 11.04.2016 eine Verdienstbescheinigung gemäß § 9 BEEG für den Zeitraum 01.01. bis 31.12.2015. Darin war folgendes laufendes steuerpflichtiges Bruttoeinkommen (jeweils bei Steuerklasse 3) ausgewiesen:

* Januar 2015

 4.045,57 EUR

* Februar 2015

 4.170,12 EUR

* März 2015

 4.415,39 EUR

* April 2015

 4.415,39 EUR

* Mai 2015

 4.415,39 EUR

* Juni 2015

 4.415,39 EUR

* Juli 2015

 4.415,39 EUR

* August 2015

 4.735,28 EUR

* September 2015

 4.735,28 EUR

* Oktober 2015

 4.735,28 EUR

* November 2...

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