Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht: Tätigkeit einer Pflegekraft im Auftrag eines ambulanten Pflegedienstes. Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit
Orientierungssatz
1. Werden im Auftrag eines ambulanten Pflegedienstes Tätigkeiten bei unterschiedlichen Patienten in deren Haushalt ausgeübt und erfolgt die Vergütung auf der Grundlage der geleisteten Stunden, so ist regelmäßig vom Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen (Vergleiche: LSG Essen, Urteil vom 21. November 2012, L 8 R 900/11).
2. Eine eigenständige Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnis bei der konkreten Ausgestaltung einer Tätigkeit führt regelmäßig nicht zur Selbstständigkeit im Sinne einer unternehmerischen Tätigkeit.
3. Die Überbürdung sozialer Risiken abweichend von der das Arbeitsrecht prägenden Risikoverteilung ist nur dann ein gewichtiges Indiz für unternehmerisches Handeln, wenn damit auch tatsächliche Chancen einer Einkommenserzielung verbunden sind, also eine Erweiterung der unternehmerischen Möglichkeiten stattfindet (Vergleiche: BSG, Urteil vom 11. März 2009, B 12 KR 21/07 R).
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. Oktober 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2004 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 09.05.2012 und 30.08.2012 abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) für die Klägerin nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) in der Zeit vom 03.12.2001 bis 02.02.2008.
Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der Firma V. - Außerklinische Intensivpflege B. GmbH & Co.KG -, die am 01.10.2001 einen Sammelantrag zur Statusfeststellung für sämtliche für sie tätigen freiberuflichen Mitarbeiter gestellt hat.
Die Klägerin ist im Bereich der ambulanten Krankenpflege auf die Pflege schwerstkranker Menschen spezialisiert, insbesondere auf die Versorgung von tracheotomierten und langzeitbeatmeten Menschen. Das Konzept der Klägerin besteht nach deren Angaben darin, zunächst eine außerklinische 24-Stunden-Intensivversorgung ihrer Patienten nach deren Entlassung aus einer stationären Einrichtung bis zu sechs Wochen sicherzustellen. Der Hausarzt und der Pflegedienst könnten nach sechs Wochen beurteilen, wie bei der weiteren Pflege vorzugehen sei, insbesondere ob weiterhin eine 24-Stunden-Versorgung durch entsprechend geschultes Fachpersonal notwendig sei.
Mit ihren Patienten schließt die Klägerin insoweit Betreuungsverträge, die eine 24-Stunden-Versorgung durch die Klägerin sicherstellen. Hierzu bedient sich die Klägerin zum Teil abhängig Beschäftigter, zum Teil freier Mitarbeiter. Die Zusammenarbeit der Klägerin mit ihren freien Mitarbeitern - auch mit der Beigeladenen zu 1) - basiert auf einem "Kooperationsvertrag". Die freien Mitarbeiter sind nach diesem standardmäßig, auch bei der Beigeladenen zu 1) verwendeten Mustervertrag "Erbringer von Pflegefachleistungen im Bereich der Beatmung und ambulanten Tracheostomaversorgung".
Der Kooperationsvertrag hat im Wesentlichen folgenden Inhalt:
* Der Vertrag regelt die Rahmenbedingen der Zusammenarbeit (§ 1).
* Die Tätigkeit erfolgt über Einzelaufträge (§ 2), die regelmäßig - eventuelle Abweichungen wären im Einzelfall schriftlich festzuhalten - folgenden Leistungskatalog umfasst:
o Überwachung und Kontrolle der medizintechnischen Geräte
o Beratung und Anleitung von Patient und ggf. Angehörigen in fachpflegerischen Fragen
o Ganzheitliche fachpflegerische Versorgung
o Ermittlung von Daten und Gegebenheiten, die für die weitere Beratung/Behandlung von Bedeutung sein könnten
o Beratung der Klägerin in speziellen Fachfragen
o Durchführung der notwendigen Kommunikation nach Ermessen der Auftragnehmerin (hier: Beigeladene zu 1), insbesondere zwischen Klägerin und Patient und Patient und anderen Stellen.
* Ort und Durchführung des Einzelauftrags orientiert sich an den Bedürfnissen des Patienten (§ 3).
* Ersatzkräfte können anstelle des Auftragnehmers tätig werden, wobei die "Vertreterbestellung des Nachweises der Qualifikation" gegenüber der Klägerin bedarf (§ 3).
* Auftragsangebote werden in "Abrechnungsperioden" nach zeitlicher und fachlicher Kompetenz vom freien Mitarbeiter angeboten, dabei ggf der Nachweis der Qualifikation eines Vertreters erbracht, und von der Klägerin geprüft, angenommen oder abgelehnt oder Alternativaufträge angeboten (§ 4).
* Die Durchführung der Aufträge erfolgt durch den freien Mitarbeiter eigenständig (§ 5).
* Die Vergütung (§ 6) erfolgt nach zeitlichem Aufwand durch ein Stundenhonorar oder mit einem projektbezogen Gesamtbetrag, wobei Stundenhonorar bzw. Projektvergütung im Einzelfall ausgehandelt werden. Bei Stundenhonorar erfolgt Rechnungsstellung durch den freien Arbeitnehmer am E...