BSG-Urteile vom 30.11.2011, B 11 AL 37/10

Beschäftigungsverbot nicht unmittelbar auf Arbeitslose übertragbar

Nach § 3 Abs 1 MuSchG dürfen werdende Mütter nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind "bei Fortdauer der Beschäftigung" gefährdet sind. Mithin setzt das Beschäftigungsverbot – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – ein fortdauerndes Beschäftigungsverhältnis voraus. Dies wird auch durch § 1 Abs 1 MuSchG verdeutlicht, wonach dieses Gesetz "für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen" gilt. Als "Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter" erfasst das MuSchG somit nicht die erwerbslosen Frauen (vgl. Abschlussbericht zu BT-Drucks IV/3652 S 2 – zum Gesetz vom 24.8.1965; ebenso Dalheimer, MuSchG, § 1 RdNr 1, Stand Juli 2011; Evers-Vosgerau in Roos/Bieresborn, MuSchG, § 1 RdNr 5, 28, Stand Mai 2006 bzw. Dezember 2010 – jeweils unter Hinweis auf BSG Urteil vom 28.10.1965 – 3 RK 73/61 – SozR Nr 6 zu § 13 MuSchG = Breithaupt 1966, 192 = DOK 1965, 650). Die im Senatsurteil vom 9.9.1999 zitierte krankenversicherungsrechtliche Rechtsprechung und die Rechtsprechung des BAG beschäftigen sich demgemäß auch nur mit Ausgleichsansprüchen bei laufendem Beschäftigungsverhältnis, nicht jedoch mit den Auswirkungen eines Beschäftigungsverbots für eine schwangere Arbeitslose.

Der Senat geht nach erneuter Prüfung davon aus, dass ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG nicht unmittelbar auf Arbeitslose übertragen werden kann. Denn § 3 Abs 1 MuSchG stellt darauf ab, ob eine Gefährdung bei Fortdauer der Beschäftigung besteht. Es geht also um den Zusammenhang zwischen der Fortdauer der Beschäftigung und der Gefahr für Leben oder Gesundheit. Dabei kann die Gefahr von einer Beschäftigung ausgehen, die Beschäftigung kann aber auch an sich ungefährlich sein und die Gefahr von der individuellen gesundheitlichen Konstitution der Frau ausgehen (vgl Dalheimer, aaO, § 3 RdNr 15 mwN). Ein Beschäftigungsverbot bewirkt lediglich, dass der Arbeitgeber die betreffende Arbeitnehmerin tatsächlich nicht beschäftigen darf. Nach Wortlaut und Systematik des MuSchG hat der Arzt bei einem individuellen Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG nur die Gefährdungslage zu attestieren; das Beschäftigungsverbot tritt kraft Gesetzes ein, sobald das Attest über die Gefährdungslage beim Arbeitgeber eintrifft (vgl Zimmermann in Roos/Bieresborn, aaO, § 3 RdNr 31, Stand April 2011; ebenso Dalheimer, aaO, § 3 RdNr 19, wonach das ärztliche Zeugnis konstitutive Wirkung hat – unter Hinweis auf BAG-Rechtsprechung). Diese Grundsätze gelten aber jedenfalls nicht unmittelbar für Schwangere, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen.

Nach § 119 Abs 5 Nr 1 SGB III steht den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung, wer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkts ausüben kann und darf. Zumutbar sind dem Arbeitslosen gemäß § 121 Abs 1 SGB III alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen, soweit allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit nicht entgegenstehen. Das Dürfen im Rahmen der objektiven Verfügbarkeit betrifft die rechtliche Zulässigkeit, eine Beschäftigung überhaupt oder in dem gewünschten Umfang auszuüben. Es kommt deshalb darauf an, welche Beschäftigungen der Klägerin – außer der zuletzt ausgeübten einer Verwaltungsangestellten – iS des § 121 Abs 1 SGB III objektiv zumutbar sind. Sodann ist zu prüfen, ob gesetzliche oder behördliche Verbote der Aufnahme einer bestimmten Beschäftigung entgegenstehen. Denn ist ein Arbeitsloser durch ein solches Verbot rechtlich gehindert, eine bestimmte Beschäftigung auszuüben, ist er insoweit objektiv nicht verfügbar (vgl – allerdings ohne nähere Erläuterung – Durchführungsanweisung der Beklagten zu § 119 SGB III, S 50, Ordnungsnummer 3.1.4 Beschäftigungsverbote <119.143>; Stand 4/2011). Schließlich ist entscheidungserheblich, ob die Klägerin ab 11.05.2009 gesundheitlich (weiterhin) in der Lage gewesen wäre, eine ihr objektiv zumutbaren Beschäftigung auch tatsächlich auszuüben; insoweit kann dem ärztlich ausgesprochenen Beschäftigungsverbot allenfalls Indizwirkung zukommen.

(…) Denn selbst wenn ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG als ein im Rahmen des § 119 Abs 5 Nr 1 SGB III zu beachtendes, gesetzliches Beschäftigungsverbot anzusehen wäre – wie dies in der Literatur teilweise vertreten wird – (so ohne nähere Begründung Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2006, § 119 RdNr 121, 123; Gutzler in Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, 3. Aufl 2008, § 119 RdNr 127), könnte daraus nur gefolgert werden, dass arbeitslose Schwangere nicht beschäftigt werden dürfen, soweit mit einer Beschäftigung Gesundheitsgefahren verbunden sind, wobei es näherer Prüfung der qualitativen und quantitativen Leistungseinschränkungen sowie des Kreises der nicht zulässigen Tätigkeiten be...

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