Dr. Manuel Schütt, Dr. Adrian Löser
Eine Behinderung eines Menschen i. S. d. § 1 AGG liegt dann vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substanziell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten Grad der Behinderung kommt es nicht an. Der EuGH entwickelte ein weitgehend entsprechendes Verständnis von Behinderung: Hiernach ist eine Behinderung i. S. d. RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf eine Einschränkung, die u. a. auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die den Betreffenden in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben unter Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern hindern können.
Der Behindertenbegriff des AGG ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen. Die Begriffe "Behinderung" und "Krankheit" lassen sich allerdings nicht gleichsetzen. Der EuGH grenzt die bloße Erkrankung von der Behinderung danach ab, ob die Einschränkung der Fähigkeit einer Person als "langfristig" qualifiziert werden kann. Zu den Anhaltspunkten dafür, dass eine solche Einschränkung "langfristig" ist, zählt der EuGH u. a. den Umstand, dass zum Zeitpunkt des angeblich diskriminierenden Geschehnisses ein kurzfristiges Ende der Arbeitsunfähigkeit des Betroffenen nicht genau absehbar ist, oder der Umstand, dass sich die Arbeitsunfähigkeit bis zur Genesung des Betroffenen noch erheblich hinziehen kann.
Ungleichbehandlung auch bei nur einer Annahme der Behinderung untersagt
Die ungerechtfertigte Benachteiligung eines Bewerbers ist auch dann untersagt, wenn der Arbeitgeber eine Behinderung nur annimmt. Gefestigte Kenntnisse eines Arbeitgebers über die Behinderung eines Bewerbers sind nicht Voraussetzung einer Benachteiligung nach dem AGG. Die in einem Bewerbungsgespräch gestellten Fragen nach näher bezeichneten gesundheitlichen Beeinträchtigungen können je nach Einzelfall auf die Nachfrage, ob eine Behinderung vorliege, schließen lassen bzw. darauf, dass der Arbeitgeber eine Behinderung mutmaßt.
Es lassen sich Vergleiche mit dem Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts ziehen. Ebenso wie ein Bewerber nicht deswegen abgelehnt werden darf, weil er eine Frau (oder ein Mann) ist, darf seine Bewerbung nicht zurückgewiesen werden, weil er eine Behinderung hat. Die Rechtslage, die Voraussetzungen der Diskriminierung und die Folgen entsprechen sich. Auf die Erläuterungen und die Rechtsprechung zum geschlechtsbezogenen Diskriminierungsverbot kann somit verwiesen werden.
Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Behinderung nur zulässig, soweit eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit darstellt, der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Der abgelehnte Bewerber mit Behinderung braucht nicht selbst zu klagen. Mit seinem Einverständnis können auch nicht selbst am Prozess beteiligte, nach Bundes- oder Landesrecht zuständige Verbände klagen.
Pflichten des Arbeitgebers; Rechte schwerbehinderter Menschen bei freien Arbeitsplätzen/Voraussetzungen der Eröffnung des Schutzbereichs des SGB IX
Nach § 164 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob ein freier Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen, insbesondere einem bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden kann. Im Rahmen dieser Prüfpflicht muss der Arbeitgeber frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen.
Über Vermittlungsvorschläge und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebs-/Personalrat unmittelbar nach Eingang unterrichten. Verletzt der Arbeitgeber eine dieser Obliegenheiten, kann bereits dies die Benachteiligung wegen der Behinderung indizieren. Der Arbeitgeber kann die Vermutung nach § 22 AGG, er habe den erfolglosen Bewerber wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt, jedoch widerlegen.
Der Arbeitgeber ist dagegen nicht verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung im Bewerbungsverfahren zu beteiligen, wenn der Arbeitnehmer die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen zwar beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, über den Gleichstellungsantrag jedoch noch nicht entschieden worden ist. Die Beteiligungspflichten nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX greifen erst, wenn über den Gleichstellungsantrag positiv entschieden worden ist.
Besondere Pflichten gelten nach § 165 SGB IX für öffentliche Arbeitgeb...