Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haftungsinanspruchnahme eines gesetzlichen Vertreters im Falle eines Mitverschuldens des Finanzamts
Leitsatz (NV)
1. Auch im Steuerrecht ist der in § 254 BGB zum Ausdruck kommende, allgemeine Rechtsgedanke anwendbar, daß ein Schadensersatzanspruch gemindert sein oder ganz entfallen kann, wenn der Gläubiger für das Eintreten des Schadens mitverantwortlich ist.
2. Nimmt das Finanzamt einen Geschäftsführer einer GmbH nach § 34 und § 69 AO 1977 als Haftenden für Körperschaft- und Umsatzsteuer in Anspruch, so ist das Mitverschulden des Finanzamts bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, die das Finanzamt bei der Geltendmachung des Haftungsanspruchs nach § 191 Abs. 1 Satz 1 und § 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu treffen hat.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 44 Abs. 1, §§ 69, 191 Abs. 1; BGB § 254
Tatbestand
Der Antragsteller, Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, deren Anteile er ab Gründung zu 19/20 und später (seit Dezember 1978) in vollem Umfange hielt. Durch Beschluß des Amtsgerichts vom März 1983 wurde der Antrag der GmbH auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgewiesen; danach wurde die Firma im Handelsregister gelöscht.
Bei der GmbH, die Schankwirtschaften ohne Speisenherstellung betrieb, fand eine Außenprüfung statt. In deren Verlauf wurde eine Nachkalkulation durchgeführt. Danach waren die erklärten Rohgewinnaufschläge (1978: 147 v. H., 1979: 151 v. H., 1980: 168 v. H.) auf den Wareneinsatz und damit auch die erklärten Umsätze von der GmbH zu niedrig angegeben. Die Außenprüferin ermittelte einen durchschnittlichen Rohgewinnaufschlag von 266 v. H. auf den Wareneinsatz. Im Rahmen einer Besprechung mit dem Steuerberater, dem damaligen steuerlichen Vertreter der GmbH und des Klägers, wurde glaubhaft gemacht, daß durch die Eigenarten des Betriebs (fremde Arbeitskräfte, Zechprellerei etc.) ein Rohaufschlag von 266 v. H. überhöht sei. Im Einvernehmen mit dem Steuerberater wurde deshalb ein Rohgewinnaufschlag von lediglich 200 v. H. als zutreffend angenommen. Damit ergaben sich für die Prüfungsjahre 1978 bis 1980 Mehrumsätze in Höhe von insgesamt 140 000 DM.
Des weiteren wurde von der Prüferin festgestellt, daß der betriebliche PKW durch den Kläger privat genutzt worden sei. Diese Privatnutzung wurde im Einvernehmen mit dem damaligen Steuerberater der GmbH und des Klägers auf 50 v. H. festgesetzt.
Darauf ergingen entsprechende Körperschaftsteuerbescheide. Den dagegen eingelegten Einspruch begründete die GmbH lediglich mit Hinweis auf die damals geplante und inzwischen in Kraft getretene Änderung der §§ 27 bis 29 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977. Der Einspruch führte zur Herabsetzung der Körperschaftsteuer für 1978 auf 17 383 DM, für 1979 auf 51 437 DM und für 1980 auf 26 261 DM.
Für diese Beträge zuzüglich weiterer 16 462,83 DM an Umsatzsteuerschulden 1978 bis 1980 der GmbH war der Kläger bereits zuvor durch Haftungsbescheid im Wege der Geschäftsführerhaftung nach §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) unmittelbar persönlich in Anspruch genommen worden, weil Beitreibungsversuche gegenüber der GmbH erfolglos geblieben waren. Den haftungsweise nachgeforderten Umsatzsteuerbeträgen liegen Umsatzsteuerbescheide gegen die GmbH zugrunde, die bestandskräftig geworden sind.
Mit dem Haftungsbescheid war die Aufforderung an den Kläger verbunden, die Haftungssumme von insgesamt 111 543,83 DM an die Finanzkasse des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) zu zahlen. Dieser Zahlungsaufforderung ist der Kläger bezüglich der nachgeforderten Umsatzsteuerbeträge nachgekommen.
Der Kläger legte gegen seine haftungsweise Inanspruchnahme Einspruch und gegen die Zahlungsaufforderung Beschwerde ein. Einspruch und Beschwerde wurden durch Einspruchs- bzw. Beschwerdeentscheidung als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger erhob gegen den Haftungsbescheid Klage (vorliegender Streitfall); er erhob auch Klage gegen die Zahlungsaufforderung.
Daneben erhob die GmbH Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA, durch welche dieses die Versteuerung der verdeckten Gewinnausschüttung der GmbH an den Kläger entsprechend den Änderungen des KStG 1977 durch das Steuerentlastungsgesetz 1984 vorgenommen hatte.
Die Anträge der GmbH und des Klägers, die Vollziehung der gegen sie jeweils in Höhe von 95 081 DM geltend gemachten Körperschaftsteuernachforderungen 1978 bis 1980 auszusetzen, wurden durch Beschlüsse des Finanzgerichts (FG) abgelehnt.
Ohne Erfolg blieb auch die Klage der GmbH gegen die Einspruchsentscheidung betreffend die Körperschaftsteuernachforderung 1978 bis 1980. Die Revision gegen das Urteil des FG ist unter I R 13/86 anhängig; das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 214 veröffentlicht.
Das FG hat die Klage gegen den Haftungsbescheid abgewiesen.
Die nachgeforderten Körperschaftsteuerbeträge beruhten auf den Feststellungen der Außenprüferin, die das FA übernommen habe und denen eine Absprache zwischen der Prüferin und dem damaligen Steuerberater der GmbH und des Klägers bezüglich der anzusetzenden Rohgewinnaufschlagssätze und des Prozentsatzes der privatanteiligen Nutzung eines Firmen- PKWs zugrunde gelegen hätten.
Würde man der Auffassung folgen, daß tatsächliche Verständigungen während einer Außenprüfung die Beteiligten in einem anschließenden Rechtsbehelfsverfahren binden, so könnte dies auch Auswirkungen auf das Haftungsverfahren haben. Denn wenn der Geschäftsführer aufgrund einer bindenden tatsächlichen Verständigung im Prüfungsverfahren die hieraus folgenden steuerlichen Ergebnisse in einem Rechtsbehelfsverfahren der von ihm vertretenen juristischen Person nicht mehr namens der Gesellschaft anfechten könne, so wäre es widersinnig, wenn er dieselben steuerlichen Ergebnisse bei seiner eigenen Inhaftungsnahme in Frage stellen dürfte, obwohl sie auf der tatsächlichen Verständigung der Gesellschaft mit dem FA beruhten, die er für die Gesellschaft als deren Geschäftsführer zu verantworten habe.
Nichts anderes gelte auch, wenn der Kläger noch Einwände gegen die nachgeforderten Körperschaftsteuerbeträge erheben dürfte, weil er die Steuerfestsetzungen, die dem Haftungsverfahren zugrunde lägen, angefochten habe. Die streitigen Körperschaftsteuernachforderungen beruhten auf den Feststellungen der Außenprüferin. Diese Feststellungen seien nicht zu beanstanden. Die Außenprüferin habe ausweislich ihres in den Prüfungsunterlagen befindlichen Prüfungsvorbereitungsbogens gerade das Prüffeld ,,Aufschläge" notiert. Die von der Außenprüferin in der Folge angestellte Nachkalkulation genüge den strengen Anforderungen der Rechtsprechung.
Der Kläger habe seine Geschäftsführerverpflichtung zumindest grob fahrlässig verletzt.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde (anhängig unter Az. I B 12/88) macht der Kläger geltend, daß das FG die Klageabweisung zwar alternativ begründet habe, die Revision jedoch zuzulassen sei, weil dem Rechtsstreit bezüglich beider Begründungen eine grundsätzliche Bedeutung zukomme und die Entscheidung zudem von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) abweiche.
Der Kläger beantragt für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Prozeßkostenhilfe und, ihm zur vorläufigen Wahrnehmung seiner Rechte den Unterzeichner des Antrags als Rechtsanwalt beizuordnen. Dem Antrag ist eine Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg (§ 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
1. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt ist, kann der Senat offenlassen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig (vgl. § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) eingelegt wurde. Sie ist jedenfalls unbegründet. Der Sache kommt insoweit keine grundsätzliche Bedeutung zu, als das FG seine Entscheidung nicht auf die ,,tatsächliche Verständigung" während der Außenprüfung stützte. Insoweit kommt der Frage eines Mitverschuldens des FA keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Rechtsprechung berücksichtigt ein Mitverschulden der Finanzbehörden bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung, die die Finanzbehörden bei der Geltendmachung des Haftungsanspruchs nach § 191 Abs. 1 Satz 1 und § 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu treffen haben (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1986 VII S 30/85, BFH/NV 1986, 518; BFH-Urteile vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136; vom 10. April 1984 VII R 77/81, nicht veröffentlicht - NV -; vom 13. März 1984 VII R 30/81 NV; vom 10. Mai 1983 VII R 8/83, NV, und vom 12. Oktober 1982 VII R 66/80, NV). Einer zusätzlichen Klärung durch die Rechtsprechung bedarf die Frage des mitwirkenden Verschuldens der Finanzbehörden nicht. Dem stehen nicht die von dem Kläger angeführten BFH-Urteile entgegen, soweit sie sich mit der Anwendung des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) befassen. Das BFH-Urteil vom 11. August 1978 VI R 169/75 (BFHE 125, 508, BStBl II 1978, 683) hat allerdings ausgeführt, daß es einem in § 254 BGB zum Ausdruck gekommenen, auch im Steuerrecht entsprechend anwendbaren allgemeinen Rechtsgrundsatz entspreche, daß ein Schadensersatzanspruch gemindert sein oder ganz entfallen könne, wenn der Gläubiger für das Eintreten des Schadens mitverantwortlich sei (vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 1986, 136). Nach dem Urteil vom 13. März 1984 VII R 30/81 (NV) - S. 12 - gehört nicht zu den Tatbestandsmerkmalen des § 109 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO), daß die Haftung ganz oder teilweise nicht eintritt, wenn ein Mitverschulden der Verwaltung vorliegt. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die den bürgerlich- rechtlichen Schadensersatzanspruch betreffende Vorschrift des § 254 BGB auf Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis entsprechend angewandt werden könne. Auch diese Urteile berücksichtigen ein etwaiges Mitverschulden der Finanzbehörden letztlich nur bei der Prüfung der Frage, ob die Finanzbehörden mit der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners von ihrem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht haben. Sie sehen - wie auch die anderen zu der Frage ergangenen BFH-Entscheidungen - ein etwaiges Mitverschulden der Finanzbehörden nicht als negatives Tatbestandsmerkmal der die Haftung begründenden Vorschriften an. Es bedarf keiner Klärung durch die Rechtsprechung, ob bei der Überprüfung der von den Finanzbehörden gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu treffenden Ermessensentscheidung die Vorschrift des § 254 BGB bzw. ihr Rechtsgedanke Anwendung findet. Durch die Rechtsprechung ist klargestellt, daß ein etwaiges Mitverschulden der Finanzbehörden dabei zu berücksichtigen ist. Es kommt nicht darauf an, auf welche Vorschrift die Berücksichtigung des Mitverschuldens im übrigen gestützt wird. Hinzukommt, daß ein Teil der Entscheidungen die Heranziehung des § 254 BGB ausdrücklich verneint (vgl. BFH-Urteile vom 10. Mai 1983 VII R 8/83, NV - S. 12 - und vom 12. Oktober 1982 VII R 66/80, NV - S. 19 -). Die Entscheidungen, die die Anwendung des § 254 BGB nicht ausdrücklich verneinen, erwähnen die Vorschrift nur im Zusammenhang mit der von den Finanzbehörden zu treffenden Ermessensentscheidung. Sie lassen dabei die unmittelbare Anwendung offen (vgl. BFH-Urteil vom 13. März 1984 VII R 30/81, NV - S. 12 - und BFH in BFH/NV 1986, 136 - ,,allenfalls" -) bzw. gehen lediglich von einer entsprechenden Anwendung eines in § 254 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedankens aus (BFH in BFHE 125, 508, BStBl II 1978, 683; vgl. auch BFH/NV 1986, 136).
Das FG hat seine Entscheidung alternativ begründet. Es hielt die Klageabweisung auch dann für gerechtfertigt, wenn die tatsächliche Verständigung während der Außenprüfung den Kläger nicht binden sollte. Soweit das FG seine Begründung nicht auf die Verständigung während der Außenprüfung stützt, hat die Rechtssache - wie ausgeführt - keine grundsätzliche Bedeutung. Der Senat muß daher nicht prüfen, ob der Rechtssache deshalb grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil das FG seine Entscheidung auch auf die Verständigung während der Außenprüfung gestützt hat (vgl. BFH-Beschluß vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524).
2. Soweit mit der Nichtzulassungsbeschwerde eine Abweichung von BFH-Urteilen geltend gemacht wird, ist sie unzulässig. Es fehlt an der Darlegung, daß das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem bestimmten abstrakten Rechtssatz, der den angeführten Urteilen zugrunde liegt, abweicht (BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
3. Soweit der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde mangelnde Sachaufklärung rügt, ist die Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig. Die formellen Anforderungen an die Rüge eines Verfahrensmangels im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde stimmen mit denen des § 120 Abs. 2 FGO für die Begründung einer Verfahrensrüge im Revisionsverfahren überein (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juni 1979 6 B 81/78, Verwaltungs-Rechtsprechung 31 S. 506). Dazu wäre es insbesondere erforderlich gewesen darzulegen, warum sich dem FG weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen (BFH-Urteil vom 24. Mai 1977 IV R 45/76, BFHE 122, 396, BStBl II 1977, 694). Soweit der Kläger die Umsatzsteuervoranmeldungen anspricht und aus ihnen eine Ermittlungspflicht ableitet, macht er die Nichtberücksichtigung von Tatsachen - nämlich die niedrigen Rohgewinnaufschlagssätze - dem FA zum Vorwurf. Die im Revisionsverfahren vorgebrachte Rüge mangelnder Sachaufklärung muß sich auf das Verhalten des FG beziehen. Soweit der Kläger rügt, daß das FA mit der Außenprüfung zu lange gewartet habe und es deshalb zu einem Schaden bei ihm gekommen sei, macht der Kläger keinen Verfahrensmangel geltend.
Fundstellen
Haufe-Index 415935 |
BFH/NV 1989, 545 |