Haftung für pauschalierte Lohnsteuer
Hintergrund: Haftung der GmbH-Geschäftsführerin
Die X war alleinige Geschäftsführerin einer GmbH.
Bei einer LSt-Außenprüfung bei der GmbH für 2015 bis 2017 wurde festgestellt, dass für die private Nutzung eines Firmen-Kfz und für an die Arbeitnehmer erstattete Verpflegungsmehraufwendungen keine LSt einbehalten und abgeführt wurde. Das FA führte insoweit im Einvernehmen mit der GmbH eine pauschale Nachversteuerung durch und setzte mit Nachforderungsbescheid in 2018 pauschale LSt fest.
Ferner wurden von der GmbH für die Anmeldezeiträume 12/2017 und 1/2018 LSt zwar angemeldet, aber (teilweise) nicht abgeführt.
Bereits im Dezember 2017 war für die GmbH ein Insolvenzantrag gestellt worden.
Nachdem die Forderungen von der GmbH nicht beigetrieben werden konnten, nahm das FA die X als Geschäftsführerin mit Haftungsbescheiden in Anspruch, und zwar (1.) für die pauschale LSt nach der Außenprüfung und (2.) für die individuelle LSt 12/2017 und 1/2018.
Das FG wies die Klage im Streitpunkt ab. Für die individuelle LSt 12/2017 und 1/2018 sei X durch den Insolvenzantrag nicht entschuldigt. Das gelte ebenso für die (mit Nachforderungsbescheid in 2018 festgesetzte) pauschale LSt. X hätte die LSt-Abzugsbeträge in die monatlichen LSt-Anmeldungen 2015 bis 2017 aufnehmen müssen. Denn Bezugspunkt der Haftung bleibe auch hier der Zeitpunkt des Zuflusses des Arbeitslohns. Daher sei es unerheblich, dass die LSt-Außenprüfung erst 2018 beendet gewesen und die pauschale Steuer damit erst zu einem Zeitpunkt fällig geworden sei (12.4.2018), in dem die GmbH bereits zahlungsunfähig gewesen sei (vorläufige Insolvenzverwaltung am 1.2.2018).
Entscheidung: Pflichtverletzung im jeweiligen Lohnanmeldungszeitraum
Der BFH bestätigte die Auffassung des FG. Sowohl für die individuelle als auch für die pauschalierte LSt richtet sich die Frage der Pflichtverletzung nach der Entstehung der Steuer und somit nach dem Zeitpunkt des Zuflusses.
Pflichten des GmbH-Geschäftsführers
Zahlungsschwierigkeiten der GmbH schließen das Verschulden des Geschäftsführers bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH nicht aus. Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel zur Lohnzahlung nicht aus, darf der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt auszahlen und muss die auf die gekürzten Löhne entfallende LSt an das FA abführen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH v. 1.8.2000, VII R 110/99, BStBl II 2001, S. 271).
Pflichtverletzung bei pauschaler Steuerfestsetzung
Entgegen der Ansicht der X kommt es bei der pauschalierte LSt nicht auf den Fälligkeitszeitpunkt laut Nachforderungsbescheid (12.4.2018) an, sondern auf die Pflichtverletzung durch Nichtanmeldung und Nichtabführung der LSt zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten in 2015 bis 2017. Bei der pauschalen LSt handelt es sich um eine von der Steuer des Arbeitnehmers abgeleitete Steuer. Die Steuerschuldnerschaft des Arbeitgebers ist lediglich steuertechnischer (formeller) Art (BFH v. 6.5.1994, VI R 47/93, BStBl II 1994, S. 715).
Änderung der Rechtsprechung
Der BFH hatte bisher vertreten, die Pflichtverletzung und das Verschulden des Haftungsschuldners richte sich bei LSt-Pauschalierung nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit der (durch den Pauschalierungs-(Nachforderungs-)Bescheid festgesetzten) pauschalen LSt und nicht (wie bei der Haftung für die individuelle LSt) nach dem in § 41a Abs. 1 EStG geregelten Zeitpunkt der Anmeldung und Abführung der LSt. Hieran hält der BFH nicht fest. Denn die pauschale LSt entsteht durch den Zufluss beim Arbeitnehmer und wird vom Arbeitgeber lediglich übernommen. Hiervon ausgehend ist von einer schuldhaften Pflichtverletzung der X auszugehen, da sie die Lohnabzugsbeträge in 2015 bis 2017 nicht angemeldet und abgeführt hat. Dass sich die GmbH bereits zu den entsprechenden Anmeldezeitpunkten in Zahlungsschwierigkeiten befand, hat X nicht vorgetragen.
Kein Verschulden des steuerlichen Beraters
Der Hinweis auf den von ihr beauftragten Steuerberater entschuldigt die X nicht. Sie hat bereits nicht vorgetragen, ob dieser von dem maßgeblichen Sachverhalt (private Kfz-Nutzung, Erstattung von Verpflegungsmehraufwendungen) Kenntnis hatte.
Keine Verhinderung durch den Antrag auf Insolvenzeröffnung
Durch den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (21.12.2017) war die X rechtlich nicht gehindert, die LSt für 12/2017 abzuführen. Denn allein der Antrag schränkt den Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis nicht ein. Für 1/2018 (Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters am 1.2.2018) hat X nicht substantiiert dargelegt, welche Schritte sie zur Zahlung der Steuer am Fälligkeitstag eingeleitet hatte (BFH v. 22.10.2019, VII R 30/18, BFH/NV 2020, S. 711).
Hinweis: Neuregelung in § 15b Abs. 8 InsO
Nach § 15b Abs. 8 InsO liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO oder der Überschuldung nach § 19 InsO und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO (Insolvenzantragspflicht) nachkommen. Diese Neuregelung gilt nach Art. 25 SanInsFoG erst ab 1.1.2021.
Die – nunmehr aufgegebene – Auffassung des BFH zur Beurteilung der Pflichtverletzung bei LSt-Pauschalierung nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit der festgesetzten pauschalen LSt beruhte auf einer Einordnung der pauschalen LSt als Unternehmenssteuer eigener Art (BFH v. 5.11.1982, VI R 219/80, BStBl II 1983, S. 91). Diese Einordnung haben verschiedene Senate des BFH bereits vor der nunmehr aktuellen Entscheidung ausdrücklich aufgegeben (BFH v. 30.11.1989, I R 14/87, BStBl II 1990, S. 993, und v. 6.5.1994, VI R 47/93, BStBl II 1994, S. 715).
BFH Urteil vom 14.12.2021 - VII R 32/20 (veröffentlicht am 28.04.2022)
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