Erschütterung des Anscheinsbeweises für eine private Fahrzeugnutzung
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs kann abweichend von § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG mit den auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG). Weist ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nur berufliche Fahrten aus, kann es den Anscheinsbeweis für die private Nutzung entkräften.
Sachverhalt: Entkräftung des Anscheinsbeweises für die Privatnutzung eines Luxusfahrzeugs und Unangemessenheit der Aufwendungen
Streitig war, ob der Kläger in den Streitjahren 2011 bis 2013 zwei betriebliche Leasing-Fahrzeuge auch privat genutzt hat.
- Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Prüfsachverständiger Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit.
- In 2010 leaste er einen BMW 740d X Drive. Der Fahrzeuggrundpreis betrug netto 89.563,01 EUR. In 2012 wurde zusätzlich ein Lamborghini Aventador dem ein Grundpreis vom 279.831,93 EUR netto zugrunde lag, geleast. Dieses Fahrzeug wurde mit einer Werbefolie mit dem Text "Prüfsachverständiger …" versehen. Die Aufwendungen für die Fahrzeuge machte der Kläger in voller Höhe als Betriebsausgaben geltend.
- Für beide Fahrzeuge führte der Kläger jeweils handschriftlich Fahrtenbücher aus denen sich die insgesamt gefahrenen Kilometer ergaben.
- In den Streitjahren hatte der Kläger außerdem zwei weitere Fahrzeuge im Privatvermögen, einen Ferrari 360 Modena Spider und einen Jeep Commander.
Das Finanzamt (FA) vertrat die Auffassung, dass die Leasingkosten für den Lamborghini nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG wegen Unangemessenheit der Aufwendungen um 2/3 zu kürzen seien.
Im Einspruchsverfahren teilte das FA mit, die Fahrtenbücher für die Fahrzeuge seien nicht lesbar und daher nicht anzuerkennen. Es ging von einer Entnahme für die private Nutzung des Lamborghini aus und bewertete diese mit monatlich 1 % von 279.831,93 EUR netto ab November 2012. Da dieser Betrag in beiden Streitjahren höher als 1/3 der tatsächlichen Aufwendungen für das Fahrzeug war, setzte das FA unter Ansatz der Kostendeckelung nach dem Schreiben des BMF v. 18.11.2009 (BStBl I 2009, 1326) – nachdem es den Kläger auf die Verböserung hingewiesen hatte – die um 2/3 gekürzten tatsächlichen Kosten als Entnahme an. Für den BMW setzte es eine Entnahme für die Privatnutzung i.H. v. monatlich 1 % von 89.563,01 EUR netto an und wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Im finanzgerichtlichen Verfahren trug der Kläger vor, dass sich aus den handschriftlichen Fahrtenbüchern bzw. den von ihm angefertigten Transkripten die ausschließlich betriebliche Nutzung der Fahrzeuge ergebe. Zudem verfüge er über gleichwertige Fahrzeuge im Privatvermögen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage in Bezug auf im Revisionsverfahren nicht mehr streitige Punkte teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.
Es hat angenommen, der Kläger habe den für eine Privatnutzung des BMW und des Lamborghini sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Der Anscheinsbeweis sei nicht durch ordnungsgemäße Fahrtenbücher entkräftet. Die handschriftlichen Aufzeichnungen seien z.T. nicht lesbar. Die vorgelegten Transkripte seien nachgeschrieben und erfüllten nicht die Anforderungen an ein zeitnah geführtes ordnungsgemäßes Fahrtenbuch. Bei den anderen Luxusfahrzeugen im Privatvermögen handele es sich um andere Fahrzeugtypen mit unterschiedlichem Prestige und Nutzungsmöglichkeiten, die den Anscheinsbeweis nicht widerlegten.
Entscheidung: BFH hebt Vorentscheidung auf
Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Unstreitig ist, dass der betriebliche Nutzungsumfang der Fahrzeuge mehr als 50 % betrug, sodass für jeden Kalendermonat 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschl. Umsatzsteuer anzusetzen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) und dies auch für geleaste Fahrzeuge gilt.
Sofern es mangels privater Nutzung des Fahrzeugs an einer Entnahme fehlt, ist die Bewertungsregel in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG nicht anzuwenden. Das FG muss sich daher grundsätzlich die volle Überzeugung davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat. Der dafür sprechende Beweis des ersten Anscheins kann jedoch erschüttert werden.
Allgemeine Lebenserfahrung spricht für private Nutzung
Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden dienstliche oder betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Das FG kann aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat.
Der für eine Privatnutzung sprechende Anscheinsbeweis kann erschüttert sein, wenn für private Fahrten ein in Status und Gebrauchswert vergleichbares Fahrzeug zur Verfügung steht. Dabei ist der für eine Privatnutzung sprechende Anscheinsbeweis umso eher erschüttert, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen.
Das FG hat im Urteilsfall den bei der Anwendung des Anscheinsbeweises den gesetzlichen Maßstab für die Überzeugungsbildung in grundlegender Weise verkannt, sodass das Urteil keinen Bestand haben kann.
Erschütterung des Anscheinsbeweises bei ausschließlich betrieblicher Nutzung
Wird zur Erschütterung des Anscheinsbeweises vom Kläger (substantiiert) vorgetragen, die Fahrzeuge seien ausschließlich betrieblich genutzt worden, muss das FG den Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen aufklären und bei seiner Würdigung sämtliche Umstände berücksichtigen. Damit ist es nicht vereinbar, handschriftliche Aufzeichnungen über die Nutzung der Fahrzeuge mit der Begründung von vornherein unberücksichtigt zu lassen, sie erfüllten nicht die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch.
Das FG hätte dem Vortrag des Klägers, dass sich Fahrtenbuch und Transkript inhaltlich decken und sich ergebe, dass keine Privatfahrten stattfanden, nachgehen müssen. Solange es um die vorrangig zu klärende Frage geht, ob eine Privatnutzung überhaupt stattgefunden hat, ist nicht streiterheblich, ob ein handschriftlich geführtes Fahrtenbuch zu verwerfen ist, wenn dessen Aufzeichnungen (teilweise) nicht lesbar sind.
Im Privatvermögen zur Verfügung stehende Fahrzeuge
Die Behauptung des FG, es handele sich bei den Fahrzeugen im Privatvermögen des Klägers im Vergleich zu den betrieblichen Fahrzeugen um Fahrzeuge mit anderem Prestige und anderen Nutzungsmöglichkeiten, ist nicht durch Tatsachen unterlegt. Maßgeblich sind Vergleichskriterien wie Motorleistung, Hubraum, Höchstgeschwindigkeit, Ausstattung, Fahrleistung, Prestige. Damit hat sich das FG im angefochtenen Urteil nicht auseinandergesetzt.
Da der BFH mangels tatsächlicher Feststellungen des FG nicht selbst feststellen kann, ob der Kläger den Anscheinsbeweis für eine private Nutzung der Fahrzeuge erschüttert hat und die tatsächliche Würdigung nach entsprechender ergänzender Sachverhaltsaufklärung dem FG obliegt, war die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Prüfung der Unangemessenheit der Aufwendungen
Maßgeblich für die Prüfung der Unangemessenheit der Aufwendungen für den Lamborghini sind die Größe des Unternehmens, die Höhe des längerfristigen Umsatzes und des Gewinns, die Bedeutung des Repräsentationsaufwands für den Geschäftserfolg nach der Art der ausgeübten Tätigkeit und seine Üblichkeit in vergleichbaren Betrieben oder ob es einen objektiven Grund für den angeblichen Mehraufwand gibt und wie weit die private Lebenssphäre des Steuerpflichtigen berührt wird.
Nach den Ausführungen des BFH ergibt sich die Unangemessenheit nicht schon aus der Kosten-Nutzen-Relation des Repräsentationsaufwands für den Lamborghini. Das FG wird angesichts dessen näher zu begründen haben, warum die Berührung der privaten Lebensführung überwiegend im Vordergrund stehen und diesen Umstand aufwiegen kann. Zudem wird es hinsichtlich der verneinten objektiven Eignung des Fahrzeugs für den Betriebserfolg in die Betrachtung auch einzubeziehen haben, dass der Kläger den mit einer Werbefolie versehenen Lamborghini nach seinem Vortrag gezielt für den Besuch bestimmter Kundenkreise eingesetzt hat.
BFH, Urteil v. 22.10.2024, VIII R 12/21; veröffentlicht am 19.12.2024
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