Wiederaufleben einer Steuerforderung nach § 144 Abs. 1 InsO
Hintergrund: Steuerzahlung durch die Organgesellschaft anstelle der Organträgerin
Die Einzelunternehmerin X war Organträgerin der Y-GmbH. Bis zum 30.6.2009 war X Geschäftsführerin der GmbH.
X schuldete (als Organträgerin) aufgrund von Umsätzen der GmbH USt-Vorauszahlungen für Januar bis Juni 2009. Die Zahlungen erfolgten jedoch nicht durch die X (als Steuerschuldnerin), sondern durch die GmbH unter Angabe der Steuernummer der X.
In 2010 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Juni 2012 focht der Insolvenzverwalter gegenüber dem FA die Zahlungen der GmbH an und machte Anfechtungsansprüche nach §§ 131, 133 InsO geltend. Das FA stimmte im Mai 2013 einem Vergleichsvorschlag des Insolvenzverwalters zu und kehrte einen Betrag an den Insolvenzverwalter aus. Dabei handelte es sich u.a. um die angefochtenen Zahlungen der GmbH auf die USt für Januar bis Juni 2009.
Anschließend forderte das FA von X die Zahlung der USt-Vorauszahlungen für Januar bis Juni 2009 von ca. 13.400 EUR und erließ einen Abrechnungsbescheid. In dieser Höhe seien Steueransprüche aufgrund der Rückgewährung an den Insolvenzverwalter nach § 144 InsO wieder aufgelebt.
Die Klage hatte im Streitpunkt Erfolg. Das FG ging davon aus, bei den Erstattungszahlungen fehle es an einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. von § 37 Abs. 1 AO. Die insolvenzrechtliche Anfechtung von Zahlungen auf Steuerforderungen führe zu bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen. Diese könnten nicht durch Abrechnungsbescheid festgesetzt werden, sondern seien vor dem Zivilgericht zu verfolgen.
Mit der Revision trug das FA vor, der nach § 144 InsO wieder auflebende Anspruch bestimme sich nach seiner ursprünglichen Rechtsgrundlage. Es entstehe kein zivilrechtliches Surrogat.
Entscheidung: Abrechnungsbescheid über wieder aufgelebten Steueranspruch
Der BFH widerspricht der Auffassung des FG, ein nach § 144 Abs. 1 InsO wieder auflebender Steueranspruch sei kein Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch. Folglich kann in einem Abrechnungsbescheid festgestellt werden, ob ein solcher Anspruch des FA besteht. Der BFH hob das entgegenstehende FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Steueranspruch i.S. von § 218 Abs. 1 AO
Eine Streitigkeit über die Frage, ob eine erloschene Abgabenschuld nach § 144 Abs. 1 InsO rückwirkend wieder aufgelebt ist, ist eine Streitigkeit über die Verwirklichung eines Steueranspruchs i.S. von § 218 Abs. 2 AO. Bereits der Wortlaut des § 144 Abs. 1 InsO legt nahe, dass es sich bei der Forderung, die von der Rechtsfolge des § 144 Abs. 1 InsO erfasst wird, um die nämliche Forderung handelt, die aufgrund der zunächst erfolgten Leistung erloschen ist. Dafür sprechen zunächst das Wort "aufleben", das ausdrücklich an einen früheren Zustand anknüpft, und der Zusatz "wieder", der ebenfalls eine Rückbeziehung impliziert. Wenn es in Bezug auf den Empfänger der anfechtbaren Leistung heißt, "seine" Forderung lebe wieder auf, dann verweist diese Formulierung ebenso ausdrücklich auf die ursprüngliche, zunächst erloschene Forderung, die aufgrund der Anfechtung wieder entsteht.
Sinn und Zweck der Regelung
Dieses Verständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 144 Abs. 1 InsO, der darauf abzielt, möglichst den Zustand wieder herzustellen, der ohne die anfechtbare Rechtshandlung bestand.
Rückwirkendes Wiederaufleben der Steuerschuld
Die Zahlung der Steuerschuld führt zwar regelmäßig zu ihrem Erlöschen und damit zur Beendigung dieses Steuerschuldverhältnisses. Bei Steuerfälligkeiten, die in die insolvenzreife Zeit fallen, bleibt dieses Steuerschuldverhältnis jedoch selbst bei fristgerechter Zahlung wegen der Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zunächst in der Schwebe. Die erfolgreiche Anfechtung und Rückgewähr nach § 143 InsO bewirkt sonach gemäß § 144 InsO, dass die Steuerschuld rückwirkend wieder auflebt. Die Beendigung des Steuerschuldverhältnisses ist insoweit auflösend bedingt (BFH v. 11.11.2008, VII R 19/08, BStBl II 2009, S. 342). Bei den Ansprüchen, die nach § 144 InsO wieder entstehen, handelt es sich folglich um die ursprünglichen Zahlungsansprüche (BFH v. 29.3.2017, XI R 5/16, BStBl II 2017, S. 738).
Drei-Personen-Verhältnis
Dass mit der Rückgewähr einer anfechtbaren Leistung durch den Empfänger dessen Forderung gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder auflebt, gilt auch in anfechtungsrechtlichen Drei-Personen-Verhältnissen. Dass in diesem Fall der Schuldner der wieder auflebenden Forderung nicht mit dem Insolvenzschuldner identisch ist, ist unerheblich (BGH v. 4.2.2016, IX ZR 42/14, ZIP 2016, S. 478, Rz. 29 f.).
Hinweis: Keine Parallele zu § 143 InsO
Bereits zum alten Konkursrecht hat der BFH ausgeführt, der Wortlaut des § 39 KO lege die Auslegung nahe, dass die frühere Forderung wieder auflebe, somit keine neue Forderung entstehe (BFH v. 2.7.2002, VI B 292/01, BFH/NV 2002, S. 1338).
Dass der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 InsO kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 AO ist, über den durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO entschieden werden kann, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch ist (BFH v. 12.11.2013, VII R 15/13, BStBl II 2014, S. 359, Rz. 6), steht dem zu § 144 Abs. 1 InsO gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Denn § 143 Abs. 1 InsO lässt – anders als § 144 Abs. 1 InsO – keinen früheren Anspruch wieder aufleben.
BFH Urteil vom 14.12.2021 - VII R 15/19 (veröffentlicht am 28.04.2022)
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