Entscheidungsstichwort (Thema)
Durch Verletzung der Unterhaltspflicht eines Elternteils entstandene finanzielle Mehrbelastung beim anderen Elternteil
Leitsatz (NV)
Der einkommensteuerrechtlich vorgesehene Familienleistungsausgleich hat nur zum Ziel, das Existenzminimum des Kindes von der Einkommensteuer freizustellen. Führt die Günstigerprüfung zu dem Ergebnis, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes bereits durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden ist, kann nicht zusätzlich noch ein Kinderfreibetrag in Anspruch genommen werden, auch wenn der andere Elternteil seiner zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung nicht nachgekommen ist.
Normenkette
EStG § 31 S. 4, § 32 Abs. 6, §§ 33, 33a, 36 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 17.01.2005; Aktenzeichen 10 K 4279/01 E) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist geschieden und lebte im Streitjahr 2000 mit ihrer damals noch minderjährigen Tochter in einem gemeinsamen Haushalt. Im Streitjahr 2000 leistete der gegenüber der Tochter unterhaltspflichtige, von der Klägerin geschiedene Ehemann keinen Unterhalt. Das Kindergeld in Höhe von 3 240 DM wurde an die Klägerin ausgezahlt.
Auf Antrag der Klägerin berücksichtigte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) in dem Einkommensteuerbescheid für 2000 für ihre Tochter dem Grunde nach jeweils den vollen Kinder- und Betreuungsfreibetrag sowie den Haushaltsfreibetrag. Nach den Erläuterungen des Bescheides habe die vom FA durchgeführte sog. Günstigerprüfung jedoch ergeben, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes bereits durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden sei. Daher seien bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens keine Freibeträge für Kinder angesetzt worden.
Mit Einspruch und Klage machte die Klägerin vergeblich geltend, dass ihre --durch die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht ihres früheren Ehemannes-- entstandene finanzielle Mehrbelastung bei der Einkommensteuerveranlagung zu berücksichtigen sei.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Sie trägt sinngemäß vor, zwar sei ihr wegen der Nichterfüllung der Unterhaltspflicht gemäß § 32 Abs. 6 Satz 7 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Streitjahr 2000 (EStG) der an sich dem früheren Ehemann zustehende halbe Kinderfreibetrag und auch der halbe Betreuungsfreibetrag übertragen worden. Wegen der Günstigerprüfung gemäß § 31 Satz 4 EStG wirkten sich die übertragenen halben Freibeträge für Kinder aber nicht aus. Es sei daher die grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage zu klären, wie die zusätzliche finanzielle Belastung durch die ausgebliebenen Unterhaltszahlungen des früheren Ehemannes steuerlich zu berücksichtigen seien. Es sei revisionsrechtlich zu prüfen, ob bei der Nichtzahlung von geschuldetem Unterhalt die Freibeträge für Kinder ohne Anrechnung des Kindergeldes zu gewähren seien. Die steuerliche Entlastung durch die Freibeträge zusammen mit dem Kindergeld würden zumindest zum Teil den von ihrem früheren Ehemann geschuldeten, aber nicht gezahlten Unterhalt ausgleichen.
Die Übertragung des halben Kinderfreibetrags wirke sich bei einem Steuersatz von unter 38,31 % nicht aus. Bis zu diesem Steuersatz werde daher die fehlende Unterhaltszahlung durch die Übertragung des halben Kinderfreibetrags nicht ausgeglichen. Dies verstoße gegen die Verfassung, weil bestimmte Elterngruppen ohne sachlichen Grund steuerlich mehr belastet würden als andere. Der Familienleistungsausgleich sei auch im Hinblick auf den in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verankerten Schutz der Familie verfassungswidrig.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 FGO).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Rechtssache nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann, wenn eine für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die betreffende Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (vgl. BFH-Beschluss vom 29. April 2003 X B 62/02, BFH/NV 2003, 1087). An dem Klärungsbedarf fehlt es insbesondere dann, wenn der BFH eine Rechtsfrage bereits entschieden hat, es sei denn, die Finanzgerichte seien der Rechtsprechung des BFH nicht gefolgt, oder im Fachschrifttum oder auch mit der Nichtzulassungsbeschwerde würden gewichtige Argumente gegen diese Rechtsprechung vorgebracht, die der BFH nicht erwogen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 11. Februar 2003 IV B 151/01, BFH/NV 2003, 1040).
2. Im Streitfall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen.
a) Die Frage, ob die finanzielle Mehrbelastung einer Steuerpflichtigen bei Nichterfüllung der Unterhaltspflichten des früheren Ehemannes steuerlich zu berücksichtigen ist, ist bereits durch das BFH-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 88/98 (BFHE 205, 465, BFH/NV 2004, 1154) geklärt. In dem das Jahr 1996 betreffenden, vergleichbaren Fall hatte sich der auf die Steuerpflichtige übertragene halbe Kinderfreibetrag wegen des gezahlten Kindergelds (Günstigerprüfung, § 31 Satz 4 EStG) ebenfalls nicht ausgewirkt. Die Steuerpflichtige war der Auffassung, es dürfe bei der Günstigerprüfung nur das halbe Kindergeld berücksichtigt werden, weil die andere Hälfte des Kindergeldes zivilrechtlich wegen der Anrechnung auf den geschuldeten Unterhalt dem anderen Elternteil zustehe.
Nach § 36 Abs. 2 EStG ist bei Verminderung des Einkommens um einen Freibetrag i.S. des § 32 Abs. 6 EStG in entsprechendem Umfang das gezahlte Kindergeld der Einkommensteuer hinzuzurechnen. Nach der Entscheidung des BFH in BFHE 205, 465, BFH/NV 2004, 1154 ergibt sich hieraus, dass bei der Günstigerprüfung dem vollen Kinderfreibetrag auch das gesamte an die Steuerpflichtige ausgezahlte Kindergeld gegenüberzustellen ist. Dies hat zwar --wie der BFH ausführt-- zur Folge, dass in der Mehrzahl der Fälle, in denen der Grenzsteuersatz unter einem bestimmten Prozentsatz (im Jahr 1996 unter 38,31 %) liegt, die Übertragung des halben Freibetrags in der Regel nicht zu einer weiter gehenden steuerlichen Entlastung führt. Dies entspricht nach Auffassung des BFH der Systematik der §§ 31, 36 EStG.
Für den Streitfall folgt aus dieser Entscheidung, dass die Berücksichtigung von Freibeträgen für Kinder nach § 32 Abs. 6 EStG zusätzlich zu dem gezahlten Kindergeld nach dem System des Familienleistungsausgleichs ausgeschlossen ist. Denn danach wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld bewirkt, je nachdem, was für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Wird der Freibetrag gewährt, weil er günstiger ist als das Kindergeld, ist das Kindergeld nach § 36 Abs. 2 EStG der Einkommensteuer hinzuzurechnen. Wird die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch das Kindergeld erreicht, sind keine Freibeträge für Kinder vom Einkommen abzuziehen.
Ist die steuerliche Freistellung des Existenzminimums durch das Kindergeld bewirkt worden, käme es zu einer mit dem Zweck des Familienleistungsausgleichs unvereinbaren Mehrfachbegünstigung, wenn zusätzlich die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG vom Einkommen abgezogen würden, ohne das Kindergeld nach § 36 Abs. 2 EStG der Einkommensteuer hinzuzurechnen. Die finanzielle Mehrbelastung der Klägerin durch die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht ihres früheren Ehemannes kann beim Familienleistungsausgleich nicht berücksichtigt werden, weil dieser nur zum Ziel hat, das Existenzminimum des Kindes von der Einkommensteuer freizustellen. Dies ist im Streitfall durch das Kindergeld bewirkt worden.
b) Nicht grundsätzlich bedeutsam ist auch die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob ihre erhöhte finanzielle Belastung, weil der Vater des Kindes keinen Unterhalt zahle, über § 33 EStG ausgeglichen werden könne. Insofern ist die Rechtslage ebenfalls geklärt.
Der Abzug von Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung ist abschließend in § 33a EStG geregelt. Nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG setzt ein Abzug von Unterhaltsleistungen voraus, dass weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person einen Anspruch auf einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld für die unterhaltene Person hat. Eine weiter gehende Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen nach § 33 EStG ist kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in § 33a Abs. 5 EStG ausgeschlossen. Diese gesetzliche Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des BFH verfassungsgemäß (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1992 III R 8/91, BFHE 169, 37, BStBl II 1993, 278).
3. Unzulässig ist die Beschwerde, soweit die Klägerin sinngemäß geltend macht, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich aus der Verfassungswidrigkeit der einkommensteuerlichen Bestimmungen zum Familienleistungsausgleich.
Die Begründung entspricht insoweit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung des Zulassungsgrundes. Dazu wäre eine substantiierte rechtliche Auseinandersetzung mit der zu Art. 6 Abs. 1 GG ergangen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erforderlich gewesen (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Februar 2002 XI B 39/01, BFH/NV 2002, 1035, m.w.N.). Die Klägerin beschränkt sich jedoch auf das Zitat einer Entscheidung des BVerfG zum steuerlichen Existenzminimum, ohne sich im Einzelnen damit auseinander zu setzen.
In diesem Zusammenhang wäre im Hinblick auf die angesprochene Doppelbelastung des alleinerziehenden Elternteils mit Bar- und Betreuungsunterhalt insbesondere auch die zivilrechtliche Rechtslage zu erörtern gewesen.
Tatsächlich hat die Klägerin ihren geschiedenen Ehemann auch erfolgreich auf die Leistung von Barunterhalt u.a. für das Streitjahr 2000 verklagt. Auf der Grundlage dieses zivilrechtlichen Urteils als Vollstreckungstitel besteht für sie mithin die Möglichkeit, den ausstehenden Barunterhalt ihres geschiedenen Ehemanns im Wege der Zwangsvollstreckung zu erlangen. Auf diese Weise wäre der von der Klägerin behaupteten verfassungswidrigen Doppelbelastung hinreichend Rechnung getragen.
Eine weiter gehende steuerliche Entlastung wäre hiernach entbehrlich. Auch hiermit hat sich die Klägerin in der Beschwerdeschrift nicht auseinander gesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 1445683 |
BFH/NV 2005, 2188 |