Leitsatz (amtlich)
Die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG kann auch gewährt werden, wenn einem Steuerpflichtigen Tantiemen für mehrere Jahre in einem Jahr zusammengeballt zufließen. Dabei ist es ohne Bedeutung, wenn die Tantiemen zu verschiedenen Zeitpunkten während dieses einen Jahres ausgezahlt werden.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist bis zum 22. November 1962, dem Todestag seines Vaters, in dessen Baugeschäft als Angestellter tätig gewesen. Laut Erbschein sind der Steuerpflichtige, seine Mutter und seine Schwester Erben zu je einem Drittel nach ihrem Vater bzw. Ehemann. In einem Erbauseinandersetzungsvertrag vom 5. Juni 1963 haben die Erben vereinbart, daß der Steuerpflichtige das Baugeschäft des Vaters mit Warenlager, Fahrzeug sowie allen Aktiven und Passiven übernehme. Der Steuerpflichtige hat vom 1. Januar 1959 an eine Tantieme von 6 v. H. des Umsatzes erhalten.
Die Tantieme 1960 hat der Vater des Steuerpflichtigen zunächst nicht ausgezahlt, dafür aber zum 31. Dezember 1960 eine Rückstellung gebildet. Diese Tantieme ist im April 1962 in ein Darlehen zugunsten des Steuerpflichtigen umgewandelt worden, weshalb sie auch im Jahre 1962 zusammen mit dem Arbeitslohn dieses Jahres lohnversteuert worden ist.
Im Dezember 1964 hat im Betrieb des Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung für die Jahre 1960 bis 1963 stattgefunden. Dabei hat der Betriebsprüfer u. a. die laufenden Einkünfte des Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (Gehalt) bis zum Todestag mit 8 994 DM ermittelt. Er hat die auf die Jahre 1960 bis 1962 entfallenden Tantiemen als im Jahre 1962 zugeflossen angesehen, und zwar die Tantiemen 1961 bis 1962 auf Grund des Erbfalls, die des Jahres 1960 auf Grund der Umwandlung der Tantieme in ein Darlehen.
Der Steuerpflichtige begehrte, die Tantiemen 1960 bis 1962 gemäß § 34 Abs. 3 EStG aufzuteilen und die Steuer entsprechend zu berechnen. Das FA (Beklagter und Revionsbeklagter) lehnte das mit dem berichtigenden Einkommensteuerbescheid 1962 ab.
Die Sprungberufung (jetzt Sprungklage) blieb erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus: Die Tantiemen 1960 bis 1962 seien dem Steuerpflichtigen sämtlich im Jahre 1962 zugeflossen. Denn nach § 11 EStG komme es für den Begriff des Zufließens darauf an, wann der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die betreffenden Wirtschaftsgüter erlangt habe. Für die Tantieme 1960 liege dieser Zeitpunkt im April 1962, weil die Bilanz auf den 31. Dezember 1960 im April 1962 aufgestellt und abgegeben worden sei. Im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung sei die Tantieme in ein Darlehen umgewandelt und im Betrieb stehengelassen worden. Darin sei ein Zufluß zu sehen (vgl. das Urteil des BFH VI 262/63 U vom 3. Juli 1964, BFH 81, 225, BStBl III 1965, 83). Anders sei der Zufluß für die sich auf die Jahre 1961 und 1962 beziehenden Tantiemen zu beurteilen. Diese Tantiemen seien dem Steuerpflichtigen zwar nicht durch Vereinigung von Forderung und Schuld (Konfusion) zugeflossen. Sie hätten ihm jedoch wirtschaftlich unmittelbar nach dem Tod zugestanden. Denn durch den Tod des Vaters seien die Vereinbarungen über die Behandlung der Tantiemen gegenstandslos geworden. Nach dem Tod des Vaters habe daher lediglich festgestanden, daß der Steuerpflichtige neben seinen Darlehnsansprüchen einen Anspruch auf die Tantiemen für die Kalenderjahre 1961 und 1962 (bis zum Todestag) habe und daß dieser Anspruch durch den Tod des Schuldners (Vaters) fällig geworden sei. § 34 Abs. 3 EStG könne aber nicht zum Zuge kommen. Hier fehle es an dem Tatbestandsmerkmal der Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit. Jede einzelne Tantieme sei die Vergütung für die Tätigkeit in dem betreffenden Einzeljahr gewesen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß die Tantiemen, die auf die Jahre 1961 und 1962 entfielen, durch den Tod des Vaters dem Steuerpflichtigen ebenso im Jahre 1962 zugeflossen seien wie die Tantieme für das Jahr 1960.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Steuerpflichtigen ist begründet.
Das FG hat auf Grund seines Rechts zur Tatsachenwürdigung festgestellt, daß die Tantiemen 1960 bis 1962 dem Steuerpflichtigen im Jahre 1962 zugeflossen sind. Diese Feststellung ist mit der Revision nicht angegriffen. Sie ist auch vertretbar, zumal der Senat in dem vom FG angeführten Urteil VI 262/63 U die Umwandlung von Tantiemen in Darlehen, die im Betrieb stehengelassen werden, als einen Zufluß beim Arbeitnehmer und Darlehnsgläubiger angesehen hat. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das FG die Tantiemen 1961 und 1962 mit dem Todestag des Vaters des Steuerpflichtigen als diesem wirtschaftlich zugeflossen behandelt hat. Der Senat geht deshalb von einem Zufluß der Tantieme 1960 im April 1962 und der Tantiemen 1961 und 1962 im November 1962 aus. Die vom FG daran geknüpften Rechtsfolgen hält der Senat jedoch für unzutreffend.
Nach § 34 Abs. 3 EStG können Einkünfte, die die Entlohnung für eine Tätigkeit darstellen, die sich über mehrere Jahre erstreckt, zum Zweck der Einkommensteuerveranlagung auf die Jahre verteilt werden, in deren Verlauf sie erzielt wurden, und als Einkünfte eines jeden dieser Jahre angesehen werden, vorausgesetzt, daß die Gesamtverteilung drei Jahre nicht übersteigt. § 34 Abs. 3 EStG bezweckt, zusätzliche Zahlungen für einen mehr als 12 Monate umfassenden Zeitraum bei der Besteuerung durch Abschwächung der Progression des Einkommensteuertarifs unter bestimmten Voraussetzungen zu begünstigen (vgl. das Urteil des Senats VI 381/65 vom 16. September 1966, BFH 86, 760, BStBl III 1967, 2). Die Vorschrift will also erreichen, daß die steuerliche Belastung bei Einkünften, die dem Steuerpflichtigen für eine mehrjährige Tätigkeit zufließen, möglichst nicht höher ist, als wenn ihm in jedem der mehreren Jahre ein Anteil zugeflossen wäre, allerdings mit der Einschränkung, daß die Verteilung höchstens auf drei Jahre zulässig ist (vgl. das Urteil des Senats VI 32/56 U vom 8. März 1957, BFH 64, 496, BStBl III 1957, 185). Bei einer - vor allem vom Steuerpflichtigen nicht zu vertretenden - Zusammenballung von Einkünften besteht ein Bedürfnis für eine Tarifbegünstigung (vgl. das Urteil des BFH IV 296/62 U vom 5. Dezember 1963, BFH 78, 333, BStBl III 1964, 130). Erhält ein Steuerpflichtiger eine Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit, so soll er steuerlich weitgehend so behandelt werden, als sei ihm die Entlohnung jeweils zeitgerecht zugeflossen. Diese Erwägungen rechtfertigen es, auch im Streitfall § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden. Denn dem Steuerpflichtigen sind für die sich über mehrere Jahre erstreckende Tätigkeit als Angestellter in dem väterlichen Betrieb zusätzliche Entlohnungen in dem Jahre 1962, also - und das ist entscheidend - zusammengeballt in einem Jahr zugeflossen. Es ist zwar zutreffend, daß sich die einzelnen Tantiemen jeweils nur auf ein Einzeljahr beziehen. Der Zufluß insgesamt betrifft aber mehrere Jahre, weshalb hier von einer Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit ausgegangen werden kann. Der Sachverhalt unterscheidet sich insoweit nicht von dem von der Rechtsprechung in dem gleichen Sinne beurteilten Fall, daß einem Steuerpflichtigen die ihm für mehrere zurückliegende Jahre zustehenden Löhne oder Gehälter erst später, und zwar auf einmal, ausgezahlt werden. Auch in diesem Fall erzielt der Steuerpflichtige in einem Jahr Einkünfte für eine mehrjährige Tätigkeit, obwohl die Löhne jeweils nur die Entlohnung für die in den einzelnen Jahren (oder Lohnzahlungszeiträumen) geleistete Tätigkeit darstellen.
Das vorstehende Ergebnis ist durch den Wortlaut des § 34 Abs. 3 EStG gedeckt. Der BFH fordert - weil gegen den Wortlaut der genannten Vorschrift verstoßend - bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nicht mehr, daß die nach § 34 Abs. 3 EStG zu begünstigende Entlohnung für eine "abgrenzbare Sondertätigkeit" gezahlt wird (vgl. das Urteil VI 32/56 U, a. a. O.). Es genügt, daß für die zusammengeballte Entlohnung wirtschaftlich vernünftige Gründe vorliegen (vgl. die Urteile VI 32/56 U, a. a. O.; VI 267/61 U vom 2. Februar 1962, BFH 74, 340, BStBl III 1962, 130; VI 211/65 vom 30. August 1966, BFH 86, 512, BStBl III 1966, 545). Die Zusammenballung ist im Streitfall aber nicht willkürlich erfolgt, sondern durch den Tod des Vaters entstanden. Ohne dieses unvorhersehbare Ereignis wäre die Tantieme 1961 dem Steuerpflichtigen voraussichtlich im Jahre 1963, diejenige für 1962 im Jahre 1964 zugeflossen.
Gegen die Begünstigung des § 34 Abs. 3 EStG spricht im Streitfall auch nicht, daß der Zufluß der drei Tantiemen zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgte. Maßgebend ist vielmehr, daß der Zufluß während eines Jahres stattfand, so daß infolge der Zusammenballung ein Bedürfnis für eine Tarifbegünstigung besteht. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, zu den Einkünften in § 34 Abs. 3 EStG nur solche Einnahmen zu rechnen, die in einem Einmalbetrag zugewendet werden. Das läßt sich auch nicht aus der Überschrift des § 34 EStG, "außerordentliche Einkünfte", ableiten. Selbst wenn sich diese Überschrift auch auf Absatz 3 der genannten Vorschrift bezieht (so das angeführte Urteil des Senats VI 211/65), so ergibt sich doch nichts dafür, daß außerordentliche Einkünfte eine einmalige Zuwendung voraussetzen. Die Außerordentlichkeit kann vielmehr - wie hier - darin bestehen, daß der Steuerpflichtige eine ihm vertraglich schon früher zustehende Entlohnung aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen nicht rechtzeitig erhalten hat und daß die später zusammengeballt. Entlohnung wegen der Progression des Einkommensteuertarifs steuerliche Nachteile für ihn bringen würde.
Da das FG von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, das nach den vorstehenden Grundsätzen erneut zu entscheiden hat. Dabei wird es zu beachten haben, daß zum Zweck der Einkommensteuerveranlagung nur die Tantieme-Einkünfte des Steuerpflichtigen, nicht aber auch seine sonstigen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für das Jahr 1962, auf die Jahre verteilt werden dürfen, in deren Verlauf sie erzielt wurden.
Fundstellen
BStBl II 1970, 639 |
BFHE 1970, 306 |