Entscheidungsstichwort (Thema)
(Insolvenzverwaltertätigkeit von Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern - Vervielfältigungstheorie - Ziel einer Außenprüfung)
Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit als Insolvenzverwalter gehört nur dann zu den freiberuflichen Einkünften eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters, wenn sie isoliert die Voraussetzungen erfüllt, die an eine sonstige selbständige Tätigkeit gestellt werden.
Orientierungssatz
1. Die Vervielfältigungstheorie ist auf Angehörige der freien Berufe nicht mehr anzuwenden. Sie hat jedoch für die sonstige selbständige Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.3 EStG weiterhin Bedeutung.
2. Ziel einer Außenprüfung kann auch die Frage sein, ob der Steuerpflichtige tatsächlich einen Gewerbebetrieb unterhält. Das gilt unabhängig davon, ob die Prüfungsanordnung auf § 193 Abs.1 oder § 193 Abs.2 AO 1977 gestützt wird. Voraussetzung ist jedoch in beiden Fällen, daß konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer gewerblichen Betätigung gegeben sind.
Normenkette
AO 1977 § 193 Abs. 1; EStG § 18 Abs. 1 Nrn. 1, 3; AO 1977 § 193 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahre 1982 gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der in den Streitjahren die Steuerberater G, H und B zu je einem Drittel beteiligt waren. Die Gesellschafter waren zu gleichen Teilen bereits vorher --spätestens seit 1980-- an einer Steuerberatungsgesellschaft, nämlich der X-GmbH (GmbH) beteiligt. Außerdem waren sie auch freiberuflich als Steuerberater tätig. Einem Schreiben der Bevollmächtigten der GmbH an das Finanzamt für Körperschaften vom 24. November 1980 zufolge setzten sich die Einnahmen der GmbH nicht nur aus Steuerberatungshonoraren, sondern auch aus Einnahmen zusammen, die aus der Bestellung ihrer Gesellschafter als Konkurs- oder Vergleichsverwalter herrührten.
Die Einnahmen für diese Tätigkeiten wurden über die GmbH abgerechnet. Die GmbH stellte gegenüber den Gemeinschuldnern die Honorarrechnungen aus. Über sie liefen rechnungsmäßig auch alle Aufwendungen, die durch die Insolvenzverwaltung verursacht wurden. Die GmbH wies den rechnungsmäßig bei ihr entstandenen Gewinn aus der Insolvenzverwaltertätigkeit gewinnmindernd als Verbindlichkeit gegenüber ihren Gesellschaftern aus.
Die Gründung der Klägerin im Jahre 1982 diente nach ihrem Vorbringen in der Klagebegründung dem Ziel, in ihr die insolvenzrechtlichen Aktivitäten der Gesellschafter zusammenzufassen. Die GmbH stellte auch weiterhin den Gesellschaftern hierfür ihren Personal- und Verwaltungsapparat zur Verfügung und beglich die damit verbundenen Kosten aus den von ihr vereinnahmten Vergütungen für die Insolvenzverwaltungen.
Mit Verfügung vom 10. Februar 1989 ordnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bei der Klägerin eine Außenprüfung an, die auf § 193 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt war. Prüfungsgegenstand sollten die Umsatzsteuer und die gesonderten Einkünfte der Jahre 1983 bis 1987 sowie die Einheitswerte des Betriebsvermögens für die Stichtage 1. Januar 1983 bis 1988 sein. Mit der Prüfung wurde das Finanzamt für Körperschaften beauftragt, da gleichzeitig die GmbH geprüft wurde.
In einem Prüfungsvermerk vom 31. Juli 1989 teilte das Finanzamt für Körperschaften dem beklagten FA mit, daß die Tätigkeit der Klägerin nach der sog. Vervielfältigungstheorie als gewerblich angesehen werden müsse. Sie habe einen Umfang angenommen, der die Beschäftigung mehrerer Angestellter und die Einschaltung von Subunternehmern erforderlich mache. Mit Prüfungsanordnung vom 21. August 1989 erweiterte das FA daraufhin die Prüfung gemäß § 193 Abs.1 und Abs.2 Nr.2 AO 1977 auf die Gewerbesteuer 1983 bis 1987.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) als unbegründet zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage. Zur Begründung machte sie geltend, daß die Tätigkeit ihrer Gesellschafter als Insolvenzverwalter nach § 18 Abs.1 Nr.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu Einnahmen aus selbständiger Arbeit führten, die gewerbesteuerfrei seien.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat die angefochtene Prüfungsanordnung zu Recht für rechtmäßig gehalten. Ziel einer Außenprüfung kann auch die Frage sein, ob der Steuerpflichtige tatsächlich einen Gewerbebetrieb unterhält. Das gilt unabhängig davon, ob die Prüfungsanordnung auf § 193 Abs.1 AO 1977 oder auf § 193 Abs.2 AO 1977 gestützt wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Oktober 1990 VIII R 45/88, BFHE 163, 98, BStBl II 1991, 278 einerseits und BFH-Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208 andererseits). Voraussetzung ist jedoch in beiden Fällen, daß konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer gewerblichen Betätigung gegeben sind.
Solche Anhaltspunkte sind im Streitfall vorhanden; denn aufgrund der unangefochtenen Prüfungsfeststellungen wegen Umsatzsteuer und Gewinnfeststellung hat sich herausgestellt, daß für die Klägerin mehrere Angestellte und Subunternehmer tätig waren, wenn auch als deren Arbeitgeberin bzw. Auftraggeberin die GmbH aufgetreten sein mag. Es erscheint unter diesen Umständen rechtlich nicht ausgeschlossen, daß die Tätigkeit der Klägerin aufgrund der sog. Vervielfältigungstheorie als gewerblich anzusehen ist.
1. Die vom Reichsfinanzhof (RFH) und BFH entwickelte Vervielfältigungstheorie beruht auf folgenden Erwägungen: Zu den Wesensmerkmalen der selbständigen Arbeit gehört, daß sie in ihrem Kernbereich auf der eigenen persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers beruht (vgl. RFH-Urteil vom 8. März 1939 VI 568/38, RFHE 46, 258, RStBl 1939, 577). Nimmt die Tätigkeit einen Umfang an, der die ständige Beschäftigung mehrerer Angestellter oder aber die Einschaltung von Subunternehmern erforderlich macht, und werden den genannten Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere vorbereitende oder mechanische Aufgaben übertragen, so beruht sie nicht mehr auf der persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers und ist deshalb steuerrechtlich als gewerblich zu qualifizieren (BFH-Urteil vom 23. Mai 1984 I R 122/81, BFHE 141, 505, BStBl II 1984, 823). Aber auch dann, wenn nur Hilfskräfte beschäftigt werden, die ausschließlich untergeordnete Arbeiten erledigen, kann deren Umfang im Einzelfall den gewerblichen Charakter der Tätigkeit begründen (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1970 I R 123/69, BFHE 101, 215, BStBl II 1971, 239). Wann diese Voraussetzungen vorliegen, kann nur im Einzelfall nach dem Gesamtbild der Verhältnisse entschieden werden.
Die Vervielfältigungstheorie ist aufgrund der Neufassung des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG durch das Steueränderungsgesetz 1960 vom 30. Juli 1960 (BGBl I, 616, BStBl I, 514) auf Angehörige der freien Berufe nicht mehr anzuwenden. Sie hat jedoch für die sonstige selbständige Arbeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.3 EStG weiterhin Bedeutung (Abschn.136 Abs.3 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1990; Nieland in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 18 EStG Rdnr.292; Erdweg in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 18 EStG Anm.125; Sommer in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.175; Fitsch in Lademann/ Söffing, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.176; Blümich/ Hutter, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.112; Stuhrmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.B 215; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, § 18 Anm.6). Der Grund dafür liegt darin, daß die in § 18 Abs.1 Nr.3 EStG erfaßten Tätigkeiten ihrer Natur nach einer kaufmännischen Beschäftigung näher stehen als die in § 18 Abs.1 Nr.1 EStG genannten freien Berufe (Gollub, Anmerkungen zur Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 18, Rechtsspruch 388).
Die Frage, ob die Vervielfältigungstheorie auch dann anzuwenden ist, wenn die Hilfskräfte formal Arbeitnehmer oder Auftragnehmer einer beteiligungsidentischen GmbH sind, ist vom BFH bisher nicht entschieden worden. Sie kann nicht von vornherein verneint werden. Die abschließende rechtliche Beurteilung kann wegen der Bedeutung des Gesamtbildes der Verhältnisse erst aufgrund der im Rahmen der Außenprüfung getroffenen Feststellungen erfolgen. Dabei kann es insbesondere von Bedeutung sein, welche Art von Tätigkeiten die Gesellschafter der Klägerin einerseits und die Angestellten und Subunternehmer andererseits im Rahmen der Insolvenzverwaltungen ausüben und inwieweit die Angestellten und Subunternehmer dabei Weisungen der Gesellschafter der Klägerin unterworfen sind.
2. Die Klägerin kann sich demgegenüber in diesem --lediglich die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung betreffenden-- Verfahren nicht darauf berufen, die Insolvenzverwaltungen hätten zur freiberuflichen Tätigkeit ihrer Gesellschafter gehört, so daß es gemäß § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG unerheblich sei, wenn diese sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient hätten. Die Art der Einkünfte der Gesellschafter einer Personengesellschaft wird in erster Linie durch die Tätigkeit der Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, mithin durch die Tätigkeit der Gesellschaft bestimmt (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 761). Es verbietet sich danach, für die Beurteilung der Gewerblichkeit der Tätigkeit einer Personengesellschaft Sachverhalte zu berücksichtigen, die die Gesellschafter nicht in ihrer gesellschaftlichen Verbundenheit oder in wirtschaftlichem Zusammenhang damit im Rahmen der Mitunternehmerschaft, sondern losgelöst davon im Rahmen einer mit anderen Personen bestehenden Gesellschaft oder auch als Einzelpersonen verwirklichen (BFH-Urteile vom 20. November 1990 VIII R 15/87, BFHE 163, 66, BStBl II 1991, 345; vom 25. April 1991 IV R 111/90, BFHE 165, 188, BStBl II 1992, 283). Der Inhalt der Akten läßt darauf schließen, daß die Gesellschafter der Klägerin als Steuerberater nicht in der Klägerin zusammengeschlossen waren, sondern diesen Beruf in anders zusammengesetzten Sozietäten oder Einzelpraxen ausübten.
Allein der Umstand, daß es sich bei der Klägerin --wie sie behauptet-- um eine reine Innengesellschaft gehandelt haben könnte, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Sofern die Gesellschafter einer Innengesellschaft als Mitunternehmer anzusehen sind --was hinsichtlich der Klägerin durch die Außenprüfung zu klären wäre--, gelten für sie (die Gesellschafter) ebenfalls die vorstehend dargestellten Grundsätze (BFH-Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 761, 768).
3. Aber selbst wenn man die Auffassung vertreten wollte, allein wegen der Zugehörigkeit der Gesellschafter zum Steuerberaterberuf sei eine von der Gesellschaft ausgeübte selbständige Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.3 EStG den freiberuflichen Einkünften zuzurechnen, könnte die Klage keinen Erfolg haben. Allerdings hat der Senat mehrfach entschieden, daß bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Einkünfte aus einer sonstigen selbständigen Tätigkeit, insbesondere aus der eines Testamentsvollstreckers, zu den freiberuflichen Einkünften eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters gehören (Senatsurteile vom 28. Juni 1973 IV R 77/70, BFHE 110, 34, BStBl II 1973, 729; vom 6. September 1990 IV R 125/89, BFHE 161, 552, BStBl II 1990, 1028; vgl. auch FG Hamburg vom 13. April 1988 I 364/85, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1989, 21 m.w.N.). Das gilt jedoch nur dann, wenn es sich bei der von dem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ausgeübten Tätigkeit nach dem Gesamtbild der Umstände tatsächlich um eine sonstige selbständige Arbeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.3 EStG handelt, nicht dagegen, wenn sich die Tätigkeit als gewerblich darstellt. Die Grenze zur Gewerblichkeit kann auch wegen einer über das unschädliche Maß hinausgehenden Beschäftigung von Hilfskräften überschritten sein. Wann das im einzelnen der Fall ist, richtet sich nach dem oben (unter 1.) Ausgeführten nach den Umständen des Einzelfalls. Man mag die Meinung vertreten können, es sei unschädlich, wenn sich ein Steuerberater zur Ausübung seiner Tätigkeit als Testamentsvollstrecker oder Insolvenzverwalter der im Rahmen seiner Steuerkanzlei beschäftigten, und für diese Beschäftigung fachlich vorgebildeten Arbeitskräfte bedient. Jedoch ist die Grenze zur Gewerblichkeit jedenfalls überschritten, wenn die Tätigkeit als Insolvenzverwalter einen Umfang angenommen hat, der allein hierfür die Beschäftigung mehrerer Angestellter und die Einschaltung von Subunternehmern erforderlich macht und diesen Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere vorbereitende und mechanische Arbeiten übertragen werden. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Insolvenzverwalter weniger mit der Abwicklung in Konkurs geratener Unternehmen als mit der Sanierung notleidender Betriebe befaßt.
Fundstellen
Haufe-Index 65062 |
BStBl II 1994, 936 |
BFHE 175, 284 |
BFHE 1995, 284 |
BB 1994, 2256 |
BB 1994, 2256-2258 (LT) |
DB 1994, 2481-2482 (LT) |
DStR 1994, 1844-1845 (KT) |
DStZ 1995, 48-49 (KT) |
HFR 1995, 75-76 (LT) |
StE 1994, 666 (K) |