Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsbezüge bei unwiderruflicher Freistellung vom Dienst bis zur Versetzung in den Ruhestand
Leitsatz (amtlich)
Ermöglicht der Dienstherr zum Abbau von Personalüberhängen Beamten, die das 58. Lebensjahr vollendet und den Höchstruhegehaltssatz erreicht haben, in Form einer Sonderurlaubsregelung unwiderruflich die Freistellung vom Dienst unter Fortzahlung von 70 % der Besoldung bis zur Versetzung in den Ruhestand (sog. 58er-Regelung), so handelt es sich um einen "gleichartigen Bezug" i.S. des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG und damit um begünstigte Versorgungsbezüge.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 1 Buchst. a, § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a; SUrlV NW § 12 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob die während eines dem Ruhestand vorgeschalteten Sonderurlaubs gezahlten Bezüge steuerlich bereits als Versorgungsbezüge zu behandeln sind.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der am 16. April 1938 geborene Kläger war als Beamter in der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Antragsgemäß bewilligte die Oberfinanzdirektion (OFD) Münster mit Schreiben vom 15. November 1999 dem Kläger in Anwendung eines Ministererlasses vom 12. August 1999 i.V.m. § 12 Abs. 1 und 4 der Sonderurlaubsverordnung (SUrlV NW) unwiderruflich Sonderurlaub für die Zeit vom 1. Februar 2000 bis zum Beginn seines Ruhestandes mit Ablauf des Monats April 2001 unter Fortzahlung von 70 % der im letzten Monat vor der Beurlaubung zustehenden Besoldung. Der zitierte Erlass hat entsprechend einem Kabinettsbeschluss vom 10. August 1999 die Einführung einer sog. "58er-Regelung" zum Inhalt. Durch die Einführung dieser Regelung, so heißt es in dem Erlass, "im Beamtenbereich in NRW in Form einer Sonderurlaubsregelung nach § 12 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SUrlV NW wird eine Beurlaubung der Beamtin/des Beamten ab dem 58. Lebensjahr bei Personalüberhängen unter Fortzahlung von 70 % der Besoldung ermöglicht". Nach dem Erlass ist u.a. Voraussetzung für die Bewilligung des Sonderurlaubs, dass der Beamte das 58. Lebensjahr vollendet hat, einen unwiderruflichen Antrag stellt, den Höchstruhegehaltssatz von 75 % erreicht hat und verbindlich erklärt, die Versetzung in den Ruhestand zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen.
Mit Schreiben der OFD Münster vom 23. Januar 2001 wurde der Kläger antragsgemäß mit Ablauf des Monats April 2001 in den Ruhestand versetzt. Das Ruhegehalt des Klägers wurde auf 70,2 % der ruhegehaltsfähigen Bezüge festgesetzt.
Das Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV) wies die dem Kläger in der Zeit vom 1. Februar bis 31. Dezember 2000 geleisteten Bezüge (62 455 DM) auf der Lohnsteuerkarte als Versorgungsbezüge aus, nachdem der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2000 vom 25. März 2002 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit einen Versorgungsfreibetrag in Höhe von 6 000 DM sowie beschränkt abziehbare Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen) in Höhe von 18 637 DM, wobei er bei der Kürzung des Vorwegabzugs gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren (2000, 2001) geltenden Fassung (EStG) die ab Februar 2000 geleisteten Bezüge nicht einbezog.
Das LBV wies auf der Lohnsteuerkarte 2001 nur die ab Mai 2001 gezahlten Bezüge (48 077 DM) als Versorgungsbezüge aus. Es lehnte den Antrag des Klägers, dies zu korrigieren, ab. Es teilte darüber hinaus dem FA am 25. März 2002 mit, dass der Kläger erst ab 1. Mai 2001 Versorgungsbezüge erhalte.
Im daraufhin nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung geänderten Bescheid für 2000 berücksichtigte das FA den Versorgungsfreibetrag nicht mehr und ließ Vorsorgeaufwendungen unter Einbeziehung von sämtlichen in diesem Streitjahr gewährten Bezügen in die Kürzung des Vorwegabzugs nur in Höhe von 8 644 DM zum Abzug zu.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2001 berücksichtigte das FA in Übereinstimmung mit dem Eintrag auf der Lohnsteuerkarte nur die ab Mai 2001 gezahlten Bezüge als Versorgungsbezüge. Als Vorsorgeaufwendungen ließ es --unter Berücksichtigung nur eines nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG geminderten Vorwegabzugs-- 16 490 DM zum Abzug zu.
Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 51 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision machen die Kläger geltend, das Urteil verletze § 19 Abs. 2 EStG und die Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG. Im Übrigen sei das FA nicht berechtigt gewesen, den bestandskräftigen Steuerbescheid für das Streitjahr 2000 zu ihren Lasten zu ändern.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 12. April 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 19 830 DM in Abzug gebracht werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz handelt es sich bei den strittigen Bezügen um Versorgungsbezüge i.S. von § 19 Abs. 2 EStG. Die Frage, ob das FA befugt war, den angefochtenen Bescheid für das Streitjahr 2000 zu berichtigen, kann dahinstehen.
1. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. auch Ruhegelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 EStG bleibt von Versorgungsbezügen ein Betrag von 40 % dieser Bezüge, höchstens jedoch insgesamt ein Betrag von 6 000 DM (3 072 €) in den Streitjahren steuerfrei (Versorgungs-Freibetrag). Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG sind Versorgungsbezüge Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen, die als Ruhegehalt oder als gleichartiger Bezug auf Grund beamtenrechtlicher oder entsprechender gesetzlicher Vorschriften gewährt werden.
Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG stehen zusammen veranlagten Ehegatten für sog. Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EStG) als Höchstbetrag ein Vorwegabzug von 12 000 DM (6 136 €) zu. Der Vorwegabzug ist gemäß Satz 2 Buchst. a dieser Vorschrift um 16 % der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 EStG --ohne Versorgungsbezüge gemäß § 19 Abs. 2 EStG-- zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
2. Die dem Kläger in der Zeit vom 1. Februar 2000 bis zum 30. April 2001 gezahlten Bezüge sind solche aus früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Es handelt sich dabei zwar nicht um ein Ruhegehalt aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften, wohl aber um einen "gleichartigen Bezug" aus früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG (s.a. Urteil des Niedersächsischen FG vom 31. März 2004 7 K 393/99, EFG 2005, 299).
a) Gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 SUrlV NW kann die oberste Dienstbehörde mit Zustimmung des Finanzministeriums in Ausnahmefällen Sonderurlaub unter Belassung der Besoldung ohne Bindung an die in Satz 1 der Vorschrift normierten Voraussetzungen bewilligen. Mit dem FG ist davon auszugehen, dass die oberste Dienstbehörde in Nordrhein-Westfalen mit dem zitierten Erlass des Finanzministers vom 12. August 1999 (sog. 58er-Regelung) von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat mit der Folge, dass Beamte ab dem 58. Lebensjahr bei Personalüberhängen unter Fortzahlung der Besoldung eine Beurlaubung bis zum Eintritt des Versorgungsfalles in Anspruch nehmen können.
Entgegen der Ansicht des FG kann aus dieser Regelung nicht geschlossen werden, dass auf die Bezüge des beurlaubten Beamten § 19 Abs. 2 EStG nicht angewendet werden könne. Entscheidend ist, dass die von der "58er-Regelung" begünstigten Beamten auf Dauer von ihren amtlichen Verpflichtungen entbunden, also zur Erbringung von Dienstleistungen nicht mehr verpflichtet sind. Die Inanspruchnahme der Regelung hat die Unwiderruflichkeit des Antrags und die verbindliche Erklärung, die Versetzung in den Ruhestand zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen, zur Voraussetzung. Entsprechend ist dem Kläger auf seinen Antrag hin auch "unwiderruflich Sonderurlaub für die Zeit vom 01.02.2000 bis zum Beginn Ihres Ruhestandes …" bewilligt worden. Damit fehlt den Bezügen das wesentliche Merkmal der in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Bezüge, dass sie nämlich Gegenleistung für Dienstleistungen darstellen, die im gleichen Zeitraum geschuldet und erbracht werden. Die Bezüge während des Sonderurlaubs werden gewährt, obwohl Dienstleistungen nicht erbracht werden. Dieses Merkmal haben sie mit dem Ruhegehalt gemein. Das spricht entscheidend dafür, die Dienstbezüge als dem Ruhegehalt gleichartige Bezüge anzusehen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juni 1974 VI R 37/70, BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23).
b) Die Unterschiede gegenüber dem beamtenrechtlichen Ruhegehalt sind nicht so entscheidend, dass nicht von einem dem Ruhegehalt gleichartigen Bezug gesprochen werden könnte. Der Annahme eines Versorgungsbezugs steht nicht entgegen, dass der Kläger während des Sonderurlaubs Bezüge in Höhe von 70 % des im letzten Monat vor der Beurlaubung bezogenen Betrags bezieht und nicht ein nach den Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes berechnetes Ruhegehalt. Maßgeblich ist, dass den Bezügen die Funktion eines (vorgezogenen) Ruhegehalts zukommt (BFH-Urteil vom 1. März 1974 VI R 47/71, BFHE 111, 516, BStBl II 1974, 490). Dafür sprechen die Verknüpfung zwischen Sonderurlaub und Ruhestand und die an dem Ruhegehaltssatz ausgerichtete Besoldungshöhe.
Die vom FG im Übrigen aufgezeigten Unterschiede zwischen dem beamtenrechtlichen Ruhegehalt und der hier streitigen Besoldung sind letztlich sämtlich darauf zurückzuführen, dass das Dienstverhältnis bis zum Eintritt des Beamten in den regulären Ruhestand fortbesteht. Auf die Fortsetzung des Dienstverhältnisses kommt es jedoch in diesem Zusammenhang nicht an. § 19 Abs. 2 EStG ist nicht auf Bezüge und Vorteile aus einem früheren Dienstverhältnis beschränkt, sondern verlangt nur, dass es sich um Bezüge aus früheren Dienstleistungen handelt (BFH-Urteil in BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23).
3. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2001 ist dahingehend zu ändern, dass im Rahmen der Sonderausgaben der Vorwegabzug nicht gekürzt wird. Die Neuberechnung der Einkommensteuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 2144157 |
BFH/NV 2009, 829 |
BFH/PR 2009, 208 |
BStBl II 2009, 460 |
BFHE 2009, 310 |
DB 2009, 882 |
DStR 2009, 793 |
DStRE 2009, 572 |
DStZ 2009, 460 |
HFR 2009, 568 |