Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung für Arbeitnehmer; Entschädigungszusatzleistungen
Leitsatz (NV)
Erhält ein entlassener Arbeitnehmer neben dem Einmalbetrag monatliche Zuzahlungen zum Arbeitslosengeld, stellen diese regelmäßig ergänzende Zusatzleistungen aus sozialer Fürsorge dar, die unschädlich sind für die ermäßigte Besteuerung der Hauptleistung. Das gilt auch dann, wenn nach der Betriebsvereinbarung die Höhe der Gesamtentschädigung auf achtzehn Bruttomonatseinkommen beschränkt ist und deshalb einzelne Arbeitnehmer trotz Arbeitslosigkeit nicht in den Genuss der Zusatzleistungen kommen.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 1, § 24 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute.
Am 7. Mai 1993 hatte der Arbeitgeber des Klägers mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zum Ausgleich bzw. zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile von Arbeitnehmern beschlossen, die von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen waren. Nach dieser Vereinbarung war der Arbeitgeber verpflichtet, an die Arbeitnehmer im Falle des Ausscheidens eine Abfindung und bei einer anschließenden Arbeitslosigkeit zusätzlich einen Zuschuss zum Arbeitslosengeld zu gewähren. Unter der Tz. 1 "Abfindungen" enthielt die Vereinbarung folgende Regelungen:
"a) Der Mitarbeiter erhält bei seinem Ausscheiden als Abfindung: … (Einmalbetrag)
b) Der Mitarbeiter erhält für die Zeit, für die Arbeitslosengeld bezogen wird, eine weitere Abfindung in monatlichen Raten, mit der das Arbeitslosengeld auf 85 % (eines fiktiven Nettogehalts gemäß Buchst. D der Vereinbarung) aufgestockt wird. …
c) Die Abfindungsbeträge gemäß a) und b) dürfen zusammen 18 Bruttomonatseinkommen nicht übersteigen."
Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete betriebsbedingt zum 31. Dezember 1993. Aufgrund der Betriebsvereinbarung erhielt der Kläger noch im Dezember 1993 eine steuerfreie Zahlung von 24 000 DM, im Januar das Streitjahres 1994 eine Einmalzahlung von 69 545 DM und in den folgenden 18 Monaten (von Februar 1994 bis einschließlich Juli 1995) jeweils 1 258,50 DM. Der vom Arbeitgeber im Streitjahr 1994 gezahlte Betrag belief sich auf insgesamt 83 388,50 DM. Auf der Lohnsteuerkarte war dieser Betrag nicht als begünstigt zu besteuernde Entschädigung, sondern als gewöhnlicher Arbeitslohn ausgewiesen. Der Arbeitgeber hatte darauf die tarifmäßige Lohnsteuer einbehalten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte erklärungsgemäß.
Im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 machte der Kläger geltend, dass der Betrag von 83 388,50 DM ermäßigt zu besteuern sei. Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2002, 469). Es sah die Einmalzahlung und die gesamten monatlichen Raten zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes als einheitliche Entschädigungsleistung an und versagte die Tarifbegünstigung mit der Begründung, dass die Entschädigung nicht zusammengeballt zugeflossen sei. Ein Ausnahmefall, bei dem eine Begünstigung auch dann in Betracht kommt, wenn eine Entschädigung in Teilbeträgen gezahlt wird, liege im Streitfall nicht vor. Insbesondere könnten die monatlichen Raten zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes nicht als "Ausfluss der fortdauernden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers" (Hinweis auf Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Februar 1998 XI B 108/97, BFH/NV 1998, 1082, sowie auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 18. Dezember 1998 IV A 5 -S 2290-18/98, BStBl I 1998, 1512) und als unschädlich für die begünstigte Besteuerung angesehen werden. Die Regelung in der Betriebsvereinbarung sei so ausgestaltet, dass die Mitarbeiter neben der Einmalabfindung für die Zeit des Bezugs des Arbeitslosengeldes "eine weitere Abfindung in monatlichen Raten" zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes auf 85 % eines fiktiven Nettogehalts erhalten sollten. Die Zahlungen beruhten deshalb auf einem einheitlichen Rechtsgrund und seien einheitlich zu beurteilen.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vortragen, dass es sich bei den monatlichen Zuzahlungen zum Arbeitslosengeld um Entschädigungszusatzleistungen handele, die aus Gründen der sozialen Fürsorge erbracht worden seien und die nach der Rechtsprechung des Senats unschädlich für die begünstigte Besteuerung der Hauptentschädigung seien.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 7. Februar 1996 dahin gehend zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 83 388,50 DM mit dem halben Steuersatz nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteuert werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist weiterhin der Auffassung, dass die monatlichen Aufstockungsbeträge nicht als Entschädigungszusatzleistungen beurteilt werden könnten. Das ergebe sich aufgrund folgender Überlegungen: 1. Die Betriebsvereinbarung begrenze die zu zahlende Gesamtabfindung auf maximal 18 Bruttomonatseinkommen. Damit würde ein Teil der Arbeitnehmer, der vielleicht am dringendsten auf Fürsorgeleistungen angewiesen sei, keine Zuzahlungen zum Arbeitslosengeld erhalten. 2. Die Kappung der Gesamtabfindung sei selbst ein wichtiges Indiz dafür, dass es sich bei der Vereinbarung der Zuzahlungen lediglich um eine Berechnungsgröße für die Gesamtabfindung und nicht um eine zusätzliche Fürsorgeleistung handele. 3. Die Betriebsvereinbarung enthalte eine eigene Regelung für "Härtefälle", was ebenfalls dafür spreche, dass die Aufstockung lediglich Berechnungsgröße sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die dem Kläger im Streitjahr zugeflossenen Abfindungsbeträge von insgesamt 83 388,50 DM sind ermäßigt nach § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern.
1. Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche und nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuernde Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Sowohl der vom Arbeitgeber des Klägers geleistete Einmalbetrag als auch die monatlichen Zahlungen zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes verfolgten den Zweck, dem Kläger Ersatz i.S. des § 24 Nr. 1 EStG für den durch den Verlust seines Arbeitsplatzes bedingten Einnahmeverlust zu leisten. Das FG ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass sämtliche Zahlungen als Teil einer einheitlich zu beurteilenden Entschädigung anzusehen sind, da sie Ersatz für ein und dasselbe Schadensereignis darstellen (vgl. BFH-Urteile vom 6. März 2002 XI R 16/01, BFHE 198, 484, BFH/NV 2002, 1379, und vom 3. Juli 2002 XI R 80/00, BFHE 199, 395, BFH/NV 2002, 1645). Zu Unrecht hat das FG hingegen angenommen, dass die dem Kläger im Streitjahr zugeflossene Entschädigung (Einmalbetrag von 69 545 DM zuzüglich elf monatliche Aufstockungsbeträge von insgesamt 13 843,50 DM) nicht begünstigt besteuert werden könne, weil der Kläger im Jahr 1995 weitere monatliche Aufstockungszahlungen erhalten habe.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 28. Juli 1993 XI R 74/92, BFH/NV 1994, 368, und vom 2. September 1992 XI R 63/89, BFH/NV 1993, 23) sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG zwar nur dann gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Bei einer Entschädigungszahlung, die sich auf zwei oder mehr Veranlagungszeiträume verteilt, liegt ein zusammengeballter Zufluss nicht vor; eine Anwendung des § 34 EStG kommt deshalb in solchen Fällen grundsätzlich nicht in Betracht.
3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der Senat allerdings in solchen Fällen für geboten, in denen --neben der Hauptentschädigungsleistung-- in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden (vgl. dazu BFH-Urteile vom 14. August 2001 XI R 22/00, BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180, und vom 24. Januar 2002 XI R 43/99, BFH/NV 2002, 717). Dies sind beispielsweise solche Leistungen, die der Arbeitgeber dem entlassenen Arbeitnehmer zur Erleichterung des Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an eine dauerhafte Berufsaufgabe und Arbeitslosigkeit erbringt. Sie setzen keine Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers voraus. Soziale Fürsorge ist allgemein im Sinne der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich. Derartige ergänzende Zusatzleistungen, die Teil der einheitlichen Entschädigung sind, sind unschädlich für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung. Diese Auslegung leitet der Senat aus einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ab.
4. Nach diesen Grundsätzen ist die in der Ausscheidensvereinbarung geregelte Verpflichtung des Arbeitgebers, denjenigen Arbeitnehmern, die nach der Entlassung arbeitslos geblieben sind, "eine weitere Abfindung" in monatlichen Raten zu zahlen, mit der das Arbeitslosengeld auf 85 % des errechneten Nettobetrages aufgestockt wird, als ergänzende Zusatzleistung zu beurteilen, die für die ermäßigte Besteuerung der Hauptleistung unschädlich ist. Dem steht nicht entgegen, dass in der Vereinbarung die Höhe der Gesamtentschädigung auf 18 Bruttomonatseinkommen beschränkt wird. Diese Regelung mag zur Folge haben, dass einzelne Arbeitnehmer nicht in den Genuss von ergänzenden Zusatzleistungen kommen. Sie ändert aber nichts daran, dass die Zusatzzahlungen, die der Kläger und andere entlassene Arbeitnehmer zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes erhalten haben, aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine bestimmte Übergangszeit geleistet worden sind.
Unschädlich für die begünstigte Besteuerung der im Streitjahr zugeflossenen Entschädigung ist auch der steuerfreie Zufluss eines Betrages von 24 000 DM im Jahr 1993, der ebenfalls zur Gesamtentschädigung des Klägers gehört. Denn steuerfreie Einkünfte gemäß § 3 Nr. 9 EStG sind bei der Beurteilung der Zusammenballung von Einkünften gemäß § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 2. September 1992 XI R 44/91, BFHE 169, 98, BStBl II 1993, 52).
Fundstellen
Haufe-Index 1412447 |
BFH/NV 2005, 1772 |
EStB 2005, 365 |
LGP 2005, 166 |
NWB direkt 2005, 9 |
WISO-SteuerBrief 2005, 4 |