Einheitliche Entschädigung bei mehreren Teilleistungen aufgrund Arbeitsplatzverlusts
Hintergrund: Ermäßigte Besteuerung einer Abfindung
Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Voraussetzung der tarifbegünstigten Besteuerung ist nach ständiger Rechtsprechung jedoch eine Zusammenballung von Einkünften im Veranlagungszeitraum des Zuflusses (BFH, Urteil v. 26.1.2011, IX R 20/10, BStBl 2012 II S. 659). Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird. Fraglich war im Urteilsfall, ob die in den Streitjahren 2015 und 2016 zugeflossenen Abfindungsleistungen als außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 EStG ermäßigt zu besteuern sind.
Sog. Startprämie für die vorzeitige Beendigung der Weiterbeschäftigung
Im Urteilsfall schlossen der Kläger und sein Arbeitgeber infolge von Umstrukturierungs- und Arbeitsplatzabbaumaßnahmen unter Beteiligung einer Transfergesellschaft, einen dreiseitigen Vertrag (Z-Vertrag). Hiernach wurde der bisherige Arbeitsvertrag aufgehoben. Gleichzeitig wurde die befristete Weiterbeschäftigung in verschiedenen Transfergesellschaften vereinbart. Als Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes wurde dem Kläger zum einen ein Festbetrag als Abfindung zugesagt. Zusätzlich sah der Vertrag u.a. eine sog. Startprämie vor. Hiernach sollte der Kläger für jeden vollen Monat der Nichtinanspruchnahme der Leistungen der Transfergesellschaft einen der Höhe nach gestaffelten Geldbetrag erhalten. Im Prinzip sollten die Zahlungen umso höher sein, je schneller der Arbeitnehmer einen neuen Arbeitgeber fand und dementsprechend das Beschäftigungsverhältnis bei der Transfergesellschaft beendigte.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärten die Kläger bei "Entschädigungen/Arbeitslohn für mehrere Jahre" einen Betrag in Höhe von 115.700 EUR (2015) und in Höhe von 59.250 EUR (2016). Das Finanzamt (FA) unterwarf diese Beträge der tariflichen Einkommensteuer. Die Klage, mit der die Kläger die ermäßigte Besteuerung der Abfindungszahlungen nach § 34 EStG begehrten, hatte keinen Erfolg.
Entscheidung: Keine tarifbegünstigte Besteuerung der Abfindungszahlungen
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die dem Kläger in den Streitjahren zugeflossenen Abfindungszahlungen nicht nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu besteuern sind. Die Entschädigungsleistungen wurden als Ersatz für dasselbe Schadensereignis, den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt. Da die Auszahlung in zwei Veranlagungszeiträumen erfolgte, liegt keine Zusammenballung von Einkünften vor (vgl. auch BMF, Schreiben v. 1.11.2013, BStBl I 2013, S. 1326, Rz. 8).
Zahlungen sind als einheitliche Entschädigung anzusehen
Werden zwei oder mehrere Entschädigungszahlungen in aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen nicht zum Ausgleich für dasselbe Schadensereignis, etwa den Verlust eines Arbeitsplatzes, sondern für jeweils unterschiedliche Schadensereignisse erbracht, ist nicht von einer einheitlichen Entschädigungszahlung auszugehen.
Im Urteilsfall war jedoch eine einheitliche Entschädigung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Ohne Erfolg wenden die Kläger ein, das vorzeitige Ausscheiden aus der Transfergesellschaft stelle ein weiteres – isoliert zu betrachtendes – Schadensereignis dar, welches das ursprüngliche Schadensereignis – strukturbedingter Wegfall des (ursprünglichen) Arbeitsplatzes überlagert habe. Denn alle vertraglichen Modalitäten wurden im Wege des Z-Vertrages gleichzeitig und unter Beteiligung aller Vertragspartner, der damaligen Arbeitgeberin, dem Kläger sowie der Transfergesellschaft, verbindlich geregelt. Die verschiedenen vertraglichen Bestandteile sind im Streitfall untrennbar verbunden, aufeinander abgestimmt und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Dementsprechend ist auch die sog. Startprämie Teil einer einheitlich zu beurteilenden Entschädigung. Auch wenn sie nur infolge der Kündigung des Vertragsverhältnisses mit der Transfergesellschaft gezahlt wurde, stellt sie doch den letzten Akt der Abwicklung des Arbeitsplatzes des Klägers dar.
BFH Urteil vom 06.12.2021 - IX R 10/21 (veröffentlicht am 19.05.2022)
Hinweis: Ausnahmen vom Grundsatz der Zusammenballung
Eine Ausnahme vom Grundsatz der Zusammenballung in einem Veranlagungszeitraum hält der BFH grundsätzlich in solchen Fällen für geboten, in denen – neben der Hauptentschädigungsleistung – in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden (vgl. dazu BFH-Urteile v. 14.8.2001, XI R 22/00, BStBl II 2002, S. 180, und vom 24.1.2002, XI R 43/99, BStBl II 2004, S. 442). Nach seinem Zweck ist § 34 Abs. 1 EStG trotz Zuflusses einer einheitlichen Abfindung in zwei verschiedenen Veranlagungszeiträumen außerdem auch dann anwendbar, wenn der Steuerpflichtige die ganz überwiegende Hauptleistung in einem Betrag und daneben nur eine geringfügige Teilleistung in einem anderen Veranlagungszeitraum erhält. Im Urteilsfall handelte es sich bei den Zahlungen im Jahr 2016 jedoch weder um eine Leistung der sozialen Fürsorge noch um eine unschädliche geringfügige Teilleistung.
Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt
Die o.g. Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 19.5.2022 als NV-Entscheidung abrufbar, BFH/NV 2022, 717.
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