Leitsatz (amtlich)
Dem angestellten Geschäftsführer einer Innungskrankenkasse steht eine Arbeitnehmer-Sparzulage nicht zu, da er Mitglied des Vorstands ist, der zur gesetzlichen Vertretung der Kasse berufen ist. 2. Zur Inanspruchnahme des Arbeitgebers für zu Unrecht gezahlte Arbeitnehmer-Sparzulagen. 3. VermBG (in der Fassung vom 27. Juni 1970) § 1 Abs. 3 a, § 13 Abs. 3 und 6; Selbstverwaltungsgesetz (in der Fassung vom 23. August 1967, BGBl I 1967, 918) § 1 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 15 Abs. 3 Satz 1; GG Art. 3 Abs. 1.
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) forderte nach einer Lohnsteueraußenprüfung durch Haftungsbescheid von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer gesetzlichen Krankenkasse, die Arbeitnehmer-Sparzulagen zurück, die die Klägerin in den Jahren 1971 und 1972 an ihren Geschäftsführer gezahlt hatte, da dieser zu dem nach § 1 Abs. 3 des Dritten Vermögensbildungsgesetzes (3. VermBG) ausgeschlossenen Personenkreis gehöre.
Das FG gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Seine Entscheidung ist in den EFG 1975, 95, veröffentlicht. Es führte u. a. aus: § 1 Abs. 3 des 3. VermBG sei nicht anzuwenden, da der Geschäftsführer der Klägerin kein Mitglied des zur Vertretung der Klägerin berufenen Organs und auch nicht selbst ein Organ in diesem Sinne sei. Das Gesetz über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung (Selbstverwaltungsgesetz - SVwG -) i. d. F. vom 23. August 1967 (BGBl I 1967, 918) kenne als "Organe der Selbstverwaltung" nur die Vertreterversammlung und den Vorstand, jedoch nicht den Geschäftsführer. Dieser sei zwar nach § 15 Abs. 4 SVwG hinsichtlich der laufenden Verwaltungsgeschäfte des Versicherungsträgers zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung befugt. Diese eingeschränkte Vertretungsbefugnis sei aber keine gesetzliche Vertretung im üblichen Sinne. Der Geschäftsführer sei kein echtes Vorstandsmitglied, da er dem Vorstand nach § 15 Abs. 3 SVwG, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur mit beratender Stimme angehöre. Der Geschäftsführer sei nicht nur dienstrechtlich, sondern auch funktionell eher mit einem Beamten als mit einem Mitglied des Vertretungsorgans vergleichbar. Angesichts der vorrangig sozialpolitischen Zielsetzung des Dritten Vermögensbildungsgesetzes und der Einbeziehung aller Beamten und Richter, die arbeitsrechtlich nicht als Arbeitnehmer gelten, sei die Ausschließungsvorschrift eng auszulegen.
Mit der von dem FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung des § 1 des 3. VermBG und beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen. Es trägt vor: Abgesehen von dem in § 1 Abs. 4 des 3. VermBG genannten Personenkreis könnten nur solche Personen die Arbeitnehmer-Sparzulage erhalten, die Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn seien. Personen, die gesetzlich zur Vertretung juristischer Personen berufen seien, übten Arbeitgeberfunktionen aus und seien nach dem arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff keine Arbeitnehmer. Auf den Umfang der Vertretungsbefugnis komme es nicht an. Der Geschäftsführer der Innungskrankenkasse gehöre, wenn auch zum Teil nur mit beratender Stimme, tatsächlich zum Vorstand und sei außerdem nach der Rechtsprechung des BAG als zweites selbständiges Vertretungsorgan der Krankenkasse anzusehen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, und trägt u. a. vor: Der Geschäftsführer einer Krankenkasse verfüge im Vorstand nur über eine beratende Stimme. Er habe die laufenden Geschäfte zu führen. Nur insoweit vertrete er den Versicherungsträger gerichtlich und außergerichtlich, wobei der Vorstand ihm Beschränkungen auferlegen könne. Er könne gegenüber den übrigen Angestellten der Krankenkasse nicht als Arbeitgeber angesehen werden. Dienst-, Arbeits- und Ausbildungsverträge seien grundsätzlich zwischen den Mitarbeitern und dem Vorstand abzuschließen. Im Gegensatz dazu seien die Rechte der Geschäftsführer sowie der Mitglieder der Geschäftsführung der Rentenversicherungsträger erheblich stärker, da sie bei der Aufstellung des Haushalts, des Stellenplans und der Vermögensanlage ein Stimmrecht und damit eine echte Einwirkungsmöglichkeit auf Beschlüsse des Vorstandes mit größerer Tragweite hätten. Diese Personen seien Beamte und als solche in die Vermögensbildung einbezogen. Der unterschiedliche Status beruhe jedoch nicht auf der Aufgabenstellung, sondern auf den jeweiligen dienstrechtlichen Verhältnissen des Versicherungsträgers, und könne kein sachlicher Grund für eine uneinheitliche Behandlung bei der Vermögensbildung sein.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Ergebnis nicht begründet.
1. Entgegen der Auffassung des FG hat die Klägerin ihrem Geschäftsführer die Arbeitnehmer-Sparzulagen zu Unrecht gezahlt. Die Anwendung der Vorschriften des Dritten Vermögensbildungsgesetzes ist nach § 1 Abs. 3 a des 3. VermBG ausgeschlossen, da der Geschäftsführer Mitglied des Vorstandes der Klägerin ist. Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse (§ 225 Abs. 1 RVO) und unterliegt als Träger der Sozialversicherung (§ 3 Abs. 1 RVO) dem Selbstverwaltungsgesetz. Der Vorstand ist ein Organ der Selbstverwaltung (§ 1 Abs. 1 SVwG) der Klägerin, vertritt diese gerichtlich und außergerichtlich und hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (§ 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SVwG). Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SVwG gehört der Geschäftsführer dem Vorstand an und ist damit Mitglied des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung berufen ist, gleichgültig, ob er im Vorstand nur eine beratende oder eine mitbeschließende Stimme hat.
Dem Ausschluß des in § 1 Abs. 3 des 3. VermBG genannten Personenkreises von der staatlichen Vermögensbildung liegt der Gedanke zugrunde, daß Personen, die Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen und deshalb nicht zu den Arbeitnehmern im arbeitsrechtlichen Sinn gehören, nicht an der staatlichen Vermögensbildung teilhaben sollen (vgl. Begründung zu dem Gesetz zur Änderung des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes vom 3. September 1969, BGBl I 1969, 1563, BStBl I 1969, 569, in der Bundestags [BT]-Drucksache V/3532). Um dies zu erreichen, hat der Gesetzgeber eine Abgrenzung gewählt, wie sie auch in arbeitsrechtlichen Gesetzen gebraucht wird (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes - ArbGG -, § 5 Abs. 2 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Kündigungsschutzgesetzes, § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitordnung; siehe auch § 22 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG und § 16 Abs. 4 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes, wonach Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer juristischer Personen zu ehrenamtlichen Arbeits- und Sozialrichtern aus den Kreisen der Arbeitgeber berufen werden können). Wie der Senat bereits zu dem Zweiten Vermögensbildungsgesetz entschieden hat, stellt die Herausnahme des bezeichneten Personenkreises aus der staatlichen Vermögensförderung keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dar, da der Gesetzgeber im Rahmen seines bei Gewährung von Vergünstigungen besonders weiten Ermessensspielraums gehandelt hat (Urteil vom 19. Dezember 1969 VI R 155/67, BFHE 98, 34, BStBl II 1970, 243).
Dies gilt auch, soweit die Klägerin geltend macht, ihr Geschäftsführer werde im Vergleich zu einem beamteten Geschäftsführer benachteiligt, da ein solcher, obwohl er dieselbe Funktion ausübe, nach § 1 Abs. 4 des 3. VermBG berücksichtigt werde. Auch wenn dieses Ergebnis im Einzelfall unbillig erscheinen mag, wird der Gleichheitssatz durch die allgemeine Einbeziehung der Beamten nicht verletzt. Denn diese Differenzierung vermeidet bei der Anwendung des Gesetzes Auslegungsstreitigkeiten, ob ein Beamter im Bereich der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltungen einem Organmitglied entspricht. Sie gewährleistet damit die für die Verwaltung notwendige Praktikabilität in einem Massenverfahren, wie es die Gewährung der Arbeitnehmer-Sparzulage mit sich bringt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber in einem vertretbaren Ausmaß aus praktischen Erfordernissen einer typisierenden Regelung den Vorzug vor einer völligen Gerechtigkeit gibt (vgl. Beschlüsse vom 21. April 1964 2 BvR 203, 206, 219, 221/62, BVerfGE 17, 337 [354], und vom 14. November 1969 1 BvL 4/69, BVerfGE 27, 220 [230]). Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber den ihm auch insoweit zustehenden Ermessensspielraum eingehalten. Das Dritte Vermögensbildungsgesetz knüpft ohnehin für die Gewährung der Sparzulage an Einkommensgrenzen an (§ 12 Abs. 1 Satz 1 des 3. VermBG), die bei Personen, die eine arbeitgeberähnliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 des 3. VermBG ausüben, in den meisten Fällen überschritten sein dürften. Deshalb kommt es regelmäßig nicht darauf an, ob sie schon nach § 1 Abs. 3 des 3. VermBG von den staatlichen Förderungsmaßnahmen ausgeschlossen sind oder nicht.
Die Anwendung des Dritten Vermögensbildungsgesetzes auf den Geschäftsführer der Klägerin kann auch nicht aus § 1 Abs. 4 des 3. VermBG hergeleitet werden. Zwar ist die Klägerin als gesetzliche Krankenkasse eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 225 RVO Anm. 6). Der Geschäftsführer ist jedoch aufgrund eines privatrechtlichen Dienstvertrags angestellt und somit nicht Beamter im Sinne des öffentlichen Dienstrechts. Soweit die Klägerin nach ihrer Dienstordnung Vorschriften des Landesbeamtengesetzes im Verhältnis zu ihren Angestellten anwendet, wird dadurch nur der Inhalt der Dienstverträge bestimmt, ohne daß die Angestellten dadurch zu Beamten der Klägerin werden.
2. Gleichwohl ist das Urteil des FG im Ergebnis zu bestätigen, da das FA zu Unrecht die Klägerin für die Rückzahlung der Arbeitnehmer-Sparzulagen in Anspruch genommen hat. Nach § 13 Abs. 3 des 3. VermBG (i. V. m. § 7 der Verordnung zur Durchführung der lohnsteuerlichen Vorschriften des Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer) hat grundsätzlich der Arbeitnehmer die zu Unrecht gewährte Arbeitnehmer-Sparzulage zurückzuzahlen. Zwar haftet nach § 13 Abs. 6 Satz 1 des 3. VermBG auch der Arbeitgeber für die Rückzahlung. Damit ist seine Inanspruchnahme aber nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Das FA hat vielmehr nach billigem Ermessen zu prüfen, bei welchem der beiden Gesamtschuldner es die Forderung geltend machen soll (§ 7 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 2 Abs. 2 StAnpG). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei der Lohnsteuer die Geltendmachung der Arbeitgeberhaftung nicht gerechtfertigt, wenn die Steuer ebenso leicht von dem Arbeitnehmer eingezogen werden kann und der Arbeitgeber nicht bewußt oder leichtfertig den Steuerabzug unterlassen hat (vgl. Urteile vom 10. Januar 1964 VI 262/62 U, BFHE 78, 560, BStBl III 1964, 213, und vom 14. April 1967 VI R 23/66, BFHE 88, 457, BStBl III 1967, 469). Das gleiche muß für die Haftung des Arbeitgebers für zu Unrecht gezahlte Arbeitnehmer-Sparzulagen gelten. Im Streitfall ist demgemäß die Arbeitgeberhaftung nicht gerechtfertigt. Die bei der Lohnsteuerprüfung festgestellte Nachforderung betraf nur eine dem FA bekannte Person, den Geschäftsführer, der aufgrund seines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses auch in der Lage sein dürfte, die Sparzulagen zurückzuzahlen. Auch ist der Klägerin zuzubilligen, daß sie sich über eine nicht ganz einfach zu beurteilende Rechtsfrage geirrt hat, so daß von einer groben und offensichtlichen Verletzung der ihr obliegenden Verpflichtungen nicht gesprochen werden kann. Für eine Inanspruchnahme der Klägerin als Arbeitgeber bestand danach kein Anlaß.
Fundstellen
Haufe-Index 72125 |
BStBl II 1977, 53 |
BFHE 1977, 320 |
NJW 1977, 167 |