Leitsatz (amtlich)
1. Die Vergütung in einem privatrechtlichen Ausbildungsdienstverhältnis gehört, auch soweit ihr Unterhaltscharakter zukommt, zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.
2. Die Erhebung geringfügiger Lohnsteuer-Abzugsbeträge bei einer Ausbildungsvergütung von 580 DM monatlich verstößt nicht gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 39b Abs. 2
Verfahrensgang
FG Hamburg (Entscheidung vom 18.03.1980; Aktenzeichen III 158/79) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beschäftigte in seiner Steuerberaterpraxis die Auszubildende P, deren Ausbildungsvergütung für den Monat März 1979 580 DM und für den Monat April 1979 675 DM betrug. Der Kläger teilte dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) mit, daß er die Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuerabzugsbeträgen von besagten Ausbildungsvergütungen für grundgesetzwidrig halte und bat zur Klärung der Rechtsfrage um Erteilung eines Haftungsbescheides. Er war der Auffassung, die Besteuerung verstoße gegen den Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes --GG--), da gleichhohe Förderungsbeträge nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) steuerfrei seien und da Arbeitslöhne in dieser Höhe unter den Lohnpfändungsgrenzen als gesetzlich garantiertem Existenzminimum lägen.
Darauf erließ das FA am 8.Mai 1979 einen Haftungsbescheid, mit dem es vom Kläger für die Monate März und April 1979 Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer forderte.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit den in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, 342 und 345 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, die Ausbildungsvergütung stelle keinen Arbeitslohn dar. Jedenfalls sei deren steuerliche Erfassung mit dem GG nicht vereinbar.
Der Kläger beantragt, die angefochtenen Vorentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Das FA hat den Kläger zu Recht im Wege der Haftung in Anspruch genommen, weil er es unterlassen hat, vom laufenden Arbeitslohn Lohnsteuer nach den Merkmalen der Lohnsteuerkarte einzubehalten und abzuführen (§ 42d Abs.1 Nr.1, § 39b Abs.2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
a) Die vom Kläger gezahlte Ausbildungsvergütung wurde für eine Beschäftigung im privaten Dienst gewährt. Sie gehörte deshalb zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs.1 Nr.1 EStG).
Eine Zuwendung ist Arbeitslohn, wenn sie durch ein Dienstverhältnis veranlaßt ist. Das ist der Fall, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.Dezember 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39, und vom 7.Dezember 1984 VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164). Ein Dienstverhältnis ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet, d.h. wenn er in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs.2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung --LStDV--).
Das trifft auch bei einem Ausbildungsdienstverhältnis zu. Zwar handelt es sich um ein Dienstverhältnis besonderer Art, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist. So dürfen nur Verrichtungen übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und den körperlichen Kräften des Auszubildenden angemessen sind (§ 6 Abs.2 des Berufsbildungsgesetzes --BBiG--). In diesem Rahmen hat der Auszubildende jedoch den Weisungen Folge zu leisten (§ 9 Satz 2 BBiG) und auch hierfür wird er entlohnt. Allerdings ist die Ausbildungsvergütung Entgeltzahlung und Unterhaltsbeitrag (Urteil des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 13.Dezember 1972 4 AZR 89/72, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis --AP-- Nr.26 zu § 611 BGB "Lehrverhältnis"). Sie wird indessen nur gewährt, wenn der Auszubildende dem Dienstherrn seine Dienste, wenn auch zum Zwecke der Ausbildung, zur Verfügung stellt und wenn er sich dessen Weisungen unterwirft (BFH-Urteil vom 12.August 1983 VI R 155/80, BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718).
Dementsprechend hat der Senat wiederholt entschieden, daß Vergütungen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, welches der Ausbildung des betreffenden Leistungsempfängers dient, steuerrechtlich Arbeitslohn darstellen (Urteile vom 28.September 1984 VI R 127/80, BFHE 142, 255, BStBl II 1985, 87; VI R 144/83, BFHE 142, 258, BStBl II 1985, 89, und vom 19.April 1985 VI R 131/81, BFHE 143, 572, BStBl II 1985, 465). Gleiches gilt für privatrechtliche Ausbildungsdienstverhältnisse. Hiervon ist der Senat bei der Beurteilung von Sonderzuwendungen an Auszubildende in der Vergangenheit stillschweigend ausgegangen (Urteile vom 4.Mai 1962 VI 154/60 U, BFHE 75, 34, BStBl III 1962, 281, und vom 19.Juli 1974 VI R 114/71, BFHE 114, 28, BStBl II 1975, 181). Auch in der Literatur herrscht ganz überwiegend Einvernehmen darüber, daß Vergütungen aufgrund eines Ausbildungsdienstverhältnisses steuerrechtlich als Arbeitslohn anzusehen sind (Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 19 Anm.5 i S.25; Nissen in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 19 Rdnr.61, Stichwort: "Lehrlingsvergütungen"; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: "Lehrlinge"; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 19 EStG Anm.40, Stichwort: "Auszubildender"; Klein/Flockermann/Kühr, Einkommensteuergesetz, 3.Aufl., § 19 Rdnr.205; Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 19 Anm.45, Stichwort: "Auszubildende"; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 13.Aufl., § 19 Rdnr.16 f.; Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 19 C Rdnr.253, Stichwort: "Lehrling"; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 4.Aufl., § 19 Anm.6, Stichwort: "Auszubildende"; anderer Ansicht E.Schmidt, Betriebs-Berater --BB-- 1983, 1092, 1094).
b) Die auf den Vergleich mit Ausbildungsbeihilfen gestützten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
Wie dargelegt, sind Vergütungen für im Rahmen eines Dienstverhältnisses erbrachte Ausbildungsleistungen Arbeitslohn, gleichgültig ob sie auf öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Grundlage zugewendet werden. Davon zu trennen ist die Frage, ob anläßlich einer Ausbildung außerhalb eines Dienstverhältnisses als Beihilfen gewährte wiederkehrende Bezüge steuerbar bzw. aufgrund besonderer Vorschriften --wie etwa § 3 Nr.11 und 44 EStG-- steuerbefreit sind. Hiermit werden in wesentlichen Punkten ungleiche Sachverhalte angesprochen, deren unterschiedliche Regelung nicht zu einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes führen kann. Insbesondere Leistungen nach dem BAföG sind nicht mit Entgelten aufgrund eines Ausbildungsdienstverhältnisses vergleichbar. Dies kann schon dem Umstand entnommen werden, daß ein Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung nach dem BAföG nur besteht, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen (§§ 1, 11 Abs.2, § 26 BAföG). Vergütungen aufgrund eines Berufsausbildungsverhältnisses werden dagegen unabhängig davon erbracht, welches Einkommen der Auszubildende, sein Ehegatte und seine Eltern beziehen und welches Vermögen sie besitzen. Hinzu kommt, daß die vom Kläger zum Vergleich herangezogene Ausbildungsförderung an Studenten im Streitjahr teilweise, inzwischen insgesamt grundsätzlich nur darlehensweise gewährt wird (§ 17 Abs.2 BAföG). Daß die gleichmäßige Besteuerung von Arbeitslohn das Recht auf Freizügigkeit, auf freie Berufswahl und Berufsausübung sowie den Schutz von Ehe und Familie nicht berühren, ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Begründung.
2. Die im Streitfall im Lohnsteuer-Abzugsverfahren einzubehaltende Steuer führt auch nicht zu einer mit dem GG nicht zu vereinbarenden übermäßigen Belastung des Steuerschuldners.
Es kann dahinstehen, von welchem Mindestbetrag an ein von verfassungswegen einkommensteuerrechtlich unantastbares Existenzminimum anzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Regelsätze zur Sozialhilfe, aber auch den Grundfreibetrag des § 32a Abs.1 EStG als Anhaltspunkte für eine realitätsbezogene Grenze bezeichnet, innerhalb der unabweisbare Belastungen im privaten Bereich einkommensteuerrechtlich nicht außer acht gelassen werden dürfen (Beschlüsse vom 22.Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, und vom 4.Oktober 1984 1 BvR 789/79, BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 23). Im Streitjahr 1979 hat der auf Monatsbeträge umgerechnete Grundfreibetrag 307,50 DM betragen und der sozialhilferechtliche Regelsatz für die Hilfe zum Lebensunterhalt eines Haushaltsvorstandes belief sich im Bundesdurchschnitt sogar nur auf 297 DM monatlich (Schulte/Trenk-Hinterberger, Sozialhilfe, S.144). Der nach Durchführung des Lohnsteuer-Abzugs im März 1979 verbleibende höhere Betrag von ca. 575 DM und erst recht der im April 1979 verbleibende höhere Betrag lagen wesentlich über den oben wiedergegebenen Bezugsgrößen. Abgesehen davon, sagt die im Lohnsteuer-Abzugsverfahren einzubehaltende Lohnsteuer nichts Abschließendes darüber aus, ob ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit besteuert wird, da seine endgültige Belastung oft erst anhand eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs oder einer Einkommensteuerveranlagung festgestellt werden kann.
Von einer die Eigentumsgarantie (Art.14 Abs.1, Art.19 Abs.2 GG) berührenden konfiskatorischen Besteuerung (vgl. BFH-Urteil vom 14.Mai 1974 VIII R 95/72, BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572; BVerfG-Beschluß vom 19.Dezember 1978 1 BvR 335, 427, 811/76, BVerfGE 50, 57, BStBl II 1979, 308) kann angesichts der --relativ und absolut gesehen-- geringen Belastung im Streitfall keine Rede sein.
Fundstellen
Haufe-Index 61065 |
BStBl II 1985, 644 |
BFHE 144, 237 |
BFHE 1986, 237 |
BB 1986, 647-647 (ST) |
DB 1985, 2331-2332 (ST) |
DStR 1985, 708-708 (S) |
HFR 1986, 565-566 (ST) |