Leitsatz (amtlich)
Die Abtretung eines Erstattungsanspruchs ist nur wirksam, wenn die nach § 159 Satz 1 AO erforderliche Anzeige zweifelsfrei das Vorliegen eines Abtretungsvertrages erkennen läßt. Das ist in der Regel nicht der Fall, wenn eine Personengesellschaft im eigenen und (oder) im Namen ihres Gesellschafters beantragt, Steuerschulden der Gesellschaft mit Erstattungsansprüchen des Gesellschafters zu verrechnen. Durch die Annahme eines solchen Antrags kann jedoch ein Verrechnungsvertrag zwischen dem Gesellschafter und dem FA zustande kommen, den ein späterer Gläubiger der Erstattungsansprüche gegen sich gelten lassen muß.
Normenkette
AO §§ 122, 159; BGB §§ 398, 404, 406
Tatbestand
Der Beigeladene H war Komplementär der Firma A H & Söhne (KG). Die KG war Ende 1970 in Zahlungsschwierigkeiten und richtete am 15. Dezember 1970 folgendes Schreiben an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -), das von dem Gesamtprokuristen J unterzeichnet war:
"Betr.: Steuer-Nr. K-X; Y-Z
Sehr geehrte Herren!
Wie wir jetzt durch eine vorläufige Bilanz ermittelt haben, die durch den Wirtschaftsprüfer Dr. D erstellt wurde, ergibt sich für das Geschäftsjahr 1969 ein Verlust von DM 814 000,00. Eine Fotokopie der vorläufigen Bilanz werden wir Ihnen noch einreichen. Hieraus ergibt sich, daß sämtliche Einkommensteuer- Vorauszahlungen für die drei obigen Steuernummern zum Soll gestellt werden müssen, und zwar für die Jahre 1969 und 1970.
Wir bitten Sie höflichst, dieses Schreiben als Antrag zu betrachten und die Einkommensteuer-, Kirchensteuerund- und Ergänzungsabgabe-Vorauszahlungen dem Steuerkonto H & Söhne (Steuer-Nr. K) für Umsatzsteuer- und Lohnsteuerzahlungen für den Monat November 1970 und die folgenden Monate gutzuschreiben. Gleichzeitig bitten wir Sie, die Einkommensteuer für obige Steuernummern und die Gewerbesteuer für H & Söhne für die Jahre 1970 und 1971 auf 0 DM festzusetzen.
Für den Monat November 1970 sind von uns zu zahlen:
Umsatzsteuer November 1970 18 349,77 DM
Lohnsteuer November 1970 7 831,40 DM
Kirchensteuer November 1970 600,14 DM
Ergänzungsabgabe November 1970 8,70 DM
Konjunkturzuschlag November 1970 582,90 DM
27 372,91 DM
Diese fälligen Steuern bitten wir bereits für die gutzuschreibenden Einkommensteuern - wie vorher erwähnt - zu verrechnen. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem Antrag stattgeben würden und versichern Ihnen, daß wir auf eine Rückzahlung der zuviel gezahlten Einkommensteuern nicht bestehen, sondern die gesamten Steuern auf Umsatz- und Lohnsteuern verrechnen lassen.
Ihrer diesbezüglichen Nachricht sehen wir gern entgegen und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
A. H & Söhne
gez. J"
Das FA gab dem Antrag auf Herabsetzung der Vorauszahlungen statt und schrieb den zusammenveranlagten Eheleuten H insgesamt 21 660 DM an Einkommensteuer nebst Ergänzungsabgabe und Kirchensteuer gut. Unter Berücksichtigung anderer kleiner Guthaben wies das Kontoblatt der Zentralen Finanzkasse zum 20. Januar 1971 ein Guthaben der Eheleute H von 23 985 DM aus. Am 3. Februar 1971 zeigten die Eheleute H dem FA an, daß sie am selben Tage das Guthaben von 23 985 DM an den Kläger abgetreten hätten.
Am 12. Februar 1971 wurde über das Vermögen der KG das Konkursverfahren eröffnet.
Das FA lehnte es ab, dem Kläger die gutgeschriebenen Beträge zu erstatten, weil im Zeitpunkt der Abtretung an den Kläger ein Erstattungsanspruch der Eheleute H gegenüber dem FA nicht mehr bestanden habe. Die KG habe im Herabsetzungsantrag vom 15. Dezember 1970 mit Einverständnis der Gesellschafter auf eine Rückzahlung der zuviel gezahlten Steuern verzichtet, und die Gesellschafter der KG hätten sich im Hinblick auf Kreditverhandlungen mit Banken damit einverstanden erklärt, daß ihre Guthaben für fällige und fällig werdende Steuern der KG verwendet würden.
Der Einspruch, mit dem der Kläger geltend machte, J habe ohne Vollmacht und ohne Einverständnis von H die Umbuchung und die Verrechnung der privaten Erstattungsansprüche mit betrieblichen Steuern beantragt, blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete das FA unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung und des ablehnenden Bescheids vom 15. Juli 1971, an den Kläger 23 985 DM nebst 6 Prozent Zinsen jährlich ab 4. Oktober 1971 zu zahlen. Zur Begründung führte es aus: Der Kläger sei Gläubiger der Erstattungsansprüche geworden. Denn H habe diese weder wirksam an die KG abgetreten noch habe er gegenüber dem FA eine Verrechung mit fälligen und künftig fällig werdenden Steuerschulden beantragt. Ob eine Abtretung nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts vorgelegen habe, könne dahinstehen. Denn zur wirksamen Abtretung eines Erstattungsanspruchs hätte es gemäß § 159 der Reichsabgabenordnung (AO) einer Anzeige des Gläubigers an das FA bedurft (Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 14. Juli 1939 V 554/37, RStBl 1939, 881). H selbst habe unstreitig eine solche Abtretung nicht angezeigt. Die Abtretung könne auch nicht in dem Schreiben der KG vom 15. Dezember 1970 erblickt werden, denn darin werde eine Abtretung nicht erwähnt. Es komme in dem Schreiben auch nicht zum Ausdruck, daß die KG oder J insoweit als Bevollmächtigte des H aufgetreten seien. Denn das Schreiben trage den Briefkopf der Firma A H & Söhne und schließe auch mit den Worten: "Mit freundlichen Grüßen A H & Söhne", enthalte aber keinen entsprechenden Vertretungshinweis. Aus dem gleichen Grund sei auch kein Verrechnungsvertrag zwischen dem FA und H zustande gekommen. Unerheblich sei, daß die KG im Laufe des Jahres 1969 in gleicher Weise mehrfach Steuerguthaben der Gesellschafter mit Steuerschulden der Gesellschaft habe verrechnen lassen. Denn da ein Wille der KG, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervorgetreten sei, habe sie selbst dann nicht mit Wirkung für H gehandelt, wenn sie hierzu ausdrücklich oder stillschweigend bevollmächtigt gewesen sein sollte (§ 164 Abs. 2 BGB).
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts (§ 159 AO, §§ 133, 139, 157 BGB) und macht dazu geltend: Die Annahme des FG, das Schreiben vom 15. Dezember 1970 enthalte keine dem H zuzurechnende Willenserklärungen, verstoße gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze. Bei den Anträgen, die Einkommensteuervorauszahlungen herabzusetzen, umzubuchen und mit gegenwärtigen und künftigen Betriebssteuerschulden zu verrechnen, handle es sich um Erklärungen, die bei verständiger Würdigung des Sachverhalts nur unter Mitwirkung des Komplementärs H, vertreten durch den hierzu bevollmächtigten J, abgegeben werden konnten. Auch in der Vergangenheit sei mit Zustimmung aller Beteiligten ebenso verfahren worden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Streitsache an das FG.
1. Mit dem FG ist davon auszugehen, daß die Erstattungsansprüche H allein zustanden. Denn die KG hat die Zahlungen für Rechnung der zusammenveranlagten Eheleute H geleistet. Erstattungsberechtigt sind nicht beide Eheleute, sondern ist nur derjenige Ehegatte, der den zu erstattenden Betrag gezahlt hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Dezember 1969 VII R 83/67, BFHE 98, 9, BStBl II 1970, 351, mit weiteren Nachweisen). Dies war im vorliegenden Fall H. Denn die Zahlungen wurden zu Lasten seines Kapitalkontos erbracht.
2. H hat seine Erstattungsansprüche vor der Übertragung auf den Kläger nicht wirksam anderweitig abgetreten.
Das FG hat eine Abtretung der Erstattungsansprüche des H an die KG zu Recht bereits deshalb verneint, weil H eine solche dem FA nicht gemäß § 159 AO angezeigt hat. Die Anzeige eines Abtretungsvertrags kann sich zwar auch schlüssig aus dem Verhalten des Altgläubigers oder des in seinem Namen handelnden Neugläubigers ergeben. Sie muß jedoch wegen ihrer rechtsändernden Wirkung eindeutig und zweifelsfrei das Vorliegen eines Abtretungsvertrags erkennen lassen (vgl. zur entsprechenden Anzeigepflicht bei der Pfandrechtsbestellung Spreng in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., § 1280 BGB Rdnr. 2 b). Auch wenn man von einem Handeln des H ausgeht, ist diese Voraussetzung im Streitfall nicht erfüllt. Dem Umbuchungs- und Verrechnungsantrag des H ist ähnlich wie den in der Vergangenheit bei Überzahlungen gestellten Überweisungsaufträgen lediglich die Absicht des H zu entnehmen, eine durch Gutschrift auf dem Steuerkonto der KG zu vollziehende Einlage zu leisten. Dagegen ergibt sich aus dem Schreiben nicht, daß mit den gestellten Anträgen dem FA eine bereits bürgerlich-rechtlich zwischen H und der KG vollzogene Abtretung mitgeteilt werden sollte.
3. Gleichwohl ist die Vorentscheidung fehlerhaft. Denn der Geltendmachung der Erstattungsansprüche könnte ein zwischen H und dem FA abgeschlossener Verrechnungsvertrag entgegenstehen. Das FA hat sich zwar nicht ausdrücklich auf einen solchen Vertrag berufen. Sein Vorbringen, H habe sich mit der beantragten Verrechnung einverstanden erklärt und auf eine Rückzahlung zuviel gezahlter Einkommensteuer verzichtet, enthält jedoch schlüssig die Geltendmachung eines Verrechnungsvertrags (zum Begriff des Verrechnungsvertrags vgl. näher Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 124 AO Anm. 5, Abs. 11; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 124 AO Anm. 4; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 124 AO A 11; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 37. Aufl., § 392, 2; Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 22. Januar 1910 V 142/09, RGZ 72, 377). Gegen die Zulässigkeit eines solchen in der Reichsabgabenordnung nicht ausdrücklich geregelten Vertrags, der eine Aufrechnung auch bei fehlender Gegenseitigkeit der Forderungen ermöglicht, bestehen keine Bedenken. Denn die Reichsabgabenordnung setzt als selbstverständlich voraus, daß auch ein Dritter in sinngemäßer Anwendung des § 267 BGB durch Zahlung das Steuerschuldverhältnis zum Erlöschen bringen kann (vgl. § 120 Abs. 2 AO und BFH-Urteil vom 13. Juni 1967 II 157/63, BFHE 89, 394, BStBl II 1967, 650; Tipke/Kruse, a. a. O., § 122 AO A 4). Nichts anderes kann deshalb gelten, wenn mit Zustimmung des Gläubigers die Steuerschuld eines Dritten statt durch Zahlung durch Verrechnung mit eigenen Erstattungsansprüchen getilgt werden soll (so auch für das Zivilrecht RG-Urteil V 142/09). Grundsätze des Steuerrechts stehen der Anerkennung eines Verrechnungsvertrags nicht entgegen, weil der Staat als Steuergläubiger nicht auf seinen Steueranspruch verzichtet und der Steuerpflichtige bis zur Tilgung der Schuld Steuerschuldner bleibt.
Das FG hat das Zustandekommen eines derartigen Vertrags bereits deshalb verneint, weil das Schreiben vom 15. Dezember 1970 im Namen der KG abgefaßt worden sei und keine im Namen des H abgegebenen Willenserklärungen enthalte. Diese Würdigung verstößt gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze.
Das FG hat nicht genügend beachtet, daß die Abgabe einer Willenserklärung im Namen des Vertretenen nicht notwendigerweise eine ausdrückliche Erkärung erfordert, in fremdem Namen zu handeln, sofern der Wille, (auch) in fremdem Namen zu handeln, aus den Umständen erhellt und für den Erklärungsempfänger erkennbar wird. Ob das zutrifft, ist Frage der Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB, wobei Umstände aller Art, insbesondere das frühere Verhalten und die Interessenlage der Beteiligten sowie die Stellung des Unterzeichnenden eine Rolle spielen (vgl. u. a. Palandt, a. a. O., § 164 Anm. 1 a und b).
Unter Berücksichtigung dieser Auslegungskriterien enthält das Schreiben vom 15. Dezember 1970 nicht nur Willenserklärungen für die KG, sondern gleichzeitig auch solche für den Komplementär H. Denn es ist in ihm ausdrücklich auch die Steuernummer des H angegeben worden. Bei den erwähnten Einkommensteuer-, Kirchensteuer- und Ergänzungsabgabevorauszahlungen handelt es sich nur um H und die Mitgesellschafter persönlich betreffende Steuerarten. Die Anträge auf Herabsetzung der Vorauszahlungen und Umbuchung der Erstattungsbeträge konnten sinnvollerweise nur im Namen des hierzu alleinberechtigten H gestellt werden. Der sachliche Zusammenhang der Anträge, die entsprechende mit den Gesellschaftern abgestimmte Handhabung in der Vergangenheit und die persönliche Haftung des H als Komplementär lassen erkennen, daß ebenso die Verrechnung der Erstattungsansprüche mit den fälligen betrieblichen Steuerschulden auch im Namen des H beantragt werden sollte. Im Falle der rechtzeitigen Annahme dieses Antrags könnte deshalb zwischen H und dem FA ein Verrechnungsvertrag zustande gekommen sein. Dabei kann offenbleiben, ob einem solchen Vertrag unmittelbar dingliche Wirkung zukommt. Es genügt das Zustandekommen eines schuldrechtlichen Vertrags, bei dem die Verrechnung der Steuerforderungen von der Aufrechnungserklärung des FA abhängt. Denn der Kläger muß sich in diesem Fall gemäß den §§ 404, 406 BGB den Einwand der Verrechenbarkeit entgegenhalten lassen, weil der Grundsatz, daß die Abtretung einer Forderung nicht die rechtliche Stellung des Schuldners beeinträchtigen darf, als allgemeiner Rechtsgedanke auch im öffentlichen Recht gilt (vgl. RFH-Urteil vom 14. September 1932 II A 367/32, RStBl 1932, 931; BFH-Urteil vom 10. Februar 1976 VII R 37/72, BFHE 118, 526, BStBl II 1976, 549; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 226 AO 1977 Anm. 21). Die Vorentscheidung, die den Abschluß eines solchen Vertrags bereits mangels erkennbar im Namen des H abgegebener Willenserklärungen verneint hat, war hiernach aufzuheben.
Die Sache ist noch nicht spruchreif und geht deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Das FG wird zu prüfen haben, ob J bevollmächtigt war, den Umbuchungs- und Verrechnungsantrag auch im Namen des H zu stellen und ob das FA den Verrechnungsantrag rechtzeitig i. S. der §§ 146 ff. BGB angenommen hat. In diesem Zusammenhang kann es auch von Bedeutung sein, weshalb die Erstattungsansprüche des H bis zur Mitteilung ihrer Abtretung an den Kläger nicht in der beantragten Weise verrechnet und dem Steuerkonto der KG gutgeschrieben worden sind.
Fundstellen
Haufe-Index 72846 |
BStBl II 1978, 606 |
BFHE 1979, 326 |