Zulässigkeit der bei Zusammenveranlagung nur von einem Ehegatten erhobenen Klage
Hintergrund: Klageerhebung nur durch einen Ehegatten
Zu entscheiden war, ob die Klage eines Ehegatten zulässig ist, nachdem der Bescheid gegenüber dem anderen Ehegatten bestandskräftig geworden ist und auch die Steuer bereits gezahlt wurde.
Der Ehemann (M) erzielte in den Streitjahren (2013 bis 2016) neben Einkünften aus selbständiger Arbeit Einkünfte aus Kapitalvermögen. Seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau (F) erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Gegen die ESt-Bescheide für die Streitjahre legten beide Eheleute Einspruch ein. Sie begehrten u.a. die Herabsetzung der Einkünfte aus Kapitalvermögen des M.
Nach Zurückweisung der Einsprüche erhob (nur) M Klage. Er gab an, die Klage werde nur von ihm geführt, da sie nur seine Einkünfte, nicht die Einkünfte der F betreffe.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Es fehle sowohl die Klagebefugnis als auch das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Denn M könne die begehrte Steuererstattung nicht mehr erreichen, da er selbst bei einem Obsiegen im Klageverfahren als Gesamtschuldner die gegenüber F bestandskräftig festgesetzte höhere Steuer (mit-)schulde.
Entscheidung: Zulässige Klage nur eines Ehegatten
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Die Klagebefugnis und auch das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis können für die Klage des M nicht verneint werden.
Die Klagebefugnis ist gegeben
Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungsklage, um die es sich hier handelt, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein (sog. Klagebefugnis als Ausprägung des Rechtsschutzbedürfnisses). Dies ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Kläger (wie hier M) Adressat eines belastenden Verwaltungsakts ist.
Klagebefugnis trotz Bestandskraft gegenüber der Ehefrau
Die Klagebefugnis des M entfällt nicht deshalb, weil (wie das FG meint) die gegenüber F ergangenen ESt-Festsetzungen bereits bestandskräftig geworden sind und M für die hieraus resultierende ESt gesamtschuldnerisch haftet (§ 44 Abs. 1 AO). Denn trotz der Zusammenveranlagung bleiben die Eheleute verfahrensrechtlich selbständige Rechtssubjekte. Steuerschuldner und Adressat der ESt-Festsetzung ist jeder Ehegatte für sich. Ob eine Verletzung eigener Rechte i.S. des § 40 Abs. 2 FGO möglich erscheint, beurteilt sich daher allein nach der gegenüber dem jeweiligen Ehegatten (hier M) festgesetzten ESt. Es handelt sich dabei um einen verfahrensrechtlich selbständigen Steuerverwaltungsakt.
Kein Wegfall der Klagebefugnis wegen ausgeschlossener Aufteilung der Steuer
Allerdings entfällt die Klagebefugnis, wenn eine geänderte Einkünfteaufteilung zwischen den Ehegatten keine steuerrechtliche Auswirkung mehr haben kann, weil ein Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld wegen vollständiger Tilgung der rückständigen Steuer nicht mehr in Betracht kommt (BFH v. 7.11.1986, III B 50/85, BStBl II 1987, 94). Daraus kann indes nicht abgeleitet werden, dass die Klagebefugnis des allein gegen den ESt-Bescheid klagenden Ehegatten auch dann fehlt, wenn er (wie hier M) eine Verminderung der ihm gegenüber festgesetzten ESt begehrt und dies damit begründet, dass seine eigenen Einkünfte zu hoch angesetzt worden seien.
Auch das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis liegt vor
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage kann fehlen, wenn der Kläger aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht mehr erreichen kann (BFH v. 31.1.2017, V B 14/16, BFH/NV 2017, 611). Die Nutzlosigkeit des in Anspruch genommenen Rechtsschutzes muss jedoch eindeutig sein. Im Zweifel ist das Rechtsschutzbedürfnis daher zu bejahen. Es fehlt nur bei objektiv sinnlosen Klagen, wenn der Kläger keinerlei schutzwürdiges Interesse an einem Sachurteil haben kann (BFH v. 11.2.2021, VI R 37/18, BFH/NV 2021, 1085).
Rechtsschutzinteresse aufgrund möglicher Steuererstattung
Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt bereits dann vor, wenn ein rechtlicher Vorteil in Gestalt eines Steuererstattungsanspruchs nicht von vornherein zu verneinen ist. Das ist hier der Fall. M muss, um die begehrte ESt-Erstattung zu erreichen, den ESt-Bescheid anfechten (§ 218 Abs. 1 AO). Über die Frage, ob das FA im Erhebungsverfahren die Auszahlung eines Guthabens an M verweigern könnte, weil einem Erstattungsanspruch ein aus der bestandskräftigen ESt-Festsetzung der F resultierender Haftungsanspruch nach § 44 Abs. 1 AO entgegengehalten werden könnte, wäre sodann gemäß § 218 Abs. 2 Satz 2 AO im Rahmen eines Abrechnungsbescheids zu entscheiden (BFH v. 17.1.1995, VII R 28/94, BFH/NV 1995, 580). Das Gleiche gilt für die Frage, ob bei einem Obsiegen des M seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau eine Anpassung des an sie gerichteten, bereits bestandskräftigen ESt-Bescheids wegen rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Nr. 2 AO) verlangen könnte, weil in einem solchen Fall dieser ESt-Bescheid ebenfalls nicht als Rechtsgrund i.S. von § 37 Abs. 2 AO für das Behaltendürfen überzahlter Steuern herangezogen werden könnte.
Zurückverweisung an das FG
Der BFH verwies den Fall an das FG zurück. Weist das FG (wie hier) zu Unrecht eine Klage als unzulässig ab, liegt ein Verfahrensmangel vor. Der BFH konnte im Streitfall nicht in der Sache entscheiden, da nicht ausgeschlossen ist, dass die Sachentscheidung durch weiteren Vortrag beeinflusst werden kann.
Hinweis: Nur ein Ehegatte als Kläger
Im Streitfall haben beide Eheleute Einspruch eingelegt. In der Regel wird dann auch die anschließende Klage von beiden erhoben. Der BFH bekräftigt, dass die Klage gleichwohl zulässig auch nur von einem Ehepartner erhoben werden kann. Bei Obsiegen wird im Schrifttum die Anpassung des an den Ehepartner ergangenen bestandskräftigen Bescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO befürwortet. Unklarheiten hinsichtlich der Klägerstellung hat das FG (wie im Streitfall) durch Nachfrage richtigzustellen.
BFH Urteil vom 14.12.2021 - VIII R 16/20 (veröffentlicht am 24.02.2022)
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