Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bemessung des Verspätungszuschlags bei der Einkommensteuer
Leitsatz (NV)
1. Für die Bemessung des Verspätungszuschlags ist auf sämtliche Kriterien des § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 abzustellen. Weder die Höhe der festgesetzten Steuer noch der erlangte Zinsvorteil stellen vorrangige Ermessenskriterien dar.
2. Der Verspätungszuschlag ist innerhalb der zulässigen Höchstgrenzen um so höher anzusetzen, je höher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ist.
3. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist auch bei erstmaliger Fristüberschreitung nicht ermessensfehlerhaft.
Normenkette
AO 1977 § 152
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten. Sie ließen ihre gemeinsame Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1980) von ihrem Prozeßbevollmächtgten erstellen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hatte diesem zur Abgabe der Steuererklärung letztmalig Fristverlängerung bis zum 10. Oktober 1982 gewährt. Die Steuererklärung ging jedoch erst am 21. Januar 1983 beim FA ein.
Das FA setzte mit der Einkommensteuer in Höhe von 36 016 DM einen Verspätungszuschlag von 1 800 DM (5 v. H. der Steuerschuld) fest. Die von den Klägern aufgrund der Veranlagung zu leistende Abschlußzahlung belief sich auf 6 164 DM.
Mit der Beschwerde gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags machten die Kläger für die Fristüberschreitung im wesentlichen Personalengpässe im Büro ihres Bevollmächtigten geltend. Die Oberfinanzdirektion (OFD) hielt die verspätete Abgabe der Steuererklärung zwar für nicht entschuldbar, setzte jedoch den Verspätungszuschlag auf 500 DM herab, da die Kläger durch die verspätete Steuerfestsetzung lediglich geringe wirtschaftliche Vorteile erzielt hätten.
Auf die Klage hin hob das Finanzgericht (FG) die Festsetzung des Verspätungszuschlags auf, da die verspätete Abgabe zwar nicht entschuldbar sei, den Finanzbehörden jedoch bei der Festsetzung der Höhe des Zuschlags Ermessensfehler unterlaufen seien. Die von den Klägern erzielten wirtschaftlichen Vorteile beliefen sich auf höchstens 125 DM. Der verbleibende Betrag von 375 DM sei als reines Ordnungsgeld und Erziehungsmittel anzusehen. Bei erstmaliger Ahndung dürfe über die Abschöpfung des reinen Zinsvorteils hinaus - auch bei Beziehern höherer Einkommen - allenfalls ein Verspätungszuschlag (Ordnungsgeld) von 50 bis 150 DM festgesetzt werden.
Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 152 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr 1 FGO). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat das FA bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer des Streitjahres von seinem Ermessen nicht fehlerhaft Gebrauch gemacht (§ 102 FGO).
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätzungszuschlags im Streitfall vorgelegen haben und der Prozeßbevollmächtigte der Kläger, dessen Verschulden diesen nach § 152 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 zuzurechnen ist, die Abgabefrist in nicht entschuldbarer Weise überschritten hat.
Das FA hat die Frist zur Abgabe der Steuererklärung des Streitjahres letztmalig bis 10. Oktober 1982 verlängert. Die Kläger gaben die Steuererklärung gleichwohl erst am 21. Januar 1983 ab. Die für die verspätete Abgabe angeführten Gründe greifen nicht durch; die diesbezüglichen Erwägungen im Beschwerdebescheid der OFD sind nicht zu beanstanden.
Abgesehen davon, daß Arbeitsüberlastung und Personalengpässe einen Steuerberater grundsätzlich nicht zu entschuldigen vermögen (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 152 AO 1977 Tz. 5, mit Rechtsprechungsnachweisen) und sich aus den mit Gegenrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG für den Streitfall keine den Bevollmächtigten exkulpierenden Umstände entnehmen lassen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, hat das FA dessen Fristverlängerungsanträgen weitgehend entsprochen und durch die Verlängerung der gesetzlichen Erklärungsfrist um fast 17 Monate den geltend gemachten Verzögerungsgründen hinreichend Rechnung getragen. Die Kläger können das fehlende Verschulden auch nicht damit begründen, daß das FA bei der Veranlagung des Vorjahres vom der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abgesehen und damit die - insoweit gleichgelagerten - Verzögerungsgründe als entschuldbar anerkannt hat. Denn aus der unterbliebenen Festsetzung können schon wegen des Ermessenscharakters der Vorschrift, der das FA selbst bei Annahme einer schuldhaften Verspätung zu keiner Sanktion zwingt, keine Folgerungen gezogen werden.
2. Entgegen der Ansicht des FG läßt die angefochtene Entscheidung jedoch keine Ermessensfehler bei der Festsetzung der Höhe des Verspätungszuschlags erkennen. Die Finanzbehörden haben durch die Festsetzung eines Verspätungszuschlags von 500 DM weder die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. § 102 FGO).
a) Nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sind bei der Bemessung des Verspätungszuschlags neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Festsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Bei der Bemessung der Höhe darf sich die Finanzbehörde nicht in erster Linie an der festgesetzten Steuer bzw. den zu versteuernden Einkünften orientieren. Vielmehr sind sämtliche in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 aufgeführten Ermessenskriterien im Einzelfall heranzuziehen. Die in § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 vorgenommene Begrenzung auf 10 v. H. der festgesetzten Steuer ist nur der äußerste Rahmen möglichen Verwaltungshandelns, gibt aber keine Richtlinie für die konkrete Bemessung des Zuschlags im Einzelfall (BFH-Urteil vom 26. April 1989 I R 10/85, BFHE 157, 14, BStBl II 1989, 693).
b) Zu Unrecht hat das FA angenommen, daß bei der Bemessung des Verspätungszuschlags vorrangig die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile zu berücksichtigen sind. Die im Gesetz aufgeführten Ermessenskriterien sind grundsätzlich gleichwertig (BFH-Urteile vom 25. November 1988 VI R 137/85, BFH/NV 1989, 279, und in BFHE 157, 14, BStBl II 1989, 693). Insbesondere hängt die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nicht zwingend davon ab, ob oder in welcher Höhe ein Zinsvorteil erzielt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1987 VI R 193/85, BFH/NV 1988, 282).
c) Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist auch bei erstmaliger Fristüberschreitung nicht ermessensfehlerhaft (vgl. BFH-Urteil vom 18. November 1986 VIII R 183/84, BFH/NV 1987, 416). Dem Gesetzeswortlaut kann auch nicht entnommen werden, daß der Verspätungszuschlag in diesem Fall eine bestimmte Höhe nicht überschreiten darf. Der Auffassung des FG, der erstmalige Verstoß gegen die Verpflichtung zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung könne höchstens mit einem pauschalen Zuschlag von 150 DM geahndet werden, ist bereits der VI. Senat des BFH im Urteil in BFH/NV 1989, 279 entgegengetreten. Im Streitfall kann deshalb offenbleiben, ob die Kläger die Vorjahreserklärung innerhalb der vom FA eingeräumten Frist abgegeben haben.
Die vom FG gezogene Höchstgrenze steht auch nicht mit dem Ermessenskriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Einklang. Da beim Verspätungszuschlag der eigentliche Druck auf den Steuerpflichtigen nicht von der Wegnahme des erlangten wirtschaftlichen Vorteils, sondern von der darüber hinausgreifenden Auferlegung einer Geldsanktion ausgeht (BFH-Urteil vom 30. April 1987 IV R 42/ 85, BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543 unter 2 c), muß der Zuschlag innerhalb der zulässigen Höchstgrenzen um so höher angesetzt werden, je höher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 152 AO 1977 Tz. 8).
d) Die zur Höhe des Verspätungszuschlags von der OFD im Beschwerdebescheid angestellten Ermessenserwägungen halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nach Maßgabe des § 102 FGO stand.
Die OFD hat zugunsten der Kläger berücksichtigt, daß sie durch die verspätete Abgabe der Steuererklärung nur geringe wirtschaftliche Vorteile erlangt haben. Sie hat aber andererseits unter Berücksichtigung der Dauer der Fristüberschreitung von mehr als drei Monaten einen Verspätungszuschlag in Höhe von 1,4 v. H. der festgesetzten Steuerschuld für erforderlich gehalten, um die Kläger auf diese Weise zu veranlassen, ihrer Erklärungspflicht in Zukunft pünktlich nachzukommen. Angesichts der nicht unerheblichen Fristüberschreitung ist es nicht ermessensfehlerhaft, daß die Beschwerdebehörde vor allem auf den erzieherischen Zweck des § 152 Abs. 2 AO 1977 abgestellt hat.
Der Zuschlag in Höhe von 1,4 v. H. der festgesetzten Steuer ist unter Berücksichtigung der Länge der Fristüberschreitung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kläger weder unangemessen noch willkürlich. Er liegt an der unteren Grenze des zulässigen Betragsrahmens und unter dem Vomhundertsatz, den die Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen als ermessensgerecht angesehen hat (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 25. November 1988 VI R 154/85, BFH/NV 1989, 517). Da der erkennende Senat aufgrund der ihm von § 102 FGO gezogenen Grenzen sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle des finanzbehördlichen Ermessens setzen kann, kommt es nicht darauf an, ob man das Ermessen auch in anderer Weise hätte ausüben und einen anderen Betrag hätte festsetzen können (vgl. BFH-Urteil in BFHE 157, 14, BStBl II 1989, 693).
Fundstellen