Verspätungszuschlag in Höhe von 0 Euro bei Pflichtveranlagungstatbestand
Nach § 152 Abs. 1 AO kann die Festsetzung eines Verspätungszuschlags im Rahmen einer "Kann-Regelung" weiterhin Ermessenssache sein. 152 Abs. 1 AO gilt insbesondere für Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr oder einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, wenn diese zwar verspätet, aber vor dem 28./29.2. des Zweitfolgejahres abgegeben wurden.
Abweichend von Absatz 1 ist nach § 152 Abs. 2 AO zwingend (ohne Ermessensentscheidung) ein Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn eine Steuererklärung, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt bezieht, nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres oder nicht binnen 14 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt abgegeben wurde.
Höhe des Verspätungszuschlags nach§ 152 Abs. 5 AO
Gemäß § 152 Abs. 5 AO beträgt der Verspätungszuschlag für Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr beziehen, für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 Prozent der um die festgesetzten Vorauszahlungen und die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge verminderten festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 25 EUR für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung.
Wurde ein Erklärungspflichtiger von der Finanzbehörde erstmals nach Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist zur Abgabe einer Steuererklärung innerhalb einer dort bezeichneten Frist aufgefordert und konnte er bis zum Zugang dieser Aufforderung davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen, so ist der Verspätungszuschlag nur für die Monate zu berechnen, die nach dem Ablauf der in der Aufforderung bezeichneten Erklärungsfrist begonnen haben.
Fall des FG Sachsen-Anhalt: Pflichtveranlagungstatbestand aufgrund Mindestvorsorgepauschale
Um § 152 Abs. 5 AO ging es in einem aktuellen Fall des FG Sachsen-Anhalt. Beim Kläger wurde im Rahmen des Lohnsteuerabzuges die Mindestvorsorgepauschale in Höhe von 1.900 EUR berücksichtigt. Die tatsächlichen Kranken-und Pflegeversicherungsbeiträge waren aber geringer, sodass grundsätzlich der Pflichtveranlagungstatbestand nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG vorlag. Das Finanzamt versandte am 9.9.2020 ein Erinnerungsschreiben bezüglich der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2019 mit folgendem Inhalt:
"Sofern eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, reichen Sie bitte die Steuererklärung(en) / Unterlagen zur Steuererklärung elektronisch über ELSTER (www.elster.de) oder - sofern zulässig - nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck in Papierform bis spätestens 23.09.2020 ein."
Für das Jahr 2019 wurde aber keine Einkommensteuererklärung eingereicht. Deshalb schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen und erließ am 28.2.2022 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019. Darüber hinaus setzte es mit Bescheid vom 28.2.2022 auch einen Verspätungszuschlag für 20 Monate fest.
Finanzamt: Kein Ermessen
Im Einspruchsverfahren wies das Finanzamt darauf hin, dass sich die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aus § 46 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 EStG ergebe, weil die im Rahmen des Lohnsteuerabzuges berücksichtigte Vorsorgepauschale höher sei als die Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 3a EStG (dieser Fall kann z. B. auch häufiger bei Soldaten aufgrund der freien Heilsfürsorge vorkommen).
Es liege in der Verantwortung der Steuerpflichtigen, sich über eine gesetzlich bestehende Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen zu informieren. Mit Schreiben vom 9.9.2020 sei aber auch eine Aufforderung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung ergangen. Der Verspätungszuschlag sei ordnungsgemäß festgesetzt worden. Weil die Verspätung mehr als 14 Monate betragen habe, bestehe insoweit kein Ermessen.
FG: Festsetzung von 0 EUR
Das FG Sachsen-Anhalt hat dem Finanzamt bezüglich des "Ermessens" zwar recht gegeben (Urteil v. 22.2.2024, 2 K 628/22), der Verspätungszuschlag hätte aber nur mit 0 EUR festgesetzt werden dürfen.
Hierfür bedient sich das FG an § 152 Abs. 5 Satz 3 AO. Das Finanzamt hätte nach Auffassung des FG zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auffordern müssen. Da dies aber nicht geschehen sei, hätten die Kläger bis zur Einspruchserwiderung des Finanzamts am 15.3.2022 davon ausgehen können, keine Steuererklärung abgeben zu müssen.
Die Erinnerung sei nicht als Aufforderung zu werten, da sie lediglich einen formlosen Hinweis, dass eine Einkommensteuererklärung für 2019 bis dahin nicht eingegangen war, und welche Folgen eine Nichtabgabe oder verspätete Abgabe einer Steuererklärung haben kann, falls eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe besteht, beinhalte. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die zum Zeitpunkt der Einkommensteuerveranlagung 2019 steuerlich nicht beratenen Kläger die im Streitfall einschlägige Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung nach u. a. § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG kannten oder kennen mussten.
Diese gesetzliche Abgabeverpflichtung ergebe sich aus einer Kette mehrerer gesetzlicher und aus Verweisen auf zum Teil sehr umfangreiche und nicht einfach zu lesende gesetzliche Normen und seien für einen Laien kaum zu verstehen.
Bestandskräftige Entscheidung
Es erstaunt etwas, dass die Entscheidung des FG – trotz Zulassung der Revision – mittlerweile bestandskräftig ist. Dies könnte damit zusammenhängen, dass ab dem Jahr 2026 ein elektronischer Datenaustausch zwischen den Unternehmen der privaten Krankenversicherung, der Finanzverwaltung und den Arbeitgebern für die Bemessung des steuerfreien Arbeitgeberzuschusses zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung und zur Vorsorgepauschale für diese Beiträge eingeführt wird (seit 2024 schon im Gesetz aber durch § 52 Abs. 36 EStG auf 2026 verschoben). Dann wird die Mindestvorsorgepauschale abgeschafft, sodass sie nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht mehr zu einem Pflichtveranlagungsfall werden kann.
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