Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätungszuschlag bei fehlender Kenntnis des Steuererpflichtigen über seine Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG und Erlass eines geschätzten Einkommensteuerbescheids
Leitsatz (redaktionell)
1. Es kann nicht erwartet werden, dass ein steuerlicher Laie seine Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung nach § 149 Abs. 3 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 EStG, § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG und § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStDV (Berücksichtigung einer höheren Vorsorgepauschale beim Lohnsteuerabzug als Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Einkommensbeteuerung bei einer Zusammenveranlagung) kennt, ohne darauf hingewiesen worden zu sein. Der steuerliche Laie kann daher in diesem Fall im Hinblick auf die Festsetzung eines Verspätungszuschlages gemäß § 152 Abs. 5 Satz 3 AO davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen.
2. Erlangt der Steuerpflichtige erst im Einspruchsverfahren gegen einen auf einer Schätzung beruhenden Einkommensteuerbescheid sowie gegen die Festsetzung eines Verspätungszuschlags Kenntnis über seine Steuererklärungspflicht nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG, ist der festgesetzte Verspätungszuschlag auf 0 EUR zu reduzieren.
3. Ein Erinnerungsschreiben, das neben dem Hinweis, dass eine Steuererklärung noch nicht vorliege, lediglich allgemeine Informationen enthält, kann eine Information über das tatsächliche Vorliegen einer Steuererklärungs-Abgabeverpflichtung im konkreten Einzelfall nicht ersetzen.
Normenkette
AO § 149 Abs. 3 Nr. 1, § 152 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Sätze 1-3, Abs. 9 S. 1; EStG 2019 § 10 Abs. 1 Nrn. 3, 3a, Abs. 4, § 25 Abs. 1, 3, § 39b Abs. 2 S. 5, § 46 Abs. 2 Nr. 3; EStDV § 56 S. 1 Nr. 1 Buchst. b
Tenor
Unter Änderung des Bescheides vom 28. Februar 2022 über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Einkommensteuer 2019 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 11. August 2022 wird der Verspätungszuschlag auf 0 Euro festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob bzw. in welcher Höhe ein Verspätungszuschlag festzusetzen war.
Die Kläger sind Ehegatten und haben keinen Veranlagungsantrag gestellt. Beim Kläger wurde im Rahmen des Lohnsteuerabzuges die Mindestvorsorgepauschale in Höhe von 1.900 EUR berücksichtigt (vgl. Bl. 23 der Einspruchsakte). Im Rahmen der automatisierten Datenübermittlung ist dem Beklagten später mitgeteilt worden, dass der Kläger im Jahr 2019 Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von EUR sowie Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von EUR geleistet hatte (vgl. Bl. 24 der Einspruchsakte).
Am 9. September 2020 versandte der Beklagte an die Kläger ein Schreiben, das mit „Erinnerung an die Abgabe der Steuererklärung (en) / Unterlagen der Steuererklärung” überschrieben war (vgl. Bl. 25 der Gerichtsakte). In dem Schreiben wies der Beklagte darauf hin, dass die Einkommensteuererklärung bisher nicht eingegangen sei. Weiter heißt es wörtlich:
„Sofern eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, reichen Sie bitte die Steuererklärung(en) / Unterlagen zur Steuererklärung elektronisch über ELSTER (www.elster.de) oder – sofern zulässig – nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck in Papierform bis spätestens 23.09.2020 ein.”
Bereits für die Jahre 2017 und 2018 hatte der Beklagte Erinnerungsschreiben an die Kläger übermittelt. Für diese beiden Jahre hatten diese danach jeweils eine Einkommensteuererklärung abgegeben.
Für das Jahr 2019 reichten die Kläger keine Einkommensteuererklärung ein. Deshalb schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und erließ am 28. Februar 2022 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019. Darüber hinaus setzte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 2022 auch einen Verspätungszuschlag in Höhe von EUR fest.
Gegen den Bescheid zum Verspätungszuschlag legten die Kläger am 3. März 2022 Einspruch ein. Zur Begründung legten sie dar, dass sie zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 nicht verpflichtet seien. Sie hätten die Steuerklassen 4/4 und keine Lohnersatzleistungen oder ähnliches erzielt. Eine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung hätten sie, anders als in den Jahren zuvor, nicht erhalten.
Mit Schreiben vom 15. März 2022 wies der Beklagte darauf hin, dass sich die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aus § 46 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ergebe, weil die im Rahmen des Lohnsteuerabzuges berücksichtigte Vorsorgepauschale höher sei, als die Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3a EStG. Mit Schreiben vom 9. September 2020 seien die ...