Leitsatz (amtlich)
Ersetzt der Arbeitgeber die Fahrtkosten, die die Arbeitnehmer dafür aufwenden, daß sie aus betrieblichen Gründen die Arbeitsstätte auch außerhalb der normalen Arbeitszeit aufsuchen müssen, so stellen die ersetzten Kosten keinen Auslagenersatz, sondern steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
Normenkette
EStG §§ 9, 19, 38; LStDV 1962 § 2 Abs. 2, § 4 Nr. 4, § 20 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte, ein Betrieb der chemischen Grundstoffindustrie, hat in den Jahren 1960 bis 1964 an Chemiker, Ingenieure und kaufmännische Angestellte, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit und an arbeitsfreien Tagen bei Betriebsstörungen oder -kontrollen sowie bei Abschlußarbeiten Dienst taten, für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem privateigenen Pkw 0,25 DM für jeden gefahrenen km gezahlt.
Das FA sah den Ersatz der Fahrtkosten als steuerpflichtigen Arbeitslohn an und erließ gegen die Klägerin für den streitigen Zeitraum einen Haftungsbescheid über einen Gesamtbetrag von 2 657,91 DM Lohn- und Kirchensteuer. Die der Besteuerung zugrunde gelegten Aufwendungen der Klägerin wurden mit einem jährlich gleichbleibenden Betrag geschätzt. Der Einspruch, mit dem die Klägerin die Steuerforderung nur dem Grunde nach angefochten hatte, blieb ohne Erfolg.
Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1967, 551 veröffentlicht worden ist, gab der Klage statt und hob den Haftungsbescheid auf. Es sah den von der Klägerin gezahlten Fahrtkostenersatz als steuerfreien Auslagenersatz im Sinne des § 4 Nr. 4 LStDV an. Zwar gehörten nach Abschn. 25 LStR die vom Arbeitgeber den Arbeitnehmern ersetzten Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Das sei für die Fälle der Ableistung der regelmäßigen Dienstzeit berechtigt. Die Fahrten der Arbeitnehmer an die Arbeitsstätte außerhalb der normalen Dienstzeit lägen jedoch im ausschließlichen oder weit überwiegenden Interesse des Arbeitgebers. Der Ersatz der Kosten dieser Fahrten stelle steuerfreien Auslagenersatz dar.
Mit der Revision rügt das beklagte FA die Verletzung von Bundesrecht. Die Arbeitnehmer schuldeten ihre Arbeitskraft auf Grund des Arbeitsvertrages nicht nur während der regelmäßigen Arbeitszeit, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung in besonderen Fällen auch über die normale Dienstzeit hinaus für erforderlich halte. Der Ersatz der Fahrtaufwendungen der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber könne in beiden Fällen steuerlich nur einheitlich behandelt werden.
Die Revisionsbeklagte hält die Revision für unzulässig, weil der Revisionskläger keinen zureichenden Antrag im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO gestellt habe. In der Sache selbst hält sie die Revision für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
I.
Die Revision ist zulässig.
Der Beklagte hat sich in seinem Revisionsantrag nicht darauf beschränkt, zu erklären, er rüge die Verletzung formellen oder materiellen Rechts. Er hat vielmehr mit der Revisionsbegründung beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Im Eingang der Revisionsbegründung werden die Rechtsnormen bezeichnet, auf deren Verletzung das angefochtene Urteil nach Meinung des Beklagten beruht. Mit dem Antrag, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, kommt eindeutig zum Ausdruck, daß der ursprüngliche Verwaltungsakt - der Haftungsbescheid - im Umfang der Einspruchsentscheidung aufrechterhalten werden soll. Dieses Begehren reicht für die nach § 120 Abs. 2 FGO erforderliche Bestimmtheit des Revisionsantrages aus (Beschluß des BFH I R 185/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 230, BStBl III 1967, 342).
II.
Die Revision ist auch begründet.
Das FG weist zwar zutreffend darauf hin, daß der Auslagenersatz die Ausgaben abgilt, die der Arbeitnehmer im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse seines Arbeitgebers für dessen Rechnung aufgewendet hat. Bei solchen Aufwendungen handelt der Arbeitnehmer nach Art eines Vertreters des Arbeitgebers. Benutzt der Arbeitnehmer aber seinen Pkw, um die Arbeitsstätte zu erreichen, so handelt er in Erfüllung seiner eigenen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag. Die Fahrtkosten wendet er also im eigenen Interesse auf. Das gilt auch bei Fahrten außerhalb der normalen Arbeitszeit. Dienste, die außerhalb der regelmäßigen Dienstzeit zu erbringen sind, werden ebenso auf Grund des Arbeitsverhältnisses geleistet wie die Arbeit innerhalb der regelmäßigen Dienstzeit.
Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gehören allerdings nach § 9 Nr. 4 EStG zu den Werbungskosten des Arbeitnehmers. Das gilt auch dann, wenn die Fahrten dazu gedient haben, Dienste außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit zu erbringen. Die Aufwendungen kann der Arbeitnehmer auch dann als Werbungskosten geltend machen, wenn er gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Ersatz der Kosten haben sollte (BFH-Urteil VI R 172/66 vom 30. Mai 1967, BFH 89, 187, BStBl III 1967, 570). Bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs kommen für die Streitjahre die in § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV 1962 bezeichneten Pauschbeträge als Werbungskosten in Betracht. Ersetzt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, so gehören die ersetzten Beträge, sobald sie dem Arbeitnehmer zufließen, zum steuerpflichtigen Arbeitslohn.
Fährt ein Arbeitnehmer mit seinem Pkw an ein und demselben Arbeitstag mehrmals zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hin und her, so können die Pauschsätze des § 20 Abs. 2 Nr. 2 LStDV entsprechend der km-Zahl der Entfernung grundsätzlich nur einmal als Werbungskosten berücksichtigt werden (BFH-Urteil VI 159/58 S vom 18. März 1960, BFH 71, 21, BStBl III 1960, 255). Allerdings hat der BFH eine Ausnahme dann für zulässig gehalten, wenn im Einzelfall ungewöhnliche Verhältnisse vorliegen, die den typischen Arbeitsverhältnissen nicht zuzuordnen sind.
Eine solche Ausnahme ist auch im Streitfall gegeben. Bei den Arbeitnehmern, die wie z. B. die Ingenieure oder die Chemiker nach Beendigung der normalen Arbeitszeit und vor dem Beginn der Arbeit des nächsten Tages aus besonderen Gründen zur Arbeitsstätte fahren mußten, lagen außergewöhnliche Verhältnisse vor, die für den normalen Arbeitszeitablauf nicht typisch waren. Der erkennende Senat hat in dem Urteil VI 159/58 S (a. a. O.) die Auffassung vertreten, daß bei mehrmaligen Fahrten in Fällen einer ungewöhnlich langen Unterbrechung der Arbeitszeit nicht die Pauschsätze, sondern die glaubhaft gemachten oder nachgewiesenen tatsächlichen Aufwendungen als Werbungskosten in Betracht kämen. Statt der tatsächlichen Aufwendungen sollen nach Abschn. 25 Abs. 2 Satz 4 LStR 1968 auch die Pauschbeträge berücksichtigt werden. Ob das in dieser Allgemeinheit richtig ist, braucht hier nicht geprüft zu werden. Jedenfalls hat die Klägerin die Fahrtkosten für die Sonderfahrten nur in Höhe des in den Streitjahren geltenden Pauschbetrages ersetzt. Dieser Betrag deckt sich mit dem km-Satz, den auch der Senat als vertretbare Schätzung anerkannt hat, wenn die tatsächlichen Aufwendungen nicht im einzelnen nachgewiesen werden (vgl. BFH-Urteile VI R 268/67 vom 15. Dezember 1967, BFH 90, 498, BStBl II 1968, 126; VI 33/65 vom 15. Dezember 1967, BFH 90, 493, BStBl II 1968, 150).
Danach ist festzustellen, daß die Beträge, die die Klägerin ihren Arbeitnehmern als Ersatz der Aufwendungen für außerhalb der normalen Arbeitszeit angefallene Fahrten zur Arbeitsstätte gezahlt hat, den Arbeitnehmern zwar aus ihrem Arbeitsverhältnis zugeflossen sind, daß aber die Arbeitnehmer die Fahrtkosten als Werbungskosten hätten geltend machen können. Die Aufwendungen der Klägerin durften aber nicht von vornherein außer Ansatz bleiben. Sie sind weder steuerfreier Ersatz von Reisekosten noch von Auslagen.
Das angefochtene Urteil war danach wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache ist indessen, obwohl die Klägerin die von ihr gezahlten Beträge nicht hätte lohnsteuerfrei belassen dürfen, aus den nachstehenden Gründen nicht spruchreif und war deshalb an das FG zur nochmaligen Entscheidung zurückzuverweisen.
Der erkennende Senat hat es in Ausnahmefällen zugelassen, daß sich der Arbeitgeber gegenüber seiner Inanspruchnahme als Haftender auf solche Umstände beruft, die der Arbeitnehmer durch Beantragung einer entsprechenden Eintragung in die Lohnsteuerkarte hätte geltend machen können und müssen. Einen solchen Ausnahmefall hat der BFH insbesondere dann als gegeben angesehen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Zugehörigkeit von Bezügen zum Arbeitslohn und damit auch über die Notwendigkeit der Eintragung der mit diesen Bezügen zusammenhängenden Werbungskosten irrten und irren konnten (BFH-Urteil VI 105/55 U vom 20. Dezember 1957, BFH 66, 217, BStBl III 1958, 84).
Die Klägerin hat die ersetzten Fahrtkosten während mehrerer Jahre irrtümlich als steuerfreien Auslagenersatz angesehen und dadurch auch bei den betroffenen Arbeitnehmern den Irrtum hervorgerufen, daß sie für die Fahrten keine Werbungskosten geltend zu machen, die entsprechende Eintragung in die Lohnsteuerkarten also nicht zu beantragen brauchten. Ohne diesen beiderseitigen Irrtum hätte bei den Arbeitnehmern dem ersetzten Fahrtkostenbetrag ein gleichhoher Werbungskostenpauschbetrag gegenübergestanden. In den Fällen, in denen die anderweitigen Werbungskosten der Arbeitnehmer den Betrag von 564 DM im Kalenderjahr bereits überstiegen, hätten sich die zusätzlichen Einnahmen bei Geltendmachung der entsprechenden Werbungskosten allerdings nicht ausgewirkt.
Die Klägerin hat sich zwar auf diese Umstände nicht berufen, das ist jedoch kein Anlaß, die ihr der Rechtslage nach zustehenden Einwendungen abzuschneiden. Das FG hat es wegen seiner abweichenden Rechtsauffassung mit Recht unterlassen, tatsächliche Feststellungen darüber zu treffen, in welchem Umfang die Klägerin als Haftende sich mit Erfolg darauf berufen könnte, daß bei entsprechenden Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte der Arbeitnehmer der von ihr aufgewendete Fahrtkostenersatz zu keinem steuerlichen Mehrergebnis geführt hätte. Diese Feststellungen sind nunmehr nachzuholen. Notfalls wird das FG unter Zuhilfenahme der Feststellungen im Lohnsteuerprüfungsbericht den Umfang schätzen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 68405 |
BStBl II 1969, 173 |
BFHE 1969, 336 |