Leitsatz (amtlich)
Der Nachlaßpfleger ist (auch) im Besteuerungsverfahren der gesetzliche Vertreter der noch unbekannten oder ungewissen Erben. Steuerverwaltungsakte sind deshalb bis zur Aufhebung der Nachlaßpflegschaft an ihn zu richten, selbst wenn die Erben inzwischen bekannt wurden.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 34 Abs. 1; BGB § 1960 Abs. 2, §§ 1962, 1919, 1915
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zu gleichen Teilen Erben nach der am 25. März 1975 verstorbenen Rentnerin A B. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ging davon aus, daß die Erblasserin den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt hatte und erließ im Frühjahr 1978 Einkommensteuerbescheide für 1967 bis 1974 und Vermögensteuerbescheide für 1967, 1969, 1972 und 1974, die das FA an die "Erben nach A B, z. Hd. Herrn C D als Nachlaßpfleger" adressierte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kläger dem FA bereits als Erben bekannt. Der Nachlaßpfleger hat die ihm nach § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) bekanntgegebenen Bescheide nicht angefochten. Die Nachlaßpflegschaft ist durch das Amtsgericht am 23. August 1978 aufgehoben worden.
Die Kläger legten am 23./29. Januar 1979 Einspruch ein, worauf ihnen das FA die im Frühjahr 1978 erlassenen Steuerbescheide in Ablichtung übersandte. Hiergegen wandten sich die Kläger erneut mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs. Das FA verwarf den ersten Einspruch, da verspätet, als unzulässig. In dem zweiten Einspruch sah das FA lediglich die Wiederholung eines Rechtsbehelfs, den es hilfsweise mangels substantiierter Einwendungen gegen die Schätzung als unbegründet zurückwies.
Die Klage, mit der die Kläger die Nichtigkeit der Steuerbescheide geltend machten und hilfsweise die Aufhebung der Steuerbescheide begehrten, hatte keinen Erfolg. Das FG ist der Ansicht, mit der Nichtigkeitsklage könne auch die Unwirksamkeit eines Steuerbescheides wegen fehlender Bekanntgabe geltend gemacht werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Mai 1976 VIII R 66/74, BFHE 119, 36, BStBl II 1976, 606). Die gerügte unterlassene Benennung der namentlich bereits damals dem FA als Erben bekannten Kläger in den Bescheiden sei ausnahmsweise unschädlich. Das Erfordernis einer Identifizierung des Steuerpflichtigen auch in Erbfällen (Hinweis auf BFH-Urteil vom 29. November 1972 II R 42/67, BFHE 108, 257, BStBl II 1973, 372) sei hier durch die Angabe der Erblasserin und des Nachlaßpflegers gewahrt. Sei eine Nachlaßpflegschaft angeordnet (§ 1960 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -, vgl. auch § 81 AO 1977), so handele der Bestellte im Rahmen seines Aufgabenkreises als gesetzlicher Vertreter der Erben (Hinweis auf Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Oktober 1967 VII ZR 86/65, BGHZ 49, 1; Lange/Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts, 2. Aufl., § 40 IV 4b mit Fußnote 117; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 34 AO 1977, Rdnr. 15; a. A. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 34 AO 1977, Tz. 4 unter Hinweis auf das von ihnen mißverstandene BFH-Urteil vom 20. Oktober 1970 II 167/64, BFHE 100, 56, BStBl II 1970, 826), unabhängig davon, ob die Erben bekannt seien oder nicht. Seien sie unbekannt, so könnten sie ohnehin nicht benannt werden. Seien sie bekannt und hätten die Erben die Erbschaft noch nicht angenommen, so könne ein Anspruch, der sich gegen den Nachlaß richte, nicht gegen sie persönlich geltend gemacht werden (§ 1958 BGB). Selbst im Falle der Annahme der Erbschaft endeten die Pflegschaft und die Vertretungsmacht des Nachlaßpflegers erst mit dem aufhebenden Beschluß des Vormundschaftsgerichts (§ 1919 BGB). In diesem Fall könne sich ein Gläubiger sowohl an die Erben als auch an den Nachlaßpfleger halten. Im letzteren Fall bedürfe es nicht rechtsnotwendig der namentlichen Benennung der Erben, möge diese auch noch so zweckmäßig erscheinen. Es sei zudem Sache der Kläger gewesen, die von Rechts wegen bestehende Doppelzuständigkeit durch Hinwirken auf eine frühzeitige Aufhebung der Pflegschaft zu beseitigen.
Auf die Einrede der Verjährung brauche nicht eingegangen zu werden, da dieser Mangel nicht die Nichtigkeit der hier angegriffenen Bescheide zur Folge habe.
Diese Rechtsauffassung habe auch weitgehend für die Anfechtungsklage Geltung. Das FA habe die Einsprüche zu Recht wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig verworfen. Soweit sich die Kläger darauf verlassen hätten, die Bekanntgabe der Steuerbescheide an den Nachlaßpfleger sei unwirksam, sei dies auf ihre Gefahr geschehen, ganz abgesehen davon, daß der erstmals im gerichtlichen Verfahren gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verspätet gewesen sei (BFH-Urteil vom 19. Dezember 1968 V R 19-20/68, BFHE 94, 563, BStBl II 1969, 272).
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 157 AO 1977, hilfsweise die Verletzung des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und mangelnde Sachaufklärung. Sie machen geltend, die Steuerbescheide seien unwirksam, da das FA die Steuerschuldner (Erben) nicht einzeln bezeichnet habe. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Nachlaßpfleger gesetzlicher Vertreter sei oder nicht; dies könne nur Bedeutung dafür haben, ob richtig zugestellt worden sei, nicht aber dafür, ob der Inhalt des Bescheids den gesetzlichen Erfordernissen entspreche. Die unzureichende Bezeichnung des Steuerschuldners sei ein Mangel des Bescheids selbst, der notwendig und unverzichtbar den ganzen Bescheid erfasse (BFHE 108, 257, BStBl II 1973, 372).
Das FG habe zu Unrecht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als verspätet zurückgewiesen, ohne dies zu begründen. Sie seien bis zum Übersenden des Leistungsgebotes vom 15. Januar 1979 ohne Verschulden verhindert gewesen, Einspruch einzulegen. Die versäumte Rechtshandlung sei dann aber innerhalb der Frist des § 56 FGO erfolgt, so daß das FG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch ohne Antrag hätte gewähren können. Wenn man mit dem FG davon ausgehe, daß der Nachlaßpfleger gesetzlicher Vertreter der Erben sei, so könne dessen etwaiges Verschulden nicht ihnen angelastet werden, da sie keinen Einfluß auf dessen Bestellung gehabt hätten.
Im übrigen hielten sie daran fest, daß der Nachlaßpfleger nicht gesetzlicher Vertreter der Erben sei. Daraus ergebe sich, daß die Bescheide unwirksam zugestellt und die Rechtsbehelfsfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei, sofern nicht ohnehin die Nichtigkeit der Bescheide festzustellen sei.
Die Kläger beantragen, die Nichtigkeit der Vermögensteuerbescheide für 1967, 1969, 1972 und 1974 sowie der Einkommensteuerbescheide für 1967 bis 1974 festzustellen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und macht weiter geltend, daß der Nachlaßpfleger im Rahmen seiner Aufgaben gesetzlicher Vertreter des Erben sei (Hinweis auf BGH-Urteil vom 21. Juni 1972 IV ZR 110/71, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1972, 936). Seine Vertretungsmacht sei auch nicht von der Zweckmäßigkeit seines Handelns abhängig (BGHZ 49, 1). Der Umstand, daß der Nachlaßpfleger die Stellung eines gesetzlichen Vertreters einnehme, mache ihn auch zum Adressaten der Steuerbescheide. Da das Vertretungsverhältnis und die Erblasserin aus den Bescheiden eindeutig hervorgehe, sei der Adressat eindeutig bezeichnet. Es liege daher weder ein Fehler in der Zustellung noch in den Bescheiden selbst vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorentscheidung verletzt weder § 157 AO 1977 noch § 56 FGO. Entgegen der Ansicht der Kläger sind die angefochtenen Steuerbescheide nicht unwirksam, weil die Steuerschuldner (Erben) nicht einzeln bezeichnet worden seien. Es liegen auch keine Gründe für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor.
Die im Streit befindlichen Steuerbescheide sind gegenüber den Klägern als Erben nach der verstorbenen Rentnerin A B wirksam geworden. FA und FG sind zutreffend davon ausgegangen, daß nach Anordnung der Nachlaßpflegschaft (§ 1960 Abs. 2 BGB) bis zu deren Aufhebung durch das Nachlaßgericht (§§ 1960 Abs. 2, 1919, 1962 BGB) der Nachlaßpfleger gesetzlicher Vertreter der Erben ist mit der Folge, daß alle die Erben betreffenden Steuerverwaltungsakte an ihn zu richten sind (§ 122 Abs. 1, § 34 Abs. 1 AO 1977).
Nach § 122 Abs. 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist. Im Besteuerungsverfahren ist ein Steuerbescheid für denjenigen Beteiligten (vgl. § 78 Nr. 2 AO 1977) bestimmt, der als Steuerschuldner in Anspruch genommen wird oder werden soll (§ 124 Abs. 1 AO 1977). Der Steuerschuldner (§ 43 AO 1977) ist mithin grundsätzlich Adressat des Steuerbescheides. Im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge gehen die Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über (§ 45 Abs. 1 AO 1977). Aus diesem Grund sind im Erbfall grundsätzlich die Steuerbescheide an die Erben als den Gesamtrechtsnachfolgern des Erblassers zu richten (vgl. zum früheren Recht - § 8 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes [StAnpG] - BFH-Urteile vom 28. April 1965 II 9/62 U, BFHE 82, 484, BStBl III 1965, 422 und vom 28. März 1973 I R 100/71, BFHE 109, 123, BStBl II 1973, 544). Da der Verwaltungsakt eine hoheitliche Regelung für den Einzelfall darstellt, muß er die Person oder die Personen erkennen lassen, an die er sich richtet. Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung des BFH stets verlangt, daß der oder die Erben namentlich im Steuerbescheid aufgeführt werden (Urteile in BFHE 108, 257, BStBl II 1973, 372; BFHE 109, 123, BStBl II 1973, 544 und vom 28. März 1979 I R 219/78, BFHE 128, 14, BStBl II 1979, 718 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
Diese Grundsätze gelten nicht für den Fall, daß noch ungewiß ist, wer Erbe wird, und deshalb gemäß § 1960 Abs. 2 BGB für denjenigen, welcher Erbe wird, die Nachlaßpflegschaft angeordnet wurde. Denn hier wird der Nachlaßpfleger im Rahmen seines Aufgabenkreises als gesetzlicher Vertreter für den oder die unbekannten oder noch ungewissen Erben tätig. Daß der Nachlaßpfleger innerhalb seines Aufgabenkreises gesetzlicher Vertreter des oder der Erben ist, entspricht der einhelligen Meinung in der Rechtsprechung und fast einhelliger Meinung im Schrifttum (BGH-Urteile in BGHZ 49, 1; vom 14. November 1968 VII ZR 51/67, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1969, 36; vom 21. Juni 1972 IV ZR 110/71, MDR 1972, 936, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1972, 1752; vom 22. Januar 1981 IV a ZR 97/80, NJW 1981, 2299; so auch ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts - RG -, vgl. zuletzt Urteil vom 27. November 1922 IV 750/21, RGZ 106, 46; Johannsen in Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl., 1974, § 1960 Rdnr. 21; Soergel/Schippel, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., 1974, § 1960, Rdnrn. 13, 14; Skibbe in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 6, 1982, § 1960, Rdnr. 31; Staudinger/Otte/Marotzke, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., 1979, § 1960, Rdnr. 23; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 41. Aufl., 1982, § 1960, Anm. 5 C, c, aa; a. A. v. Lübtow, Erbrecht, 1971, S. 754 mit weiteren Nachweisen).
Die abweichende Auffassung von Tipke/Kruse (a. a. O.) beruht, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, auf einem Mißverständnis des BFH-Urteils in BFHE 100, 56, BStBl II 1970, 826. Denn in diesem Urteil hat der II. Senat des BFH lediglich geäußert, daß der Nachlaßpfleger nicht der gesetzliche Vertreter des Erben im Streit um dessen Erbrecht sei. Die zur Begründung des Urteils angezogene Entscheidung des RG in RGZ 106, 46 bestätigt die Beschränkung dieser Aussage hinsichtlich der Stellung des Nachlaßpflegers als gesetzlicher Vertreter des Erben ausschließlich zu diesem Punkt, läßt aber die Stellung des Nachlaßpflegers im übrigen völlig offen. Im Rahmen seiner Aufgaben (vgl. das oben angegebene Schrifttum und die Rechtsprechungshinweise) hat der Nachlaßpfleger als gesetzlicher Vertreter des oder der Erben auch die steuerlichen Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO 1977). Aus seiner Stellung als gesetzlicher Vertreter folgt, daß die von ihm vorgenommenen Rechtshandlungen für und gegen den Vertreter wirken und daß ebenso die von der Verwaltung vorgenommenen Rechtshandlungen diese Wirkung haben. Daher sind die an den gesetzlichen Vertreter gerichteten Steuerbescheide gegenüber den Vertretern nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wirksam geworden.
An diesem Ergebnis ändert sich nichts dadurch, daß im Zeitpunkt des Erlasses der Steuerbescheide dem FA die Kläger als Erben bereits bekannt waren. Ist der Nachlaßpfleger gesetzlicher Vertreter der Erben, so obliegen nur ihm die Aufgaben im Sinne von § 34 AO 1977 unabhängig davon, ob die Erben bekannt sind oder ob nur ungewiß ist, wer Erbe wird, etwa weil die Erbschaft noch nicht angenommen oder ausgeschlagen wurde. Erst wenn das Nachlaßgericht die Nachlaßpflegschaft aufgehoben hat, endet die gesetzliche Vertretung der Erben durch den Nachlaßpfleger (vgl. Entscheidung des Bayerischen Oberlandesgerichts vom 30. September 1922 III 72/22, Das Recht 1923, S. 137). Infolgedessen kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, daß das FA die Erben bei Erlaß der Steuerbescheide schon kannte.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist zu Recht versagt worden. Da die Kläger durch den Nachlaßpfleger gesetzlich vertreten wurden, kommt es nicht darauf an, ob sie ohne Verschulden verhindert waren, Einspruch einzulegen. Ein etwaiges Verschulden ihres gesetzlichen Vertreters müssn sie sich anrechnen lassen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Es kommt nicht darauf an, daß die Kläger hinsichtlich der Auswahl des Nachlaßpflegers keine Einwirkungsmöglichkeit hatten und daß der Nachlaßpfleger möglicherweise pflichtwidrig handelte. Soweit dies zutrifft, haben sie die Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs nach den §§ 1833 i. V. m. 1915, 1962, 1960 BGB.
Entgegen der Ansicht der Kläger hat das FG seine Aufklärungspflicht nach § 76 FGO nicht verletzt. Bei der vom FG vertretenen und durch diese Entscheidung des erkennenden Senats gebilligten Rechtsmeinung brauchte das FG keine weiteren Tatsachen festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 74366 |
BStBl II 1982, 687 |
BFHE 1982, 406 |
NJW 1982, 2576 |