Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht

Treten Angehörige der steuerberatenden Berufe für einen Steuerpflichtigen gegenüber Finanzbehörden auf, wird auch vor der Einfügung des § 80 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens mit Wirkung vom 1.1.2017 die ordnungsgemäße Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vermutet.

Diese Vermutung gilt trotz Vorliegens einer auf bestimmte Zeiträume beschränkten schriftlichen Vollmacht auch für außerhalb der schriftlichen Vollmacht liegende Zeiträume, wenn der Angehörige der steuerberatenden Berufe für diese Zeiträume gegenüber dem FA wie ein Bevollmächtigter auftritt.

Hintergrund: Bekanntgabe eines Einkommensteuerbescheids an einen Bevollmächtigten

Die Beteiligten streiten über die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids für 2004 (Streitjahr). Mit Schreiben vom 20.05.2014 zeigten die Prozessbevollmächtigten der Kläger beim FA an, dass sie die Kläger hinsichtlich der "Erklärung von Einkünften für die Jahre 2008 - 2011" sowie "Einkommensteuer 2012" vertreten und reichten entsprechende, von den Klägern am 14.5.2014 unterschriebene Vollmachten ein. Dem Schreiben war eine Schätzung ausländischer Kapitalerträge für die Jahre 2008 bis 2011 beigefügt.

Im weiteren Verlauf forderte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R (Steuerfahndung) die Prozessbevollmächtigten auf, die Anlagen KAP für die Jahre 2008 bis 2011 einzureichen und darüber hinaus auch die Kapitaleinkünfte für die noch nicht festsetzungsverjährten Jahre 2004 bis 2007 zu erklären.

Die Prozessbevollmächtigten reichten sodann im Jahr 2015 "wunschgemäß die ergänzenden Anlagen KAP zur Nacherklärung von Einkünften unserer Mandanten für die Jahre 2004 bis 2011" ein. Das FA änderte daraufhin die Einkommensteuerfestsetzung für 2004 mit Bescheid vom 18.12.2015 und stellte den geänderten Einkommensteuerbescheid mit Zustellungsurkunde am 21.12.2015 den Prozessbevollmächtigten zu. Diese leiteten den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr im Januar 2016 an die Kläger weiter.

Die Kläger, nach deren Auffassung die Prozessbevollmächtigten nur für die Jahre 2008 bis 2011 bevollmächtigt gewesen seien und der Einkommensteuerbescheid für 2004 daher nicht wirksam bekannt gegeben worden sei, legten hiergegen am 18.1.2016 Einspruch ein.

Einspruch und Klage waren erfolglos

Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10.3.2016 zurückgewiesen. Das FG Köln wies die hiergegen erhobene Klage ab. Mit der Revision rügen die Kläger, dass entgegen der Auffassung des FG der Einkommensteuerbescheid für 2004 nicht wirksam bekannt gegeben worden sei, da die Prozessbevollmächtigten nicht zum Empfang des Einkommensteuerbescheids für 2004 bevollmächtigt gewesen seien. Die vorgelegte Vollmachtsurkunde sei ausdrücklich auf die "Nacherklärung von Einkünften 2008 - 2011" sowie "Einkommensteuer 2012" beschränkt gewesen.

Entscheidung: BFH entscheidet zuungunsten der Steuerpflichtigen

Nach Auffassung des BFH hat das FA den Einkommensteuerbescheid für 2004 durch Zustellung an die Prozessbevollmächtigten gemäß § 122 Abs. 1, Abs. 5 AO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes i.V.m. §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung am 21.12.2015 auch mit Wirkung gegenüber den Klägern und damit auch rechtzeitig – vor Ablauf der Festsetzungsfrist zum 31.12.2015 um 24:00 Uhr – bekannt gegeben.

Die wegen der Steuerhinterziehung auf zehn Jahre verlängerte Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer des Streitjahrs (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) hat gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres 2005 begonnen, in dem die Kläger ihre Steuererklärung eingereicht hatten. Sie endete somit mit Ablauf des Jahres 2015, mithin jeweils erst nach der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids am 21.12.2015.

Das FA hat sein Ermessen, den Steuerbescheid für 2004 nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO auch ohne das Vorliegen einer schriftlichen Empfangsvollmacht nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO in der Fassung des Streitjahres dem Prozessbevollmächtigten anstatt den Klägern zuzustellen, fehlerfrei ausgeübt.

Vollmachtsvermutung

Dass eine Bevollmächtigung i.S. des § 122 Abs. 1 Satz 3 AO nicht schriftlich vorliegen muss, sondern sich aus den Umständen ergeben kann, folgt aus § 80 Abs. 1 Satz 3 AO in der Fassung des Streitjahres. Danach hat der Bevollmächtigte seine Vollmacht nur auf Verlangen schriftlich nachzuweisen. Bei Personen und Vereinigungen i.S. der §§ 3 und 4 Nr. 11 des Steuerberatungsgesetzes, die für den Steuerpflichtigen handeln, wird gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BGBl I 2016, 1679) eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet. Zwar wurde diese Regelung erst mit Wirkung vom 1.1.2017 und somit nach der hier streitigen Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids am 21.12.2015 eingeführt. Allerdings wurde eine solche Vollmachtsvermutung bereits zuvor durch die Rechtsprechung anerkannt.

Der BFH vermag danach der Argumentation der Kläger, die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht für die Jahre 2008 bis 2012 spreche gegen eine Bevollmächtigung für das Streitjahr, nicht zu folgen. Denn eine Bevollmächtigung i.S. des § 122 Abs. 1 Satz 3 AO muss gerade nicht schriftlich vorliegen, sondern kann sich aus den Umständen ergeben.

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände durfte das FA daher vermuten, dass die zunächst auf die Jahre 2008 bis 2012 beschränkte Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten durch die Kläger nachträglich auf die Jahre 2004 bis 2007 erweitert wurde. Da die ursprüngliche Bevollmächtigung ausdrücklich zum Empfang der Steuerbescheide ermächtigte, durfte das FA davon ausgehen, dass dies auch für die Jahre 2004 bis 2007 galt.

BFH Urteil vom 16.03.2022 - VIII R 19/19 (veröffentlicht am 23.06.2022)

Alle am 23.06.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen.


Schlagworte zum Thema:  Abgabenordnung, Steuerberatung, Vollmacht