Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wehrersatzämter können bei Nichterhebung von Lohnsteuer in der Regel nicht als Arbeitgeber von Musterungsärzten in Anspruch genommen werden, die als selbständige ärzte eine Praxis ausüben und deswegen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Einer Entscheidung, ob Musterungsärzte in solchen Fällen Arbeitnehmer der Wehrersatzämter sind, bedarf es zur Entscheidung der Frage der Inanspruchnahme der Wehrersatzämter als Arbeitgeber nicht.
Normenkette
EStG § 19 Nr. 1, § 18/1/1, § 38/3; LStDV § 46; StAnpG § 2 Abs. 2
Tatbestand
Ein freiberuflicher Arzt war in der Zeit vom 1. Januar 1964 bis 2. Oktober 1964 an 129 Tagen als Musterungsvertragsarzt beschäftigt. Er erhielt dafür je Musterungstag eine Pauschale von 100 DM und eine pauschale Unkostenerstattung von 40 DM. Das Kreiswehrersatzamt behielt keine Lohnsteuer ein. Im Haftungsverfahren forderte das Finanzamt (FA) für die dem Arzt gezahlte Vergütung von insgesamt 18.060 DM Lohnsteuer in Höhe von 4.032 DM vom Kreiswehrersatzamt als Arbeitgeber an. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Musterungsvertragsärzten und dem Bund beruhen auf einem für alle Kreiswehrersatzämter und für alle Musterungsvertragsärzte verbindlichen Vertrag, in dem ausdrücklich festgestellt wird, daß durch ihn kein Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst begründet wird. Nach diesem Vertrag haben die Musterungsvertragsärzte an den festgesetzten Musterungstagen die ärztlichen Untersuchungen der Wehrpflichtigen auf Tauglichkeit nach den fachärztlichen Richtlinien des Bundesministers der Verteidigung durchzuführen.
Die Sprungberufung des Wehrersatzamtes hatte keinen Erfolg. Unter Hinweis auf die Entscheidung des BFH V 270/60 U vom 13. Dezember 1962 (BFH 76, 460, BStBl III 1963, 167), die die Entgelte der Musterungsvertragsärzte für nicht umsatzsteuerpflichtig erklärt, weil diese ärzte im Verhältnis zum Kreiswehrersatzamt nicht selbständig seien, führte das Finanzgericht (FG) aus, es sei kein Mißbrauch des Ermessens, wenn das FA das Kreiswehrersatzamt als Arbeitgeber in Anspruch genommen habe, da es sich um einen Musterprozeß handle. Der Musterungsvertragsarzt sei in den Organismus des Kreiswehrersatzamtes eingeordnet und weisungsgebunden. Daß er seine ärztliche Tätigkeit unter eigener Verantwortung ausübe, sei ebenso unerheblich wie der Umstand, daß die Vertragsparteien ein Angestelltenverhältnis nicht hätten begründen wollen. Für die Arbeitnehmereigenschaft der Musterungsvertragsärzte spreche vor allem, daß sie kein Unternehmerrisiko zu tragen hätten, da sie ein festes Entgelt für jeden Musterungstag erhielten.
Das Kreiswehrersatzamt hält als Revisionskläger nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die Musterungsvertragsärzte für selbständig. Sie seien nur aushilfsweise und äußerlich in die Organisation der Kreiswehrersatzämter eingegliedert und hätten daher nicht die üblichen Ansprüche wie bei einem Angestelltenverhältnis. Hinsichtlich ihrer ärztlichen Tätigkeit unterlägen sie keinen Weisungen. Die Einstufung der Wehrpflichtigen sei ihnen überlassen und die Dauer der Untersuchung könnten sie selbst bestimmen. Sie könnten auch überweisungen an einen Facharzt vornehmen und dann das fachärztliche Gutachten selbständig auswerten. Da die Musterungsvertragsärzte im übrigen freiberufliche ärzte seien, seien sie schon aus diesem Grund auch gegenüber dem Kreiswehrersatzamt selbständig.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Wehrersatzamtes führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Haftungsbescheids.
Das FG weist zutreffend darauf hin, daß der Umsatzsteuersenat des BFH im Urteil V 270/60 U (a. a. O.) freiberufliche ärzte, die gleichzeitig Musterungsvertragsärzte sind, insoweit als unselbständig betrachtet hat. Der Senat braucht aber zu der Frage der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit im Streitfall nicht Stellung zu nehmen, da die Vorentscheidung und der Haftungsbescheid schon aus einem anderen Grund aufzuheben sind.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Entscheidung des FA, ob es den Arbeitgeber oder Arbeitnehmer wegen der Nichteinbehaltung von Lohnsteuer in Anspruch nehmen soll, eine Ermessensentscheidung. Das FA muß im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen, ob nicht der Arbeitnehmer als der eigentliche Steuerschuldner vor dem Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen ist (§ 2 Abs. 2 StAnpG). Der Arbeitgeber darf in der Regel nicht als Haftender herangezogen werden, wenn die Lohnsteuer bei dem Arbeitnehmer genauso schnell hereingeholt werden kann. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitnehmer zu veranlagen ist (Urteile des Senats VI 183/59 S vom 24. November 1961, BFH 74, 97, BStBl III 1962, 37; VI 262/62 U vom 10. Januar 1964, BFH 78, 560, BStBl III 1964, 213; VI 109/62 U vom 9. März 1965, BFH 82, 497, BStBl III 1965, 426). Im Streitfall ist nichts dafür vorgetragen, daß die veranlagte Einkommensteuer bei dem Arzt selbst nicht eingezogen werden kann. Hinzu kommt, daß die Wehrersatzämter nach Abschnitt 5 LStR 1963 zur Einbehaltung der Lohnsteuer nicht verpflichtet sind, weil die obersten Finanzverwaltungsbehörden die Vergütungen aus vertragsärztlicher Tätigkeit, darunter auch die Vergütungen der Musterungsvertragsärzte, regelmäßig zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit rechnen, die durch Veranlagung zur Einkommensteuer herangezogen werden. Die Entscheidung des Umsatzsteuersenats V 270/60 U (a. a. O.), die für die Umsatzsteuer die Musterungsvertragsärzte als Arbeitnehmer behandelt, hat die Anweisung in Abschnitt 5 LStR nicht etwa gegenstandslos gemacht. Die obersten Verwaltungsbehörden haben ihre bisherige Anweisung beibehalten und wollen offenbar die Einnahmen der Musterungsvertragsärzte weiterhin durch Veranlagung erfaßt wissen. Wenn aber die Wehrersatzämter entsprechend dieser Verwaltungsanweisung verfahren und von der Einbehaltung der Lohnsteuer absehen, ist es nicht gerechtfertigt, sie wegen der Nichteinbehaltung von Lohnsteuer haftbar zu machen.
Die Beteiligten haben zwar erklärt, sie möchten in diesem Musterprozeß die Frage klären, ob die Musterungsvertragsärzte Arbeitnehmer der Kreiswehrersatzämter sind. Offenbar spielt dabei auch der Gedanke eine Rolle, ob die Musterungsvertragsärzte arbeitsrechtlich und sozialversicherungsrechtlich Arbeitnehmer sind. Wenn auch die Beteiligten aus diesem Grund ein gewisses Interesse an einer Entscheidung des Senats über die Arbeitnehmereigenschaft der Musterungsvertragsärzte haben mögen, so können sie doch eine Entscheidung dieser Frage nicht erzwingen. Die Entscheidung des Senats wäre für die Arbeitsgerichte und die Sozialversicherungsbehörde nicht verbindlich. Die Steuergerichte haben über den Streitstoff nach steuerrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden. Sie sind dabei zwar an die Anträge, nicht aber auch an die rechtliche Würdigung der Beteiligten gebunden (§ 96 Abs. 1 FGO). Die an einem Steuerprozeß Beteiligten haben keinen Anspruch darauf, daß die Steuergerichte zu einer von ihnen vorgetragenen Rechtsfrage Stellung nehmen, wenn die Rechtsfrage für die Entscheidung des Gerichts im Ergebnis nicht entscheidungserheblich ist.
Da die Inanspruchnahme des Kreiswehrersatzamtes nach § 46 LStDV aus den angegebenen Gründen nicht angemessen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Haftungsbescheid war ersatzlos aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 412380 |
BStBl III 1967, 331 |
BFHE 1967, 164 |
BFHE 88, 164 |