Leitsatz (amtlich)
Erhält ein Schuldner laufend vom Umsatz abhängige Lizenzgebühren als Entgelt für die Nutzung eines von ihm persönlich entwickelten "Produkts" können diese dem Pfändungsschutz nach § 850 oder § 850i Abs. 1 ZPO jeweils i. V. m. § 850c ZPO unterfallen.
Normenkette
ZPO §§ 850, 850c, 850i Abs. 1
Verfahrensgang
LG Tübingen (Beschluss vom 07.04.2003) |
AG Tübingen |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Tübingen v. 7.4.2003 wird auf Kosten der Gläubigerin zu 2) zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstands: 10.303,10 Euro.
Gründe
I.
Der Rechtspfleger des AG Tübingen hat mit Beschl. v. 4.9.2000 Ansprüche des Schuldners aus einem Lizenzvertrag gepfändet und der Gläubigerin zu 2) zur Einziehung überwiesen. Am 2.7.2002 hat der Schuldner beim Vollstreckungsgericht den Antrag gestellt, gem. § 850i ZPO einen Betrag von monatlich 4.000 Euro für pfandfrei zu erklären. Der Rechtspfleger hat den Antrag mit Beschl. v. 2.10.2002 mit der Begründung zurückgewiesen, Lizenzgebühren seien unbeschränkt pfändbar, sie unterlägen nicht dem Pfändungsschutz des § 850i ZPO; der Schuldner habe nur eine Erfindung gemacht und lizenziert; diese bilde nicht die Grundlage für seinen Lebensunterhalt. Der dagegen vom Schuldner eingelegten sofortigen Beschwerde hat der Rechtspfleger nicht abgeholfen und die Sache dem LG zur Entscheidung vorgelegt. Im Beschwerdeverfahren hat der Schuldner vorgetragen, er habe bis 1999 selbstständig als Gärtner gearbeitet. Danach habe er saisonal als Gartenplaner und ab Februar 2003 als Altenpflegeassistent gearbeitet. Nebenberuflich sei er als Produktdesigner tätig und habe laufend Entwürfe bei möglichen Abnehmern angeboten. Er sei auch Mitglied im Deutschen Designer Verband. Das LG hat festgestellt, der Schuldner habe im Jahr 2002 aus seiner Tätigkeit als Selbstständiger rund 337 Euro monatlich und aus dem Lizenzvertrag mit der Drittschuldnerin in unregelmäßigen Abständen Lizenzgebühren i. H. v. rund 406 Euro monatlich erhalten. Seit dem 1.2.2003 arbeite der Schuldner als teilzeitbeschäftigter Altenpfleger und verdiene monatlich 760,88 Euro. Das Arbeitsverhältnis sei bis zum 31.1.2004 befristet; seine Familie erhalte zusätzlich Sozialhilfe. Das LG hat mit Beschl. v. 7.4.2003 zu Gunsten des Schuldners bis zum 30.9.2004 monatlich einen Betrag für pfandfrei erklärt, der sich nach den Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen gem. § 850c ZPO unter Berücksichtigung von vier unterhaltspflichtigen Personen und unter Anrechnung der sonstigen Einkünfte des Schuldners bemisst. Hiergegen wendet sich die Gläubigerin zu 2) mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat auf den Antrag des Schuldners die Pfändungsfreigrenze für dessen Einkünfte aus dem Lizenzvertrag nach den Pfändungsschutzvorschriften des § 850i Abs. 1 und § 850c ZPO bestimmt. Es ist der Ansicht, es gebe keine sachlichen Gründe dafür, das Entgelt für die Nutzung der mit der Drittschuldnerin über die Verwertung eines vom Schuldner persönlich ohne Ausnutzung fremder Arbeitskraft konzipierten Designs für einen Honiglöffel gegenüber dem fortlaufenden Arbeitseinkommen ungleich zu behandeln. Die aus einem Lizenzvertrag erzielten Vergütungen seien als Entgelt für "konservierte Arbeit" unter § 850i Abs. 1 ZPO zu fassen.
2. Demgegenüber vertritt die Rechtsbeschwerde die Meinung, die Anwendung des § 850i Abs. 1 ZPO auf Ansprüche aus Lizenzvereinbarungen sei nicht sachgerecht, wenn - wie hier - der Schuldner keine dem laufenden Arbeitseinkommen vergleichbaren Ansprüche gegen die Drittschuldnerin, sondern Gebührenansprüche aus einer einmaligen Lizenzvergabe habe. Auch eine Gleichstellung des Vergütungsanspruchs eines einmaligen Lizenzgebers mit den Honoraransprüchen von Freiberuflern sei nicht geboten, weil Freiberufler ihre Tätigkeit selbstständig und nachhaltig ausübten, während hier die Lizenzgebühren aus einer einmaligen Erfindung resultierten. Die Beziehung zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer werde nicht durch persönliche Arbeit oder Dienste, sondern durch ein pachtähnliches Nutzungsrecht gekennzeichnet.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die vom LG getroffene Bestimmung des pfändungsfreien Betrages, der sich unter Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen des Schuldners nach den Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen gem. § 850c Abs. 1 und Abs. 3 ZPO bemisst, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
1. Nach § 850 Abs. 1 ZPO ist fortlaufendes Arbeitseinkommen nach Maßgabe der Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO unpfändbar. Gemäß § 850 Abs. 2 S. 2 ZPO gelten als Arbeitseinkommen auch sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen. Abgestellt wird nicht darauf, ob die Entgelte auf Grund eines freien oder abhängigen Dienstvertrags gewährt werden. Wesentlich ist vielmehr, dass es sich um wiederkehrende zahlbare Vergütungen für selbstständige oder unselbstständige Dienste handelt, die die Existenzgrundlage des Dienstpflichtigen bilden (BGH v. 5.12.1985 - IX ZR 9/85, BGHZ 96, 324 [327] = MDR 1986, 404; Urt. v. 8.12.1977 - II ZR 219/75, NJW 1978, 756; BAG NJW 1962, 1221).
Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen liegt es nahe, dass die von der Drittschuldnerin an den Schuldner ausgezahlten Lizenzgebühren Vergütungen nach § 850 Abs. 2 S. 2 ZPO sind. Der Schuldner übt seinen Nebenberuf als Produktdesigner bereits seit längerer Zeit neben seinen Hauptberufen aus. Sowohl während seiner früheren selbstständigen Tätigkeit als Gartenplaner als auch neben seiner Teilzeitarbeit als Pfleger fertigte er laufend Entwürfe und bot sie verschiedenen Abnehmern zur Verwertung an. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass er für seinen Nebenberuf einen wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft aufwendet. Einkünfte erzielt er freilich allein aus dem mit der Drittschuldnerin geschlossenen Lizenzvertrag. Dabei handelt es sich um laufende und regelmäßige Lizenzgebühren jeweils zum Quartal, selbst wenn diese der Höhe nach nicht feststehen, weil sie vom Verkaufserlös abhängen, den die Lizenznehmerin mit dem Produkt erlangt. Damit bezieht der Schuldner wie ein abhängig Beschäftigter aus einem Nebenberuf regelmäßige Einkünfte und trägt damit wesentlich zum Einkommen seiner Familie bei. Dieses Einkommen ergänzt seine weiteren geringen Einnahmen und bildet einen wesentlichen Teil seiner finanziellen Lebensgrundlage. Deshalb spricht viel dafür, dass es unter § 850 ZPO fällt und somit nur nach Maßgabe des § 850c ZPO gepfändet werden kann.
2. Zu keinem anderen Ergebnis führt indes die Bestimmung der Pfändungsfreigrenze durch das Beschwerdegericht nach § 850c Abs. 1 und 3 ZPO auf den vom Schuldner gem. § 850i Abs. 1 ZPO gestellten Antrag, weil die vom Schuldner erzielten Lizenzgebühren - sollten sie kein Arbeitseinkommen i. S. d. § 850 Abs. 2 S. 2 ZPO sein - jedenfalls als nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste anzusehen sind und deshalb des erweiterten Pfändungsschutzes nach § 850i ZPO bedürfen.
a) Die Vorschrift des § 850i Abs. 1 ZPO schützt vor allem die freiberuflich Tätigen, die über kein laufendes Arbeitseinkommen verfügen, sondern ihre Leistungen persönlich und auf Grund einzelner Aufträge oder Mandate erbringen und ihre Honorare einmalig und damit nicht wiederkehrend unmittelbar nach Erfüllung ihrer persönlich erbrachten Arbeitsleistung erhalten. Auf diese Weise werden Vergütungsansprüche etwa der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Hebammen, Krankengymnasten, Rechtsanwälte, Notare, Architekten, Maler, Komponisten, Schriftsteller und Erfinder den laufenden Arbeitseinkommen gleich behandelt, soweit es sich nicht auf Grund vertraglicher Vereinbarung (etwa bei einem Dauermandat nur eines Auftraggebers) um wiederkehrende zahlbare Vergütungen handelt, die schon von § 850 Abs. 2 und den §§ 850c bis f ZPO erfasst werden. Es besteht Einigkeit darüber, dass es dabei nicht auf die Rechtsnatur des jeweiligen Arbeits- und Dienstverhältnisses (Dienstvertrag, Werkvertrag, Geschäftsbesorgungsvertrag u.Ä.) ankommt (Smid in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. § 850i Rz. 10; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850i Rz. 3, 4).
b) Streitig ist allerdings die Frage, inwieweit Lizenzgebühren i. S. v. § 850i ZPO als nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten angesehen werden können.
aa) Dazu wird die Meinung vertreten, es komme, anders als bei den Verträgen, die den Tätigkeiten der freien Berufe zu Grunde liegen, bei Lizenzverträgen doch auf deren Rechtsnatur an. Diese verbiete es, Lizenzgebühren dem Pfändungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO zu unterstellen. Bei den Lizenzverträgen bestehe vielmehr eine Nähe zur Rechtspacht, denn der Lizenzgeber überlasse wie bei der einmaligen Übertragung eines Rechtes dem Lizenznehmer ein fertiges Arbeitsergebnis zur freien Benutzung. Eine Vergütung werde allein für dieses einmalige Überlassen gezahlt. Diese stehe dem Pachtzins gleich, der nicht unter den erweiterten Pfändungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO falle (Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rz. 1233 und Rz. 1649a unter Hinweis auf OLG Karlsruhe BB 1958, 629 und LG Essen MDR 1958, 433).
bb) Die überwiegende Meinung im Schrifttum, der auch das Beschwerdegericht gefolgt ist, stellt indes darauf ab, dass Einnahmen aus Lizenzverträgen dem Pfändungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO unterfallen, soweit es um den Schutz persönlicher Arbeitsleistungen ohne gewerblichen Kapitaleinsatz gehe, die der Gegenwert für den vor der erweiterten Pfändung zu schützenden Vergütungsanspruch seien. Mit diesen persönlich erbrachten Leistungen werde "konservierte Arbeit" geschaffen. Der Erfolg dieser Arbeit werde dem Lizenznehmer zur Verwertung überlassen, der Lizenzgeber werde über das Entgelt bei Ablieferung des Werkes am wirtschaftlichen Erfolg der Lizenz beteiligt. Lizenzgebühren verdienten gegenüber laufendem Arbeitseinkommen eher größeren Schutz, denn die dem wahren wirtschaftlichen Wert der schöpferischen Leistung entsprechenden Lizenzgebühren würden häufig erst viel später in vom Umsatz abhängigen Teilbeträgen gezahlt. Dem entspreche, dass bei Komponisten, Autoren, Übersetzern oder Journalisten die Zahlung von Entgelten für die schöpferische Leistung häufig in Form von Tantiemen auch erst viele Jahre später erfolge. Solche Vergütungen würden in diesen Fällen nicht unmittelbar von den Lizenznehmern, sondern über die GEMA oder die Verwertungsgesellschaft Wort an die Hersteller der Werke ausbezahlt. Nach übereinstimmender Meinung fielen auch diese Entgelte unter den erweiterten Pfändungsschutz nach § 850i Abs. 1 ZPO (Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 21. Aufl., § 850i Rz. 6; Smid in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. § 850i Rz. 10; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850i Rz. 3; Musielak/Becker, ZPO, 3. Aufl., § 850i Rz. 2; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I., 3. Aufl., § 850i Rz. 2; insoweit bejahend auch Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rz. 1233).
cc) Lizenzverträge sind als Verträge eigener Art anzusehen, die Elemente verschiedener gesetzlich normierter Vertragstypen enthalten (BGH v. 3.11.1988 - I ZR 242/86, BGHZ 105, 374 [378] = MDR 1989, 231 = CR 1990, 49). Da der Inhalt und die vereinbarten Rechtsfolgen im Rahmen der Vertragsfreiheit sehr verschieden sein können, hängt auch die Qualifizierung der Lizenzgebühr von der einzelnen Vertragsausgestaltung ab. So gelangen im Einzelfall Kaufregeln, das Gesellschaftsrecht, die Vorschriften der Miete oder der Pacht nach §§ 581 ff. BGB zur Anwendung (vgl. Benkard/Ullman, Patentgesetz, 9. Aufl., § 15 Rz. 49, m. w. N.). Es können die Bestimmungen über den Verkauf von Rechten rechtsähnlich anzuwenden sein, wenn sich aus dem Vertrag ergibt, dass der Lizenznehmer nur eine einmalige Lizenzgebühr entrichtet (Benkard/Ullman, Patentgesetz, 9. Aufl., § 15 Rz. 20 m. w. N.). I.d.R. besteht das Entgelt des Lizenznehmers für die Benutzung des Arbeitsergebnisses in einer vereinbarten Gebühr, die im Zweifel bei monatlichen oder vierteljährlichen Abrechnungen eine teilbare Leistung darstellt (Benkard/Ullman, Patentgesetz, 9. Aufl., § 15 Rz. 72; RG RGZ 155, 306 [314]). Sie kann auch eine Abgabe auf jeden erzeugten oder veräußerten Gegenstand (Stücklizenz) oder nach sonstigen Berechnungsmaßstäben bemessen sein (als ein Hundertsatz vom Umsatz, RGZ 136, 320). Der wahre Wert der Lizenzvereinbarung ist deshalb vom wirtschaftlichen Erfolg abhängig und drückt sich in umsatzbezogenen Teilleistungen des Lizenznehmers an den Lizenzgeber aus. Damit kann nicht allgemein angenommen werden, dass die Lizenzgebühr regelmäßig nur für das einmalige Überlassen des Arbeitsergebnisses gezahlt wird.
Sind die Lizenzgebühren Entgelt für persönlich erbrachte Dienstleistungen, für die nicht nur eine einmalige Vergütung zu zahlen ist, sondern noch vom Umsatz abhängige nachträgliche Teilleistungen vereinbart werden, sind sie den von der GEMA oder der Verwertungsgesellschaft Wort ausgezahlten Tantiemen oder Verwertungshonoraren vergleichbar, die ebenfalls dem Pfändungsschutz nach § 850i Abs. 1 ZPO unterfallen. Für eine Ungleichbehandlung gegenüber den in den freien Berufen gezahlten Vergütungen besteht somit kein Raum.
Fundstellen
Haufe-Index 1117355 |
BGHR 2004, 630 |
EBE/BGH 2004, 3 |
FamRZ 2004, 790 |
WM 2004, 596 |
WuB 2004, 463 |
InVo 2004, 377 |
KKZ 2005, 102 |
MDR 2004, 713 |
Rpfleger 2004, 361 |
ZVI 2004, 243 |
Mitt. 2004, 231 |
ProzRB 2004, 185 |