Johanna Kauderer, Thomas Stecher
Über die quantitativen Abgrenzungskriterien hinaus gibt es noch weitere besondere Führungs-, Organisations- und Personalcharakteristika, die Großunternehmen kennzeichnen. Während die quantitativen Definitionen sich an fixen Werten orientieren, werden die qualitativen Charakteristika nicht bei einer exakten Schwelle erreicht. Vielmehr werden diese in einem fließenden Übergang mit dem Wachstum in der Mitarbeiterzahl deutlicher in ihrer Ausprägung.
3.2.1 Eigenschaften der Unternehmensführung von Konzernen
- Geschäftsführung ist i. d. R. nicht mit privatem Kapital am Unternehmen beteiligt
- Manager mit fundierten Unternehmensführungskenntnissen
- technisches Wissen in Fachabteilungen und Stäben ist verfügbar
- Führung durch "Management by Prinzipien"
- Entscheidungen, häufig Gruppenentscheidungen
- geringe Bedeutung von Improvisation und Intuition
- umfangreiche Planung
- hochgradige sachbezogene Arbeitsteilung
- Ferne zum Betriebsgeschehen
Im Vergleich zum Unternehmensleiter eines KMU, der neben der Steuerungsfunktion des Unternehmens durch Eigenkapitalbindung auch ein starkes privates Interesse und dadurch eine engere sowie längere (häufig lebenslange) Bindung an das Unternehmen hat, fehlen diese Eigenschaften bei angestellten Geschäftsführern großer Unternehmen. Dies wiederum führt zu einer etwas anderen Zielsetzung der Unternehmensführung. I. d. R. steht bei Geschäftsführern von großen Unternehmen die Gewinnmaximierung im Vordergrund. Begründet liegt dies in der Tatsache, dass die Leistungsfähigkeit des Geschäftsführers am Unternehmensgewinn gemessen wird.
Dieses Interesse setzt sich in der Zielsetzung und dem priorisierten Handlungsansatz für das BGM fort. Die Optimierung von Kennzahlen, die Reduktion von Fehlzeiten und daraus folgend die Gewinnoptimierung ist für die Führung und für die Shareholder von Großunternehmen ein übergeordnetes Unternehmensziel. Die Herausforderung für die Akteure besteht u. a. darin, die Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass die Gewinnmaximierung zwar ein wichtiger Teil, aber nicht das einzige Ziel eines BGM ist.
3.2.2 Merkmale der Organisationsstruktur in Konzernen
- personenunabhängige an den sachlichen Gegebenheiten orientierte komplexe Organisationsstruktur
- umfangreiche Abteilungsbildung
- vorgeschriebene Informationswege
- geringe persönliche Bindungen
- formalisierte, unpersönliche Weisungs- und Kontrollbeziehungen
- große Koordinierungsprobleme
- hoher Formalisierungsgrad
- geringe Flexibilität
Durch diese Merkmale sind Großunternehmen organisatorisch durch lange Entscheidungswege, Mängel bei der umfassenden Kontrolle und einer schwerfälligen Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet. Während KMU durch eine flache Hierarchie und einen Konsens zwischen Leitung und Personal bevorteilt sind, sorgen bei den Konzernen zahlreiche Hierarchieebenen für eine zunehmende Unübersichtlichkeit und Distanz zwischen der Unternehmensführung und den Mitarbeitern. Der hohe Formalisierungsgrad führt zu einer verminderten Flexibilität und dadurch zu einer verlängerten Reaktionszeit bei Veränderungen.
3.2.3 Eigenschaften von Konzernen im Hinblick auf das Personal
- hohe Anzahl von Beschäftigten
- häufig hoher Anteil von angelernten Arbeitskräften
- Akademiker im größeren Umfang beschäftigt
- starke Tendenz zum ausgeprägten Spezialistentum
- geringe Arbeitszufriedenheit im Vergleich zu KMU
- gute Ausgleichsmöglichkeit bei Fehlentscheidungen und Fehlzeiten
Aufgrund der hohen Anzahl der Beschäftigten ist die persönliche Bindung eher gering. Zudem wirkt sich die geringe Arbeitszufriedenheit, die zu einem großen Teil auf organisatorische Charakteristika zurückzuführen ist, negativ auf den Gesundheitszustand der Mitarbeiter und auf deren Produktivität aus.
Die starke Tendenz zum ausgeprägten Spezialistentum geht einher mit ständig wiederkehrenden Arbeitsvorgängen. Dies wird von rund 50 % der Beschäftigten als psychische Belastung empfunden und gehört laut Erhebungen der BIBB und BAuA zu den häufigsten psychischen Belastungen in der Arbeitswelt.