Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Arbeitslosen. Befreiung von der Versicherungspflicht. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Besteht kein Anspruch auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Nr 1a SGB 5, so kommt eine Auskehrung der von der Bundesanstalt für Arbeit gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Betracht. Hierin liegt kein Verstoß gegen Art 2 Abs 1 GG.
2. Im "Ersatz" des Krankenversicherungsschutzes in der privaten Krankenversicherung durch den Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Ausschluss der Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Nr 1a SGB 5 liegt kein anzuerkennender Nachteil, weil beim Systemvergleich von der Gleichwertigkeit der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung auszugehen ist (vgl BSG vom 17.7.1997 - 12 RK 16/96 = SozR 3-4100 § 155 Nr 5).
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; SGB 5 § 8 Abs. 1 Nr. 1a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob der Kläger für die Zeit des Bezugs von Arbeitslosenhilfe von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu befreien ist.
Der Kläger war seit 1. Januar 1993 privat krankenversichert. In den letzten fünf Jahren vor dem Bezug von Arbeitslosenhilfe, die für den Zeitraum vom 1. September 2002 bis 31. März 2003 gewährt wurde, war er mit Unterbrechungen als Kostümbildner in der Film- und Fernsehbranche in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen tätig, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung begründeten. In den Zwischenzeiten der Arbeitslosigkeit vom 1. bis 3. August 1998, 9. Januar bis 28. März 1999, 21. Dezember 1999 bis 9. Januar 2000, 4. März bis 24. April 2000, 6. Juli 2000 bis 14. August 2001 und 17. Oktober 2001 bis 3. Februar 2002 bezog er Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und war deshalb bei der beklagten Krankenkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit der Arbeitslosigkeit mit Bezug von Arbeitslosenhilfe ab 1. September 2002 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 2002 ab. Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg (LSG) vom 24. Oktober 2005 macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung verfassungsrechtlicher Fragen gilt nichts anderes. Die Begründung darf sich auch insofern nicht auf eine bloße Berufung auf Normen des Grundgesetzes (GG) beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Es ist bereits fraglich, ob die Beschwerde eine hinreichend konkrete Rechtsfrage formuliert hat. Soweit ihrer Begründung entnommen werden kann, dass der Kläger für grundsätzlich bedeutsam hält, ob der Ausschluss der Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 8 Abs 1 Nr 1a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG sowie die Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art 2 Abs 1 GG verstößt, soweit in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsbezug eine gesetzliche Krankenversicherung nur wegen vorheriger Zeiten des Leistungsbezugs, die eine versicherungsfreie abhängige Beschäftigung unterbrachen, ausgeschlossen ist, fehlt es an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit.
Es hätte hierzu unter Berücksichtigung der vom LSG zitierten Rechtsprechung des Senats, insbesondere des Urteils vom 17. Juli 1997 (12 RK 16/96, SozR 3-4100 § 155 Nr 5), sowie der Rechtsprechung des BVerfG näher ausgeführt werden müssen, warum die Rechtsfrage weiter klärungsbedürftig ist, obwohl der Senat in seiner Entscheidung vom 17. Juli 1997 die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V iVm § 155 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) für bisher privat krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld nicht als verfassungswidrig angesehen und der Gesetzgeber mit Wirkung ab 1. April 1998 mit § 8 Abs 1 Nr 1a SGB V eine Befreiungsmöglichkeit geschaffen hat. Die Beschwerde legt nicht dar, dass und weshalb der Gesetzgeber trotz der in der genannten Entscheidung des Senats für eine Pflichtversicherung sprechenden Gründe verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen sein könnte, auch Personen, die in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsbezug nur mit Unterbrechungen privat krankenversichert, in der Unterbrechungszeit wegen des - wiederholten - Bezugs von Leistungen nach dem AFG bzw des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) jedoch gesetzlich krankenversichert waren, ein Befreiungsrecht einzuräumen.
Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen Art 2 Abs 1 GG rügt, ist nicht dargetan, inwieweit die Versicherungspflicht den Kläger unzumutbar belastet. Dass das LSG wegen der fehlenden Befreiungsmöglichkeit einen Anspruch auf die vom Kläger begehrte Auskehrung der von der beigeladenen Bundesagentur für Arbeit gezahlten Krankenversicherungsbeiträge verneint hat, reicht hierfür nicht aus. Eine insbesondere unvermeidbare Belastung mit Beiträgen zur privaten Krankenversicherung ist nämlich nicht dargelegt. Auch die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung werden gemäß § 251 Abs 4a SGB V nicht durch den Kläger, sondern durch die Bundesagentur für Arbeit getragen. Der Kläger beruft sich schließlich auch nicht auf einen Verlust des privaten Krankenversicherungsschutzes.
Zur Begründung der Verletzung des Art 3 Abs 1 GG hätte neben der gerügten Gleichbehandlung mit nicht privat krankenversicherten Leistungsempfängern und der Ungleichbehandlung mit in den letzten fünf Jahren durchgehend nicht krankenversicherungspflichtigen Leistungsempfängern dargelegt werden müssen, aus welchen Gründen diese unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG ungerechtfertigt und verfassungswidrig sein könnten. Soweit die Beschwerde eine Benachteiligung darin sieht, dass ein von ihr als vorteilhafter eingeschätzter Krankenversicherungsschutz in der privaten Krankenversicherung durch den Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung ersetzt wird, hätte es einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen in der Entscheidung des Senats vom 17. Juli 1997 bedurft, dass dies kein anzuerkennender Nachteil sei, weil beim Systemvergleich von der Gleichwertigkeit der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung auszugehen ist.
Soweit es die Beschwerde unter Hinweis auf neueste Entwicklungen und weiterführende Diskussionen in der Öffentlichkeit und in der Politik sowie in den Fachkreisen für sozialpolitisch wünschenswert hält, dass eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht auch im Falle des Klägers möglich ist, um die Solidargemeinschaft zu entlasten, handelt es sich um im Rahmen des Ermessens des Gesetzgebers zu berücksichtigende sozialpolitische Erwägungen. Eine verfassungswidrige Überschreitung dieses Ermessens, auf die sich der Kläger berufen könnte, wird nicht dargetan.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzung der Revisionszulassung beizutragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen