Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Einrichtung eines Aufsichtsrats. Zustimmungserfordernis. Rechtsmacht. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einrichtung eines Aufsichtsrats und die damit einhergehende Übertragung der Überwachung der Geschäftsführung einer GmbH führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers aufgrund seiner Gesellschafterstellung.
2. Dasselbe gilt bei einem Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats zu Maßnahmen des Geschäftsführers.
Normenkette
SGB III § 25 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 7 Abs. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; GmbHG § 37 Abs. 1, § 38 Abs. 2, § 46 Nrn. 5-6, §§ 52, 53 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Oktober 2019 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob die Kläger in ihrer jeweiligen Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der zu 1. beigeladenen GmbH (im Folgenden: Beigeladene) aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlagen.
Die klagenden Geschäftsführer der beigeladenen GmbH hielten zunächst je ein Fünftel und halten seit 1.1.2016 je ein Drittel der Gesellschaftsanteile. Ihnen ist nach § 7 Abs 2 Satz 1 in Verbindung mit (iVm) § 8 Abs 1 Satz 1 und § 9 Abs 1 Satz 1 des Gesellschaftervertrags (GV) jeweils ein Sonderrecht zur einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführung eingeräumt. Gesellschafterbeschlüsse werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst (§ 16 Abs 2 GV). Die Beigeladene hat nach § 11 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 GV einen aus einem Mitglied bestehenden Aufsichtsrat, der durch einstimmigen Beschluss der Gesellschafter bestellt wird und mit einer 4/5-Mehrheit jederzeit abberufen werden kann. Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung und ist ua berechtigt - mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit einer 4/5-Mehrheit -, eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführer (GO) festzulegen; diese regelt diejenigen Handlungen, Maßnahmen und Rechtsgeschäfte, die der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen (§ 12 Satz 1 bis 4 GV). Darüber hinaus ist der Aufsichtsrat befugt, die Geschäftsführer oder einzelne von ihnen durch Beschluss oder Vereinbarungen im Anstellungsvertrag von der gesellschaftsrechtlichen Weisungsgebundenheit zu befreien und eine dem Vorstand einer Aktiengesellschaft (AG) entsprechende Position des oder der Geschäftsführer zu regeln (§ 8 Abs 3 GV).
Der Aufsichtsrat der Beigeladenen schloss mit den Klägern zum 1.8.2015 jeweils gleichlautende Geschäftsführer-Dienstverträge (DV), wonach sie "frei von Gesellschafterweisungen" handeln. Die von ihm erlassene GO sieht für jeweils aufgelistete Angelegenheiten vor, dass die Geschäftsführung in ihrer Gesamtheit entscheidet (§ 3 Abs 6 GO) und es der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf (§ 5 Abs 1 GO).
Auf die Statusfeststellungsanträge der Kläger stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund gegenüber der Beigeladenen und den Klägern fest, dass deren Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer seit dem 1.8.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Bescheide vom 14. und 15.7.2016; Widerspruchsbescheide vom 7., 14. und 30.11.2016).
Nach Verbindung der von den Klägern erhobenen Klagen hat das SG Mannheim die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass in den Zweigen der Sozialversicherung keine Versicherungspflicht bestehe (Urteil vom 2.3.2018). Das LSG Baden-Württemberg hat dieses Urteil aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung von zunächst 20 vH und später 33,33 vH hätten die Kläger nicht über eine Sperrminorität verfügt. Auch könne den Regelungen des GV iVm mit dem jeweiligen DV keine gesellschaftsrechtlich verankerte Rechtsmacht der Kläger entnommen werden, unliebsame Weisungen an sich und insbesondere ihre Abberufung als Geschäftsführer zu verhindern. Zwar sei ihnen eine umfassende Unabhängigkeit von Weisungen der Gesellschafter eingeräumt. Allerdings sehe weder der DV noch der GV eine Sperrminorität der Kläger hinsichtlich ihrer Abberufung als Geschäftsführer vor. Die Einrichtung eines Aufsichtsrats habe lediglich zum Ausschluss direkter Weisungen durch die Gesellschafterversammlung geführt. Durch die Möglichkeit der jederzeitigen Abberufung des Aufsichtsrates mit einer 4/5-Mehrheit habe sich die Beigeladene die Kontrolle des Aufsichtsrats vorbehalten (Urteil vom 25.10.2019).
Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 7, 7a SGB IV, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI und § 25 Abs 1 SGB III. Das ihnen eingeräumte Sonderrecht auf Geschäftsführung habe eine noch stärkere Wirkung als eine Sperrminorität und verhindere ihre Abberufung. Die Möglichkeit, aus wichtigem Grund die Weisungsfreiheit eines Geschäftsführers aufzuheben, führe nicht zu einer die abhängige Beschäftigung begründenden Weisungsgebundenheit. Auch ein Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminorität oder Mehrheitsanteilen könne aus wichtigem Grund aus seiner Geschäftsführerposition durch Stimmrechtsausschluss abberufen werden. Zudem sei der Entzug der Weisungsfreiheit aus wichtigem Grund nur bei groben Verstößen und nur durch den Aufsichtsrat möglich. Selbst bei dessen Abberufung, die nur durch einstimmigen Beschluss herbeigeführt werden könne, verbleibe ihnen eine umfassende Unabhängigkeit von Weisungen der Gesellschaft. Die Gesellschafterversammlung könne daher weder direkt noch indirekt dem einzelnen Geschäftsführer Weisungen erteilen. Gesellschaftsrechtlich seien sie gegenüber einem Mehrheits-Gesellschafter-Geschäftsführer sogar besser oder mit diesem zumindest gleichgestellt. Schon wegen ihrer Einlage von je 15 000 Euro bestehe ein unternehmerisches Risiko. Auch wegen der ausgeschlossenen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, der Anrechnung des Unterhalts des Dienstwagens auf die Tantieme und fehlender Regelungen zu Ort, Zeit sowie Umfang der Dienstpflicht sei von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen.
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Die Kläger beantragen, |
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Oktober 2019 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 2. März 2018 zurückzuweisen, soweit die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung betroffen ist. |
Die Beklagte beantragt,
die Revisionen der Kläger zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Die das Rentenkonto des Klägers zu 1. führende DRV Bayern Süd hat auf die Benachrichtigung des Senats keinen Antrag auf Beiladung gestellt (§ 75 Abs 2b, § 141 Abs 1 Nr 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Revisionen der Kläger sind unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen.
Die Bescheide vom 14. und 15.7.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7., 14. und 30.11.2016 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat gemäß § 7a SGB IV (in der Fassung ≪idF≫ der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710, und des Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes vom 29.3.2017, BGBl I 626) zutreffend die Versicherungspflicht der Kläger in ihrer Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der beigeladenen GmbH in der GRV (§ 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI idF des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24.4.2006, BGBl I 926) und nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III) festgestellt. Eine die Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht nach den vom Senat entwickelten Maßstäben (dazu 1.) verlieh ihnen weder ihre Beteiligung von zunächst je einem Fünftel und später je einem Drittel der Anteile an der beigeladenen GmbH (dazu 2.) noch ihr Sonderrecht auf Geschäftsführung (dazu 3.), die Einrichtung eines Aufsichtsrats (dazu 4.), der Verzicht auf Gesellschafterweisungen (dazu 5.), die auf wichtige Gründe beschränkte Abberufbarkeit (dazu 6.) oder die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats zu bestimmten Maßnahmen der Geschäftsführung (dazu 7.). Auch sonstige Regelungen in den DV stehen der abhängigen Beschäftigung nicht entgegen (dazu 8.). Schließlich sind die Kläger nicht gemäß § 1 Satz 3 SGB VI (idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 27.12.2003, BGBl I 3013) oder § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III versicherungsfrei (dazu 9.).
1. Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom Senat entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42, RdNr 14 f ≪Honorararzt≫) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 29.6.2021 - B 12 R 8/19 R - juris RdNr 12; BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 14; BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 49; BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 KR 30/19 R - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr 47, RdNr 16).
Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (zu den ähnlichen Kriterien des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs EuGH Urteil vom 11.11.2010 - C-232/09 - Slg 2010, I-11405 Danosa - juris; EuGH Urteil vom 9.7.2015 - C-229/14 - NJW 2015, 2481 Balkaya; EuGH Urteil vom 10.9.2015 - C-47/14 - ABl EU 2015, Nr C 363, 8 - juris RdNr 42, 47 (Holterman Ferho); BGH Urteil vom 26.3.2019 - II ZR 244/17 - BGHZ 221, 325 RdNr 20 ff, 32). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Minderheitsgeschäftsführer wie die Kläger sind grundsätzlich abhängig beschäftigt. Sie sind ausnahmsweise nur dann als Selbstständige anzusehen, wenn ihnen nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (§ 37 GmbHG), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG Urteile vom 8.7.2020 - B 12 R 26/18 R - BSGE 130, 282 = SozR 4-2400 § 7 Nr 51, RdNr 13, und - B 12 R 4/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 53 RdNr 14, jeweils mwN).
2. Solche Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten hatten die Kläger in der beigeladenen GmbH nicht. Die Kläger waren mit einer Kapitalbeteiligung von anfänglich 20 vH und später von einem Drittel keine Mehrheitsgesellschafter. Sie verfügten nach dem GV auch nicht über eine umfassende, dh die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität. Die Tätigkeit eines Geschäftsführers ist nur dann unternehmerisch, wenn er auf alle wesentlichen Grundlagenentscheidungen Einfluss nehmen kann. Jeder einzelne Gesellschafter-Geschäftsführer muss daher Gewinnchancen und Unternehmensrisiken der GmbH mitbestimmen und damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschafts- sowie Personalpolitik. Daher reicht es für die erforderliche Rechtsmacht nicht aus, wenn eine Sperrminorität nur für bestimmte, im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgeführte Angelegenheiten besteht, auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen sollten. Dem bei der Statuszuordnung zu beachtenden Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 49 RdNr 24) kann nur Rechnung getragen werden, wenn klar erkennbar ist, dass dem Gesellschafter-Geschäftsführer bei allen Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Sperrminorität eingeräumt ist (BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Daran fehlt es hier. In der Gesellschafterversammlung der Beigeladenen bedurften Beschlüsse grundsätzlich der einfachen Mehrheit. Nur in den gesetzlich bestimmten Angelegenheiten (§ 16 Abs 2 GV), bei der Bestellung und Abberufung des Aufsichtsrats (§ 11 Abs 2 GV) sowie bei der Zustimmung zur GO (§ 12 Satz 3 GV) sieht der GV qualifizierte Mehrheiten vor, die es jedem der Kläger im Sinne einer Sperrminorität erlaubten, die Beschlussfassung zu verhindern. Eine umfassende Sperrminorität ergibt sich auch nicht aus der GO. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Geschäftsordnung geeignet ist, eine sozialversicherungsrechtlich relevante umfassende Sperrminorität zu begründen. § 3 Abs 6 GO, wonach die Geschäftsführung in einzelnen aufgelisteten Angelegenheiten in ihrer Gesamtheit entscheidet, betrifft jedenfalls nicht die Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung.
3. Das in § 7 Abs 2 GV eingeräumte Sonderrecht ändert die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht. Es räumte den Klägern weder eine umfassende Sperrminorität noch eine damit vergleichbare oder sogar ihr gegenüber verbesserte Rechtsposition ein (dazu a). Dem steht nicht eine mit dem Sonderrecht evtl einhergehende Weisungsfreiheit in der gewöhnlichen Geschäftsführung entgegen (dazu b).
a) Den Klägern ist durch § 7 Abs 2 Satz 1 iVm § 8 Abs 1 Satz 1 GV für die Dauer ihrer jeweiligen Beteiligung an der Beigeladenen jeweils das Sonderrecht auf (Einzel)Geschäftsführung eingeräumt worden. Der Entzug dieses Rechts bedurfte als Änderung des GV einer Dreiviertel-Mehrheit in der Gesellschafterversammlung (§ 16 Abs 2 GV, § 53 Abs 2 GmbHG) und damit zumindest seit 1.1.2016 der Zustimmung jedes Klägers. Das Sonderrecht räumt jedem Kläger zwar eine gegenüber anderen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern herausgehobene Rechtsposition ein, weil seine Bestellung als Geschäftsführer - abweichend vom Grundsatz des § 38 Abs 1 GmbHG - nicht jederzeit widerruflich ist (vgl BGH Urteil vom 10.10.1988 - II ZR 3/88 - juris RdNr 9; BGH Urteil vom 4.11.1968 - II ZR 63/67 - juris RdNr 17; RG Urteil vom 21.10.1899 - Rep I.247/99 - RGZ 44, 95, 99; vgl Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbH-Gesetz, 20. Aufl 2020, § 38 RdNr 35 mwN). Allein diese aus dem Sonderrecht resultierende Stellung gewährt ihnen jedoch noch keine ausreichende Sperrminorität. Die Möglichkeit, die eigene jederzeitige Abberufung zu verhindern, ist in der Regel eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer beachtlichen Sperrminorität (vgl BSG Urteil vom 29.6.2016 - B 12 R 5/14 R - juris RdNr 39). Die durch eine Sperrminorität eingeräumte Möglichkeit der Einflussnahme auf das Abstimmungsverhalten in der Gesellschafterversammlung verschafft das Sonderrecht den Klägern nicht (BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nach § 8 Abs 1 Satz 1 GV mit dem Sonderrecht verknüpften Befugnis zur "Einzelgeschäftsführung". Diese Regelung betrifft allein die Geschäftsführung, wirkt sich aber nicht auf die Rechtsmacht als Gesellschafter aus.
b) Es kommt nicht darauf an, ob das Sonderrecht - wie in der gesellschaftsrechtlichen Literatur vertreten wird - den Geschäftsführer regelmäßig von Weisungen, insbesondere bei der gewöhnlichen Geschäftsführung, freistellt (vgl U. H. Schneider/S. H. Schneider in Scholz, GmbHG, 12. Aufl 2018, § 37 RdNr 104; Stephan/Tieves in MüKo GmbHG, 3. Aufl 2019, § 37 RdNr 116 mwN). Auch kann offenbleiben, ob das hier im GV eingeräumte Sonderrecht eine weisungsfreie Geschäftsführertätigkeit schon deshalb grundsätzlich nicht erlaubt, weil der Aufsichtsrat in § 8 Abs 3 GV ausdrücklich ermächtigt wird, die Geschäftsführer von der "gesellschaftsrechtlichen Weisungsgebundenheit" zu befreien. Geschäftsführer einer GmbH unterliegen nach § 37 Abs 1, § 46 Nr 5 und 6 GmbHG grundsätzlich zu jeder Geschäftsführungsangelegenheit der nur durch entsprechende Satzungsregelungen einschränkbaren (§ 45 Abs 1 GmbHG) Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung der GmbH. Eine solche Einschränkung aufgrund eines von Weisungen im Bereich der gewöhnlichen Geschäftsführung befreienden Sonderrechts entspricht lediglich einer "unechten", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzten Sperrminorität, die zur Annahme einer die abhängige Beschäftigung ausschließenden Rechtsmacht nicht ausreicht.
Zwar ist in der Senatsrechtsprechung darauf hingewiesen worden, dass ein selbstständiger Gesellschafter-Geschäftsführer "zumindest" ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können müsse (vgl zB BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 R 5/16 R - juris RdNr 16 f). Mit dieser Formulierung ist die erforderliche Rechtsmacht aber weder auf die ablehnende Haltung des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers nur gegenüber Weisungsbeschlüssen der Gesellschafterversammlung reduziert noch auf dessen gewöhnliche Geschäftsführung eingeengt worden. Als wesentliches Betätigungsfeld des Geschäftsführers muss die gewöhnliche Geschäftsführung zwar von der Sperrminorität "insbesondere" (vgl zur Formulierung BSG Urteil vom 31.7.1974 - 12 RK 26/72 - BSGE 38, 53, 58 = SozR 4600 § 56 Nr 1 S 5 f = juris RdNr 17 f) im Sinn von "jedenfalls" umfasst sein, um eine abhängige Beschäftigung auszuschließen. Allein die Rechtsmacht, in der Gesellschafterversammlung Einfluss auf die gewöhnliche Geschäftsführung nehmen (oder diesen verhindern) zu können, reicht noch nicht, um die Geschicke des Unternehmens in allen Bereichen mitzubestimmen. Selbstständigkeit erfordert eine sich schon formal auf die gesamte Unternehmenstätigkeit erstreckende Sperrminorität.
4. Die Einrichtung eines Aufsichtsrats und die damit einhergehende Überwachung der Geschäftsführung führte nicht zu einem Mehr, sondern zu einem Weniger an Rechtsmacht aufgrund der Gesellschafterstellung. Dadurch hatte nicht (mehr) die Gesellschafterversammlung, sondern nur der Aufsichtsrat, der selbst nicht Gesellschafter ist, die Möglichkeit, auf die Tätigkeit der Geschäftsführung unmittelbar Einfluss zu nehmen. Gleichwohl war die Gesellschafterversammlung nicht gehindert, einem Geschäftsführer nicht genehme Beschlüsse mit einfacher Mehrheit zu fassen. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Rechtsmacht auch mittelbar durch Einflussnahme auf den Aufsichtsrat als zusätzliches Organ der Beigeladenen herbeigeführt werden könnte. Über eine maßgebliche Einflussmöglichkeit hat jedenfalls keiner der klagenden Geschäftsführer verfügt. Sowohl die Abberufung des Aufsichtsrats als auch eine Änderung der GO hätte der 4/5-Mehrheit bedurft.
5. Der durch den Aufsichtsrat erklärte Verzicht auf Gesellschafterweisungen rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Formulierung in den Geschäftsführer-Dienstverträgen, dass die Geschäftsführer ausschließlich dem Wohle der Gesellschaft verpflichtet seien und "insoweit frei von Gesellschafterweisungen" handelten, lässt schon nicht erkennen, ob Weisungen einzelner Gesellschafter oder der Gesellschafterversammlung gemeint sind. Damit ist nicht dem Gebot der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände genügt (vgl zB BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 49 RdNr 24; BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Zudem würde auch eine Freiheit von Weisungen der Gesellschafterversammlung nicht ohne Weiteres zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit führen. Allein damit ist den Klägern noch keine umfassende Einflussmöglichkeit auf Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und deren unternehmerische Entscheidungen eingeräumt. Auch insofern kann daher dahingestellt bleiben, welche Relevanz der Einrichtung eines "dazwischengeschalteten" Aufsichtsrats zukommt.
6. Die in § 7 Abs 2 Satz 3 GV auf wichtige Gründe beschränkte Abberufbarkeit der Kläger als Geschäftsführer führt ebenfalls nicht zu einer sozialversicherungsrechtlich relevanten Rechtsmacht. Dabei kann dahinstehen, ob bei deren Abberufung aus wichtigem Grund (§ 38 Abs 2 GmbHG) wegen des durch die Satzung eingeräumten Sonderrechts besondere formelle Voraussetzungen zu beachten sind (so OLG Nürnberg Urteil vom 10.11.1999 - 12 U 813/99 - juris; aA Pentz, GmbHR 2017, 801, 807). Jedenfalls vermag das Sonderrecht eine Abberufung aus wichtigem Grund im Fall einer groben Pflichtverletzung - wie bei vorsätzlicher Missachtung von Gesellschafterbeschlüssen (vgl Beispiele bei Altmeppen in Altmeppen, GmbHG, 10 Aufl 2021, § 38 RdNr 38) oder Anweisungen durch den Aufsichtsrat - letztlich nicht zu verhindern (vgl BGH Urteil vom 30.11.1961 - II ZR 137/60 - juris RdNr 23). Der Geschäftsführer darf bei Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes nicht in eigener Sache mitabstimmen (vgl BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 26/18 R - BSGE 130, 282 = SozR 4-2400 § 7 Nr 51, RdNr 22; OLG Düsseldorf Beschluss vom 9.6.1999 - 16 W 17/99 - juris).
Die "Gefahr" der außerordentlichen Abberufung als Geschäftsführer betrifft zwar alle Geschäftsführer, da es sich bei § 38 Abs 2 GmbHG um zwingendes, nicht disponibles Recht handelt. Der auf wichtige Gründe beschränkte Widerruf der Geschäftsführerbestellung ist daher allein nicht geeignet, die sich aus einer Kapitalbeteiligung oder umfassenden Sperrminorität ergebende Rechtsmacht in Frage zu stellen (vgl BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 23). Die nur außerordentliche Kündbarkeit vermag aber bei einem aufgrund der Mehrheitsverhältnisse weisungsgebundenen Geschäftsführer die erforderliche Rechtsmacht andersherum auch nicht erst zu begründen, und zwar auch dann nicht, wenn sein weisungswidriges Verhalten im Übrigen "sanktionslos" bleibt (BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
7. Schließlich führt die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats nach § 5 Abs 1 GO zu bestimmten Maßnahmen eines jeden Geschäftsführers nicht zu einer die Selbstständigkeit begründenden Rechtsmacht der beiden anderen Geschäftsführer. Unabhängig davon, ob eine Regelung (nur) in der GO überhaupt geeignet ist, eine mit der qualifizierten Sperrminorität vergleichbare Rechtsmacht zu begründen, vermag sich das lediglich dem Aufsichtsrat eingeräumte Zustimmungsrecht auch nur auf dessen Rechtsmacht auszuwirken. Eine Erweiterung der Rechtsmacht der Kläger im Sinn einer größeren unternehmerischen Freiheit ist damit nicht verbunden.
8. Der Senat lässt offen, ob es im Rahmen der Statuszuordnung von Gesellschafter-Geschäftsführern, die mangels hinreichender Kapitalbeteiligung und Sperrminorität nicht über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende, gesellschaftsrechtlich eingeräumte Rechtsmacht als das wesentliche Abgrenzungsmerkmal verfügen, noch auf die in einem Geschäftsführervertrag vereinbarten Arbeitsmodalitäten und den Gesichtspunkt des Unternehmerrisikos ankommen kann. Die von den Klägern geltend gemachten Verlust- und Haftungsrisiken sowie die vertragliche Ausgestaltung der jeweiligen Geschäftsführertätigkeit rechtfertigen es jedenfalls nicht, von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen, die weder durch eine Weisungsgebundenheit noch eine Eingliederung gekennzeichnet ist.
9. Die Voraussetzungen einer Versicherungsfreiheit gemäß § 1 Satz 3 SGB VI oder § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III für Mitglieder des Vorstands einer AG liegen nicht vor. Die Kläger sind als Geschäftsführer einer GmbH nicht mit Vorstandsmitgliedern einer AG gleichzusetzen. Dass der Aufsichtsrat von der Ermächtigung des § 8 Abs 3 GV, "eine dem Vorstand einer Aktiengesellschaft entsprechende Position des oder der Geschäftsführer" zu regeln, Gebrauch gemacht hätte, ist weder vom LSG festgestellt noch von den Klägern behauptet worden. Der Senat kann deshalb dahinstehen lassen, ob eine solche Regelung die Versicherungsfreiheit nach § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III begründen könnte.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Heinz U. Waßer Beck
Fundstellen
Haufe-Index 15116970 |
DStR 2022, 11 |