Anwälte einer Rechtsanwalts-GmbH können sozialversicherungspflichtig sein
In einer Grundsatzentscheidung hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revisionen von 5 Rechtsanwälten zurückgewiesen, die gegen die Einstufung ihrer Mitgliedschaft in einer Rechtsanwalts-GmbH als sozialversicherungspflichtige Tätigkeit geklagt hatten.
Kläger besitzen Minderheitenbeteiligung an einer Rechtsanwalts GmbH
Im konkreten Fall sind die 5 Kläger Minderheitsgesellschafter der Rechtsanwalts-GmbH mit Geschäftsanteilen von ursprünglich 20 % und nach Ausscheiden eines Gesellschafters in Höhe von 25 %. Gesellschaftsgegenstand ist die Übernahme und Ausführung von Anwaltsaufträgen, die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäften, die die in den Diensten der Gesellschaft stehenden zugelassenen Rechtsanwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts ausführen. Als Entgelt für diese Tätigkeit ist ein festes Monatsgehalt von brutto 6.500 Euro, zuzüglich eines 13. Monatsgehaltes sowie einer gewinnabhängigen Vergütung vorgesehen.
Anwälte als abhängig Beschäftigte in die GmbH eingegliedert
Im Rahmen eines Status-Feststellungsverfahrens stellte die beklagte „Deutsche Rentenversicherung Bund“ die Versicherungspflicht der Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest. Die hiergegen gerichtete Klage der 5 Anwälte blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Die Instanzgerichte waren der Auffassung, allein die Ausübung eines freien Berufs bewirke noch keine Selbstständigkeit. Insbesondere verfügten die Kläger nicht über eine Sperrminorität, mit der sie von ihnen nicht erwünschte Beschlüsse der Gesellschafterversammlung blockieren könnten. Die Kläger seien vielmehr in den Betrieb der GmbH im Sinne einer abhängigen Beschäftigung eingegliedert.
Gestaltungsmacht über die GmbH ist entscheidend
In der Revisionsinstanz stellte das BSG klar, dass die sozialversicherungsrechtliche Bewertung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einer Rechtsanwalts-GmbH nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen hat, wie sie für jeden Beschäftigten in einer GmbH gelten. Danach komme es für die Frage der Sozialversicherungspflichtigkeit entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit des dort beschäftigten Gesellschafter-Geschäftsführers insgesamt eher dem Bild eines abhängig Beschäftigten entspricht, der keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft ausüben kann oder der Gesellschafter-Geschäftsführer über die gesellschaftliche Rechtsmacht verfügt, die Geschicke des Unternehmens maßgeblich zu bestimmen.
BRAO garantiert lediglich Unabhängigkeit in der anwaltlichen Tätigkeit
An diesem Grundsatz ändern nach der Entscheidung des BSG die Regelungen der BRAO nichts. Gemäß § 1 BRAO sei der Anwalt zwar ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Die Vorschrift gewährleiste damit eine umfassende fachliche Unabhängigkeit der Rechtsanwälte in ihrer anwaltlichen Tätigkeit. Dies schließe aber gemäß § 46 BRAO eine Tätigkeit der in einer GmbH tätigen Anwälte im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses und damit beschäftigungsrechtlich in abhängiger Beschäftigung nicht aus. Auch das Verbot einer Einflussnahme durch Weisungen nach § 59f Abs. 4 BRAO schließe eine Eingliederung und Weisungsgebundenheit als Geschäftsführer nicht aus. Hiernach seien Weisungen nämlich nicht schlechthin unzulässig; unzulässig seien lediglich Weisungen betreffend die eigentliche inhaltliche Tätigkeit als Anwalt in der konkreten Mandatswahrnehmung.
Weisungsgebundenheit gegenüber der Gesellschafterversammlung
Schließlich hindere auch die Position als Geschäftsführer nicht daran, dass dieser in einer Weise in die Gesamtgesellschaft eingegliedert ist, die dazu führt, dass der Anwalt Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegt, da diese das maßgebliche Bestimmungsrecht über die Unternehmenspolitik ausübt. In diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf § 37 Abs. 1 GmbHG, wonach die Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber verpflichtet sind, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschaft festgesetzt sind.
Mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile für maßgebliche Rechtsmacht erforderlich
Gesellschaftsanteile in Höhe von 20 oder 25% reichten nach Auffassung des BSG nicht aus, um den Klägern die für eine unabhängige Tätigkeit erforderliche gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht zu garantieren, die Geschicke der Rechtsanwaltsgesellschaft maßgeblich zu bestimmen. Diese Voraussetzung sieht das BSG erst bei einem Gesellschaftsanteil von mehr als 50 % als erfüllt an. Erst dann verfüge ein Gesellschafter über die Möglichkeit, von ihm nicht gewünschte Gesellschafterbeschlüsse zu verhindern.
Geschäftsführerverträge sprechen für abhängige Beschäftigung
Zudem bewertete das BSG die in den Geschäftsführerverträgen der Kläger enthaltenen Regelungen als in wesentlichen Teilen typisch für eine abhängige Beschäftigung. Nach den geschlossenen Verträgen seien sie in funktionsgerechter, dienender Teilhabe am Arbeitsprozess in das Unternehmen eingegliedert.
Tätigkeit der Rechtsanwälte in der GmbH ist sozialversicherungspflichtig
Im Ergebnis bewertete das BSG die Tätigkeit der Kläger als eine nichtselbstständige und damit sozialversicherungspflichtige Arbeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV.
(BSG, Urteil v. 28.6.2022, B 12 R 4/20 R)
Hintergrund:
Die Entscheidung des BSG hat erhebliche praktische Bedeutung, sie ist nach einer ähnlichen Entscheidung zu Steuerberatungsgesellschaften allerdings nicht überraschend (BGH, Urteil v. 7.7.2020, B 12 R 17/18 R). Die Zahl der in der Rechtsform der GmbH tätigen Anwälte nimmt in Deutschland seit Jahren zu. Zum 1.1.2022 waren knapp 2.000 solcher Rechtsanwalts-GmbHs in Deutschland registriert. Nach der Entscheidung des BSG ist die GmbH als Arbeitgeber der als Gesellschafter und Geschäftsführer tätigen Anwälte verpflichtet, Beiträge zur Rentenversicherung, zur Arbeitslosenversicherung und - bis zum Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze - auch zur Krankenversicherung zu zahlen. Bei entsprechender Befreiung können die Rentenversicherungsbeiträge an das jeweilige Versorgungswerk geleistet werden.
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