Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Wintergeld zu gewähren hat, das diese für ihre Arbeitnehmer in den Monaten Dezember 1972 bis März 1973 verauslagt hat.
Die von der Klägerin am 14. Juni 1973 ausgefertigten Formularanträge für den Abrechnungszeitraum vom 1. Dezember 1972 bis 15. März 1973 wurden mittels einer einfachen Briefsendung im DIN-A-5-Umschlag an die Beklagte gesandt und gingen dort laut Eingangsstempel am 18. Juni 1973 ein. Der Briefumschlag trägt den Poststempel des Bahnpostamts Nürnberg vom 15. Juni 1973, 18 Uhr. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18. Juni 1973 die Auszahlung des Wintergeldes mit der Begründung ab, die Antragstellung sei nicht innerhalb von drei Monaten nach Ende der Förderungszeit (15. März 1973) erfolgt. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1973). Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Juli 1975). Die Berufung der Klägerin ist ebenfalls erfolglos geblieben (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 18. März 1976). Das LSG hat das Vorbringen der Klägerin, die Briefsendung sei bereits am 14. Juni 1973 zur Post gegeben worden, nicht als erwiesen angesehen und Gründe, die die Berufung der Beklagten auf die Versäumung der Ausschlußfrist als unzulässige Rechtsausübung qualifizieren könnten, verneint.
Die Klägerin hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 81 Abs. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Das LSG habe verkannt, daß die Ausschlußfrist nach § 81 Abs. 3 AFG am Freitag, dem 15. Juni 1973, erst nachts um 24.00 Uhr abgelaufen sei. Selbst wenn man von der Abstempelung des Briefes beim Postamt Nürnberg I am 15. Juni 1973 ausgehe, könne sich die Beklagte nicht auf die Versäumung der Ausschlußfrist berufen, weil dies eine unzulässige und mißbräuchliche Ausnutzung einer Rechtsposition darstelle. Unter Berücksichtigung einer ordnungsgemäßen postalischen Abstempelung und Abwicklung könne nicht widerlegt werden, daß der Brief noch am 15. Juni 1973 vor 24.00 Uhr in das eine Etage unter dem Abstempelungsraum des Postamts I befindliche Postfach der Beklagten gekommen sei. Der Einwand der unzulässigen Berufung auf den Fristablauf werde insbesondere darauf gestützt, daß die Beklagte in der damaligen Zeit die in das Postfach einsortierten Zuschriften nur einmal täglich zwischen Montag und Freitag abgeholt habe. Die Beweisführung des LSG und die damit verbundene Abwertung bzw. Ignorierung der Aussage der Zeugin H… sei nicht haltbar. Die Wichtigkeit dieser Aussage sei verkannt worden. Es wäre unerläßlich gewesen, in der Berufungsinstanz eine Ergänzung dieser Zeugenaussage herbeizuführen.
Die Klägerin beantragt,die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1973 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr das im Förderungszeitraum 1972/73 verauslagte Wintergeld zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Frist des § 81 Abs. 3 AFG um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist handelt, deren Wahrung Anspruchsvoraussetzung für die begehrte Leistung ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Gründe, die Veranlassung geben könnten, den Wortlaut anders zu deuten, sind nicht ersichtlich. So berechtigt auch der Umstand, daß die Mittel für die Gewährung von Wintergeld durch Umlage von den Baubetrieben aufgebracht werden (§ 186a AFG), nicht zu der Annahme, daß hier etwas anderes gemeint sein könnte. Der Sinn der Ausschlußfrist, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Überblick über den Umfang der zu gewährenden Leistungen zu vermitteln (vgl. hierzu die Motive in BT-Drucks. V/2291, S. 77 zu § 79 Abs. 3 des Entwurfs), bleibt unberührt von der Art, wie die Mittel für die Gewährung von Wintergeld aufgebracht werden (Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 35/74 -).
Für die Einhaltung der Ausschlußfrist nach § 81 Abs. 3 AFG kommt es entscheidend darauf an, wann die Anträge auf Wintergeld dem Arbeitsamt zugegangen sind. Das LSG hat festgestellt, daß die Anträge nach dem Datum des Eingangsstempels am 18. Juni 1973 beim Arbeitsamt Nürnberg eingegangen sind. Diese Tatsache selbst ist von der Klägerin auch nicht angezweifelt worden. Aus seinen tatsächlichen Feststellungen konnte das LSG zwar auch den Schluß ziehen, daß die Behauptung der Klägerin, die Briefsendung mit den Anträgen sei bereits am 14. Juni 1973 durch Einwurf in den Briefkasten zur Post gegeben worden, nicht hinreichend erwiesen sei. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Denn selbst wenn die Aufgabe zur Post tatsächlich schon am 14. Juni 1973 erfolgt wäre, der Brief aber durch eine Unregelmäßigkeit im postalischen Beförderungsgang erst am nächsten oder übernächsten Tag in das Postschließfach der Beklagten eingelegt worden sein sollte, ginge diese Verzögerung nicht zu Lasten der Beklagten. Anders als bei der Einhaltung einer gesetzlichen Verfahrensfrist, bei der eine Abweichung vom regelmäßigen Ablauf der Postbeförderung als Wiedereinsetzungsgrund zu beachten ist (BVerfGE 41, 23), trägt bei einer innerhalb einer Anschlußfrist abzugebenden Willenserklärung der Erklärende selbst das Übermittlungsrisiko des Postweges (Urteil des erkennenden Senats vom 25. Oktober 1976 - 12/3 RK 50/75 -).
Nach Lage der Dinge erscheint es allerdings nicht ausgeschlossen, daß die auf dem Postwege beförderten Anträge der Klägerin noch im Laufe des 15. Juni 1973 der Beklagten in einer die Ausschlußfrist wahrenden Weise zugegangen sind.
Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Zugegangen ist die Willenserklärung, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen war, daß er von ihr Kenntnis nehmen konnte (Palandt BGB Anm. 2a zu § 130). Wird ein durch die Post befördertes Schriftstück in ein Postschließfach des Empfängers einsortiert, so ist eine in dem Schriftstück enthaltene Erklärung dem Empfänger am Tage der Einsortierung zugegangen, sofern nach der Verkehrsauffassung mit der Abholung des Schriftstückes an diesem Tag zu rechnen ist (BGH LM Nr. 2 zu § 130 BGB). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) bestimmt sich der Zeitpunkt des Zugangs von Postsendungen über ein Postschließfach danach, wann bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse des Empfängers mit der Kenntnisnahme durch ihn zu rechnen ist (BVerwG NJW 1960, 1587 = DÖV 1960, 880 = DVBl. 1961, 43). Demnach ist eine Postsendung mittels Postschließfach dem Empfänger in dem Zeitpunkt als zugegangen anzusehen, in dem sie nach dem postalischen Beförderungsablauf unter Beachtung einer pflichtgemäßen Abholpraxis seitens des Empfängers von diesem hätte dem Postfach entnommen werden können und müssen.
Für Schriften, die der Einhaltung einer Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfrist dienen, geht das BVerwG jedoch weiter. Es hat entschieden, daß es für die Wahrung solcher Fristen ausreicht, wenn das Schriftstück noch innerhalb der Frist in das Postfach des Empfängers gelangt (BVerwG NJW 1964, 788). Zur Begründung wird ausgeführt, bei der Einlegung eines Rechtsmittels komme es - anders als bei sonstigen Willenserklärungen - nicht darauf an, daß die Behörde von einer Willenserklärung Kenntnis erlange, sondern lediglich darauf, daß diese Willenserklärung in den Machtbereich (Verfügungsgewalt) der Behörde gelange. Eine Behörde, die sich zum Zwecke der Erleichterung der Postzustellung eines Postfaches bediene, müsse sich so behandeln lassen, als seien ihr die dort eingelegten Sendungen an dem Tage zugegangen, an dem sie tatsächlich eingelegt wurden. Das BVerwG verweist dazu auf seine Rechtsprechung über die Pflicht der Gerichte und Behörden zur Anbringung von Nachtbriefkästen (NJW 1962, 1268).
Der erkennende Senat hat keine Bedenken, diese vom BVerwG entwickelten Grundsätze auch auf fristgebundene Anträge im Verwaltungsverfahren anzuwenden, die sich insoweit von Rechtsmitteln nicht wesentlich unterscheiden, als sie ebenfalls innerhalb einer gesetzlich vorgeschriebenen Frist bei der Behörde eingehen müssen. Wie das Gericht bei Rechtsmitteln ist auch eine Verwaltungsbehörde verpflichtet, dafür Vorkehrungen zu treffen, daß das die Frist wahrende Schriftstück unter letztmöglicher Ausnutzung der Frist in Empfang genommen werden kann. Holt die Behörde daher die in ihr Postfach einsortierten Sendungen nicht mehr im letztmöglichen Zeitpunkt (24.00 Uhr) ab, gelten gleichwohl die bis zu diesem Zeitpunkt mittels Postsendung in das Postfach gelangten Anträge als rechtzeitig zugegangen. Die zur Wirksamkeit der Willenserklärung erforderliche Kenntnisnahme wird hierbei ebenso unterstellt wie dies beim Einwurf in einen Nachtbriefkasten der Fall ist. Dem steht die Entscheidung des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. April 1968 - 7 RAr 37/66 - (DienstBl. BA C Nr. 1387 zu § 143 I AVAVG = Breithaupt 1968, 974) nicht entgegen, in der eine unterschiedliche Behandlung der im Laufe der Nacht in den Hausbriefkasten eingeworfenen und der am Morgen von der Post abgeholten oder zugestellten Postsendungen gebilligt wird. Diese Entscheidung hebt nämlich nicht auf die Zustellung mittels Postfach ab.
Es kommt sonach entscheidend darauf an, ob die Briefsendung mit den Anträgen der Klägerin noch am 15. Juni 1973 bis 24.00 Uhr in das Postfach der Beklagten gelangt ist. Das LSG hat hierzu keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Da der Senat diese nicht selbst nachholen kam, ist die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten. Dieses wird den tatsächlichen Zeitpunkt des Einsortierens der Briefsendung in das Postfach festzustellen haben, und zwar zweckmäßigerweise durch Vernehmung aller mit der Beförderung der Postsendungen vom Briefkasten Schnepfenreuther Hauptstraße 25 bis zum Postfach der Beklagten damals befaßter Postbediensteten. Insbesondere wird zu klären sein, wie das Einsortieren von Postsendungen in die Postfächer gehandhabt wurde, wann abends die letzte Einsortierung erfolgte und ob sich diese nach der Abholpraxis des Empfängers richtete. Sollte etwa eine am 15. Juni 1973 noch mögliche Einsortierung deshalb unterblieben sein, weil der Post bekannt war, daß die Beklagte damals ihr Postfach arbeitstäglich nur einmal am Vormittag leeren ließ, dann müßte sich die Beklagte so behandeln lassen, als sei die Briefsendung der Klägerin noch am 15. Juni 1973 in das Postfach einsortiert worden (vgl. auch OLG Celle, NJW 1974, 1386).
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen