Zugang von E-Mails im unternehmerischen Geschäftsverkehr
Kurzwiedergabe des Sachverhaltes
Die Parteien des Rechtsstreits stritten um die Zahlung von Werklohn. Die Anwälte der Klägerin sendeten am 14.12.2018 um 9:19 Uhr eine E-Mail („erste E-Mail“) an die Beklagte. Darin ließ die Klägerin durch ihre Anwälte erklären, dass die Forderung aus der Schlussrechnung noch 14.347,23 EUR betrage und darüber hinaus nur noch Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 EUR als Verzugsschaden geltend gemacht würden. In einer weiteren E-Mail vom 14.12.2018, 9:56 Uhr („zweite E-Mail“) stellten ihre Anwälte knapp eine Stunde später klar, dass die erste Mail unberücksichtigt bleiben solle, da eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin noch nicht erfolgt sei. Die Geltendmachung weiterer Forderungen bleibe vorbehalten. Am 17.12.2018 legte die Klägerin eine höhere endgültige Schlussrechnung in Höhe von 22.173,17 EUR vor. Die Beklagte überwies wenige Tage später, am 21.12.2018, an die Klägerin 14.347,23 EUR auf die Hauptforderung und 1.029,35 EUR zur Erstattung der Anwaltskosten. Die Klägerin reichte Klage ein, die auf Zahlung der Differenz von 7.825,94 EUR zwischen der ersten der zweiten Schlussrechnung lautete.
Das Landgericht wies die Klage ab. Auch die Berufung vor dem OLG blieb ohne Erfolg für die Klägerin. Mit der dem BGH vorgelegenen Revision begehrte die Klägerin Zahlung des Differenzbetrags.
BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21
Der BGH bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts; die Revision blieb ohne Erfolg. Der BGH sah in der ersten E-Mail ein Angebot der Klägerin zum Abschluss eines Vergleichs. Die Beklagte habe durch ihre Zahlung wenige Tage später das Vergleichsangebot angenommen. Dadurch sei das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien vollständig durch die neue Vereinbarung über einen reduzierten Werklohn, den Vergleich, ersetzt worden (sog. Novation). Das mit der ersten E-Mail unterbreitete Angebot sei bindend, weil es der Beklagten zugegangen und mit Zugang wirksam geworden sei (vgl. § 130 Abs. 1 BGB). Die zweite E-Mail sei nicht als gültiger Widerruf im Sinne des § 130 Abs 1 S. 2 BGB zu werten (siehe hierzu sogleich).
Hintergrund der Argumentation des Gerichts ist der Unterschied zwischen der Annahmefrist eines Angebots (§ 147 Abs. 2 BGB) und der Widerrufsfrist eines Angebots (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB). Es geht dabei jeweils um die Abgabe von Angeboten gegenüber Abwesenden. Ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande. Die Annahmefrist ist die Zeitspanne, während der ein Angebot bindend ist und wirksam angenommen werden kann. Die Widerrufsfrist ist die Zeitspanne, während der ein Angebot durch Widerruf noch zurückgenommen werden kann. Die Widerrufsfrist endet mit dem Zugang der Willenserklärung. Das bedeutet: Ein Widerruf ist nur vor oder gleichzeitig mit Zugang der Willenserklärung möglich (vgl. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Annahmefrist läuft dagegen bis zu dem Zeitpunkt, in dem mit der Antwort des Empfängers normalerweise gerechnet werden kann, vgl. § 147 Abs. 2 BGB. Im vorliegenden Fall hat der BGH bestätigt, dass das von der Klägerin abgegebene Angebot binnen einer Annahmefrist von ca. zwei bis drei Wochen angenommen werden konnte.
Zugang einer Willenserklärung per E-Mail
Da der Widerruf eines Angebots nur bis zum Zugang des Angebots möglich ist, hängt die Widerrufsfrist entscheidend vom Zugang ab. Zugegangen ist eine Willenserklärung unter Abwesenden (also z.B. ein per E-Mail oder Post übermitteltes Angebot) nach ständiger Rechtsprechung, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Eine E-Mail, die im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers eingeht, d.h. dem Empfänger abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist – so der BGH – bereits mit Eingang auf dem Mailserver des Empfängers zugegangen. Darauf, ob die E-Mail vom Empfänger tatsächlich abgerufen, geöffnet und gelesen wird, kommt es nicht an. Entscheidend ist allein die Möglichkeit zur Kenntnisnahme.
Daher ging die erste E-Mail, mit der das Vergleichsangebot unterbreitet wurde, bereits am 14.12.2018 um 9:19 Uhr zu. Die zweite E-Mail, die erst 37 Minuten später zuging, stellte daher keinen wirksamen Widerruf des Vergleichsangebots mehr dar. Denn ein Widerruf des Vergleichsangebots war nach Zugang nicht mehr möglich. Der Vergleich ist zustande gekommen durch die Überweisung des angebotenen Betrags am 21.12.2018 zustande gekommen – also noch innerhalb der Annahmefrist von zwei bis drei Wochen. Dies führt zum wirksamen Vertragsschluss bzw. hier zum Abschluss des Vergleichs. Für eine spätere Mehrforderung des Differenzbetrags, wie die Klägerin diese mit der Klage geltend macht, fehlt die Rechtsgrundlage. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag, auf dem der ursprüngliche Anspruch der Klägerin auf Zahlung des höheren Werklohns basierte, wurde durch den Vergleich ersetzt, mit dem die Werklohnforderung reduziert wurde. Außerdem stellte der BGH klar, dass die Annahme eines Angebots, das erfolglos – da zu spät – widerrufen wurde, nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße und damit wirksam sei.
Hintergrund
Der BGH hat mit seinem Urteil die äußerst praxisrelevante, bisher nicht geklärte Frage des Zugangs einer Willenserklärung per E-Mail entschieden. Die Entscheidung bezieht sich auf den Eingang von E-Mails während der üblichen Geschäftszeiten. Noch nicht geklärt ist, wann eine E-Mail zugeht, die außerhalb der üblichen Geschäftszeiten oder an Feiertagen eingeht. Der vom BGH entschiedene Sachverhalt gab keinen Anlass, diese Frage zu klären.
Wann ein Abruf im geschäftlichen Verkehr bei Eingang einer E-Mail außerhalb der Geschäftszeiten erwartet werden kann, wird unterschiedlich beurteilt. Überwiegend wird vertreten, dass der Zugang dann am folgenden Geschäftstag erfolge, spätestens aber bis zum Ende der Geschäftszeiten. Einigkeit herrscht, dass die tatsächliche Kenntnisnahme vom Inhalt der E-Mail für den Zugang nicht erforderlich ist.
Zum Vergleich: Eine per Brief übermittelte Willenserklärung geht nach herrschender Meinung zu, wenn sie im Briefkasten des Empfängers eingeht. Digitales Pendant zum Briefkasten ist der Mailserver. Der Server liege bereits im Machtbereich des Empfängers, so der BGH.
Anmerkung
Erfreulich ist, dass der BGH die bisher ungeklärte Frage des Zugangs einer E-Mail, der im Geschäftsverkehr gängigsten Art der Kommunikation, nun entschieden hat. Einige Rechtsfragen bleiben jedoch offen: Die Entscheidung des BGH bezieht sich nur auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr. Ungeklärt bleibt, ob und inwieweit die Grundsätze zum Zugang von E-Mails auch für Privatpersonen gelten.
In der Praxis bleibt das Problem der Beweislast. Es ist technisch häufig nicht ohne weiteres möglich, die Speicherung einer E-Mail auf einem (fremden) Server zu beweisen. Dies ist aber Voraussetzung für den Zugang. Nicht jeder Server unterstützt das automatische Senden einer Übermittlungsbestätigung. Eine Lesebestätigung ist nicht geeignet, da der Empfänger es in der Hand hat, diese zu senden oder nicht. Im Übrigen kommt es auf die Kenntnisnahme der E-Mail für den Zugang gerade nicht an. Nicht ausreichend für den Nachweis des Zugangs ist jedoch der bloße Nachweis, dass die E-Mail versendet wurde und keine Nichtzustellbarkeits-Benachrichtigung einging. Denn eine gesetzliche Vermutung, dass eine versendete E-Mail auf dem Server des Adressaten ankommt, gibt es ebenso wenig, wie eine Vermutung, dass ein Brief bei Empfänger ankommt.
Die Entscheidung des BGH führt zudem vor Augen, dass ein einmal wirksam abgegebenes Angebot bei der Übermittlung per E-Mail faktisch nicht widerruflich ist, da die E-Mail binnen Sekunden auf dem Eingangsserver des Adressaten eingeht, abrufbereit und somit zugegangen ist. Falls man sich Änderungen des Angebots vorbehalten möchte, ist es daher zu empfehlen, dies durch einen entsprechenden Disclaimer deutlich zu machen. Beispielsweise könnte das Angebot mit der Bemerkung „ohne Obligo“ oder „Änderungen vorbehalten“ versehen werden. Nur so ist eine einseitige Anpassung im Nachhinein noch möglich. Dies gilt im Übrigen generell für Angebote. Denn auch bei Übermittlung per Post muss damit gerechnet werden, dass das Angebot vom Empfänger zügig angenommen wird. Der Widerruf bzw. die Abänderung des Angebots kommt dann zu spät.
(Urteil des BGH v. 6.1.2022 – VII ZR 895/21)
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