Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme. Auslandsbehandlung (hier: Petö-Methode). vorherige Beantragung durch Versicherten und Abwarten der Entscheidung der Krankenkasse. Erlaubnisvorbehalt des § 138 SGB 5. Abgrenzung zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Leistungen. cerebral geschädigtes Kind
Leitsatz (amtlich)
- Kosten einer Auslandsbehandlung darf die Krankenkasse nur übernehmen, wenn der Versicherte dies vorher beantragt und die Entscheidung der Kasse abwartet.
- Wird ein im Ausland entwickeltes Heilmittel auch in Deutschland angeboten, gilt der Erlaubnisvorbehalt des § 138 SGB 5 unabhängig davon, ob die konkrete Behandlung im Inland oder im Ausland durchgeführt wird (Abgrenzung zu BSG vom 16.6.1999 – B 1 KR 4/98 R = BSGE 84, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4).
- Zur Abgrenzung zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Leistungen bei der Behandlung cerebral geschädigter Kinder.
Normenkette
SGB V § 11 Abs. 2, § 18 Abs. 1-2, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 3, § 32 Abs. 1, §§ 138, 275 Abs. 2 Nr. 3; SGB I § 16 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. April 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die 1992 geborene Klägerin leidet an einer infantilen Cerebralparese. Sie ist spastisch gelähmt, und ihre Sprachentwicklung ist verzögert. Neben den bei diesem Krankheitsbild üblichen krankengymnastischen Übungsbehandlungen nach Bobath und Vojta hat sie sich zur Verbesserung insbesondere ihrer motorischen Fähigkeiten mehrfach einer so genannten konduktiven Förderung nach Petö unterzogen. Um deren Bezahlung durch die Krankenkasse geht der Streit.
Bei der von dem ungarischen Arzt und Heilpädagogen András Petö nach dem Zweiten Weltkrieg begründeten konduktiven Erziehung handelt es sich um ein komplexes pädagogisches System, durch das Menschen mit einer Schädigung des Zentralnervensystems lernen sollen, ihre Dysfunktionen zu überwinden oder zu mindern. Die Anleitung erfolgt durch so genannte Konduktoren, die im Rahmen der ganzheitlichen Betreuung des Kindes Aufgaben eines Physiotherapeuten, Logopäden, Motopäden, Sonderpädagogen, Erziehers, Pflegers und Lehrers eigenverantwortlich wahrnehmen. Die Fördermaßnahmen werden überwiegend an dem unter ärztlicher Leitung stehenden Petö-Institut in Budapest, zum Teil aber auch an Einrichtungen in anderen europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland, durchgeführt. Auf Initiative der Ersatzkassen ist das Behandlungskonzept zwischen 1996 und 2001 in einem Modellvorhaben erprobt und begutachtet worden (zu den Ergebnissen: von Voss/Blank, Modellprojekt Petö, ErsK 2002, 272). Der seit 2002 beim Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen anhängige Antrag auf Anerkennung der Petö-Methode als therapeutisch wirksames Heilmittel befindet sich in der Anhörungsphase.
Die Klägerin nahm im Mai 1995 an einer Voruntersuchung und im April/Mai 1996 sowie im November/Dezember 1996 an zwei jeweils siebenwöchigen Behandlungszyklen (sog Förderperioden) am Petö-Institut in Budapest teil. Weitere, hier nicht streitige Behandlungen haben in Einrichtungen des Instituts in Deutschland stattgefunden. Die Eltern der Klägerin haben für die Maßnahmen in Ungarn insgesamt 18.090,66 DM aufgewandt, davon rund ein Drittel für die eigentliche Behandlung und zwei Drittel für Reise und Aufenthalt.
Auf den nach Abschluss der Voruntersuchung im Juni 1995 gestellten Kostenübernahmeantrag teilte die Beklagte der Mutter der Klägerin im März 1996 mündlich mit, dass sie bereit sei, die Hälfte der Behandlungskosten für die Voruntersuchung und die auf April/Mai 1996 terminierte erste Förderperiode zu übernehmen. Entsprechend beteiligte sie sich an den Aufwendungen für die beiden Maßnahmen mit insgesamt 4.032,60 DM (1.575,60 DM für Behandlungskosten und 2.457 DM für Begleitkosten). Für die spätere Förderperiode im November/Dezember 1996 lehnte sie eine Kostenerstattung ab, weil es sich bei der Frühförderung cerebralparetischer Kinder nach der Petö-Methode nicht um Krankenbehandlung, sondern um eine vorwiegend pädagogisch bzw heilpädagogisch ausgerichtete Behindertenrehabilitation handele, für die die Krankenversicherung nicht aufzukommen habe (Bescheide vom 10. Oktober 1996 und 16. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997).
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) kommt eine Kostenerstattung nach § 18 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht in Betracht, weil der Klägerin im Inland ausreichende Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden haben. Auch habe die Beklagte sich in Bezug auf die streitigen Maßnahmen zu Recht als unzuständig angesehen. Dass nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten, zeige die Regelung in § 43a SGB V, die dies für die Versorgung im Inland als selbstverständlich voraussetze und lediglich für diagnostische Maßnahmen eine Ausnahme vorsehe. Im Übrigen sei bei der Behandlung nach der Petö-Methode der Arztvorbehalt des § 15 Abs 1 SGB V nicht gewahrt, denn die Therapie werde unbeschadet der ärztlichen Leitung des Instituts von den Konduktorinnen selbstständig und ohne Überwachung durch einen Arzt geplant und durchgeführt.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 18 Abs 1 und 27 Abs 1 SGB V. Sie ist der Auffassung, die konduktive Förderung nach Petö müsse als Heilmittel iS von § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3, § 32 SGB V aufgefasst werden. Dem Arztvorbehalt widerspreche es nicht, wenn Teile einer Behandlung von nichtärztlichen Therapeuten selbstständig und in eigener Verantwortung durchgeführt würden, sofern nur der Arzt die Maßnahmen verordnet habe und die Therapie als Ganzes unter ärztlicher Leitung verbleibe. Entgegen dem angefochtenen Urteil handele es sich auch um medizinische Behandlung und nicht um rein pädagogische Leistungen. Ungeachtet der erzieherischen Elemente und Zielsetzungen erfülle die konduktive Förderung die Voraussetzungen einer neuro-physiologisch begründeten Behandlungsmethode bei cerebralen Paresen. Schließlich scheitere eine Kostenübernahme für die im Ausland durchgeführten Förderkurse nicht daran, dass es auch im Inland Verfahren zur symptomatischen Behandlung von Cerebralparesen gebe. Die Frage nach der Gleichwertigkeit der verschiedenen Behandlungsmethoden lasse sich wegen der Komplexität und der Unterschiedlichkeit der neurologischen Schädigungen nur von Fall zu Fall beantworten. Die verschiedenen Methoden seien je nach Art der Schädigung sehr unterschiedlich erfolgreich, wobei sich die Eignung für das jeweilige Kind häufig erst in der Behandlung erweise. Spreche ein Kind auf die konduktive Förderung an, so ließen sich damit Behandlungsergebnisse erzielen, die den Ergebnissen der im Inland üblichen Verfahren deutlich überlegen seien.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. April 2000 und des Sozialgerichts Würzburg vom 19. Oktober 1998 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 25. Juli 1996 und 16. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1997 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 10. Oktober 1996 zu verurteilen, ihr die Kosten der Behandlungen vom 17. Mai bis 21. Mai 1995, vom 1. April bis 23. Mai 1996 und vom 28. Oktober bis 19. Dezember 1996 in der Gesamthöhe von 18.090,66 DM abzüglich bereits gezahlter 4.032,60 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen haben einen Kostenerstattungsanspruch zu Recht verneint.
Alle den Gegenstand des Prozesses bildenden Behandlungen sind zwischen Mai 1995 und Dezember 1996 in Budapest durchgeführt worden. Zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Gewährung von Krankenversicherungsleistungen haben zu dieser Zeit mit Ungarn nicht bestanden. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale Sicherheit vom 2. Mai 1998 (BGBl II 1999 S 902) ist erst am 1. Mai 2000 in Kraft getreten (BGBl II 2000 S 644) und bestimmt in Art 40 Abs 1 Buchst a ausdrücklich, dass für die Zeit vor seinem Inkrafttreten keine Leistungsansprüche begründet werden. Das Begehren der Klägerin richtet sich somit ausschließlich nach dem innerstaatlichen Krankenversicherungsrecht des SGB V.
Was die Voruntersuchung im Mai 1995 angeht, besteht nach dessen Vorschriften schon deshalb kein Anspruch, weil die Beklagte erst nachträglich mit dem Leistungsbegehren befasst wurde. Bei einer Behandlung, zu der sich der Versicherte ins Ausland begibt, kommt eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 18 Abs 1 SGB V erfüllt sind und der Versicherte die Kostenübernahme vor Behandlungsbeginn beantragt und der Kasse Gelegenheit zur Prüfung und Entscheidung gegeben hatte. Letzteres ergibt sich aus § 18 Abs 1 und 2 SGB V selbst allerdings nicht unmittelbar. Denn dort ist nur bestimmt, dass die Krankenkasse die Kosten einer Auslandsbehandlung einschließlich notwendiger Begleitleistungen abweichend von der Regel des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V (Ruhen des Leistungsanspruchs bei Auslandsaufenthalt) ausnahmsweise ganz oder teilweise übernehmen kann, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Sprachliches Indiz für die Notwendigkeit eines vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens ist immerhin, dass die Bestimmung im Unterschied zu § 13 Abs 3 SGB V die Gegenwartsform (“Ist eine Behandlung … nur im Ausland möglich”) verwendet und von “Kostenübernahme” statt von “Kostenerstattung” spricht. Diese Ausdrucksweise deutet darauf hin, dass über die Kostentragung vor Durchführung der Behandlung entschieden werden soll. § 18 Abs 1 SGB V muss im Übrigen aber im Zusammenhang mit der Regelung in § 275 Abs 2 Nr 3 SGB V gelesen werden. Darin wird den Krankenkassen vorgeschrieben, vor Übernahme der Kosten einer Auslandsbehandlung durch den MDK prüfen zu lassen, ob die Behandlung nur im Ausland möglich ist. Da eine solche Prüfung nicht abstrakt erfolgen kann, sondern bei dem aktuellen Krankheitszustand des Versicherten ansetzen muss, der die Behandlung erhalten soll, kann sie sinnvoll nur im Vorfeld der geplanten Maßnahme durchgeführt werden. Auch für Behandlungen im Ausland bleibt es somit bei dem allgemein für außervertragliche Behandlungen geltenden Grundsatz, dass der Krankenkasse eine Möglichkeit zur Überprüfung des Leistungsbegehrens einzuräumen ist, bevor dem Versicherten erlaubt wird, sich die benötigte Leistung außerhalb des Sachleistungssystems selbst zu beschaffen. Dass dies gerade bei Auslandsbehandlungen zur Beratung und zum eigenen Schutz des Versicherten sinnvoll ist, liegt auf der Hand.
Für die Förderperioden im April/Mai 1996 und im November/Dezember 1996 hat die Klägerin die Übernahme der Behandlungskosten zwar rechtzeitig bei der Beklagten beantragt. Dennoch besteht über die für den ersten Therapieabschnitt freiwillig geleistete Zahlung hinaus auch insoweit kein Erstattungsanspruch, denn die konduktive Förderung nach Petö gehört nicht zu den Behandlungsmethoden, auf die sich die Leistungspflicht der Krankenkassen erstreckt.
Der Senat teilt allerdings nicht die Einschätzung, dass die konduktive Förderung wegen ihrer pädagogischen Ausrichtung nicht als medizinische Behandlung oder Rehabilitation einzustufen sei und deshalb von vornherein nicht zum Versicherungsgegenstand der Krankenversicherung gehöre. Für die Abgrenzung zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Maßnahmen und damit für die Zuständigkeit der Krankenversicherung kommt es in erster Linie auf die Zielsetzung der Maßnahme an, auch wenn deren Charakter unter Umständen diesbezügliche Rückschlüsse zulässt. Falls eine Methode eines der in den § 27 oder § 11 Abs 2 SGB V genannten Ziele (Erkennen oder Heilen einer Krankheit, Verhütung der Krankheitsverschlimmerung, Linderung von Krankheitsbeschwerden, Vermeidung, Beseitigung oder Besserung einer Behinderung) verfolgt und dabei an der Krankheit selbst bzw an ihren Ursachen ansetzt, verliert der Umstand an Bedeutung, dass wie bei der konduktiven Förderung für die Behandlung vorwiegend pädagogische Mittel eingesetzt werden und das Berufsbild des Therapeuten (“Konduktors”) eher dem des Lehrers und Erziehers als dem eines klassischen Heilhilfsberufs ähnelt. Denn ein derartiger unmittelbarer Krankheitsbezug ist ein hinreichendes Indiz dafür, dass keine anderen Zwecke, wie die soziale Eingliederung, die Verbesserung schulischer oder beruflicher Fähigkeiten oder eine behindertengerechte Gesundheitsförderung (dazu Senatsurteil vom 19. März 2002 – SozR 3-2500 § 138 Nr 2 – Hippotherapie), im Vordergrund stehen. In diesem Punkt kommt der Abschlussbericht über das Modellprojekt der Ersatzkassen zur konduktiven Förderung zu der Einschätzung, dass rund 70 Prozent der Arbeit mit den behinderten Kindern auf eine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten, also ein therapeutisches Ziel, gerichtet sind (Blank/von Voss, Konduktive Förderung nach Petö, München 2002, S 4-114 f).
Medizinische und nichtmedizinische Behandlungszwecke lassen sich freilich gerade bei komplexen Rehabilitationsangeboten oft nur schwer oder gar nicht voneinander abgrenzen, wie der Senat im Zusammenhang mit der Förderung behinderter Kinder in sozialpädiatrischen Zentren näher dargelegt hat (Urteil vom 31. März 1998 – B 1 KR 12/96 R – in ZfS 1998, 178 = USK 98145). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, da durch die Behandlung cerebralparetischer Kinder und Jugendlicher nach der Petö-Methode die krankheitsbedingte Behinderung selber gebessert werden soll und es nicht darum geht, lediglich Auswirkungen der Behinderung auf die Lebensgestaltung aufzufangen oder abzumildern. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, welche Erwartungen der Leistungserbringer selbst mit seinem Vorgehen verbindet. Ob die gestellten Ziele objektiv erreichbar sind, ist eine Frage der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der Maßnahme, für die Einordnung als medizinische Behandlung aber nicht entscheidend. Die Petö-Methode erhebt den Anspruch, durch einen aktiven Lernprozess die motorischen Fähigkeiten der cerebral geschädigten Kinder zu verbessern und dabei sogar physiologische und anatomische Veränderungen im Zentralnervensystem zu bewirken (vgl die Beschreibung der Methode in der Internet-Präsentation des Petö-Instituts unter http://w1.peto.hu/?〈=de, recherchiert am 12. März 2003). Angesichts dessen ist von einem medizinischen Charakter der Fördermaßnahmen auszugehen.
Ob die umstrittene Behandlung nur im Ausland erlangt werden konnte, wie es § 18 Abs 1 SGB V voraussetzt, hat das LSG nicht geprüft. Da die dafür notwendigen Tatsachenfeststellungen fehlen, vermag auch der Senat diese Frage nicht zu entscheiden. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass das Petö-Institut nicht nur in Ungarn, sondern auch in anderen europäischen Ländern, darunter in Deutschland, Therapieeinrichtungen unterhält bzw in Zusammenarbeit mit einheimischen Kliniken Fördermaßnahmen anbietet. Die Klägerin ist zeitweise in Einrichtungen des Instituts in Niederpöcking und Würzburg behandelt worden. Nach den Äußerungen der Beteiligten existieren Behandlungsmöglichkeiten in Fachkliniken und Sozialpädiatrischen Zentren beispielsweise in Bad Wildungen, Starnberg oder Neunkirchen (Saar) und auch das von den Ersatzkassen auf der Grundlage des § 63 Abs 2 SGB V finanzierte Modellvorhaben ist in Einrichtungen in Deutschland durchgeführt worden. Wird die vom Versicherten beanspruchte Therapie auch im Inland angeboten, scheidet eine Erstattung der für die Auslandsbehandlung aufgewendeten Kosten aus, und zwar nach dem klaren Wortlaut der Regelung in jedem Fall, also auch dann, wenn die Behandlung im Inland ebenfalls nur als außervertragliche Leistung erhältlich ist und vom Versicherten selbst beschafft werden müsste. Etwas anderes kann dann nur gelten, wenn die in Deutschland bestehenden Kapazitäten nicht ausreichen und der Versicherte aus diesem Grunde gezwungen ist, für einzelne Behandlungsabschnitte ins Ausland auszuweichen. Dass diese Notwendigkeit hier bestanden haben könnte, ist nicht auszuschließen; im Ergebnis kommt es darauf jedoch nicht an, sodass die Frage auf sich beruhen kann.
Die konduktive Förderung nach Petö ist unabhängig von den speziellen Voraussetzungen einer Kostenerstattung bei Auslandsbehandlungen keine Kassenleistung, weil ihr therapeutischer Nutzen bisher nicht auf dem vom Gesetz vorgeschriebenen Weg durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen festgestellt worden ist.
Da es sich bei den Fördermaßnahmen nicht um ärztliche Behandlung, sondern um medizinische Dienstleistungen handelt, die auf Verordnung eines Arztes durch besonders ausgebildete nichtärztliche Fachkräfte (Konduktoren) erbracht werden, sind sie rechtlich als Heilmittel iS des § 32 SGB V einzustufen (zum Heilmittelbegriff und seiner historischen Entwicklung siehe BSGE 88, 204 = SozR 3-2500 § 33 Nr 41). Neue Heilmittel dürfen die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte nach § 138 SGB V nur verordnen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. § 138 SGB V dehnt den gemäß § 135 Abs 1 SGB V für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden geltenden Erlaubnisvorbehalt auf neue Heilmittel aus. Auch diese können von den Versicherten grundsätzlich nicht beansprucht werden, solange die geforderte Entscheidung des Bundesausschusses nicht ergangen ist. Letzteres trifft für die konduktive Förderung nach Petö zu, die in der Vergangenheit keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung war und deshalb als “neues” Heilmittel dem Erlaubnisvorbehalt unterliegt. Denn zurzeit der hier streitigen Behandlung wurde die Methode noch in dem von den Ersatzkassen initiierten Modellvorhaben erprobt, und das nach Auswertung der Ergebnisse im Jahr 2002 eingeleitete Verfahren beim Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ist bis heute nicht abgeschlossen. Da für eine sachwidrige Behandlung durch die Krankenkassen oder den Bundesausschuss kein Anhalt besteht, sind die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Krankenversicherung nicht erfüllt.
Die Regelung des § 138 SGB V ist auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden, obwohl die in Rede stehenden Fördermaßnahmen in Ungarn durchgeführt worden sind. Der Senat hat allerdings zu § 135 Abs 1 SGB V entschieden, dass anders als bei Inlandsbehandlungen die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bei Auslandsbehandlungen einen Kostenerstattungsanspruch nicht von vornherein ausschließt, weil der Erlaubnisvorbehalt der Sicherung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung im Geltungsbereich des SGB V dient und ein Tätigwerden des Bundesausschusses außerhalb des vom Gesetz zugewiesenen Aufgabenbereichs nicht veranlasst ist (Urteil vom 16. Juni 1999 – BSGE 84, 90, 96 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 – Kozijavkin I). Er hat diese Aussage aber ausdrücklich auf Fälle beschränkt, in denen die betreffende Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nur im Ausland angeboten wird, sodass für eine Prüfung durch den Bundesausschuss keine Grundlage besteht. Sobald die Behandlung auch in Deutschland zum Einsatz kommt, sei es auch nur, dass der ausländische Leistungserbringer seine Tätigkeit hierher erstreckt, entfällt der Grund für die abweichende Behandlung und es gelten für sie die allgemeinen Vorschriften. Es spielt dann auch keine Rolle, ob die Therapie im konkreten Fall im Inland oder im Ausland durchgeführt wird; denn für die Beurteilung der Qualität einer Behandlungsmethode müssen unabhängig von dem Ort der Leistungserbringung einheitliche Maßstäbe und Verfahrensweisen gelten.
Die konduktive Förderung kann nach alledem bislang nicht zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden. Daraus, dass die Beklagte dennoch einen Teil der Kosten für die Voruntersuchung und die erste Förderperiode in Ungarn getragen hat, lassen sich keine weitergehenden Ansprüche herleiten. Die ursprüngliche Zusage einer Kostenbeteiligung hat sich auf die Voruntersuchung und die erste Förderperiode beschränkt und ist mit dem Bewilligungsbescheid vom 10. Oktober 1996 in vollem Umfang erfüllt worden, sodass sich daraus unabhängig von der fehlenden Verbindlichkeit einer bloß mündlich erteilten Zusicherung (arg § 34 Abs 1 SGB X) keine weitergehenden Rechte herleiten lassen. Daraus, dass zu einem früheren Zeitpunkt in gleicher Lage Kosten übernommen wurden, folgt im Übrigen keine Verpflichtung, diese vom Gesetz nicht gedeckte Praxis fortzusetzen. § 18 Abs 1 SGB V räumt den Krankenkassen hinsichtlich der Übernahme der im Ausland entstandenen Behandlungskosten zwar Ermessen ein; über die gesetzlichen Voraussetzungen der Ermessensentscheidung kann die Kasse jedoch nicht disponieren. Infolgedessen kann der Versicherte aus einer früheren rechtswidrigen Handhabung in einem neuen Leistungsfall keine Rechte herleiten.
Da das LSG einen Kostenerstattungsanspruch im Ergebnis zu Recht verneint hat, war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
NZS 2004, 428 |
SozR 4-2500 § 18, Nr. 1 |