Beteiligte
1. Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft |
2. Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung |
Tenor
Die Revisionen der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 3. Februar 1998 werden zurückgewiesen.
Die Beklagten haben dem Kläger je zur Hälfte die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Mitglied der Beklagten zu 1) oder der Beklagten zu 2) ist.
Der Kläger betreibt seit dem 1. Februar 1994 als selbständiger Einzelunternehmer eine Vertriebsagentur. Gegenstand der Agentur ist die Zustellung von Presseerzeugnissen, zu denen außer der Tageszeitung „Der Tagesspiegel” noch verschiedene andere Tages- und Wochenzeitungen gehören, sowie die Zustellung von Anzeigenblättern und Werbeprospekten. Laut Unternehmensbeschreibung vom 21. Februar 1994 beschäftigt der Kläger zwei Personen für kaufmännische Arbeiten und ca 60 Zeitungs- und Zeitschriftenausträger. Bis Ende Januar 1994 war die Zustellung der Zeitung „Der Tagesspiegel” von der „Verlag Der Tagesspiegel GmbH” selbst organisiert, die Mitglied der Beklagten zu 1) ist.
Mit Übersendung der Unternehmensbeschreibung an die Beklagte zu 2) beantragte der Kläger die Mitgliedschaft bei dieser Berufsgenossenschaft (BG). Diese entsprach dem mit Wirkung vom 1. Februar 1994 durch bindend gewordenen Mitgliedsschein (Bescheid vom 25. März 1994). Nunmehr erklärte sich die Beklagte zu 1) unter Hinweis auf ihre sachliche Zuständigkeit für Zeitungs- und Zeitschriftenvertriebsstellen für das Unternehmen des Klägers zuständig, nahm den Kläger mit Bescheid vom 18. Juli 1994 in ihr Unternehmerverzeichnis auf und setzte die Gefahrklasse für den gewerblichen (technischen) Teil auf 7 und den Büroteil auf 0,7 fest. Daraufhin löschte die Beklagte zu 2) mit Bescheid vom 4. August 1994 die Mitgliedschaft des Klägers bei ihr.
Der Kläger widersprach mit inhaltsgleichen Widerspruchsschriften sowohl der Löschung aus dem Unternehmerverzeichnis der Beklagten zu 2) als auch der Aufnahme durch die Beklagte zu 1) in deren Unternehmerverzeichnis. Die Beklagte zu 2) wies den gegen sie wegen des Löschungsbescheids gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 1995, die Beklagte zu 1) den gegen sie wegen des Aufnahmebescheids gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1994 zurück.
Die vom Kläger erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) nach Beiladung der Beklagten zu 2) zum Verfahren gegen die Beklagte zu 1) (Beschluß vom 3. April 1995) gemäß § 113 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) miteinander verbunden (Beschluß vom 28. Juni 1996). Während des Klageverfahrens hat die Beklagte zu 1) erneut einen Aufnahme- und Mitgliedsschein erteilt (Bescheid vom 8. Juni 1995). Das SG hat die Klagen mit Urteil vom 7. April 1997 abgewiesen: Materiell und formell sei die Beklagte zu 1) für das Unternehmen des Klägers der sachlich zuständige Unfallversicherungsträger. Der Kläger betreibe als neuer Unternehmer einen bereits vorher im Kataster- und Beitragsbestand der Beklagten zu 1) stehenden Unternehmensbestandteil mit bereits vorher versicherten Beschäftigten weiter, die vor der Umstrukturierung dem Gesamtunternehmen „Verlag Der Tagesspiegel GmbH” angehört hätten. Folglich habe die Zuständigkeit der Beklagten zu 1) auch für den Zustellbereich bestanden. Die Beklagte zu 2) habe zu Unrecht in den Kataster- bzw Beitragsbestand der Beklagten zu 1) eingegriffen, der Löschungsbescheid sei somit nicht zu beanstanden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu 1) und zu 2) aufgehoben (Urteil vom 3. Februar 1998): Zwar sei die Beklagte zu 1) der sachlich zuständige Unfallversicherungsträger für den Kläger. Eine formelle Mitgliedschaft bei ihr habe nicht entstehen können, weil er zu keiner Zeit deren Mitglied gewesen sei. Der Zeitungsvertrieb des Verlages „Der Tagesspiegel GmbH” sei nicht nur umstrukturiert worden, die in diesem Zusammenhang beauftragten betriebsfremden Agenturen – wie die des Klägers – hätten sich eine neue Unternehmensstruktur zugelegt. Zu deren Aufgaben gehöre nicht nur der Vertrieb der Zeitung „Der Tagesspiegel”, sondern auch der Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften anderer Verlage sowie die Verteilung von Anzeigenblättern und Prospekten. Mit diesem veränderten Gepräge des Unternehmens stelle sich auch die nur durch Mitgliedsschein zu entscheidende Frage der nunmehr zuständigen BG völlig neu. Daß der Kläger vom „Verlag Der Tagesspiegel GmbH” Zusteller und Kunden übernommen habe, sei unerheblich, weil es sich um selbständige Betriebe gehandelt habe. Zum Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers bei der Beklagten zu 1) sei dieser bereits bindend von der Beklagten zu 2) als Mitglied erfaßt worden. Da eine Doppelmitgliedschaft nicht entstehen könne, seien die Aufnahmebescheide der Beklagten zu 1) nichtig (§ 40 Abs 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫).
Die Beklagte zu 2) habe trotz ihrer fehlenden sachlichen Zuständigkeit ihr Unternehmerverzeichnis nicht gemäß § 664 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) durch Löschung des Klägers berichtigen dürfen. Dies sei nur zulässig, wenn die Eintragung entweder aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgt sei, daß die weitere Belassung des Unternehmens bei der formal zuständig gewordenen BG der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufen würde, oder wenn nachweisbar schwerwiegende Unzuträglichkeiten bestünden, welche die Belassung des Unternehmens als unbillige Härte erscheinen ließen. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Beklagte zu 2) könne gemäß § 3 Nr 4 ihrer Satzung sachlich auch für Unternehmenszweige, „die Druckerzeugnisse verteilen”, zuständig sein. Schwerwiegende Unzuträglichkeiten ergäben sich daraus nicht.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte zu 1) sowohl die Verletzung materiellen als auch formellen Rechts. Nach allgemeiner Meinung lasse ein bloßer Unternehmerwechsel die formelle Zuständigkeit einer BG für ein bei ihr erfaßtes Unternehmen unberücksichtigt, dessen Aufnahmebescheid bindend geworden sei. Dies müsse auch – wie vorliegend – für den Fall der Ausgliederung eines Unternehmensbestandteils gelten. Das LSG gehe aber unzutreffend von einem „veränderten Gepräge des Unternehmens” aus und benenne nicht, welche anderen Blätter in welchem Umfang neben den Presseerzeugnissen des „Tagesspiegels” vom Kläger zugestellt werden und welche „anderen” Presseerzeugnisse bereits vor der Ausgliederung von dem Zustelldienst des „Tagesspiegels” mit ausgetragen worden seien. Das LSG habe die allgemeinkundige Tatsache ignoriert, daß konkurrierende Zeitungszustellunternehmen – auf der Basis der Gegenseitigkeit – für den anderen Dienst in schlecht zugänglichen Bezirken dessen Blätter mit austragen würden. Richtigerweise sei hier von einem bloßen Unternehmerwechsel iS von § 665 RVO und einer Betriebsfortführung auszugehen. Dies habe das LSG verkannt. Der Begriff des „veränderten Gepräges” passe schon deshalb nicht auf die Vertriebsagentur des Klägers, weil die sachliche Zuständigkeit der Beklagten zu 1) auch für die ausgegliederte Zustellung unstreitig sei. Das LSG habe darüber hinaus zu Unrecht „Unternehmen” und „Unternehmer” gleichgesetzt. Es sehe die formelle Mitgliedschaft schon wegen des Wechsels des Unternehmensträgers (in bezug auf den Zustellbereich) als beendet an. Indem das LSG trotz tatsächlicher Betriebsfortführung iS von § 665 RVO eine Fortführung der formellen Mitgliedschaft verneint und den Aufnahmebescheid gegenüber dem Kläger als neuen Beitragsschuldner des alten Unternehmensbestandteils unzutreffend als unwirksam angesehen habe, habe es § 40 Abs 1 SGB X verletzt (Unzulässigkeit der Doppelversicherung).
Das Urteil des LSG beruhe auch auf einer Verletzung der §§ 54 und 77 SGG sowie § 646 RVO. Der Mitgliedsschein der Beklagten zu 2) sei gegenüber der Beklagten zu 1) nicht bindend geworden. Für Unternehmen der Zustellung von Presseerzeugnissen sei die Beklagte zu 1) und nicht die Beklagte zu 2) die sachlich zuständige BG. Durch die Aufnahme der Vertriebsagentur des Klägers in ihr Kataster habe die Beklagte zu 2) zumindest mittelbar die Rechte der Beklagten zu 1) verletzt, weshalb die Beklagte zu 1), auch ohne Adressat zu sein, zur Erhebung der Anfechtungsklage berechtigt gewesen wäre (vgl BSGE 68, 217, 218). Mangels Zugangs sei der Aufnahmebescheid gegenüber der Beklagten zu 1) nicht wirksam geworden und habe die Klagefrist nicht zu laufen begonnen. Das Erfordernis einer Anfechtungsklage habe sich für die Beklagte zu 1) jedoch durch den Löschungsbescheid der Beklagten zu 2) erledigt. Folglich sei der Aufnahmebescheid gegenüber der Beklagten zu 1) nicht bindend geworden, so daß sie den Kläger zumindest durch späteren Bescheid (vom 8. Juni 1995) mit Wirkung vom 1. Februar 1994 in ihr Kataster habe aufnehmen dürfen.
Hilfsweise macht die Beklagte zu 1) geltend, das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung des § 664 Abs 3 RVO. Insoweit sei das LSG fälschlicherweise bei der unrichtigen Eintragung des Klägers in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten zu 2) nicht von einem groben Irrtum iS der Rechtsprechung (vgl BSGE 38, 187, 191) ausgegangen. Dieser liege aber vor. Denn die Beklagte zu 2) hätte bei Einblick in ihr Kataster festgestellt, daß der „Tagesspiegel” nicht in ihrem Kataster erfaßt sei. Unzutreffend gehe das LSG alsdann davon aus, daß die Satzungsregelung der Beklagten zu 2) nicht nichtig sei. Eine Zuständigkeit der Beklagten zu 2) sei für Zeitungszustellung durch eigene Austräger nur möglich bei Verlagen mit eigener Druckerei. Eine Satzungsregelung könne jedenfalls keine (originäre) Zuständigkeit einer BG begründen; denn die gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen seien zwingendes Recht (vgl BSGE 68, 217, 224). Die Beklagte zu 2) sei im übrigen berechtigt gewesen, ihren Aufnahmebescheid wieder aufzuheben. Sie habe in kürzester Frist dem kraft Gesetzes bestehenden materiellen Versicherungsverhältnis entsprochen. Dem Kläger stehe kein subjektives Recht auf Versicherung bei einer unzuständigen BG zu.
Die Beklagte zu 2) schließt sich nach Zustellung des Urteils des LSG am 26. Februar 1998 mit Schriftsatz vom 7. August 1998 den Ausführungen der Beklagten zu 1) im wesentlichen an.
Die Beklagte zu 1) beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 3. Februar 1998 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. April 1997 zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 2) schließt sich diesem Antrag an.
Der Kläger beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zugelassenen Revisionen der Beklagten sind zulässig. Zwar hat die Beklagte zu 2) nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des LSG Revision eingelegt (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG); sie ist aber als durch die nichtsäumige Beklagte zu 1) vertreten anzusehen. Im Sinne des § 74 SGG iVm § 62 Abs 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wird ein säumiger Streitgenosse als durch den nichtsäumigen vertreten angesehen, wenn das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann oder die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grunde eine notwendige ist (BSG SozR 3200 § 88 Nr 5; Meyer-Ladewig, SGG 6. Aufl, § 74 RdNrn 5 f; Thomas-Putzo, ZPO, 21. Aufl, § 62 RdNrn 19, 23 ff). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagten zu 1) und zu 2) sind Streitgenossen, weil die zunächst getrennt gegen sie erhobenen Klagen durch Gerichtsbeschluß (§ 113 Abs 1 SGG) wirksam verbunden worden sind. Streitgenossenschaft entsteht auch im Sozialgerichtsverfahren durch nachträgliche Verbindung mehrerer zunächst selbständig erhobener Klagen (BSG SozR 3200 § 88 Nr 5 mwN). Die Streitgenossenschaft der Beklagten ist auch eine notwendige, da nur einheitlich entschieden werden kann, ob der Kläger Mitglied der Beklagten zu 1) geworden ist.
Die Revisionen der Beklagten sind unbegründet. Das LSG hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu 1) und 2) zu Recht aufgehoben. Der Kläger ist Mitglied der Beklagten zu 2).
Sein Anspruch auf diese Mitgliedschaft richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO. Zwar enthält weder das im wesentlichen am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) noch das dieses Gesetz einführende Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) Übergangsvorschriften hinsichtlich der Löschung von Mitgliedschaften und der Aufnahme von Mitgliedern. Gleichwohl ist hier das neue Recht nicht auf die vor seinem Inkrafttreten erlassenen angefochtenen Bescheide anzuwenden, weil sie mit isolierten Anfechtungsklagen angegriffen worden sind, bei denen grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes als maßgebend erachtet wird (BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr 4 und SozR 3-1500 § 54 Nr 18 mwN). Dies steht nicht in Widerspruch zum Urteil des Senats vom 11. August 1998 (B 2 U 31/97 R - HV-Info 1998, 2757), denn in jener Entscheidung ging es um einen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgten Anspruch auf Überweisung an den zuständigen Unfallversicherungsträger. Für die Überprüfung des Veranlagungsbescheides der Beklagten zu 1) ergibt sich die Anwendung des alten Rechts aus der Übergangsregelung des § 219 Abs 1 Satz 2 SGB VII.
Nach § 664 Abs 3 RVO ist die Eintragung in das Unternehmerverzeichnis zu berichtigen, wenn sie unrichtig war. Diese Vorschrift ist lex specialis gegenüber der allgemeinen Regelung des § 44 SGB X (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1985 - 2 RU 57/84 - SGb 1986, 338). Unrichtig iS des § 664 Abs 3 RVO ist die Eintragung als Mitglied, wenn sie entweder aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgt ist, daß die weitere Belassung des Betriebes bei der formal zuständigen BG der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufen würde, oder wenn schwerwiegende Unzuträglichkeiten nachweisbar sind, welche die Belassung des Betriebes als unbillige Härte erscheinen lassen (BSGE 38, 187, 191 = SozR 2200 § 664 Nr 1; BSG Urteil vom 12. Dezember 1985 - 2 RU 57/84 - SGb 1986, 338 mit Anm von Wolber; BSG Urteil vom 11. August 1998 - B 2 U 31/97 R - HV-Info 1998, 2757). Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Aufnahme der Vertriebsagentur des Klägers durch die Beklagte zu 2) ≪Bescheid vom 25. März 1994≫ nicht vor.
Die sachliche Zuständigkeit einer gewerblichen BG richtet sich grundsätzlich nach Art und Gegenstand des Unternehmens (§ 646 Abs 2 RVO), nicht dagegen nach der natürlichen oder juristischen Person des Unternehmers (vgl BSG Urteil vom 31. Mai 1988 - 2 RU 62/87 - NZA 1989, 77). Die Mitgliedschaft des Unternehmers bei der für sein Unternehmen sachlich zuständigen BG ist damit lediglich eine Rechtsfolge der durch die Aufnahme der Tätigkeit herbeigeführten materiell-rechtlichen Mitgliedschaft (vgl BSG Urteil vom 11. August 1998 - B 2 U 31/97 R - HV-Info 1998, 2757 mwN).
Eine die sachliche Zuständigkeit der BGen nach Art und Gegenstand der Unternehmen bestimmende Rechtsverordnung (§ 646 Abs 2 RVO) ist – wie auch eine entsprechende Rechtsverordnung nach § 122 Abs 1 Satz 1 SGB VII – bisher nicht ergangen. Bis zur Änderung der Zuständigkeit durch eine solche Verordnung bleibt nach dem hier noch maßgebenden Art 4 § 11 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) jeder Träger der Unfallversicherung, soweit das UVNG nicht etwas anderes bestimmt, für die Unternehmen zuständig, für die er bis zum Inkrafttreten des UVNG zuständig war. Der die sachliche Zuständigkeit der BGen regelnde Bundesratsbeschluß vom 22. Mai 1885 (AN 143) ist daher weiterhin geltendes Recht (BSGE 39, 112, 113 = SozR 2200 § 646 Nr 1; BSG Urteil vom 31. Mai 1988 - 2 RU 62/87 - HV-Info 1988, 1662). Dieser Beschluß berücksichtigt jedoch noch keinen Gewerbezweig für den Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften. Erst die ergänzenden Bundesratsbeschlüsse vom 5. Oktober 1901 (AN 621) und 10. Oktober 1912 (AN 925) weisen die Zuständigkeit für Unternehmen zur Beförderung von Gütern zu Lande der Beklagten zu 1) zu. Hierzu zählen nach der Entscheidung des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 5. April 1904 (AN 499) auch sogenannte Zeitungsspeditionen, die für Zeitungsverleger die Beförderung der Zeitungen an die Abonnenten gegen Entgelt durchführen. Dieser Zuständigkeitsregelung entspricht § 3 Nr 9 der Satzung der Beklagten zu 1), wonach diese sachlich zuständig ist ua für Zeitungs- und Zeitschriftenvertriebsunternehmen. Folglich ist sie auch nach Art und Gegenstand des Unternehmens des Klägers die für dieses sachlich zuständige Berufsgenossenschaft.
Gleichwohl sind die Voraussetzungen des § 664 Abs 3 RVO nicht erfüllt. Eine Unrichtigkeit iS dieser Vorschrift liegt nicht etwa deshalb vor, weil der Kläger bereits im Zeitpunkt der Aufnahme bei der Beklagten zu 2) formelles Mitglied der Beklagten zu 1) gewesen wäre. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dieses rechtlich zutreffend davon ausgegangen, daß zu keinem Zeitpunkt eine formelle Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1) bestanden hat. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten zu 1) liegt nämlich keine Betriebsfortführung des Zustellbereiches der „Verlag Der Tagesspiegel GmbH” durch die Vertriebsagentur des Klägers vor. Die Frage nach einem Betriebsübergang richtet sich danach, ob Einrichtungsgegenstände (Betriebsanlagen und -geräte), Materialien (Rohstoffe, Halb- und Fertigprodukte), der Kundenstamm und Personal übernommen werden. Diese Kriterien müssen nicht kumulativ vorliegen; maßgeblich ist, wie sich der Sachverhalt nach vernünftiger Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der Einzelumstände und der branchenüblichen Eigenarten darstellt (BSGE 36, 111, 116 = SozR Nr 1 zu § 653 RVO; BSGE 71, 251, 253 f = SozR 3-2200 § 653 Nr 1 mwN). Dementsprechend ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß der Zustellbereich der „Verlag Der Tagesspiegel GmbH” endgültig eingestellt worden ist und die Vertriebsagentur des Klägers inhaltlich ein neues, wirtschaftlich eigenständiges Unternehmen ist, auf das sich die bisherige formelle Mitgliedschaft des Verlages bei der Beklagten zu 1) nicht mehr erstreckt. Zwar hat das LSG auch festgestellt, daß ein Teil der ehemaligen Mitarbeiter und des Kundenstammes übernommen worden sind, und daß von der Vertriebsagentur auch die Zeitung „Der Tagesspiegel” zugestellt wird. Diese Umstände treten jedoch gegenüber der neu angelegten Zweckausrichtung und der ihr angepaßten Struktur (Gepräge) des Unternehmens des Klägers in den Hintergrund.
Ein zur Mitgliedschaft des neuen Betriebsinhabers bei dem bisherigen Unfallversicherungsträger führender Unternehmensübergang (Betriebsfortführung) liegt nicht vor, wenn durch den Übergang etwas wirtschaftlich Neues entsteht. Diese Voraussetzung darf nicht so eng ausgelegt werden, daß der Begriff des wirtschaftlich Neuen dem Maßstab der vernünftigen Verkehrsanschauung nicht mehr gerecht wird (BSGE 71, 251, 253 f = SozR 3-2200 § 653 Nr 1 mwN). Ist insbesondere ein grundlegender Strukturwandel eingetreten, der eine Überweisung des Unternehmens (Unternehmensteils) nach § 667 Abs 1 RVO nahelegt, so entfällt eine solche, wenn der zu beurteilende Wandel zu einer vollständig neuen wirtschaftlichen Zweckrichtung geführt hat, was das Erlöschen des bisherigen Unternehmens (Unternehmensteils) und die Eröffnung eines neuen Unternehmens bedeutet (vgl Verron BG 1993, 504, 505 f). Nichts anderes gilt bei gleichbleibender sachlicher Zuständigkeit einer BG auch für das neu eröffnete Unternehmen. Bei gleichbleibender sachlicher Zuständigkeit wird im Falle der Beendigung eines untergeordneten Bestandteils im Gesamtunternehmen bzw der Neueröffnung eines Unternehmens die frühere formelle Mitgliedschaft des Gesamtunternehmens nicht auf das neue Unternehmen übertragen. Für dieses ist ein neuer Aufnahmebescheid zu erteilen.
Die Vertriebsagentur des Kläger erfüllt die Voraussetzungen für ein solches neues Unternehmen iS der gesetzlichen Unfallversicherung. Hierunter wird eine planmäßige, für eine gewisse Dauer bestimmte Vielzahl von Tätigkeiten verstanden, die auf einen einheitlichen Zweck gerichtet sind und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt werden (BSGE 71, 251, 254 = SozR 3-2200 § 653 Nr 1 mwN). Die regelmäßige Erfüllung bestimmter „Betriebs-Aufgaben” ist insoweit wesentlich für den Unternehmensbegriff, als dem Zweck eines Unternehmens konstitutive Bedeutung für die rechtliche Definition des Begriffs „Unternehmen” zukommt (BSG aaO, mwN). Dabei ist Hauptunternehmen das Unternehmen, das im Gesamtunternehmen hervortritt. Das Hauptunternehmen gibt ihm sein besonderes Gepräge und ist maßgebend für seine sozialversicherungsrechtliche Stellung (BSGE 68, 205, 208 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1; BSGE 77, 162, 166 = SozR 3-2200 § 667 Nr 2). Nach Feststellung des LSG ist die früher von dem Verlag selbst organisierte Zustellung der Tageszeitung „Der Tagesspiegel” mit Wirkung vom 1. Februar 1994 an von mehreren Agenturen in Berlin übernommen worden. Danach stellen die vom Verlag nunmehr beauftragten unternehmensfremden Agenturen – wie die des Klägers – eigenständige Unternehmen mit einer neuen Struktur dar. Die Agentur des Klägers ist weder von der Organisation noch vom Zustellumfang und -bezirk her gesehen deckungssgleich mit dem ehemaligen Zustellbereich des Verlages. Zu Zeiten des Bestehens eines einheitlichen Zustellbereiches beim Verlag war die Zustellung dort lediglich Bestandteil des Gesamtunternehmens, welches nach vernünftiger Verkehrsanschauung dem Hauptzweck der Verlagstätigkeit diente. Die Vertriebsagentur – die lediglich einen Teilbereich der früheren Zustelltätigkeit des Verlages übernommen hat – dient bei Gesamtbetrachtung aller Umstände aber ausschließlich dem Zweck der Zustellung von Presse- und Druckerzeugnissen. Das Gepräge des Unternehmens ist also grundlegend verändert worden. Auch ist der Umfang der zuzustellenden Produkte – unabhängig von einer durch den Zustellbereich des Verlages bereits früher durchgeführten Aushilfszustellung anderer Zeitschriften – wesentlich erweitert worden. Denn es kommt auf die Dauerhaftigkeit einer grundlegenden Unternehmensänderung an, für die eine gelegentliche gegenseitige Zustellhilfe unbeachtlich ist. Dementsprechend ist der Kläger mit seiner neu eröffneten Vertriebsagentur erstmals formell Mitglied bei der Beklagten zu 2) geworden.
Entgegen der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten zu 1) für das Unternehmen des Klägers ist dessen Eintragung bei der Beklagten zu 2) nicht unrichtig iS des § 664 Abs 3 RVO und war somit auch nicht zu berichtigen. Der Löschungsbescheid der Beklagten zu 2) ist rechtswidrig. Denn ist ein Unternehmer rechtswirksam in das Unternehmerverzeichnis aufgenommen und damit Mitglied der BG geworden, so kann er von dieser nicht einseitig wieder gelöscht werden (vgl Lauterbach-Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 664 RVO RdNr 9). Zu Recht hat hier das LSG das Vorliegen eines gröblichen Irrtums sowie eine unbillige Härte iS des § 664 Abs 3 RVO verneint. Für die Unrichtigkeit der Eintragung der Agentur als Mitglied bei der Beklagten zu 2) kommt es nicht entscheidend auf die von der Beklagten zu 1) erörterte Frage an, welche tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen für die sachliche Unzuständigkeit der Beklagten zu 2) anzuführen sind. Dies würde unzulässig außer acht lassen, daß über die Aufnahme der Agentur in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten zu 2) bereits ein Bescheid vorliegt, der bindend geworden ist, da er vom Kläger nicht angefochten wurde – hier sogar seinem ausgesprochenen Wunsch entsprach – und damit für diesen eine Formalmitgliedschaft begründet worden ist (vgl KassKomm-Ricke, § 664 RVO RdNr 3). Auf die Möglichkeit der Anfechtung des Aufnahmebescheides durch die Beklagte zu 1) gegenüber der Beklagten zu 2) kommt es schon mangels tatsächlich erfolgter Anfechtung nicht an. Dabei läßt es der Senat ausdrücklich offen, ob eine solche Anfechtung durch einen Unfallversicherungsträger überhaupt zulässig ist (bejahend: BSGE 68, 217, 218 f = SozR 3-2200 § 776 Nr 1).
Die Beklagte zu 1) kann daher im vorliegenden Fall nur über § 664 Abs 3 RVO eine Berichtigung der Eintragung erwirken. Die oben bereits dargestellte Auslegung des § 664 Abs 3 RVO entspricht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats dem in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Grundsatz der Katasterstetigkeit (BSG Urteil vom 12. Dezember 1985 - 2 RU 57/84 - SGb 1986, 338) und hat auch Eingang in die gesetzliche Folgeregelung des § 136 Abs 1 Satz 4 iVm Abs 2 SGB VII gefunden (vgl BSG Urteil vom 11. August 1998 - B 2 U 31/97 R - HV-INFO 1998, 2757). Danach läuft die Belassung der Vertriebsagentur des Klägers bei der Beklagten zu 2) der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung nicht eindeutig zuwider. Die Beklagte zu 2) ist nach § 3 Nr 4 ihrer Satzung auch sachlich zuständig für die Unternehmenszweige: „Verteilung von Druckerzeugnissen”, während die Beklagte zu 1) nach § 3 Abs 1 Nr 9 ihrer Satzung für „Verlage, deren Erzeugnisse überwiegend im Lohndruck hergestellt werden; Zeitungs- und Zeitschriftenvertriebsunternehmen, Lesezirkel” zuständig ist. Selbst wenn – wie die Beklagte zu 1) meint – nur eine Zuständigkeit der Beklagten zu 2) für Zeitungszusteller bei Verlagen mit eigener Druckerei bestehen sollte, so beruht die Eintragung des Unternehmens des Klägers bei der Beklagten zu 2) nicht auf einem so gröblichen Irrtum, daß sich die Notwendigkeit einer Überweisung an die Beklagte zu 1) hätte aufdrängen müssen. Schließlich handelte es sich bei der Vertriebsagentur zum Zeitpunkt der Eintragung um ein neu eröffnetes Unternehmen. Anhaltspunkte für einen offensichtlich erkennbaren organisatorischen Bezug zur „Verlag Der Tagesspiegel GmbH”, und damit zur Zugehörigkeit des Unternehmens zur Beklagten zu 1) lagen nicht vor. Angesichts des sachlichen Zusammenhangs zwischen der Herstellung und der Verteilung von Druckerzeugnissen ist hier nicht von einer derart eindeutig trennbaren Zuständigkeitsregelung auszugehen, daß eine offensichtliche Unrichtigkeit der Eintragung begründet werden könnte. In derartigen Fällen erschweren die bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten oftmals eine Verwirklichung der gesetzlich geregelten Kompetenzverteilung oder machen sie gar unmöglich (BSGE 15, 282, 288 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO). Eine Nichtigkeit der Satzung der Beklagten zu 2) ergibt sich daraus trotz sachlicher Zuständigkeit der Beklagten zu 1) noch nicht. Auch schwerwiegende Unzuträglichkeiten, welche die weitere Zugehörigkeit des Unternehmens des Klägers zur – zumindest formal – zuständigen Beklagten zu 2) als unbillige Härte erscheinen ließen, sind nicht erkennbar. Hierzu gehören Unzuträglichkeiten, die im Aufbau oder der Durchführung der gesetzlichen Unfallversicherung selbst Schwierigkeiten bereiten (BSGE 15, 282, 290 f = SozR aaO). Derartige Unzuträglichkeiten sind vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Diese ergeben sich auch nicht bereits aus sonstigen Unternehmensinteressen, wie zB hinsichtlich der Beitragshöhe (BSG Urteil vom 12. Dezember 1985 - 2 RU 57/84 - SGb 1986, 338 mwN). Das LSG hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung ohne offensichtliche Qualitätsunterschiede von allen hier betroffenen gewerblichen Berufsgenossenschaften gleichermaßen erfüllt werden.
Für eine Überweisung der Agentur durch die Beklagte zu 2) an die Beklagte zu 1) scheidet im übrigen § 667 Abs 1 RVO als mögliche Anspruchsgrundlage aus, weil bei unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen seit der Eintragung – wie hier – die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben sind (BSG aaO).
Da der Kläger erstmals formell als Mitglied von der Beklagten zu 2) aufgenommen worden ist, ohne daß hinreichende Gründe für eine spätere Berichtigung iS des § 664 Abs 3 RVO vorliegen, durfte die Beklagte zu 1) ihn nicht nochmals zu einem späteren Zeitpunkt bei sich aufnehmen. Denn die Aufnahme eines bereits bei einem andere Unfallversicherungsträger formell als Mitglied aufgenommenen Unternehmens ist unzulässig (BSGE 68, 217, 218 = SozR 3-2200 § 776 Nr 1 mwN). Eine Doppelmitgliedschaft widerspricht dem Prinzip der Katasterstetigkeit (des Katasterfriedens); ein dennoch erteilter zweiter Aufnahmebescheid ist somit nach § 40 Abs 1 SGB X nichtig (Graeff in Hauck, K § 136 SGB VII RdNr 13 mwN). Diese schwerwiegende Fehlerhaftigkeit war für die Beklagte zu 1) – wie den Feststellungen des LSG zu entnehmen ist – bei der Beklagten zu 2) auch offenkundig. Dies gilt sowohl für den ersten Aufnahmebescheid (vom 18. Juli 1994) als auch – wegen der erfolgreichen Anfechtung des Löschungsbescheides der Beklagten zu 2) – für den zweiten Aufnahmebescheid (vom 8. Juni 1995) der Beklagten zu 1), der gemäß § 96 Abs 1 SGG ebenfalls Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Diese Bescheide waren folglich ebenso wie der Veranlagungsbescheid (vom 18. Juli 1994) und der Widerspruchsbescheid der Beklagten zu 1) (vom 8. Dezember 1994) aufzuheben. Die Rechtswidrigkeit des Veranlagungsbescheides resultiert danach bereits aus der fehlenden Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten zu 1).
Die Revisionen waren nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
AuA 2000, 440 |
NZS 2000, 43 |
SGb 1999, 403 |
Breith. 1999, 1026 |
SozSi 1999, 415 |