Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtbeitragszeit - fiktive Beitragsentrichtung
Leitsatz (redaktionell)
Für eine in der Zeit vom 1.6.1945 bis zum 30.6.1965 zurückgelegte Lehrzeit sind auch dann Pflichtbeitragszeiten nach § 247 Abs 2a SGB 6 anzuerkennen, wenn damals keine Rechtsunklarheit über die Versicherungspflicht des konkreten Beschäftigungsverhältnisses bestand.
Normenkette
SGB VI § 247 Abs. 2a; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 30.03.1994; Aktenzeichen L 2 J 201/93) |
SG Hannover (Entscheidung vom 26.05.1993; Aktenzeichen S 4 J 193/91) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte die Lehrzeit des Klägers vom 1. April 1958 bis zum 31. Oktober 1960 als Pflichtbeitragszeit vorzumerken hat.
Der am 14. Februar 1944 geborene Kläger erlernte bei seinem Onkel vom 1. April 1958 bis zum 31. März 1961 das Maurerhandwerk. Nachdem sein von der Beklagten erstellter Versicherungsverlauf Pflichtbeitragszeiten lediglich vom 1. November 1960 an aufwies, beantragte der Kläger unter Vorlage seines Gesellenbriefes, seines Lehrvertrages und eines Zwischenprüfungszeugnisses die Vormerkung auch der Zeit vom 1. April 1958 bis 31. Oktober 1960 als Pflichtbeitragszeit. Die Beklagte lehnte dies ab, weil wegen Fehlens einer Anmeldung des Klägers zur zuständigen Krankenkasse für die Zeit vom 1. April 1958 bis zum 31. Oktober 1960 erwiesen sei, daß für ihn insoweit keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden seien (Bescheid vom 23. Januar 1991). Widerspruch und Klage waren erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 1991, Urteil des Sozialgerichts Hannover ≪SG≫ vom 26. Mai 1993).
Das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) hat die Beklagte auf die Berufung des Klägers verurteilt, die streitige Zeit als Beitragszeit vorzumerken (Urteil vom 30. März 1994). Es hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Der Vormerkungsanspruch des Klägers ergebe sich aus § 247 Abs 2a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Die streitige Zeit falle in den dort genannten Zeitraum (1. Juni 1945 bis 30. Juni 1965), für den Kläger als Lehrling habe nach den damaligen Rechtsvorschriften Versicherungspflicht bestanden und Pflichtbeiträge seien für ihn nicht gezahlt worden. Damit seien alle im Gesetz genannten Voraussetzungen erfüllt. Es sei unerheblich, ob der Kläger zu einer Personengruppe gehört habe, deren Versicherungspflicht in dem in § 247 Abs 2a SGB VI genannten Zeitraum streitig gewesen und erst durch die Rechtsprechung klargestellt worden sei. Für eine solche einschränkende Auslegung der Vorschrift, wie sie die Beklagte unter Hinweis auf einen Beschluß des Fachausschusses für Versicherung und Rente des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vertrete, finde sich im Wortlaut der Vorschrift nicht einmal ansatzweise ein Anhalt; auch die Gesetzesmotive wiesen nicht auf einen dahingehenden Willen des Gesetzgebers hin.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 55 und 247 Abs 2a SGB VI. Die vom LSG vermißten Anhaltspunkte im Gesetzestext für die von ihr vertretene einschränkende Auslegung ergäben sich aus den in § 247 Abs 2a SGB VI genannten Daten, nämlich dem 1. Juni 1945 als dem Tage des Inkrafttretens der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung (SVVereinfV) vom 17. März 1945 (RGBl I 41) und dem 30. Juni 1965 als dem Tag vor Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476).
Durch die SVVereinfV sei zwar die grundsätzliche Versicherungspflicht für Lehrlinge unabhängig davon, ob sie Entgelt bezogen hätten oder nicht, eingeführt worden. Diese Verordnung sei jedoch nach Kriegsende in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlich gehandhabt bzw trotz ihrer im ganzen Bundesgebiet spätestens seit dem 7. September 1949 entfalteten Rechtswirksamkeit gar nicht angewandt worden. Wo die SVVereinfV keine Anwendung gefunden habe, seien Lehrlinge entsprechend der früheren Rechtslage nicht als versicherungspflichtig angesehen worden, wenn ihnen kein Entgelt oder lediglich freier Unterhalt gewährt worden sei. Durch die Aufnahme des Datums "1. Juni 1945" in den Wortlaut des § 247 Abs 2a SGB VI habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß nur solche Lücken in der Versicherungsbiographie geschlossen werden sollten, die von dem Zeitpunkt an entstanden seien, in dem erstmals eine der materiellen Rechtslage widersprechende Verwaltungspraxis und eine daraus resultierende Rechtsunsicherheit festgestellt werden könne. Diese zeitliche Begrenzung ergäbe dann keinen Sinn, wenn der Gesetzgeber sämtliche während einer Lehre entstandenen Beitragslücken hätte schließen wollen.
Typische Beitragslücken hätten bei Versicherten, die während der Lehre als Entgelt lediglich freien Unterhalt bezogen hätten, spätestens nach Inkrafttreten des § 1227 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) am 1. März 1957 oder jedenfalls der Verkündung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Juli 1957 (= BSGE 3, 161), mit dem die bundesweite Rechtswirksamkeit der SVVereinfV seit dem 7. September 1949 festgestellt worden sei, nicht mehr entstehen können. Wenn nach diesem Zeitpunkt die Zahlung von Beiträgen unterblieben sei, liege darin ein subjektiv vorwerfbares Fehlverhalten des Beitragsschuldners, das der Gesetzgeber nicht über § 247 Abs 2a SGB VI habe sanktionieren wollen. Sofern er dort gleichwohl als Enddatum erst den 30. Juni 1965 und nicht bereits den 28. Februar 1957 oder den 11. Juli 1957 gewählt habe, könne dies nur bedeuten, daß damit noch versicherungsrechtliche Unwägbarkeiten der "anderen zu ihrer Berufsausbildung beschäftigten Personen" hätten berücksichtigt werden sollen.
Dabei handele es sich ua um in Lehrwerkstätten von Erziehungsheimen ausgebildete "Fürsorgezöglinge", für die das BSG durch Urteil vom 30. Januar 1963 (= BSGE 18, 246) endgültig entschieden habe, daß sie wie andere Lehrlinge rentenversicherungspflichtig seien. Ab Februar 1963 seien die Grundsätze dieses Urteils von den Rentenversicherungsträgern auch auf in Heimen untergebrachte körperbehinderte Lehrlinge angewandt worden, wenn mit ihnen ein Lehr- oder Anlernvertrag abgeschlossen worden sei. Schließlich gehörten zu dem betroffenen Personenkreis auch Krankenpflegeschülerinnen, für die allgemein erstmals ab April 1965 aufgrund des Urteils des BSG vom 19. August 1964 (= BSGE 21, 247) Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten erhoben worden seien.
Aus alledem sei zu ersehen, daß erst durch die von ihr vertretene Auslegung der im Gesetzestext enthaltene zeitliche Rahmen einen Sinn ergebe. Diese Interpretation werde auch von der Gesetzesbegründung gedeckt. Denn dort werde ausgeführt, in vielen Fällen sei erst durch die Rechtsprechung klargestellt worden, daß Versicherungspflicht bestanden habe und Beiträge einzuziehen gewesen seien; die dadurch - und nicht aufgrund anderer Gegebenheiten - in der Versicherungsbiographie entstandenen Lücken sollten durch Gewährung fiktiver Beitragszeiten geschlossen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 30. März 1994 aufzuheben und die
Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 26. Mai 1993
zurückzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Vormerkung der Zeit vom 1. April 1958 bis 31. Oktober 1960 als Pflichtbeitragszeit, wie das LSG zutreffend entschieden hat.
Anspruchsgrundlage für die Vormerkung der geltend gemachten Zeit ist § 149 Abs 5 SGB VI. Diese Vorschrift findet hier nach dem am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen § 300 Abs 1 SGB VI Anwendung, unabhängig davon, ob der Sachverhalt, auf den der Anspruch gestützt wird, bereits vor diesem Zeitpunkt vorgelegen hat. Dies gilt entsprechend auch für die Vorschriften des SGB VI, welche die vorzumerkenden Beitragszeiten betreffen (vgl BSGE 70, 220, 221 = SozR 3-2600 § 252 Nr 1; BSGE 71, 227, 228 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4; Senatsurteil vom 1. Februar 1995 ≪SozR 3-2600 § 58 Nr 3≫).
Nach § 149 Abs 5 SGB VI ist der Versicherungsträger verpflichtet, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid festzustellen, nachdem er das Versicherungskonto geklärt oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat. Der danach zu erlassende Vormerkungsbescheid muß inhaltlich zutreffend sein (vgl BSGE 71, 227, 229 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4; Senatsurteil vom 1. Februar 1995 ≪SozR 3-2600 § 58 Nr 3≫). Der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 1991 ist jedoch insoweit zu beanstanden, als darin die Vormerkung der hier streitigen Zeit als Pflichtbeitragszeit abgelehnt wird.
Pflichtbeitragszeiten sind nach § 55 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind bzw (Satz 2 aaO) für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Der hier verwendete Begriff "gezahlt" stellt gegenüber dem im vor Inkrafttreten des SGB VI geltenden Recht (vgl § 1250 Abs 1 Buchst a RVO) gebrauchten Begriff "entrichtet" keine inhaltliche, sondern lediglich eine redaktionelle Änderung dar (vgl Gemeinschaftskomm-SGB VI / Wolff, § 55 RdNrn 6, 9).
Nach den im Revisionsverfahren nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den erkennenden Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG ist eine Zahlung von Pflichtbeiträgen bezogen auf den hier streitigen Zeitraum für den Kläger nicht erfolgt. Die Zeit ist jedoch als fiktive Pflichtbeitragszeit nach § 247 Abs 2a SGB VI vorzumerken.
Danach sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch Zeiten, in denen in der Zeit vom 1. Juni 1945 bis 30. Juni 1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren und grundsätzlich Versicherungspflicht bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgte. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger für die streitige Zeit vor.
Da der Kläger nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des Berufungsgerichts in der Zeit vom 1. April 1958 bis zum 31. März 1961 aufgrund eines Lehrvertrages das Maurerhandwerk erlernte, unterlag er während des in § 247 Abs 2a SGB VI genannten Zeitraums gemäß § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO idF des ArVNG als Lehrling grundsätzlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei ist es unerheblich, ob ihm die im Lehrvertrag zugesagte "Erziehungsbeihilfe" tatsächlich ausgezahlt wurde oder nicht, denn die Versicherungspflicht bestand unabhängig von der Zahlung eines Entgelts. Weil nach den bindenden Feststellungen des LSG während der hier streitigen Zeit auch keine Zahlung von Pflichtbeiträgen für den Kläger erfolgte, liegen sämtliche Voraussetzungen für die Vormerkung dieser Zeit als fiktive Pflichtbeitragszeit vor.
Der von der Revision vertretenen Rechtsauffassung, nach der § 247 Abs 2a SGB VI nur bei bestimmten Personengruppen Anwendung finden soll, deren Versicherungspflicht erst während des im Gesetz genannten Zeitraums klargestellt worden ist, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Für eine solche Auslegung, die allerdings in der - überwiegend den Rentenversicherungsträgern nahestehenden - Literatur vornehmlich vertreten wird (vgl etwa Pietsch, MittLVA Rheinprovinz 1994, 27, 28; Wamser, MittLVA Oberfr 1993, 297, 301; Winter, RV 1994, 82, 83 f; Eicher/Haase/Rauschenberg, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Komm, § 247 SGB VI Anm 4; Gemeinschaftskomm-SGB VI / Wolff, § 247 RdNr 23; Hauck/Haines/Klattenhoff, SGB VI-Komm, K § 247 RdNr 17; VerbandsKomm, § 247 SGB VI, RdNr 10; sa Arbeitsanweisungen der LVA Rheinprovinz, Beitragsfiktion für Lehrzeiten § 247 Abs 2a SGB VI, MittLVA Rheinprovinz 1994, 251; unklar SGB-Sozialversicherung-Gesamtkomm / von Einem, § 247 SGB VI Anm 5; aA Kasseler Komm/Niesel, § 247 SGB VI, RdNr 6b), sprechen weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte oder Sinn und Zweck der Vorschrift mit hinreichender Deutlichkeit.
Der Wortlaut der Norm, von dem bei der Sinnermittlung auszugehen ist und der die Grenzen der möglichen Auslegung festlegt, deutet nicht auf die von der Beklagten für zutreffend gehaltene Interpretation hin. Der in § 247 Abs 2a SGB VI aufgeführte Zeitraum hat weder nach dem allgemeinen noch nach einem besonderen - etwa im Sozialrecht geübten - Sprachgebrauch eine Bedeutung, die für sich auf den ihm von der Beklagten zugeschrieben Wortsinn hindeuten könnte.
Auch die Entstehungsgeschichte der Norm weist nicht zwingend auf die von der Revision geltend gemachte einschränkende Auslegung hin. Der Abs 2a wurde durch Art 1 Nr 7 des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz - RüErgG) vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1038) mit Rückwirkung zum 1. Januar 1992 (vgl Art 18 Abs 4 RüErgG) in den § 247 SGB VI eingefügt. Im Gesetzgebungsverfahren war die Norm auf Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucks 12/5017, S 10 Nr 6a) in den Fraktionsentwurf des RüErgG (BT-Drucks 12/4810) aufgenommen und unverändert in den Gesetzesbeschluß übernommen worden. Zur Begründung für die Einfügung war vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ausgeführt worden (vgl BT-Drucks 12/5017, S 47 f zu Nr 6a):
"Grundsätzlich bestand seit Inkrafttreten der Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 und im übrigen seit der Rentenreform 1957 für Personen, die als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren, Versicherungspflicht. Bis zum Inkrafttreten des 1. Rentenversicherungsänderungsgesetzes am 1. Juli 1965 sind dennoch nicht für alle in Berufsausbildung befindlichen Personen die erforderlichen Pflichtbeiträge durch die zuständigen Sozialversicherungsträger eingezogen worden. Erst durch die Rechtsprechung wurde klargestellt, daß z.B. Versicherungspflicht auch für Lehrlinge in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten eines Erziehungsheimes, für Behinderte, soweit sie eine Lehrzeit zurückgelegt haben, und für sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigte Vor- und Nachpraktikanten bestand und daß Beiträge einzuziehen waren.
Die dadurch in der Versicherungsbiographie entstandenen Lücken, die bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 durch die Träger der Rentenversicherung entweder überhaupt nicht als rentenrechtliche Zeit berücksichtigt werden konnten (vgl BSG-Urteil vom 3. Dezember 1992 - 13 RJ 73/91) oder nur im Wege der ergänzenden Rechtsauslegung als beitragsfreie Zeiten anerkannt worden sind, sollen durch fiktive Beitragszeiten geschlossen werden."
Aus dieser Begründung wird allerdings deutlich, daß die Vorschrift zur Verbesserung der vom Gesetzgeber als unbefriedigend empfundenen versicherungsrechtlichen Situation bestimmter Gruppen damals zu ihrer Berufsausbildung beschäftigter Personen erlassen worden ist, die zwar nach den seinerzeit geltenden Vorschriften versicherungspflichtig waren, für die jedoch keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung eingezogen worden sind. Auch deutet der Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 3. Dezember 1992 (= SozR 3-2200 § 1259 Nr 14), mit dem bei einem "Meistersohn", für den keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden waren, die Anerkennung der Lehrzeit als Ausfallzeit abgelehnt wird, darauf hin, daß dieser Personenkreis - wie auch die anderen dort genannten Gruppen - zu den Begünstigten der neugeschaffenen Regelung gehören soll.
Den Ausführungen des Ausschusses ist jedoch nicht zu entnehmen, daß die durch § 247 Abs 2a SGB VI vorgesehene Vergünstigung auf diese und die anderen von der Revision genannten Gruppen beschränkt sein soll. Der dort genannte Zeitraum, auf den die Beklagte ihre Auffassung stützt, belegt lediglich, daß der Gesetzgeber - gewiß auch angesichts der von ihr im einzelnen dargestellten Fallkonstellationen - einen zeitlichen Rahmen setzen wollte, der alle diese Gruppen auch tatsächlich erfaßt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß damit andere Versicherte, deren Versicherungsbiographien Beitragslücken während einer nachgewiesenen Lehrlings- oder sonstigen Berufsausbildung in diesem Zeitraum aufweisen, als Begünstigte ausschieden. Hiergegen spricht bereits der Wortlaut der vorgenannten Gesetzesbegründung. Das Wort "dadurch" in deren zweiten Abs bezieht sich auf die Sätze 1 und 2 des Abs 1 aaO (namentlich auf die dort erwähnte Nichteinziehung von Beiträgen), während Satz 3 aaO, in dem Einzelgruppen aufgezählt werden, lediglich eine Erläuterung zu den Sätzen 1 und 2 aaO gibt. Daraus wird deutlich, daß fiktive Beitragszeiten allen in den Sätzen 1 und 2 der Begründung bezeichneten Personen zukommen sollen, deren Versicherungsverläufe Beitragslücken infolge unterbliebenen Beitragseinzugs aufweisen, ohne daß es auf den Grund dafür ankommen soll.
Hätte der Gesetzgeber die von der Beklagten angenommene differenzierte Regelung beabsichtigt, hätte er im übrigen eine andere Formulierung der Vorschrift treffen müssen, bei der entweder die in den Gesetzesmaterialien und von der Beklagten weiter genannten Personengruppen mit den jeweiligen von ihr dargelegten "Unklarheitszeiträumen" als Berechtigte aufgeführt oder die von der Beklagten nicht für berechtigt gehaltenen Versicherten von der Regelung ausgeschlossen worden wären. In der vorliegenden Form findet ein entsprechendes, damals möglicherweise vorhandenes sozialpolitisches Bestreben jedenfalls keinen hinreichenden Anhalt im schließlich verabschiedeten Gesetz. Der Gesamtzusammenhang weist vielmehr darauf hin, daß hier eine großzügige Regelung getroffen werden sollte, um die zu Zeiten uneinheitlicher Rechtsanwendung und ungeklärter Versicherungspflicht verschiedenster Berufsausbildungsverhältnisse entstandenen Beitragslücken aller betroffenen Versicherten ohne Rücksicht auf die Gründe ihres jeweiligen Zustandekommens zu schließen. Diese pauschale Lösung bot sich bereits deshalb an, um den Versicherten den im einzelnen oft schwierigen Nachweis zu er
sparen, daß damals ein Ausbildungsverhältnis der von der Revision genannten versicherungsrechtlich noch ungeklärten Art vorlag (ebenso im Ergebnis Kasseler Komm / Niesel, § 247 SGB VI RdNr 6b). Insofern mag auch die Absicht, erheblichen Ermittlungsaufwand der Rentenversicherungsträger und Gerichte zu vermeiden, bei der Gesetzesfassung eine Rolle gespielt haben.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
RegNr, 22398 (BSG-Intern) |
AmtlMittLVA Rheinpr 1996, 374-376 (Leitsatz 1 und Gründe) |
Breith 1996, 715-718(Leitsatz 1 und Gründe) |
DRV 1996, 615-617 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzS, 50/289 (Leitsatz 1 und Gründe) |
RV 1997, 53-55 (Gründe) |
SozR 3-2600 § 247, Nr 1 (Leitsatz 1 und Gründe) |
SozSich 1996, 440 (Kurzwiedergabe) |
Breith. 1996, 715 |