Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. September 1955 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Klägerin bewirtschaftet mit ihrem Ehemann, der im Hauptberuf Tischler ist, eine landwirtschaftliche Fläche von 0,44 ha. Zu Beginn des Jahres 1953 hielten die Eheleute eine Ziege, fünf Hühner und ein Schwein. Am 31. Januar 1953 – einem Samstag – mußte das Schwein notgeschlachtet werden. Am folgenden Montag wurde ein Teil des Kleinfleisches zu Wurst verarbeitet; der Rest wurde bis Dienstag unkonserviert in einem Pökelfaß in der Räucherkammer aufbewahrt, um alsdann eingekocht zu werden. Als die Klägerin am Dienstagnachmittag Fleisch zum Einkochen aus der Räucherkammer in die Küche bringen wollte, rutschte sie auf der Treppe aus und kam zu Fall. Dabei brach sie sich das linke Wadenbein und verrenkte sich das Sprungbein.
Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch der Klägerin durch Bescheid vom 22. September 1955 mit der Begründung ab, die unfallbringende Tätigkeit des Fleischeinkochens sei nicht nach § 915 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert, weil sie keine landwirtschaftliche, sondern eine hauswirtschaftliche Verrichtung darstelle; die Haushaltung der Klägerin sei aber nach § 916 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht mitversichert, weil sie dem landwirtschaftlichen Kleinbetrieb nicht wesentlich diene.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG.) Detmold durch Urteil vom 4. Januar 1955 abgewiesen. Es hat sich dem Rechtsstandpunkt der Beklagten angeschlossen. Auf die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 22. September 1955 die Entscheidung des SG. auf gehoben. Es hat den Unfall der Klägerin vom 5. Februar 1955 als Arbeitsunfall beurteilt und die Beklagte für verpflichtet erklärt, auf dieser Grundlage einen neuen Bescheid zu erteilen. In den Urteilsgründen ist ausgeführt: Die Verarbeitung des in der eigenen Landwirtschaft gewonnenen Fleisches sei der versicherten landwirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen, wenn sie sich unmittelbar an die Schlachtung anschließe. Bei der Beurteilung dieses zeitlichen Zusammenhangs seien die Gepflogenheiten in landwirtschaftlichen Betrieben zu berücksichtigen. Erfahrungsgemäß werde das angefallene Fleisch nicht bereits am Schlachttag verarbeitet, sondern erst „aushängen” gelassen. Deshalb sei im vorliegenden Falle erst am Montag mit der Verarbeitung des Fleisches zu Wurst begonnen worden. Da sich an diesem Tage erfahrungsgemäß keine Gelegenheit zum Einkochen des restlichen Kleinfleisches geboten habe, hätte die Klägerin dies erst am Dienstag bewerkstelligen können. Das Einkochen des Fleisches habe daher ebenso wie die Wurstzubereitung mit der Schlachtung im Zusammenhang gestanden.
Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 14. November 1955 zugestellt worden. Am 12. Dezember 1955 hat sie Revision eingelegt und diese, nachdem die Begründungsfrist um einen Monat verlängert worden war, am 9. Februar 1956 begründet.
Die Revision rügt Verletzung des § 915 in Verbindung mit §§ 542, 537 Nr. 8 RVO. Sie meint, im vorliegenden Falle fehle es an dem nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) erforderlichen zeitlichen Zusammenhang des Unfalls mit dem Schlachten. Weiter führt sie aus: Das LSG. habe keine tatsächlichen Umstände angeführt, die es gerechtfertigt hätten, den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Schlachten und dem Einkochen des Fleisches so weit, wie geschehen, auszudehnen; es habe sich unter Nichtachtung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht auf zwei in Wirklichkeit nicht bestehende, im übrigen auch nicht von der Klägerin für sich in Anspruch genommene Erfahrungssätze berufen. Es entspreche nämlich weder der Lebenserfahrung, daß das Fleisch nicht schon am Schlachttage verarbeitet werde, noch daß sich am Tage der Wurstzubereitung keine Gelegenheit zum Einkochen von Fleisch biete.
Die Beklagte beantragt,
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
In rechtlicher Hinsicht bezieht sie sich im wesentlichen auf die Begründung des angefochtenen Urteils. In tatsächlicher Hinsicht trägt sie ergänzend vor, sie verfüge in ihrem Haushalt nur über beschränkte Räumlichkeiten, Geräte, Behältnisse und Feuerstellen; deshalb sei sie gezwungen gewesen, das Einkochen des Fleisches bis zur Beendigung der Wurstzubereitung zurückzustellen.
II
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Vorderrichter ist bei der Entscheidung der Frage, ob die unfallbringende Tätigkeit, nämlich das Einkochen des Fleisches, dem landwirtschaftlichen Betrieb der Eheleute M. zuzurechnen und deshalb nach § 915 Abs. 1 Buchst. a RVO versichert ist, von der ständigen Rechtsprechung des RVA. zur versicherungsrechtlichen Beurteilung der Hausschlachtung und der mit ihr zusammenhängenden Verrichtungen ausgegangen. Nach dieser Rechtsprechung ist das Schlachten eines in eigener Landwirtschaft gemästeten Schweines als Abschluß der auf die Gewinnung von Fleisch gerichteten Viehaltung eine landwirtschaftliche Betriebstätigkeit ohne Rücksicht darauf, ob das Fleisch veräußert oder im eigenen Haushalt verbraucht werden soll. Das RVA. hat dagegen die Verarbeitung des bei der Schlachtung angefallenen Fleisches, wie z.B. die Wurstbereitung, das Einsalzen oder Einkochen des Fleisches, an sich als hauswirtschaftliche Verrichtung gewertet; es hat sie nur dann der Landwirtschaft zugerechnet, wenn sie mit dem Schlachten einen einheitlichen wirtschaftlich-technischen Vorgang bildet (vgl. RVA. in AN. 1891 S. 184 und 1897 S. 284; EuM. 25 S. 458; 42 S. 24; 49 S. 144).
Es mag zweifelhaft sein, ob nicht die Weiterentwicklung der Konservierungsverfahren für Fleisch- und Wurstwaren und die moderne Versorgung der Bevölkerung mit diesen Nahrungsmitteln zu einer Überprüfung der angeführten Rechtsprechung zwingen. Sollten die neueren Erfahrungen lehren, daß Fleisch nur noch in denjenigen Haushaltungen eingekocht wird, die es aus eigener Schlachtung gewinnen, und daß ferner die auf die Gewinnung von Fleisch gerichtete Viehhaltung in der Regel nur noch in der Landwirtschaft ihren Platz hat, so stellt sich die Frage, ob nicht unter solchen Umständen das Einkochen des in der eigenen Landwirtschaft gewonnenen Fleisches eine typisch landwirtschaftliche Verrichtung ist und schon aus diesem Grunde von dem Versicherungsschutz nach § 915 Abs. 1 Buchst. a RVO erfaßt wird. Einer Entscheidung dieser Frage bedurfte es im vorliegenden Falle indessen nicht, weil der Vorderrichter auch unter Zugrundelegung der angeführten, von der Revision nicht beanstandeten Rechtsprechung des RVA. das Gesetz nicht zum Nachteil der Beklagten dadurch verletzt hat, daß er den Unfall der Klägerin als einen landwirtschaftlichen Betriebsunfall gewertet hat.
Ein enger Zusammenhang zwischen dem Schlachten (= Töten und Ausschneiden des Tieres) und der Verarbeitung des für den eigenen Haushalt bestimmten Fleisches besteht schon insofern, als das Schlachten notwendigerweise die Verarbeitung des Fleisches nach sich zieht; wird das Fleisch nicht alsbald durch Einpökeln, Räuchern, Einkochen, Wurstbereitung oder dergleichen wenigstens für eine gewisse Zeit konserviert, so ist es dem Verderb ausgesetzt. Je schneller diese Verrichtungen aufeinander folgen und je mehr sie mit dem Schlachten und seinen Begleiterscheinungen technisch zusammenfließen, umso eher ist das Ganze als ein einheitlicher wirtschaftlich-technischer Vorgang im Sinne der angeführten Rechtsprechung des RVA. zu beurteilen. Nach ihr verliert eine auf der Konservierung des Fleisches gerichtete Tätigkeit nicht schon deshalb den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Schlachten, weil sie erst einen Tag später vorgenommen wird (RVA. in EuM. 49 S. 144). Ob – wie der Vorderrichter ausgeführt hat – ein Erfahrungssatz des Inhalts besteht, daß das frische Fleisch nicht schon am Schlachttage verarbeitet wird, ist rechtlich unerheblich. Deshalb bedurfte es insoweit entgegen der Meinung der Revision keiner weiteren Erforschung der Gepflogenheiten bei landwirtschaftlichen Hausschlachtungen. Nach der Auffassung des Senats ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, daß der Vorderrichter noch für die Konservierungstätigkeiten des zweiten Werktags nach dem Schlachten den erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang bejaht hat. Der wirtschaftlich-technische Vorgang des Schlachtens einschließlich der Konservierung des Fleisches verlor nicht dadurch seine Einheitlichkeit, daß nicht nur eine, sondern auch noch eine weitere, auf das Bedürfnis nach Nachtruhe zurückzuführende Arbeitspause hinzutrat. Dies gilt selbst dann, wenn die Klägerin das Einkochen des Fleisches nicht – wie sie behauptet – aus Mangel an Gerätschaften, sondern aus anderen Gründen bis zum Dienstag zurückgestellt haben sollte. Infolgedessen kam es auch insoweit auf eine weitere Klärung des Sachverhalts nicht an.
Gegen die Rechtsauffassung des Vorderrichters bestehen schließlich nicht etwa deswegen Bedenken, weil sie zu einer nicht vertretbaren Ausweitung des Versicherungsschutzes bei Nebentätigkeiten der landwirtschaftlichen Hausschlachtung führen könnte. Einer solchen Ausweitung wirkt nach der Ansicht des Senats schon die Notwendigkeit, das Frischfleisch innerhalb kurzer Frist irgendeiner Form der Konservierung zuzuführen, in ausreichendem Maße entgegen.
Der Vorderrichter hat somit zu Recht den Unfall der Klägerin vom 3. Februar 1953 als landwirtschaftlichen Arbeitsunfall angesehen. Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen