Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In einer bei der Beklagten lagernden Sammelkarte sind die Versicherungskarten (Quittungskarten) Nr. 1 bis 12 des Klägers aufgerechnet. In der Sammelkarte sind für die Versicherungskarte Nr. 6 sieben Wochenbeiträge der Lohnklasse V und 29 Wochenbeiträge der Lohnklasse VII angegeben. Nach der in den Händen des Klägers befindlichen Aufrechnungsbescheinigung ist diese Versicherungskarte am 4. Juni 1930 aufgerechnet worden und enthielt 31 Beitragsmarken der Klasse V und 29 Beitragsmarken der Klasse VII. Streitig ist unter den Beteiligten, ob der Berechnung für die dem Kläger ab 1. Juni 1967 bewilligten Rente die Angaben der Sammelkarte oder die der Aufrechnungsbescheinigung zugrunde zu legen sind.

Nach den Eintragungen in die Sammelkarte ist die Versicherungskarte Nr. 5 am 24. März 1926 ausgestellt worden. Sie war für die Zeit vom 8. März 1926 an verwendbar und enthielt 37 Marken der Lohnklasse 4, die für die Zeit vom 28. September 1925 an verwendet wurden und 22 Marken der Lohnklasse IV, die für die Zeit vom 27. Juni 1927 an galten. Die Versicherungskarte Nr. 6 wurde am 21. September 1928, die Versicherungskarten Nr. 7 und 8 am 4. Juni 1930 und am 4. Mai 1931 ausgestellt. Die Karte Nr. 7 war verwendbar ab 5. Mai 1930 und enthielt 52 Wochenmarken, die Karte Nr. 8 enthielt 20. Wochenmarken. Die Karte Nr. 9 wurde am 17. Mai 1933 ausgestellt.

Die Beitrags- und Krankenkarte der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Bonn weist ua. folgende Beschäftigungen des Klägers aus:

  • 7. Mai 1925 bis 10. Juli 1926 tätig bei Hermann D., Wochenlohn 25 Mark,
  • 2. August 1926 bis 25. April 1927 tätig bei Willi Z., Wochenlohn 20 Mark,
  • 15. Mai 1928 bis 13. Juli 1928 tätig bei Josef B., Wochenlohn 20 Mark,

    (der Kläger hat die Abschrift eines Zeugnisses des Josef B. vom 15. Juli 1928 vorgelegt, wonach er bei diesem vom 3. Juni 1927 bis zum 14. Juli 1928 beschäftigt gewesen ist).

  • 20. Februar 1929 bis 17. August 1929 tätig bei M. S., Wochenlohn 25 Mark,
  • 20. September 1929 bis 30. April 1930 tätig bei Matth.D., Wochenlohn 24 Mark,

    (der Kläger hat die Abschrift einer Arbeitsbescheinigung des Matth.Düren vom 1. Mai 1930 vorgelegt, wonach er bei diesem vom 11. September 1929 bis zum 30. Mai 1930 beschäftigt gewesen ist).

  • 11. Mai 1930 bis 16. September 1931 tätig bei Doerks.

Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Beklagte mit Urteil vom 12. November 1969 verurteilt, dem Kläger aus der Quittungskarte Nr. 6 31 Wochenbeiträge der Beitragsklasse V anstelle der angerechneten 7 Wochenbeiträge anzurechnen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei durch die Verordnung über die Einrichtung von Sammelkarten und die Vernichtung von Quittungskarten vom 10. März 1928 ermächtigt gewesen, den Inhalt alter Karten desselben Versicherten in Sammelkarten zu übertragen und sie statt der Einzelkarten aufzubewahren. Die Verordnung habe die Übertragung von Quittungskarten in die Sammelkarte durch den „übertragenden Beamten” zugelassen und die Überprüfung durch einen Beamten verlangt, der bei der Übertragung nicht beteiligt gewesen sei. Die Sammelkarte enthalte die Handzeichen der beiden beteiligten Bediensteten. Bei Abweichungen zwischen der Quittungskarte und der Aufrechnungsbescheinigung gehe im allgemeinen der Inhalt der ersteren vor. Die Sammelkarte sei aber an die Stelle der Einzelkarten getreten, deshalb müsse sie auch deren Beweiswert haben. Aus dem Tagebuch der Beklagten ergebe sich, daß die Quittungskarte Nr. 6 des Klägers im Jahre 1937 an die Kontrollstelle übersandt worden sei. Daraus folge, daß gegen den Inhalt dieser Karte Bedenken bestanden hätten. Tatsächlich sei die Richtigkeit der Angaben in der Aufrechnungsbescheinigung dieser Karte auch sehr zweifelhaft. Aus der Aufrechnungsbescheinigung Nr. 5 und der Sammelkarte ergebe sich, daß 22 Marken der in diese Karte geklebten Marken für die Zeit vom 27. Juni 1927 an galten. Ab 5. Mai 1930 sei die Quittungskarte Nr. 7 verwendbar gewesen. In der Zeit zwischen dem 27. Juni 1927 und dem 4. Mai 1930 sei der Kläger nach den Unterlagen der AOK Bonn vom 13. Mai 1928 bis zum 13. Juli 1928 bei Josef B. (= 10 angefangene Wochen), vom 20. Februar 1929 bis zum 17. August 1929 bei M. S. (= 26 angefangene Wochen) und vom 20. September 1929 bis 30. April 1930 bei Matth. D. (= 33 angefangene Wochen) beschäftigt gewesen. Nach dem Zeugnis vom 15. Juli 1928 solle er zwar, abweichend von den Unterlagen der AOK Bonn, vom 3. Juni 1927 bis zum 14. Juli 1928 bei Josef Becker beschäftigt gewesen sein. Es sei aber unwahrscheinlich, daß in der Zeit vom 3. Juni 1927 bis zum 12. Mai 1928 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet worden seien, wenn der Kläger erst ab 13. Mai 1928 durch diesen Arbeitgeber krankenversichert worden sei. Die bei der Krankenkasse ausgewiesene Versicherungszeit betrage für den in Betracht kommenden Zeitraum 69 angefangene Wochen, wenn aber die Angaben in der Aufrechnungsbescheinigung richtig wären, so wären für diesen Zeitraum insgesamt 82 Beiträge erbracht. Es liege deshalb nahe, daß eine Beitragsregulierung eingeleitet worden sei. Darauf deute auch die Tatsache hin, daß die entrichteten Beiträge zum Teil von einem höheren Wochenverdienst entrichtet worden seien, als der Kläger nach den Unterlagen der AOK Bonn erzielt habe. Man könne also insgesamt auf eine fehlerhafte Beitragsleistung und auf eine deshalb erfolgte Beitragsregulierung schließen, die in der Aufrechnungsbescheinigung nicht vermerkt worden sei. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Zur Begründung der von ihm eingelegten Revision trägt der Kläger vor, es könne weder für die Sammelbescheinigung noch für die Aufrechnungsbescheinigung der Beweis geführt werden, daß ihr Inhalt objektiv unrichtig sei. Damit stünden sich zwei öffentliche Urkunden gegenüber, deren Beweiswert zunächst gleichwertig sei. § 21 Abs. 4 der Beitrags-Ordnung vom 21. November 1924 bezwecke, daß zehn Jahre nach Erteilung der Aufrechnungsbescheinigung Rechtsfrieden eintreten solle und die Aufrechnungsbescheinigung nicht mehr beanstandet werden könne, gleichgültig, ob die Versicherungsanstalt vom Inhalt der Aufrechnungsbescheinigung Kenntnis erhalten habe oder nicht. Selbst wenn eine Beitragsregulierung erfolgt sei, hätte die Beklagte den Kläger zur Einreichung seiner Aufrechnungsbescheinigung auffordern müssen, um diese mit der Änderung in Übereinstimmung zu bringen. Daß dies nicht geschehen sei, spreche dafür, daß die Karte Nr. 6 in Berichtigungs- (bzw. Kontroll-)verfahren keine Änderung erfahren habe. Wenn das LSG von einem Zeitraum von 69 Wochen ausgehe, dann beziehe es die Zeit vom 13. Mai 1928 bis zum 13. Juli 1928 ein. Zu dieser Zeit sei aber noch die Versicherungskarte Nr. 5 verwendbar gewesen, denn die Karte Nr. 6 sei erst ca. zwei Monate später ausgestellt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 1970 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12. November 1969 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Es müsse davon ausgegangen werden, daß die Quittungskarte Nr. 6 berichtigt worden sei, allerdings könne nicht mehr festgestellt werden, aus welchem Grunde die Aufrechnungsbescheinigung nicht berichtigt worden sei. Dies könne an der mit dem Kriegsausbruch verbundenen Personalknappheit gelegen haben oder daran, daß der Kläger die Aufrechnungsbescheinigung nicht vorgelegt habe. Aus dem Tagebuch des Jahres 1937 ergebe sich jedenfalls, daß die Versicherungskarte Nr. 6 am 10. Dezember 1937 auf Anforderung vom 3. Dezember 1937 an die Kontrollstelle 2 in Bonn gesandt worden sei.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Sammelkarte und Aufrechnungsbescheinigung sind öffentliche Urkunden im Sinne des § 418 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Beide beanspruchen volle Beweiskraft der darin bezeugten Tatsachen. Da die beiden öffentlichen Urkunden hinsichtlich des Inhalts der Quittungskarte Nr. 6 unterschiedliche Angaben enthalten, ist insoweit die Beweisregel des § 418 ZPO für diese Urkunden aufgehoben, denn die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache könnte theoretisch bei jeder der beiden Urkunden mit dem Inhalt der anderen bewiesen werden. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der Beweiswert einer Quittungskarte größer als der Beweiswert einer Aufrechnungsbescheinigung und einer Sammelbescheinigung ist, weil die Quittungskarten für die streitige Zeit nicht mehr vorhanden sind. Es kommt daher im vorliegenden Fall alleine darauf an, ob ohne Berücksichtigung des Beweiswertes der Aufrechnungsbescheinigung und der Sammelkarte der Beweis erbracht werden kann, daß die von dem Kläger behauptete weitergehende Beitragsentrichtung als von der Beklagten anerkannt, erfolgt ist. Das LSG hat nicht feststellen können, ob dies der Fall ist oder ob dies nicht der Fall ist. Daran ist der Senat gebunden, weil hiergegen keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben sind. Das LSG hat eine Abwägung der für und gegen die Richtigkeit der Behauptung des Klägers sprechenden Umstände vorgenommen, ohne dabei die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung durch einen Verstoß gegen Denkgesetze, gegen allgemeine Erfahrungssätze oder durch ein Abweichen vom Gesamtergebnis des Verfahrens zu überschreiten. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, daß es davon ausgeht, das Tagebuch des Jahres 1937 weise eine auf Antrag am 10. Dezember 1937 an die Kontrollstelle 2 in Bonn erfolgte Übersendung der Versicherungskarte Nr. 6 aus. Ohne Verstoß gegen die Denkgesetze konnte das LSG zu dem Ergebnis kommen, daß diese Karte aus einem besonderen Anlaß, für den in erster Linie eine notwendige Berichtigung in Betracht kommt, angefordert worden ist. Nach § 1445 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF war die Berichtigung der Quittungskarte Nr. 6 im Jahre 1937 auch nicht etwa ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift konnte nach Ablauf von zehn Jahren seit Aufrechnung der Quittungskarte die rechtsgültige Verwendung der in der Aufrechnung bescheinigten Marken nicht mehr angefochten werden. Die Berichtigung der im Jahre 1930 aufgerechneten Versicherungskarte Nr. 6 ist innerhalb der Zehnjahresfrist erfolgt. Unter „in der Aufrechnung” in § 1445 Abs. 3 RVO aF kann nur die Aufrechnungsspalte der Quittungskarte verstanden werden. Die Aufrechnungsbescheinigung kann schon deshalb nicht gemeint sein, weil sie nicht wie die Quittungskarte beim Kartenlager der Landesversicherungsanstalt (LVA) einging, die LVA also gar keine Möglichkeit hatte, den Inhalt einer Aufrechnungsbescheinigung anzufechten oder zu beanstanden. Das LSG hat die möglichen und tatsächlich erfolgten Beitragsentrichtungen über die in der Versicherungskarte Nr. 6 bescheinigten und allein streitigen Zeiten zum Teil hinausgehende Zeit vom 27. Juni 1927 bis Mai 1930 untersucht. Die Versicherungskarte Nr. 5 enthält zwar noch 22 Wochenmarken für diesen Zeitraum. Das LSG hat jedoch diese weitergehende Untersuchung vorgenommen, weil durch die Verordnung vom 13. April 1927 (AN 27, 305) mit Wirkung vom 27. Juni 1927 neue Beitragsmarken eingeführt worden sind und der Kläger im Mai 1930 ein neues Arbeitsverhältnis begründet hat, für das die Beitragsmarken erkennbar in den nachfolgenden Versicherungskarten Nr. 7 und 8 geklebt wurden. Es stand damit der genaue Anfang und das genaue Ende des Zeitraumes fest, für den die 22 Wochenmarken in der Versicherungskarte Nr. 5 und die in der Versicherungskarte Nr. 6 enthalten gewesenen Beiträge erbracht worden sind. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das LSG die Angaben der Beitrags- und Krankenkarte der AOK Bonn über die Beschäftigungsverhältnisse des Klägers während dieses Zeitraumes ausgewertet hat und davon ausgegangen ist, es sei nach allgemeiner Erfahrung nicht wahrscheinlich, daß Arbeitgeber für Arbeitnehmer mehr Marken zur gesetzlichen Rentenversicherung geklebt als sie Beiträge zur AOK entrichtet haben. Es ist dann zu dem nicht zu beanstandenden Ergebnis gekommen, daß unter Zugrundelegung der Angaben in der Aufrechnungsbescheinigung für die Quittungskarte Nr. 6 in der Zeit vom 27. Juni 1927 bis Mai 1930 13 Wochenbeiträge mehr entrichtet worden wäre, als sie nach den Angaben der Beitrags- und Krankenkarten der AOK Bonn möglich sind. Es ist zwar richtig, daß dies aber zu der Annahme führt, daß die Sammelkarte 11 Wochenbeiträge weniger ausweist, als sie nach den Unterlagen der AOK enthalten müßte. Das LSG hat aber darauf hingewiesen, daß nach den in den Unterlagen der AOK angegebenen Verdiensten für den Kläger keine Beitragsmarken der Klasse VII, die für ein Wochenverdienst von mehr als 36 RM zu entrichten waren, erbracht sein können. Wie dies aber auch letztlich zu erklären sein mag, jedenfalls durfte das LSG annehmen, daß der Nachweis der Behauptung des Klägers – und darauf kommt es alleine an – nicht erbracht ist.

Das LSG hat daraufhin zu Recht entschieden, daß nach dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von der objektiven Beweislast die Klage abzuweisen ist. Nach diesem Grundsatz geht es zu Lasten desjenigen, der ein Recht geltend macht, wenn die Voraussetzungen dieses Rechts nicht nachweisbar sind.

Die Revision des Klägers mußte daher zurückgewiesen werden. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Unterschriften

Dr. Dapprich, Rauscher, Schröder

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 11.07.1972 durch Hartung Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI707786

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