Beteiligte
11. Oktober 1988 … Klägerin und Revisionsklägerin |
… Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte die Klägerin von den Kosten einer stationären Refertilisierungsbehandlung (Wiederfruchtbarmachung) freizustellen hat.
Die im Jahre 1946 geborene Klägerin ließ sich, nachdem sie fünf Kinder geboren hatte, im Jahre 1979 wegen Alkoholismus ihres damaligen, inzwischen verstorbenen Ehemannes sterilisieren; die Beklagte hat die Kosten übernommen. Seit 1981 ist die Klägerin in dritter Ehe verheiratet. Im April 1982 wandte sie sich mit dem Wunsch einer Refertilisierung an den Kassenarzt und Gynäkologen Dr. R. in A. , der Krankenhauspflege ("zB Refertilisierung") verordnete. Auf der Vorderseite des verwendeten Formulars waren rechts unten die Worte "Bitte die Rückseite beachten!" zu lesen; auf der Rückseite fand sich der umrandete und fettgedruckte Hinweis:
"Die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem Krankenhaus bleibt der Krankenkasse vorbehalten; deshalb bitte diese Verordnung vor Aufsuchen des Krankenhauses der zuständigen Krankenkasse vorlegen.
Geschieht das nicht, so kann die Kostenübernahme durch die Krankenkasse abgelehnt werden, es sei denn, daß ein Notfall vorliegt und ein Leistungsanspruch besteht."
Ohne zuvor an die Beklagte herangetreten zu sein, suchte die Klägerin am 3. Mai 1982 die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen, Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe, auf. Die Klinikärzte bejahten die Indikation für eine operative Refertilisierung. Sie erblickten sie in einer extremen psychoemotionalen Belastungssituation auf dem Boden eines Partnerschaftskonflikts bei sekundärer Sterilität. Die Klägerin wurde daraufhin in der Universitäts-Frauenklinik Bonn im Rahmen einer vom 4. August bis 27. August 1982 durchgeführten stationären Behandlung am 12. August 1982 operiert.
Nach Aufnahme der Klägerin hatte die Verwaltung der Universitäts-Kliniken Bonn die Beklagte um ein Kostenanerkenntnis gebeten. Die Beklagte hat dies abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Wunsch der Klägerin, die Folgen der Sterilisation wieder zu beseitigen, sei keine Krankheit. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben, die Berufung zugelassen und ausgeführt: Die Beklagte habe der Klägerin die Sachleistung Krankenhauspflege schon deshalb gewähren müssen, weil diese kassenärztlich verordnet worden sei. Eines vorherigen Leistungsantrags der Klägerin oder einer Zustimmung der Beklagten habe es daneben nicht bedurft. Auch in der Kommentarliteratur werde eine Bindung der Krankenkasse an die Verordnung des Kassenarztes angenommen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 13. Juni 1985 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) durch Urteil vom 24. September 1986 (8 RK 2/86) das Berufungsurteil mit der Begründung aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, daß der Träger der Universtitäts-Frauenklinik Bonn hätte notwendig beigeladenen werden müssen. Durch Urteil vom 29. April 1987 hat das LSG (erneut) unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Auf eine Kostentragungspflicht der Beklagten könne sich die Klägerin nur dann berufen, wenn ihr die stationäre Refertilisierungsbehandlung tatsächlich nach § 184 RVO bewilligt worden wäre. Hieran fehle es. Die Ablehnung sei auch nicht deswegen unbeachtlich, weil eine kassenärztliche Verordnung vorgelegen habe. Eine solche Verordnung könne den Bewilligungsbescheid der Kasse nicht ersetzen, auch nicht im Verein mit der Aufnahme in einem Vertragskrankenhaus. Dieser Aufnahme komme keine die Entscheidungskompetenz der Kasse überlagernde und verdrängende rechtliche Bindungswirkung zu. Die kassenärztliche Verordnung sei zwar mehr als ein bloßes Attest über die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der verordneten Leistung. Demgemäß werde auch das Vertrauen des Versicherten auf ihre Richtigkeit weitgehend geschützt. Diese Richtigkeit zu überprüfen sei dem Versicherten in der Regel weder möglich noch zuzumuten. Im Verhältnis zum Versicherten müsse die Krankenkasse die Verordnung, auch wenn sie fehlerhaft sei, jedenfalls dort gegen sich gelten lassen, wo die Leistungsgewährung, wie etwa bei der Arzneimittelversorgung, sich üblicherweise ohne Zutun der Kasse vollziehe. Das gelte nach herrschender Ansicht auch für die Krankenhauspflege, seitdem diese - mit Wirkung vom 1. Januar 1974 - von einer Ermessens- zu einer Pflichtleistung geworden sei. Diese Vertrauensschutzabwägungen hätten jedoch mit einer echten rechtlichen Bindung nichts zu tun. Dem Kassenarzt sei nur die Verordnung als solche zugewiesen, während die Leistungsgewährung nach § 184 RVO grundsätzlich Sache der Krankenkasse bleibe. Die kassenärztliche Verordnung sei nur das Attest der Notwendigkeit der Gewährung, nicht aber die Gewährung selbst. Auch § 20 des Bundesmanteltarifvertrages-Ärzte (BMV-Ä) gehe entgegen der Meinung des SG nicht von einer Rechtsbindung der Krankenkasse an die Verordnung der Krankenhauspflege aus. Nach Absatz 4 Satz 1 dieser Vorschrift bleibe die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem Krankenhaus der Kasse vorbehalten. Würden die Krankenkassen kassenärztliche Verordnungen unbesehen hinnehmen müssen, dann würde auch § 369b Abs 1 Nr 1 RVO unverständlich bleiben, wonach die Kassen gehalten seien, die Verordnung von Versicherungsleistungen in den erforderlichen Fällen rechtzeitig - dh vor der Leistungserbringung - vertrauensärztlich nachprüfen zu lassen. Der Krankenkasse stehe daher auch bei kassenärztlicher Verordnung ein Interventionsrecht zu; sie dürfe sich in den einzelnen Leistungsfall einschalten. Sei dieser noch nicht abgewickelt, habe sie das Recht, die Gewährung einer fehlerhaft verordneten Leistung abzulehnen. Soweit die Verordnung schon in Vollzug gesetzt ist, könnten sich Einschränkungen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ergeben. So müsse der nicht bösgläubige Versicherte geschützt werden, wenn er vom Kassenarzt unmittelbar in ein Krankenhaus eingewiesen werde; er durfte grundsätzlich darauf vertrauen, daß der Kassenarzt das Notwendige und Richtige veranlaßt habe. Für ein solches Vertrauen habe die hier streitige Verordnung aber gerade keine Grundlage abgegeben. Ihr Text habe den unübersehbaren Hinweis enthalten, daß die Kostenverpflichtungserklärung dem Krankenhaus vorbehalten bleibe. Damit sei die ausdrückliche Bitte verbunden gewesen, die Verordnung vor Aufsuchen des Krankenhauses der Kasse vorzulegen, da diese andernfalls die Kostenübernahme ablehnen könne. Die Klägerin habe demnach gewußt oder doch wissen müssen, daß die vorherige Entscheidung der Kasse einzuholen war. Der behandelnde Kassenarzt, Dr. R. , habe die Verwertbarkeit seiner Verordnung erkennbar von dieser Entscheidung abhängig gemacht. Von den Kosten dieser somit selbstbeschafften Maßnahme freigestellt zu werden, könne die Klägerin wegen des Sachleistungsprinzips grundsätzlich nicht verlangen. Nur in besonderen Ausnahmefällen wandele sich der Sachleistungsanspruch in einen Anspruch auf Kostenübernahme um. Keiner dieser Ausnahmetatbestände hätte hier vorgelegen. Weil daher das Klagebegehren selbst dann unbegründet wäre, wenn die Unfruchtbarkeit der Klägerin als Krankheit anzusehen wäre, bestehe Veranlassung, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache - erneut - zuzulassen. Wegen der Krankheitsfrage habe die Sache jedoch keine grundsätzliche Bedeutung mehr. Gesundheitliche Gründe für die Sterilisation hätten bei der Klägerin nicht vorgelegen; daher sei ihre Unfruchtbarkeit keine Krankheit iS der gesetzlichen Krankenversicherung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. April 1987 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28. November 1983 zurückzuweisen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Das beigeladene Land beantragt,
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das Berufungsurteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Beigeladenen die Refertilisierungskosten in Höhe von 6.408,-- DM zu erstatten. |
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II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
1. Der Hinweis der Beklagten, die Revisionsbegründung enthalte entgegen § 164 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) keine Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm, greift nicht durch. Aus dem Vortrag der Revisionsklägerin muß zwar eindeutig klar werden, welche Norm sie als verletzt ansieht. Bei einer materiell-rechtlichen Rüge genügt es jedoch, wenn sich die nach Meinung der Revisionsklägerin verletzte Rechtsnorm mit hinreichender Bestimmtheit aus der Art der Revisionsbegründung ergibt (BSGE 8, 31, 32). Das ist hier der Fall.
2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Revisionszulassung nicht auf die Frage beschränkt worden, ob die Kassen an die kassenärztliche Krankenhaus-Verordnung gebunden sind. Das LSG hat zwar ausgeführt, daß die Frage der hier streitigen Unfruchtbarkeit nicht (mehr) klärungsbedürftig sei. Es wollte damit aber keine Beschränkung auf eine Rechtsfrage vornehmen, die auch gar nicht zulässig und, würde sie trotzdem vorgenommen worden sein, ohne Bedeutung wäre (vgl Meyer-Ladewig, Komm SGG, 3. Aufl 1987, RdNr 28 zu § 160 mwH).
3. Das LSG hat festgestellt, daß bei der Klägerin keine medizinische Indikation zur Unfruchtbarmachung vorgelegen hatte. An diese Tatsachenfeststellung ist das Revisionsgericht, was die Klägerin übersieht, gebunden (§ 163 SGG). Die Revisionsklägerin hat keinerlei Verfahrensrügen und daher keine (begründeten) Revisionsrügen gegen diese Feststellungen erhoben. Wie der Senat schon in seinem Urteil vom 12. November 1985 entschieden hat, ist der ohne medizinische Indikation (bewußt und gewollt) herbeigeführte Zustand der Unfruchtbarkeit keine Krankheit iS der gesetzlichen Krankenversicherung, so daß insoweit kein Anspruch auf Krankenhilfe zur Refertilisierung besteht (BSGE 59, 119). Der Senat hat diese Rechtsansicht in seinem Urteil vom 15. Januar 1986 - 3 RK 53/84 - bekräftigt. Er hält an dieser Rechtsprechung fest.
4. Der Klägerin könnte der geltend gemachte Anspruch demnach nur zustehen, wenn die Beklagte - die sonst keine speziellen, einen Vertrauensschutz auslösende Handlungen oder Unterlassungen vorgenommen hatte - durch oder aufgrund der Krankenhausverordnung des Kassenarztes Dr. R. vom 28. April 1982 verpflichtet worden wäre. Eine solche Rechtswirkung ist dieser Verordnung aber nicht zugekommen.
Der Kassenarzt trifft keine Rechtsentscheidung über die Verpflichtung der Krankenkasse zur Leistungserbringung. Das ist nicht seine Aufgabe, und das ergibt sich auch aus keiner Bestimmung der RVO oder aus ihr nachgeordnetem Recht. Insbesondere ergibt es sich nicht, worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat, aus § 20 BMV-Ä. Wenn es dort in Absatz 4 Satz 1 heißt, daß die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem Krankenhaus der Krankenkasse vorbehalten bleibe, so besagt dies zugleich, daß dem Versicherten aus der ärztlichen Krankenhauspflegeverordnung kein Recht gegenüber der Kasse auf Übernahme der Klinikkosten erwächst. Selbst wenn der Kassenarzt aber in Notfällen "von sich aus" die Krankenhausaufnahme veranlaßt, entscheidet er nicht im Sinne einer Rechtsverpflichtung der Kasse gegenüber dem Versicherten, die Sachleistung auf ihre Kosten erbringen zu lassen. Ein solcher Fall lag hier aber auch gar nicht vor. Der Kassenarzt hat keine Notfall-Einweisung veranlaßt und dementsprechend auch nicht im Auftrag der Beklagten handeln wollen. Seine Verordnung enthielt vielmehr den ausdrücklichen Hinweis auf die nach § 20 BMV-Ä bestehende Rechtslage, wonach die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem Krankenhaus der Krankenkasse vorbehalten bleibe und dieser die Bewilligung obliegt.
Der Klägerin steht daher unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung von den streitigen Krankenhauskosten zu. Ihre Revision konnte daher keinen Erfolg haben.
5. Die Klägerin hatte vor dem SG beantragt, sie von den Kosten in Höhe von 5.979,60 DM freizustellen; das SG hat dementsprechend entschieden. Mit seinem erstmals im Revisionsverfahren gestellten Antrag, ihm Kosten in Höhe von 6.408,-- DM zu erstatten, geht der Beigeladene über den Antrag der Klägerin hinaus. Das ist jedenfalls im Revisionsverfahren unzulässig (§ 168 SGG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen