Entscheidungsstichwort (Thema)
Student. Versicherungsfreiheit. Werkstudentenprivileg. Erscheinungsbild. Verringerung der Arbeitszeit in bisheriger Beschäftigung. 20-Stunden-Grenze
Leitsatz (amtlich)
Das Werkstudentenprivileg ist auch dann anzuwenden, wenn Studenten zu Zwecken ihres Studiums eine bisher ausgeübte Beschäftigung verringern und ihrem Erscheinungsbild nach Studenten werden.
Normenkette
SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 3; SGB III § 27 Abs. 4 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung als so genannter Werkstudent versicherungsfrei ist.
Der 1972 geborene Kläger absolvierte von 1992 bis 1995 eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Im Anschluss daran war er bei einer Sparkasse ganztags beschäftigt. Im Oktober 1997 nahm er das Studium der Rechtswissenschaften auf. Er blieb weiterhin bei der Sparkasse beschäftigt. Jedoch verringerte er die Arbeitszeit auf wöchentlich 12 Stunden. Die Sparkasse führte für ihn ab Aufnahme des Studiums zunächst keine Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung mehr ab, weil sie davon ausging, der Kläger sei in seiner Beschäftigung bei der Sparkasse in diesen Versicherungszweigen als Student versicherungsfrei (sog Werkstudentenprivileg). Beiträge zur Rentenversicherung, in der das Werkstudentenprivileg seit dem Wintersemester 1996 nicht mehr gilt, wurden von der Sparkasse hingegen entrichtet. Ab April 2000 entrichtete die Sparkasse für den Kläger jedoch auch wieder Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und behielt den Arbeitnehmeranteil ein. Sie folgte damit dem gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 6. Oktober 1999 (Die Beiträge 2000, 98, 112). Darin wurde unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 10. Dezember 1998 (SozR 3-2500 § 6 Nr 16) die Ansicht vertreten, dass Studenten, die nach Aufnahme eines Studiums weiterhin bei demselben Arbeitgeber beschäftigt blieben, ab dem Sommersemester 2000 auch dann nicht (mehr) versicherungsfrei seien, wenn sie den Umfang des Arbeitsverhältnisses den Erfordernissen des Studiums anpassten. Der Kläger beantragte daraufhin bei der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle die Feststellung, dass er in seiner Beschäftigung bei der Sparkasse weiterhin versicherungsfrei sei. Die Ansicht der Spitzenverbände lasse sich dem genanten Urteil nicht entnehmen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Kläger nicht versicherungsfrei sei (Bescheid vom 18. Mai 2000, Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2000).
Der Kläger hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Bundesanstalt für Arbeit ≪BA≫ (Beigeladene zu 1), die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ≪BfA≫ (Beigeladene zu 2), die Deutsche Angestellten-Krankenkasse – Pflegekasse – (Beigeladene zu 3) und die Sparkasse als Arbeitgeber (Beigeladene zu 4) beigeladen. Mit Urteil vom 26. Februar 2002 hat es den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (SozR 3-2500 § 6 Nr 16) sei als Werkstudent nur derjenige nicht versicherungs- und beitragsfrei, der nach Abschluss einer Berufsausbildung ein beruflich weiterführendes “berufsintegriertes Studium” absolviere, wenn er die Beschäftigung in dem erlernten Beruf während des Semesters als Teilzeitbeschäftigung und während der Semesterferien als Vollzeitbeschäftigter ausübe. Der Kläger befinde sich jedoch nicht in einem berufsintegrierten, sondern einem branchenfremden Studium.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Im März 2002 hat der Kläger eine weitere Beschäftigung als Telefonist im Umfang von 5,5 Stunden in der Woche bei einem Verlag aufgenommen. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Verlag als weiteren Arbeitgeber (Beigeladener zu 5) beigeladen. Mit Urteil vom 28. Januar 2003 hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und unter Änderung des Tenors des SG-Urteils festgestellt, dass der Kläger in seiner Beschäftigung als Sparkassenangestellter und Telefonist in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei ist.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung von § 6 Abs 1 Nr 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und des § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Bei Beschäftigten, die aus einem Arbeitsverhältnis heraus studierten, trete mit der Aufnahme des Studiums auch dann keine Versicherungsfreiheit ein, wenn das Arbeitsverhältnis vom Umfang her den Erfordernissen des Studiums angepasst werde. Personen, die im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ein Studium absolvierten, seien als versicherungspflichtig Beschäftigte anzusehen. Versicherungsfreiheit komme bei ihnen nur noch bei Geringfügigkeit der Beschäftigung in Betracht. Das gelte nicht nur für Studenten, die praxisbezogene Studiengänge aufnähmen, sondern allgemein. – Die beigeladene BA und die beigeladene BfA teilen die Ansicht der Beklagten.
Die Beteiligten haben den Rechtsstreit vergleichsweise auf die Frage der Versicherungsfreiheit des Klägers in seiner Beschäftigung bei der beigeladenen Sparkasse von April 2000 bis Februar 2002 beschränkt sowie für die Zeit ab März 2002 hinsichtlich beider Beschäftigungen des Klägers einen Verfahrensvergleich geschlossen.
Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 2) und zu 3) beantragen,
das Urteil des LSG vom 28. Januar 2003, soweit es die Zeit bis Februar 2002 betrifft, und das Urteil des SG vom 26. Februar 2002 aufzuheben sowie die Klage für die Zeit bis Februar 2002 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 4) und zu 5) haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Das SG hat den angefochtenen Bescheid zutreffend aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig. Der Kläger war in seiner Beschäftigung bei der beigeladenen Sparkasse während der Zeit von April 2000 bis Februar 2002 in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungsfrei. Für ihn waren in diesen Versicherungszweigen keine Beiträge aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt abhängig Beschäftigter zu zahlen. Der Kläger übt bei der Sparkasse zwar eine Beschäftigung aus, in der er wegen der Höhe des Entgelts nicht wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei ist. Er ist es aber in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung als Student versicherungsfrei. Das Werkstudentenprivileg gilt demgegenüber in der Rentenversicherung seit Oktober 1996 von Übergangsfällen abgesehen nicht mehr (dazu BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 1) und ist deshalb im vorliegenden Verfahren nicht umstritten.
1. Auch Studenten unterliegen, wenn sie einer mehr als geringfügigen Beschäftigung nachgehen, im Grundsatz der für abhängig Beschäftigte angeordneten Versicherungspflicht (vgl § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III, § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung ≪SGB XI≫). Nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V sind Studenten jedoch krankenversicherungsfrei, wenn sie während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Entsprechendes gilt für die Soziale Pflegeversicherung (vgl § 1 Abs 2 Satz 1 SGB XI) und das Recht der Arbeitsförderung. Auch dort sind Personen, die während ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule eine Beschäftigung ausüben, versicherungsfrei (§ 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III).
Die Rechtsprechung des BSG hat für die Versicherungsfreiheit auf Grund dieses Werkstudentenprivilegs nicht das formale Kriterium genügen lassen, dass es sich bei den Beschäftigten statusrechtlich um Studenten handelt. Die Versicherungsfreiheit verlangt vielmehr neben dem förmlichen Status des Studenten (Immatrikulation), dass das Studium Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nimmt und er damit trotz Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student bleibt. Gesetzliches Leitbild des Werkstudentenprivilegs sind demnach Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen. Die Beschäftigung ist demgemäß nur versicherungsfrei, wenn und solange sie “neben” dem Studium ausgeübt wird, ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet ist, mithin das Studium die Hauptsache, die Beschäftigung die Nebensache ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 16 mwN).
2. Die Frage, wann das Studium die Haupt- und die Beschäftigung die Nebensache ist, hat das BSG wiederholt beschäftigt und zu einer Vielzahl von Entscheidungen geführt. Der Sache nach lassen sich dabei zwei Fallgruppen unterscheiden.
a) Zum einen ging es um Studenten, die vor Aufnahme des Studiums noch nicht abhängig beschäftigt waren und die eine Beschäftigung erstmals während ihres Studiums aufgenommen hatten. Hier hat das BSG bei einer Beschäftigung während des Semesters im Wesentlichen darauf abgestellt, ob die Beschäftigung Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nimmt. Es hat dies bei einer während des Semesters ausgeübten Beschäftigung bejaht, sofern deren zeitlicher Umfang wöchentlich 20 Stunden übersteigt (vgl zB BSGE 40, 93, 95 = SozR 2200 § 172 Nr 3; SozR 2400 § 2 Nr 3 S 3; BSGE 44, 164, 165 = SozR 4100 § 134 Nr 3). Eine in den von Studienanforderungen freien Semesterferien ausgeübte Beschäftigung steht dem Erscheinungsbild als Student auch dann nicht entgegen, wenn die genannte 20-Stunden-Grenze überschritten wird (BSGE 44, 164, 166 = SozR 4100 § 134 Nr 3; SozR 2200 § 172 Nr 12 S 23). Allerdings wird bei einem längeren Ausschöpfen der 20-Stunden-Grenze im Semester und einer vollschichtigen Beschäftigung in den Semesterferien das Erscheinungsbild eines Arbeitnehmers bestehen, weil dann insgesamt eine weit mehr als halbschichtige Beschäftigung ausgeübt wird. Andererseits hat das BSG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden im Semester später nicht (mehr) als absolute Grenze, wohl aber als ein wesentliches Beweiszeichen angesehen, dem bei der Würdigung des Gesamtbildes besonderes Gewicht zukommt (vgl BSGE 50, 25, 27 = SozR 2200 § 172 Nr 14; BSG SozR 2200 § 172 Nr 20 S 45, 47). Die genannte 20-Stunden-Grenze war an einer früher üblichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ausgerichtet. Es sind später gelegentlich Zweifel daran geäußert worden, ob an der 20-Stunden-Grenze festzuhalten ist, wenn die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit auf weniger als 40 Stunden sinkt (vgl BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 16 S 57). Der Senat hält einstweilen an der bisherigen Grenze fest. Sie ist bekannt und bewährt. Zudem ist gegenwärtig eher eine Entwicklung zu einer Verlängerung als zu einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit zu beobachten.
b) Eine zweite Fallgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass die Studenten eine vor Aufnahme des Studiums ausgeübte Beschäftigung auch während ihres Studiums fortgesetzt hatten. Das BSG hat in diesen Fällen Versicherungsfreiheit regelmäßig verneint, auch wenn die Arbeitszeit mit Rücksicht auf das Studium verringert worden war (vgl BSGE 27, 192 = SozR Nr 3 zu § 1228 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ zum Abendstudium an einer Bauschule neben einer Beschäftigung; BSGE 33, 229 = SozR Nr 14 zu § 172 RVO zur Ganztagsbeschäftigung neben tageweisem Studium; BSGE 39, 223 = SozR 2200 § 172 Nr 2 zur Beschäftigung mit Beurlaubung für Studienzeiten unter Zahlung einer Ausbildungsvergütung durch den Arbeitgeber; BSGE 41, 24 = SozR 2200 § 165 Nr 8 zur Beurlaubung für die Dauer des Studiums unter Fortzahlung des nur unwesentlich gekürzten Gehalts; BSGE 78, 229 = SozR 3-2500 § 6 Nr 11 zur Beschäftigung mit Sonderurlaub für ein Studium bei Zahlung einer Studienförderung). In all diesen Entscheidungen bestand zwischen der fortgeführten Berufstätigkeit und dem Studium ein enger innerer Zusammenhang, dem für die Feststellung des Erscheinungsbildes eine größere Bedeutung beigemessen wurde als der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Beschäftigung. Mit Urteil vom 10. Dezember 1998 (SozR 3-2500 § 6 Nr 16), das zu dem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände vom 6. Oktober 1999 (Die Beiträge 2000, 98, 112) führte, hat der Senat entschieden: Nicht als Werkstudent versicherungsfrei ist, wer nach Abschluss einer Berufsaubildung ein beruflich weiterführendes (berufsintegriertes) Studium absolviert, wenn er die Beschäftigung in dem erlernten Beruf während des Semesters als Teilzeitbeschäftigung und während der vorlesungsfreien Zeit als Vollzeitbeschäftigung ausübt. Ein Erreichen oder Überschreiten der 20-Stunden-Grenze sei nicht Voraussetzung für die Versicherungs- und Beitragspflicht.
c) Entgegen der Ansicht der beklagten Krankenkasse und der Spitzenverbände folgt aus dieser Entscheidung nicht, dass Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V, § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III immer dann ausscheidet, wenn eine vor Aufnahme des Studiums ausgeübte Beschäftigung fortgeführt wird, selbst wenn das Arbeitsverhältnis vom Umfang her den Erfordernissen des Studiums angepasst wird und der Studiengang mit der Beschäftigung nicht in einem Zusammenhang steht. Vielmehr kam es auch in dieser Entscheidung darauf an, ob die Beschäftigung “neben” dem Studium ausgeübt wurde und ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet oder ob das Studium von der weiterhin ausgeübten Beschäftigung geprägt war. Die Klägerin jenes Verfahrens, eine Bankangestellte, studierte an einer von Banken getragenen privaten Fachhochschule für Bankwirtschaft Betriebswirtschaftslehre. Zu diesem Zweck hatte sie während des Semesters die Arbeitszeit auf 19,5 Stunden in der Woche verringert, wobei sie abwechselnd an zwei oder drei Tagen in der Woche studierte und an den übrigen Tagen der Woche bei ihrem bisherigen Arbeitgeber arbeitete. Außerhalb der Vorlesungszeit arbeitete sie dort 38 Stunden in der Woche (vgl BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 16 S 52). Nach der damaligen Entscheidung des Senats hatte das LSG bei dem festgestellten Sachverhalt Versicherungsfreiheit ohne Rechtsfehler verneint. Auch in Fällen der Fortsetzung einer früher ausgeübten Beschäftigung war entscheidend darauf abzustellen, ob die Beschäftigung dem Studium nach Zweck und Dauer untergeordnet war, und dieses dort zu verneinen.
Besteht zwischen dem Studium und der weiter ausgeübten Beschäftigung kein prägender innerer Zusammenhang, kommt es für die Annahme von Versicherungsfreiheit maßgeblich auf die zeitliche Unterordnung der Beschäftigung unter das Studium an. Insoweit ist aus Gründen der Gleichbehandlung auch bei Studenten, die erst während einer Beschäftigung ein Studium aufnehmen, von der 20-Stunden-Grenze auszugehen. Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), der auch die Gerichte bei ihrer Auslegung des Gesetzes bindet (vgl Art 1 Abs 3 GG), verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche rechtliche Behandlung rechtfertigen könnten. Die für die Rechtfertigung der Versicherungsfreiheit beschäftigter Studenten (Werkstudentenprivileg) in Betracht zu ziehenden Erwägungen (zum Meinungsstand die Nachweise bei Felix, SozVers 2002, 116 ff) lassen es nicht zu, Studenten, die bereits vor der Aufnahme des Studiums beschäftigt waren, die Versicherungsfreiheit generell zu versagen und sie damit anders zu behandeln als Studenten, die erst während des Studiums eine Beschäftigung aufnehmen. Soweit durch das Studentenprivileg Studenten zur Finanzierung ihres Studiums wirtschaftlich von Beiträgen entlastet werden sollen, trifft dieser Gesetzeszweck auch auf Studenten zu, die ihre bisherige Beschäftigung im Hinblick auf ihr Studium einschränken und entsprechend geringere Arbeitsentgelte erzielen. Im Übrigen dürfte es oft von Zufällen abhängen, ob ein Student Gelegenheit hat, bei seinem bisherigen Arbeitgeber weiter zu arbeiten, oder ob er sich nach Beendigung der bisherigen Beschäftigung einen neuen Arbeitgeber oder eine andere Beschäftigung sucht.
d) Nach den bindenden Feststellungen des LSG bestand zwischen der fortgesetzten Berufstätigkeit des Klägers als Sparkassenangestellter und seinem Studium der Rechtswissenschaft keine fachlich/sachliche Verbindung dergestalt, dass die zeitliche Vereinbarkeit von Studium und Beschäftigung in den Hintergrund trat und sie für die Frage, was Haupt- und was Nebensache war, nur von untergeordneter Bedeutung war. Das LSG hat daher für die Würdigung des Erscheinungsbildes des Klägers als Student oder Beschäftigter entscheidend auf die zeitliche Unterordnung der Beschäftigung unter das Studium und dabei vor allem auf die zeitliche Dauer der Beschäftigung abgestellt. Die Annahme des LSG, dass die vom Kläger im Umfang von wöchentlich 12 Stunden ausgeübte Beschäftigung als Sparkassenangestellter hinter sein Studium zurücktritt, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die 20-Stunden-Grenze wurde im Semester und in der vorlesungsfreien Zeit bei weitem nicht erreicht.
Der Kläger war von April 2000 bis Februar 2002 in seiner Beschäftigung als Sparkassenangestellter versicherungsfrei. In der Kranken- und der Pflegeversicherung war damit der Weg für eine Versicherungspflicht als Student frei (Krankenversicherung der Studenten ≪KVdS≫). In diesen Versicherungszweigen unterliegen Studenten auf Grund ihres Studentenstatus bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters, längstens jedoch bis zur Vollendung ihres 30. Lebensjahres einer besonderen Versicherungspflicht (vgl § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 9 SGB XI). Diese tritt gegenüber einer Beschäftigtenversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB XI) zurück (vgl § 5 Abs 7 Satz 1 SGB V), wird jedoch wirksam, wenn in der Beschäftigung Versicherungsfreiheit auf Grund des Werkstudentenprivilegs besteht.
Nach allem hat das LSG zu Recht entschieden, dass der Kläger in seiner Beschäftigung bei der Sparkasse versicherungsfrei und damit das erzielte Arbeitsentgelt beitragsfrei war.
5. Der Senat folgt demnach den Versicherungsträgern nicht in dem Bestreben, das Werkstudentenprivileg auszuschließen, wenn vor dem Studium bereits eine Beschäftigung ausgeübt worden ist und diese während des Studiums in einer dem Studium untergeordneten Form weiterverrichtet wird. Schon früher ist der Senat anderen Versuchen zur Einschränkung des Werkstudentenprivilegs nicht gefolgt: So einer Begrenzung auf die Zeit bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss in BSGE 71, 144 = SozR 3-2200 § 172 Nr 2 oder durch die Übertragung der für die KVdS geltenden Grenzen (Fachsemester und Alter) auf das Werkstudentenprivileg in SozR 3-2500 § 6 Nr 17. Der Senat verkennt nicht, dass das Werkstudentenprivileg wegen der Änderung der Verhältnisse seit seiner Einführung, der Vielfalt der anzutreffenden Lebenssachverhalte und der zunehmenden Verzahnung von Beschäftigung und Studium auf erhebliche Rechtfertigungsprobleme und Anwendungsschwierigkeiten stößt. In der Rentenversicherung ist das Werkstudentenprivileg seit dem Wintersemester 1996 abgeschafft (dazu BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 1). Auch in der Krankenversicherung werden Gründe für seine Abschaffung geltend gemacht (vgl Felix, SozVers 2002, 116 ff; Kasseler Komm-Peters § 6 SGB V RdNr 30, Stand September 2003). Hinzu kommt neuerdings die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze auf 400 € im Monat sowie die Einführung der Gleitzonenregelung. Sie bewirken, dass Studenten auch nach einer Abschaffung des Werkstudentenprivilegs in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei einem Beitragssatz von 14 vH ein Arbeitsentgelt von gut 700 € monatlich verdienen können, bevor der Arbeitnehmeranteil zur Krankenversicherung den Beitrag in der KVdS übersteigt, der seit dem Wintersemester 2002/2003 im Monat 45,67 € betrug. Diese Geringfügigkeits- und Gleitzonenregelungen sind für die Studenten geeignet, das Werkstudentenprivileg teilweise zu ersetzen.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1090948 |
NZS 2004, 134 |
NZS 2004, 270 |
SGb 2004, 440 |
SozR 4-2500 § 6, Nr. 3 |
b&b 2004, 170 |