Entscheidungsstichwort (Thema)
Student. Versicherungsfreiheit in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nach dem Werkstudentenprivileg. Fortsetzung bisher ausgeübter Beschäftigung. Verringerung der Arbeitszeit in bisheriger Beschäftigung. 20-Stunden-Grenze
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Versicherungsfreiheit nach dem Werkstudentenprivileg verlangt neben dem förmlichen Status des Studenten (Immatrikulation), dass das Studium Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nimmt und er damit trotz Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student bleibt. Die Beschäftigung ist demgemäß nur versicherungsfrei, wenn und solange sie “neben” dem Studium ausgeübt wird, ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet ist, und also das Studium die Hauptsache, die Beschäftigung die Nebensache ist (st. Rspr.; vgl. BSG SozR 3-2500 § 6 Nr. 16).
2. Eine Beschäftigung ist i.d.R. dann Nebensache, wenn eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden im Semester nicht überschritten wird. Dies ist als wesentliches Beweiszeichen anzusehen (vgl. BSGE 50, 25, 27; BSG SozR 2200 § 172 Nr. 20 S 45, 47).
3. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn Studenten zu Zwecken ihres Studiums eine bisher ausgeübte Beschäftigung verringern und ihrem Erscheinungsbild nach Studenten werden.
Normenkette
SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 3; SGB III § 27 Abs. 4 S. 1 Nr. 2; SGB XI § 1 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern sowie den Beigeladenen zu 3) und 5) die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung Versicherungsfreiheit nach dem Werkstudentenprivileg besteht.
Die drei Kläger, die in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) eine Rechtsanwaltskanzlei betreiben, beschäftigten ab November 1997 eine Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte. Sie arbeitete zunächst vollschichtig. Ab Januar 1999 nahm sie an einem Studienkolleg teil und verringerte deshalb ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 20 Stunden. Im April 2000 nahm sie an der Universität das Studium der Betriebswirtschaftslehre auf. Sie verringerte ihre Arbeitszeit daher weiter auf wöchentlich 18 Stunden, ab Oktober 2000 auf 11 Stunden. Ende November 2000 gab sie ihre Beschäftigung bei den Klägern auf.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) führte im Juli 2001 bei den Klägern eine Betriebsprüfung durch. Mit gleichlautenden Bescheiden forderte sie von jedem der drei Kläger als Gesamtschuldner Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung der Angestellten in Höhe von 3.678,74 DM nach (Bescheide vom 20. Juli 2001, Widerspruchsbescheide vom 21. November bzw 4. Dezember 2001). Die Angestellte sei auch vom 1. April 2000 bis zum 30. November 2000 versicherungspflichtig in den genannten Zweigen der Sozialversicherung gewesen. Die Beklagte folgte damit dem gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 6. Oktober 1999 (Die Beiträge 2000, 98, 112). Darin wurde unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 10. Dezember 1998 (SozR 3-2500 § 6 Nr 16) die Ansicht vertreten, dass Studenten, die nach Aufnahme eines Studiums weiterhin bei demselben Arbeitgeber beschäftigt blieben, ab dem Sommersemester 2000 auch dann nicht (mehr) versicherungsfrei seien, wenn sie den Umfang des Arbeitsverhältnisses den Erfordernissen des Studiums anpassten.
Die Kläger haben Klage erhoben. Das Sozialgericht Berlin (SG) hat die Angestellte (Beigeladene zu 3), deren Krankenkasse (Beigeladene zu 1) und Pflegekasse (Beigeladene zu 2), sowie die Bundesanstalt für Arbeit (Beigeladene zu 4) beigeladen. Mit Urteil vom 16. Dezember 2002 hat es die Bescheide der Beklagten in der Gestalt der Widerspruchsbescheide aufgehoben, soweit darin für die Zeit vom 1. April 2000 bis zum 30. November 2000 Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 3) zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung festgestellt worden ist und Beiträge nachgefordert werden. Die Beigeladene zu 3) sei dem Erscheinungsbild nach Studierende, nicht jedoch Beschäftigte und daher nach § 6 Abs 1 Nr 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) versicherungsfrei gewesen.
Die beklagte BfA hat Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V, § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III. Die Beigeladenen zu 1), 2) und 4) teilen die Rechtsansicht der beklagten BfA.
Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen,
das Urteil des SG vom 16. Dezember 2002 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide vom 20. Juli 2001 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2001 abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das Urteil des SG für zutreffend.
Die Beigeladene zu 3) hat sich nicht geäußert. Der Senat hat die Kläger als Gesellschaft (Arbeitgeber) beigeladen (Beigeladene zu 5).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben und die Bescheide der Beklagten in der Gestalt der Widerspruchsbescheide zutreffend aufgehoben. Sie sind rechtswidrig.
Die beigeladene Studentin war in ihrer Beschäftigung bei der GbR der klagenden Rechtsanwälte von April bis November 2000 in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungsfrei. Für sie waren in diesen Versicherungszweigen keine Beiträge aus Arbeitsentgelt abhängig Beschäftigter zu zahlen. Die beigeladene Studentin übte bei den Rechtsanwälten zwar eine Beschäftigung aus, in der sie wegen der Höhe des Entgelts nicht wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei war. Sie war in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung aber als Studentin versicherungsfrei. Das Werkstudentenprivileg gilt in der Rentenversicherung demgegenüber seit Oktober 1996 von Übergangsfällen abgesehen nicht mehr (dazu BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 1) und ist deshalb im vorliegenden Verfahren nicht umstritten.
1. Auch Studenten unterliegen, wenn sie einer mehr als geringfügigen Beschäftigung nachgehen, im Grundsatz der für abhängig Beschäftigte angeordneten Versicherungspflicht (vgl § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III, § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung ≪SGB XI≫). Nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V sind Studenten jedoch krankenversicherungsfrei, wenn sie während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Entsprechendes gilt für die Soziale Pflegeversicherung (vgl § 1 Abs 2 Satz 1 SGB XI) und das Recht der Arbeitsförderung. Auch dort sind Personen, die während ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule eine Beschäftigung ausüben, versicherungsfrei (§ 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III).
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat für die Versicherungsfreiheit auf Grund dieses Werkstudentenprivilegs nicht das formale Kriterium genügen lassen, dass es sich bei den Beschäftigten statusrechtlich um Studenten handelt. Die Versicherungsfreiheit verlangt vielmehr neben dem förmlichen Status des Studenten (Immatrikulation), dass das Studium Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nimmt und er damit trotz Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student bleibt. Gesetzliches Leitbild des Werkstudentenprivilegs sind demnach Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen. Die Beschäftigung ist demgemäß nur versicherungsfrei, wenn und solange sie “neben” dem Studium ausgeübt wird, ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet ist, mithin das Studium die Hauptsache, die Beschäftigung die Nebensache ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 16 mwN).
2. Die Frage, wann das Studium die Haupt- und die Beschäftigung die Nebensache ist, hat das BSG wiederholt beschäftigt und zu einer Vielzahl von Entscheidungen geführt. Der Sache nach lassen sich dabei zwei Fallgruppen unterscheiden.
a) Zum einen ging es um Studenten, die vor Aufnahme des Studiums noch nicht abhängig beschäftigt waren und die eine Beschäftigung erstmals während ihres Studiums aufgenommen hatten. Hier hat das BSG bei einer Beschäftigung während des Semesters im Wesentlichen darauf abgestellt, ob die Beschäftigung Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nimmt. Es hat dies bei einer während des Semesters ausgeübten Beschäftigung bejaht, sofern deren zeitlicher Umfang wöchentlich 20 Stunden übersteigt (vgl zB BSGE 40, 93, 95 = SozR 2200 § 172 Nr 3; SozR 2400 § 2 Nr 3 S 3; BSGE 44, 164, 165 = SozR 4100 § 134 Nr 3). Eine in den von Studienanforderungen freien Semesterferien ausgeübte Beschäftigung steht dem Erscheinungsbild als Student auch dann nicht entgegen, wenn die genannte 20-Stunden-Grenze überschritten wird (BSGE 44, 164, 166 = SozR 4100 § 134 Nr 3; SozR 2200 § 172 Nr 12 S 23). Allerdings wird bei einem längeren Ausschöpfen der 20-Stunden-Grenze im Semester und einer vollschichtigen Beschäftigung in den Semesterferien das Erscheinungsbild eines Arbeitnehmers bestehen, weil dann insgesamt eine weit mehr als halbschichtige Beschäftigung ausgeübt wird. Andererseits hat das BSG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden im Semester später nicht (mehr) als absolute Grenze, wohl aber als ein wesentliches Beweiszeichen angesehen, dem bei der Würdigung des Gesamtbildes besonderes Gewicht zukommt (vgl BSGE 50, 25, 27 = SozR 2200 § 172 Nr 14; BSG SozR 2200 § 172 Nr 20 S 45, 47). Die genannte 20-Stunden-Grenze war an einer früher üblichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ausgerichtet. Es sind später gelegentlich Zweifel daran geäußert worden, ob an der 20-Stunden-Grenze festzuhalten ist, wenn die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit auf weniger als 40 Stunden sinkt (vgl BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 16 S 57). Der Senat hält einstweilen an der bisherigen Grenze fest. Sie ist bekannt und bewährt. Zudem ist gegenwärtig eher eine Entwicklung zu einer Verlängerung als zu einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit zu beobachten.
b) Eine zweite Fallgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass die Studenten eine vor Aufnahme des Studiums ausgeübte Beschäftigung auch während ihres Studiums fortgesetzt hatten. Das BSG hat in diesen Fällen Versicherungsfreiheit regelmäßig verneint, auch wenn die Arbeitszeit mit Rücksicht auf das Studium verringert worden war (vgl BSGE 27, 192 = SozR Nr 3 zu § 1228 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ zum Abendstudium an einer Bauschule neben einer Beschäftigung; BSGE 33, 229 = SozR Nr 14 zu § 172 RVO zur Ganztagsbeschäftigung neben tageweisem Studium; BSGE 39, 223 = SozR 2200 § 172 Nr 2 zur Beschäftigung mit Beurlaubung für Studienzeiten unter Zahlung einer Ausbildungsvergütung durch den Arbeitgeber; BSGE 41, 24 = SozR 2200 § 165 Nr 8 zur Beurlaubung für die Dauer des Studiums unter Fortzahlung des nur unwesentlich gekürzten Gehalts; BSGE 78, 229 = SozR 3-2500 § 6 Nr 11 zur Beschäftigung mit Sonderurlaub für ein Studium bei Zahlung einer Studienförderung). In all diesen Entscheidungen bestand zwischen der fortgeführten Berufstätigkeit und dem Studium ein enger innerer Zusammenhang, dem für die Feststellung des Erscheinungsbildes eine größere Bedeutung beigemessen wurde als der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Beschäftigung. Mit Urteil vom 10. Dezember 1998 (SozR 3-2500 § 6 Nr 16), das zu dem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände vom 6. Oktober 1999 (Die Beiträge 2000, 98, 112) führte, hat der Senat entschieden: Nicht als Werkstudent versicherungsfrei ist, wer nach Abschluss einer Berufsaubildung ein beruflich weiterführendes (berufsintegriertes) Studium absolviert, wenn er die Beschäftigung in dem erlernten Beruf während des Semesters als Teilzeitbeschäftigung und während der vorlesungsfreien Zeit als Vollzeitbeschäftigung ausübt. Ein Erreichen oder Überschreiten der 20-Stunden-Grenze sei nicht Voraussetzung für die Versicherungs- und Beitragspflicht.
c) Entgegen der Ansicht der beklagten BfA und der Spitzenverbände folgt aus dieser Entscheidung nicht, dass Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V, § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III immer dann ausscheidet, wenn eine vor Aufnahme des Studiums ausgeübte Beschäftigung fortgeführt wird, selbst wenn das Arbeitsverhältnis vom Umfang her den Erfordernissen des Studiums angepasst wird und der Studiengang mit der Beschäftigung nicht in einem Zusammenhang steht. Vielmehr kam es auch in dieser Entscheidung darauf an, ob die Beschäftigung “neben” dem Studium ausgeübt wurde und ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet oder ob das Studium von der weiterhin ausgeübten Beschäftigung geprägt war. Die Klägerin jenes Verfahrens, eine Bankangestellte, studierte an einer von Banken getragenen privaten Fachhochschule für Bankwirtschaft Betriebswirtschaftslehre. Zu diesem Zweck hatte sie während des Semesters die Arbeitszeit auf 19,5 Stunden in der Woche verringert, wobei sie abwechselnd an zwei oder drei Tagen in der Woche studierte und an den übrigen Tagen der Woche bei ihrem bisherigen Arbeitgeber arbeitete. Außerhalb der Vorlesungszeit arbeitete sie dort 38 Stunden in der Woche (vgl BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 16 S 52). Nach der damaligen Entscheidung des Senats hatte das LSG bei dem festgestellten Sachverhalt Versicherungsfreiheit ohne Rechtsfehler verneint. Auch in Fällen der Fortsetzung einer früher ausgeübten Beschäftigung war entscheidend darauf abzustellen, ob die Beschäftigung dem Studium nach Zweck und Dauer untergeordnet war, und dieses dort zu verneinen.
Besteht zwischen dem Studium und der weiter ausgeübten Beschäftigung kein prägender innerer Zusammenhang, kommt es für die Annahme von Versicherungsfreiheit maßgeblich auf die zeitliche Unterordnung der Beschäftigung unter das Studium an. Insoweit ist aus Gründen der Gleichbehandlung auch bei Studenten, die erst während einer Beschäftigung ein Studium aufnehmen, von der 20-Stunden-Grenze auszugehen. Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), der auch die Gerichte bei ihrer Auslegung des Gesetzes bindet (vgl Art 1 Abs 3 GG), verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche rechtliche Behandlung rechtfertigen könnten. Die für die Rechtfertigung der Versicherungsfreiheit beschäftigter Studenten (Werkstudentenprivileg) in Betracht zu ziehenden Erwägungen (zum Meinungsstand die Nachweise bei Felix, SozVers 2002, 116 ff) lassen es nicht zu, Studenten, die bereits vor der Aufnahme des Studiums beschäftigt waren, die Versicherungsfreiheit generell zu versagen und sie damit anders zu behandeln als Studenten, die erst während des Studiums eine Beschäftigung aufnehmen. Soweit durch das Studentenprivileg Studenten zur Finanzierung ihres Studiums wirtschaftlich von Beiträgen entlastet werden sollen, trifft dieser Gesetzeszweck auch auf Studenten zu, die ihre bisherige Beschäftigung im Hinblick auf ihr Studium einschränken und entsprechend geringere Arbeitsentgelte erzielen. Im Übrigen dürfte es oft von Zufällen abhängen, ob ein Student Gelegenheit hat, bei seinem bisherigen Arbeitgeber weiter zu arbeiten, oder ob er sich nach Beendigung der bisherigen Beschäftigung einen neuen Arbeitgeber oder eine andere Beschäftigung sucht.
d) Nach den bindenden Feststellungen des SG (vgl § 163, § 161 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) hat die beigeladene Studentin ab Aufnahme ihres Studiums nur noch 18 Stunden und im Oktober 2000 sogar nur noch elf Stunden wöchentlich gearbeitet und deutlich mehr Zeit für ihr Studium als für ihre Beschäftigung aufgewandt. Die konkreten Arbeitszeiten sind zudem stets mit Rücksicht auf die universitären Vorlesungstermine flexibel festgelegt worden. Zwischen der fortgesetzten Berufstätigkeit der Beigeladenen zu 3) als Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte und ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre bestand keine fachlich/sachliche Verbindung dergestalt, dass die zeitliche Vereinbarkeit von Studium und Beschäftigung in den Hintergrund trat und sie für die Frage, was Haupt- und was Nebensache war, nur von untergeordneter Bedeutung war. Das SG hat daher für die Würdigung des Erscheinungsbildes der Beigeladenen zu 3) als Studentin oder Beschäftigte entscheidend auf die zeitliche Unterordnung der Beschäftigung unter das Studium und dabei vor allem auf die zeitliche Dauer der Beschäftigung abgestellt. Die Annahme des SG, dass die von der Beigeladenen zu 3) im Umfang von wöchentlich 18 Stunden ausgeübte Beschäftigung als Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte hinter ihr Studium zurücktritt, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die 20-Stunden-Grenze wurde im Semester und in der vorlesungsfreien Zeit nicht erreicht.
Die Beigeladene zu 3) war somit von April 2000 bis November 2000 in ihrer Beschäftigung bei den Klägern in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungsfrei und damit ihr Arbeitsentgelt beitragsfrei.
3. Der Senat folgt demnach den Versicherungsträgern nicht in dem Bestreben, das Werkstudentenprivileg auszuschließen, wenn vor dem Studium bereits eine Beschäftigung ausgeübt worden ist und diese während des Studiums in einer dem Studium untergeordneten Form weiterverrichtet wird. Schon früher ist der Senat anderen Versuchen zur Einschränkung des Werkstudentenprivilegs nicht gefolgt: So einer Begrenzung auf die Zeit bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss in BSGE 71, 144 = SozR 3-2200 § 172 Nr 2 oder durch die Übertragung der für die Krankenversicherung der Studenten (KVdS) geltenden Grenzen (14 Fachsemester und Alter von 30 Jahren) auf das Werkstudentenprivileg in SozR 3-2500 § 6 Nr 17. Der Senat verkennt nicht, dass das Werkstudentenprivileg wegen der Änderung der Verhältnisse seit seiner Einführung, der Vielfalt der anzutreffenden Lebenssachverhalte und der zunehmenden Verzahnung von Beschäftigung und Studium auf erhebliche Rechtfertigungsprobleme und Anwendungsschwierigkeiten stößt. In der Rentenversicherung ist das Werkstudentenprivileg seit dem Wintersemester 1996 abgeschafft (dazu BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 1). Auch in der Krankenversicherung werden Gründe für seine Abschaffung geltend gemacht (vgl Felix, SozVers 2002, 116 ff; Kasseler Komm-Peters § 6 SGB V RdNr 30, Stand September 2003). Hinzu kommt neuerdings die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze auf 400 € im Monat sowie die Einführung der Gleitzonenregelung. Sie bewirken, dass Studenten auch nach einer Abschaffung des Werkstudentenprivilegs in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei einem Beitragssatz von 14 vH ein Arbeitsentgelt von gut 700 € monatlich verdienen können, bevor der Arbeitnehmeranteil zur Krankenversicherung den Beitrag in der KVdS (vgl § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V) übersteigt, der seit dem Wintersemester 2002/2003 im Monat 45,67 € betrug. Diese Geringfügigkeits- und Gleitzonenregelungen sind damit für die Studenten geeignet, das Werkstudentenprivileg teilweise zu ersetzen.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1090949 |
NZA 2004, 306 |