Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluß der Beamten und beamtengleich versorgten Bediensteten aus dem Kreise der Versicherten, die Leistungen zur Rehabilitation beantragen können. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen GG Art 3 Abs 1 und GG Art 14 Abs 1, daß Bedienstete mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen nicht als Versicherte iS von AVG § 13 Abs 1 S 1 (= RVO § 1236 Abs 1 S 1) gelten.
Leitsatz (redaktionell)
Ausschluß des Anspruchs auf Rehabilitationsmaßnahmen gegenüber dem Rentenversicherungsträger für DO-Angestellte (RVO § 1236 Abs 1a S 3, AVG § 13 Abs 1a S 3):
Zu den Versicherten, die in einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen stehen und deshalb nach RVO § 1236 Abs 1a S 3, AVG § 13 Abs 1a S 3 keinen Anspruch auf Maßnahmen zur Rehabilitation gegenüber dem Rentenversicherungsträger haben, gehören auch DO-Angestellte.
Orientierungssatz
1. Der Ausschluß der Beamten aus dem Kreise der nach AVG § 13 Abs 1 Begünstigten verletzt GG Art 3 Abs 1 nicht, weil aufgrund der Beihilfevorschriften vergleichbare Ansprüche gegen den Dienstherrn bestehen und deren Höhe den Ausschluß nicht als unerträglich und willkürlich erscheinen läßt.
2. Der Anspruch des Versicherten gegen den Rentenversicherungsträger, im Hinblick auf eine Kannleistung der medizinischen Rehabilitation das Ermessen pflichtgemäß auszuüben, kann keine dem Eigentum vergleichbare und daher durch GG Art 14 Abs 1 geschützte Rechtsposition sein.
Normenkette
AVG § 13 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1236 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, Abs. 1a S. 3 Fassung: 1977-06-27; AVG § 13 Abs. 1a S. 3 Fassung: 1977-06-27; RAG 20 Art. 2 § 2 Nr. 4 Fassung: 1977-06-27, § 1 Nr. 5 Fassung: 1977-06-27; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; SGB 1 § 39 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1975-12-11; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03, Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 29.11.1978; Aktenzeichen S 9 An 146/77) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. November 1978 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit ist, ob der Kläger von der Beklagten eine medizinische Leistung zur Rehabilitation verlangen kann.
Der 1935 geborene, seit 1954 versicherungspflichtig als Angestellter tätig gewesene Kläger ist seit Mai 1967 bei der Berufsgenossenschaft (BG) der Feinmechanik und Elektrotechnik, Köln, nach der Dienstordnung (DO) zur Zeit als Verwaltungsoberinspektor angestellt.
Seinen Antrag auf medizinische Leistungen zur Rehabilitation vom 15. August 1977 lehnte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) durch Bescheid vom 28. Oktober 1977 mit der Begründung ab, daß der Kläger nach § 13 Abs 1a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes (20. RAG) wegen der DO-Anstellung nicht als Versicherter gelte. Der Widerspruch hiergegen blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 4. April 1978).
Mit der hiergegen erhobenen Klage ist der Kläger ebenfalls nicht durchgedrungen. In dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 29. November 1978 heißt es, Art 2 § 2 Nr 4 b dd des 20. RAG sei nicht verfassungswidrig. Der Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -) sei nicht verletzt, weil die Versorgung ua der DO-Angestellten mit Heilmaßnahmen anderweitig sichergestellt sei. Ebensowenig liege ein enteignungsähnlicher Eingriff im Sinne des Art 14 Abs 2 GG vor.
Das SG hat in dem Urteil die Revision zugelassen.
Der Kläger hat mit Einwilligung der Beklagten die Revision eingelegt. Er bringt vor: Der Gleichheitssatz werde sehr wohl verletzt. Es könne nicht davon gesprochen werden, daß für ihn nach den Beihilfevorschriften Rehabilitationsmaßnahmen sichergestellt seien; die Beihilfe sei unzureichend. Auch Art 14 GG sei verletzt, weil er durch die Leistung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung ein Anwartschaftsrecht auch in bezug auf die von der BfA zu gewährenden Leistungen zur Rehabilitation erworben habe; dieses Recht sei entschädigungslos beseitigt worden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. November 1978 sowie des Bescheids der Beklagten vom 28. Oktober 1977 und des Widerspruchsbescheids vom 4. April 1978 zu verurteilen, ihm Heilmaßnahmen zu gewähren.
Die Beklagte hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Soweit der Kläger beantragt, die Beklagte zur Gewährung von Heilmaßnahmen zu verurteilen, war die Klage unzulässig und ist die Revision des Klägers offensichtlich unbegründet. Nach § 54 Abs 4 und 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann der Versicherte auf die Verurteilung zu einer Leistung nur antragen, wenn auf sie ein Rechtsanspruch besteht. Auf eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation bestand aber weder nach dem vor dem 1. Juli 1977 geltenden Recht ein Rechtsanspruch, noch ist dies nach dem seither geltenden Recht der Fall: Nach § 13 Abs 1 Satz 1 AVG idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 kann die BfA unter bestimmten Voraussetzungen ua medizinische Leistungen zur Rehabilitation vor allem in Kur- und Spezialeinrichtungen einschließlich der erforderlichen Unterkunft und Verpflegung (§ 14 aaO) gewähren. Sie muß dies also nicht; dies steht vielmehr in ihrem Ermessen. Ein Rechtsanspruch des Versicherten auf Leistungen zur Rehabilitation bestand mithin weder damals noch heute; § 13 Abs 1 Satz 1 aaO ist insoweit auch durch das 20. RAG unverändert geblieben. Die auf eine Verurteilung der Beklagten zu einer Rehabilitationsmaßnahme gerichtete Klage ist daher unzulässig. Sie ist vom SG zu Recht abgewiesen worden; die Revision des Klägers hiergegen ist zurückzuweisen.
Zugunsten des Klägers kann jedoch angenommen werden, daß seine Leistungsklage zugleich eine hilfsweise erhobene Klage auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheids enthält (§ 54 Abs 1 und 2 Satz 2 SGG). Aber auch eine Aufhebungsklage kann keinen Erfolg haben:
Nach § 13 Abs 1 Satz 1 AVG kann die Beklagte Leistungen der Rehabilitation in dem in den §§ 14 bis 14 b aaO bestimmten Umfang gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist und sie voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Als Versicherter in diesem Sinne gilt nach Abs 1a Satz 3 aaO in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Art 2 § 2 Nr 4 des 20. RAG nicht, wer ua in einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen steht. In einem solchen Arbeitsverhältnis steht der Kläger. Er ist seit 1967 bei der BG der Feinmechanik und Elektrotechnik nach der DO angestellt, die neben der Satzung stehendes autonomes Recht dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft enthält (BSGE 31, 247, 250; vgl dazu ferner die Fundstellen bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd I/1 166 h).
Nach §§ 5 und 7 Abs 1 DO bestimmt sich die Besoldung der DO-Angestellten nach den Vorschriften für Beamte des Bundes, wobei auch die anderen geldwerten Leistungen wie für Bundesbeamte gewährt werden. Als nach den für die Beamten des Bundes geltenden Vorschriften versorgter öffentlicher Bediensteter ist der Kläger daher aus dem durch § 13 Abs 1 AVG begünstigten Personenkreis ausgeschlossen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 13 Abs 1a Satz 3 AVG nicht wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) verfassungswidrig. Es läßt sich unter sachlichen Gesichtspunkten nicht beanstanden, wenn der Gesetzgeber in § 13 Abs 1a Satz 3 AVG zwischen Versicherten unterscheidet, die in bezug auf die Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation einmal nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf Versorgung haben und solchen, die nicht über solche Ansprüche verfügen. Eine solche Unterscheidung läßt sich bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtung auch dann halten, wenn in Betracht gezogen wird, daß die Beklagte nach § 14 AVG sämtliche, die Arbeitgeberin des Klägers dagegen nach den - auf den Kläger gleichfalls anwendbaren - Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) nur zumindest 50 vH, höchstens 70 vH der - beihilfefähigen - Aufwendungen eines Kur- oder Sanatoriumsaufenthalts trägt (Nr 6, 7 und 13 BhV). Der Kläger darf nicht verkennen, daß der Gesetzgeber von ihm, der wie ein Beamter auf Lebenszeit angestellt (§ 2 Abs 3 DO) und wie ein Beamter des Bundes nach den für diesen geltenden Vorschriften materiell voll versorgt ist, annimmt und annehmen darf, daß die ihm vom öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nach dem Alimentationsprinzip gewährten Dienstbezüge und zusätzlichen Leistungen dazu bestimmt sind, seinen und seiner Familie gesamten Lebensbedarf abzudecken. Zu diesem Lebensbedarf gehören auch die Aufwendungen für die Wechselfälle des Lebens, also auch die Notwendigkeit eines Kur- oder Sanatoriumsaufenthalts. Deshalb stellen die Leistungen nach den Beihilfevorschriften allein eine - zusätzliche - Hilfe zu der Selbstvorsorge dar, die dem Beamten oder beamtengleich versorgten öffentlichen Bediensteten vom Gesetzgeber angesonnen wird (allgemeine Meinung, vgl zB BVerwGE 16, 68, 69; BVerwG vom 18. Dezember 1974 - VI C 46.72; Köhnen/Schröder/Kusemann/Amelungk, Beihilfevorschriften, Einleitung XV; Schröder/Beckmann/Weber, Beihilfevorschriften, Präambel, Anm 2). Auf die Höhe der nach den Beihilfevorschriften im Falle der Notwendigkeit eines Kur- oder Sanatoriumsaufenthalts vom öffentlichen Dienstgeber zu erbringenden Leistungen allein kann daher vorliegend nicht abgestellt werden. Im übrigen darf weiter nicht verkannt werden, daß die Beihilfevorschriften keine erschöpfende Regelung enthalten. Es kann für den öffentlich-rechtlichen Dienstherrn geboten sein, dem Bediensteten eine über die Bestimmungen der Beihilfevorschriften hinausgehende Beihilfe zu gewähren (vgl BVerwGE 19, 48 und 22, 160, 163 und die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Köhnen/Schröder/Kusemann/Amelungk, aaO, Einleitung XVII).
Die Beamten und die ihnen versorgungsrechtlich gleichgestellten anderen öffentlichen Bediensteten sind mithin auf Grund der für sie geltenden Besoldungs- und ergänzenden weiteren Vorschriften und Grundsätze für die Wechselfälle des Lebens voll abgesichert. Sie unterscheiden sich damit grundsätzlich von den Versicherten im Sinne des § 13 Abs 1 AVG in der ab dem 1. Juli 1977 geltenden Fassung. Diese Unterschiede rechtfertigen es, daß sie der Gesetzgeber aus dem Kreise der nach dieser Vorschrift Begünstigten herausgenommen hat. Er darf ungleiche Tatbestände unterschiedlich regeln, ohne gegen das Verfassungsgebot der Gleichbehandlung zu verstoßen.
Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt § 13 Abs 1a Satz 3 AVG auch nicht gegen die verfassungsrechtlich gewährleistete Garantie des Eigentums nach Art 14 Abs 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat es in einer jüngeren Entscheidung (zur Abschmelzung des Knappschaftsruhegeldes) offengelassen, inwieweit Rentenansprüche und Anwartschaften hierauf überhaupt durch Art 14 Abs 1 GG geschützt sein können (BVerfG in SozR Nr 96 zu Art 3 GG). Ein Anspruch oder eine Anwartschaft dieser Art steht vorliegend gar nicht zur Beurteilung. Das 20. RAG hat den Kläger zwar von dem Kreis der nach § 13 Abs 1 Satz 1 AVG begünstigten Versicherten ausgenommen und damit des Rechts beraubt, von der Beklagten in bezug auf eine medizinische Maßnahme der Rehabilitation die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens zu verlangen. Der Anspruch des Versicherten gegen die BfA, im Hinblick auf eine Kannleistung der medizinischen Rehabilitation das Ermessen pflichtgemäß auszuüben (§ 13 Abs 1 Satz 1 AVG, § 39 Abs 1 Satz 2 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches - SGB 1 -, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), kann indessen keine dem Eigentum vergleichbare und daher durch Art 14 Abs 1 GG geschützte Rechtsposition sein. Denn nur Rechtspositionen vermögensrechtlicher Art können insoweit überhaupt in Frage kommen (vgl zB Schmidt - Bleibtreu/Klein, GG, 4. Aufl, Art 14 RdNr 3 ff). Der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ist, auch wenn er sich auf eine geldwerte Leistung bezieht, keine vermögensrechtliche Position, sondern schützt allein vor Sachungerechtigkeit und Willkür (vgl Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art 3 RdNr 54, 55 und 357 mit weiteren Nachweisen). § 13 Abs 1a Satz 3 AVG kann also kein Recht des Klägers verletzt haben, das sich als Eigentum im Sinne des Art 14 Abs 1 GG ansprechen ließe.
Gehörte aber der Kläger nach allem nicht zu dem durch § 13 Abs 1 Satz 1 AVG begünstigten Personenkreis, so hat die Beklagte seinen Leistungsantrag zu Recht abgelehnt. Ebensowenig ist die klageabweisende Entscheidung des SG zu beanstanden. Die Revision des Klägers war daher als unbegründet zurückzuweisen und zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind (§ 193 SGG).
Fundstellen